Mittwoch, 16. Dezember 2020

Aleteia interviewt Peter Seewald....

Ary W. Ramoz Diaz hat für aleteia  den Papst-Biographen Peter Seewald interviewt.
Hier geht´s zum Original:  klicken

"SEEWALD: BENEDIKT XVI WAR NIE EIN SCHATTENPAPST" 

Ein Interview mit dem Mann, der die unvergleichliche Gelegenheit hatte, Ratzinger-Benedikt zu interviewen und ihn mit uns zu teilen.

Mehr als ein Vieteljahrhundert hat Peter Seewald (1954) Kardinal Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI, den seit Jahrhunderten ersten Papa emeritus, begleitet. 

Sein jüngstes Buch "Benedikt XVI: Ein Leben" , das mehr als 1000 Seiten in zwei Bänden umfaßt. ist nicht nur einfach eine Biographie. Es ist eine Begegnung mit den Ereignissen in der Kirche und der Geschichte des Zeitalters: Das II. Vaticanische Konzil, mit Johannes Paul II einem der längsten Pontifikate der Geschichte, Säkularisierung, Globalisierung, und die präzedenzlose Koexistenz zweier Päpste im Vatican.  

Ratzinger ist eine Person unserer Zeitgeschichte, dessen Leben die Ereignisse des 20. und 21. Jahrhunderts durch seine persönliche, theologische und kirchliche Karriere widerspiegelt.

Seewald hat sich in seine Persönlichkeit vertieft, in die dramatischen Wechselfälle seines Lebens und konnte- durch die Rekonstruktion der Ereignisse, wie die Williamson-Affäre und Vatileaks- sowie seines überraschenden Verzichts auf das Pontifikat- ein detailliertes Bild des 265. Nachfolgers Petri zeichnen. 

In seinem Exklusiv-Interview für Aleteia drückt der Journalist seine Überzeugung aus, daß der Papa emeritus nie ein Schattenpapst geworden ist. Im Gegenteil, er ist immer bemüht gewesen,  Franziskus´  Handeln nie zu behindern. Aber: "Benedikt hat nie ein Schweigegelübde abgelegt"- stellt er klar. 

Es lohnt sich, festzustellen, daß das neue Buch das jüngste bisher unveröffentlichte Interview mit Papst Benedikt XVI seit seinem Rückzug aus dem Vatican enthält. Dieses Interview fand im Herbts 2018 statt, 

Aleteia: "Hier eine Frage, die die vielen Fragen zusammenfaßt, die uns von Lesern zum Papa emeritus erreichen: Wie ist der gesundheitliche, emotionale, psychologische Gesundheitszustand Benediks XVI nachdem er an Gesichts-Gürtelrose erkrankte, nach dem Tod seines Bruders und in seinen physischen Einschränkungen? 

Seewald: Gürtelrose ist sehr schmerzhaft. Aber seit dem hat sich der emeritierte Papst vollständig erholt und ist wieder in Form, so weit man das für einen körperlich gebrechlichen 93-Jährigen sagen kann. Er feiert jeden Tag die Hl. Eucharistie, liest, macht kurze Spazierfahrten in seinem Rollstuhl, schreibt und empfängt Briefe. Und er hat Sinn für Humor und Vertrauen angesichts aller Mühsal, die die Kirche und die Welt betreffen und die er täglich in den Nachrichten hören muß. 


Aleteia: Benedikt XVI ist er erste Papst, der seit 600 Jahren zurückgetreten ist. Betrachten Sie es als sein Biograph als geboten, andere Verdienste der Lehre und des Lebens von Papst Ratzinger bekannt zu machen, damit die Geschichte sein Erbe nicht auf den Augenblick seines Rücktritts reduziert? Welche menschlichen biographischen Aspekte des Lebens und der Arbeit Benedikts XVI würden Sie betonen? 

Seewald: Ratzingers Gegenspieler - "meine Nicht-Freunde" würde er sagen - sind ihres Lieblings-Ausspruchs nie müde geworden: Benedikt XVI war der falsche Papst und der Rücktritt war seine größte Tat. Was für ein Unsinn! Mein Buch ist nicht ohne Grund so lang geworden. Es gibt viel, über das man sprechen müßte. Sehr wichtige Dinge, sehr aufregende und auch sehr unterhaltsame.

Ratzingers Leben ist eine Biographie des Jahrhunderts, Benedikt ist vielleicht der einzige Papst, dessen Werk bereits vor seinem Pontifikat groß und wichtig war. Er begann als junger Star, der wußte, wie man die Christliche Lehre mit neuer Frische übermitteln kann. mit größter Intelligenz und als ein Theologe des Volkes, und gleichzeitig in all ihrer Einfachheit und Schönheit. Ohne Ratzingers Beitrag, hätte das II.Vaticanischen Konzil nie Dinge ermöglicht, wie es das dann tat. 

Seine Bücher wurden Welt-Bestseller und haben den Glauben von Millionen Menschen rund um die Welt gefestigt oder sogar gebracht. Das Ergebnis waren zahllose Priesterberufungen. Er war der erste Papst der Geschichte, der eine revolutionierende Christologie präsentiert hat. Seine Erklärung der Null-Toleranz und neuer Regeln haben den Beginn einer neuer Ära bei der Verfolgung und Wiedergutmachung des sexuellen Mißbrauchs in der Kirche - gebracht, auch wenn viel mehr hätte getan werden müssen. 

Die größte Bedeutung Benedikts liegt wahrscheinlich in seiner unerschütterlichen Orthodoxie. Er ist bereit, nicht gemocht und angegriffen zu werden. Andererseits wußte jeder, daß alles, was er tat und sagte, unbequem sein könnte, aber daß es zuverlässig mit der Lehre des Evangeliums, des Konzils und der Katholischen Tradition übereinstimmte. 

Aleteia: Was war Ihrer Meinung nach die überraschendste Antwort, die Joseph Ratzinger Ihnen während der langen Interview-Sitzungen gegeben hat? 

Seewald: Ratzinger ist der intelligenteste Mensch, den ich je getroffen habe. Und es für ihn immer leicht, Sie zu überraschen. Tatsächlich ist er ein moderner Denker geblieben, obwohl er im Sinn der Verwässerung des Glaubens sicher nicht modern ist. 

Ich habe in unserem ersten Interview-Buch "Salz der Erde" von 1996 eine überraschende und besonders schöne Antwort gefunden. Ich fragte ihn: "Eminenz, wie viele Wege zu Gott gibt es?" Er mußte nicht zweimnal überlegen und antwortete sofort: "So viele, wie es Menschen gibt." 

Aleteia: Franziskus behauptet, daß Benedikt XVI wie ein Großvater oder ein  Familienmitglied für ihn ist. Es gibt aber auch kritische Stimmen innerhalb und außerhalb der Kirche, die nach einer Reform des kanonischen Rechts rufen, um einen emeritierten Papst daran zu hindern, mit seinem öffentlichen Leben und seinen Äußerungen als Gegengewicht zum  amtierenden oder aktiven Papst zu agieren. Ist sich Benedikt XVI bewußt, daß alles was er schreibt oder sagt. unausweichlich ein Gegengewicht schafft oder Streitigkeiten, die jene die das Lehramt oder die Reformen von Papst Franziskus nicht mögen bestärken.

Seewald: Natürlich ist er sich dessen bewußt. Er war sich schon dessen bewußt, als noch nicht klar war, wer sein Nachfolger sein würde. Schon bei seiner Rücktrittserklärung hat er seinen absoluten Gehorsam versprochen. Der Papst ist der Papst. Es darf keinen Schatten-Papst oder sogar Parallel-Papst geben. Diese Tage sind vorbei. Aber das heißt nicht, daß man mit allem übereinstimmt. was der oberste Hirte der Kirche sagt.

Es hat nie eine solche Situation wie die gegenwärtige gegeben, mit einem amtierenden Papst und einem anderen, der abgedankt hat. Aber wer weiß? Vielleicht haben wir bald zwei alte Päpste, und dann drei in Weiß gekleidete Männer. Benedikt XVI hat mit allem, was er tat, eine neue Tradition begründet- ob mit seinem Rücktritt oder seinem Wohnort. 

Er hat angekündigt, daß er sich in Stille zurückziehen werde. Und das tat er. Aber das bedeutet nicht, daß er seine Art zu denken, aufgeben oder ein Schweigegelübde abgeben müßte. Er hat seinem Nachfolger schon ein oder zwei Ratschläge gegeben, Sehr diskret. Und er ist jeden Tag mit Gebet an seiner Seite." 

Quelle: aleteia, A. R. Diaz, P.Seewald   

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