First Things haben quasi als Nachruf auf Hans Küng noch einmal den Offenen Brief vom 10. April 2010 von Hans Weigel an den Schweizer Theologen veröffentlicht.
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"EIN OFFENER BRIEF AN HANS KÜNG"
Dr. Küng:
Vor eineinhalb Jahrzehnten hat einer Ihrer früheren Kollegen unter den jüngeren progressiven Theologen beim II.Vaticanischen Konzil mir von einer freundlichen Warnung erzählt, die er Ihnen am Anfang der zweiten Konzilssitzung zukommen ließ. Wie dieser ehrwürdige Gelehrte und Förderer der christlich-jüdischen Versöhnung diese berauschenden Tage sich erinnert, sind Sie in Rom in einem feuerroten Mercedes-Cabrio herumgefahren, der wie Ihr Freund annahm, eine Frucht des kommerziellen Erfolgs Ihres Buches "Das Konzil, Reform und Vereinigung" war.
Diese Selbstdarstellung erschien Ihrem kollegen als unvorsichtige und unnötige Selbstwerbung, angesichts dessen, daß einige Ihrer eher abenteuerlichen Meinungen und Ihr Talent für das, was man später den "zweiten Biss" nennen ssollte, sorgten bereits für hochgezogene Augenbrauen und gesträubte Nackenhaare in der römischen Kurie, Also nahm Ihr Freund- wie man mir die Geschichte erzählte- Sie eines Tages beiseite und sagte- indem er einfranzösisches Wort benutzte, das Sie beide verstanden- "Hans, Sie werden zu durchschaubar. "
Als Mann, der einhändig einen neuen globalen Personen-Typ erfand, den theologischen Dissidenten als internationalen Medienstar, waren Sie- so wie ich es verstehe- von der Warnung Ihres Freundes nicht allzu beunruhigt. 1963 waren Sie bereits entschlossen Ihren eigenen Weg zu gehen und Sie waren medien-erfahren genug, um zu wissen, daß eine Welt-Presse, die von Mann-beißt-Hund-Geschichten besessen ist- der Gescichte des dissidenten Priester-Theologen ein Megaphon für Ihre Meinungen geben würde. Sie waren- so glaube ich- unglücklich über die Versuche des verstorbenen Johannes Pauls II diese Lesart zu widerlegen indem er Ihren kirchliches Lehrauftrag als Professor für Katholische Theologie aufhob. Ihre anschließende grollende Abqualifizierung Karol, Wojtylas intellektueller Minderwertigkeit in einem Band Ihrer Memoiren galt bis vor kurzem als Tiefpunkt einer polemischen Karriere, in der Sie als Mann erkennbar wurden, der seinen Gegnern nur schwer Intelligenz, Anstand oder guten Willen zugestehen kann.
Ich sage jedoch "bis vor kurzem", weil Ihr Offener Brief vom 16. April an die Bischöfe der Welt , den ich zuerst in der Irischen Times gelesen habe, hat für diese spezielle Form des als odium theologicum bekannten Hasses und die Verdammung in gemeiner Gesinnung eines alten Freundes, der zu Beginn seines Papsttums Ihnen gegenüber so großzügig war und Sie zu Aspekten Ihrer aktuellen Arbeit ermutigte.
Bevor wir zu Ihrem Angriff auf die Integrität von Papst Benedikt XVI kommen, erlauben Sie mir aber festzustellen, daß Ihr Artikel schmerzlich klar macht, daß Sie nicht bezüglich der Dinge, über die Sie mit dem Anschein unfehlbarer Selbstgewißheit sprechen, die Papst PIus IX erröten ließe.
Sie scheinen gegenüber dem doktrinalen Chaos gleichgültig zu sein, das einen Großteil des europäischen und nordamerikanischen Protestantismus heimgesucht hat und Umstände geschaffen hat, die theologisch den ernsthaften ökumenischen Dialog stark gefährden.
Sie scheinen den rabiatesten Köder gegen Pius XII für bahre Münze zu nehmen, offenbar ohne zu wissen, daß die jüngsten wissenschaftliche Erkenntnisse das Gleichgewicht der Debatte zugunsten von Pius´ Mut bei der Verteidigung des europäischen Judentums verschoben hat (was man auch immer von seiner Umsicht halten mag).
Sie haben die Wirkung der Regensburger Vorlesung von Benedikt XVI 2005 fehlinterpretiert, die Sie als "Karikatur" des Islams ablehnen. Tatsächlich hat sich die Regensburger Rede dem Katholisch-Muslimischen Dialog in den Mittelpunkt gestellt- zu den beiden Themen, bei denen sich diese komplexen Gespräche dringend engagieren müssen - die Religionsfreiheit als fundamentales Menschenrecht, das man durch die Vernunft erkennen kann und die Trennung von Religion und Politik in Staaten des 21. Jahrhunderts.
Sie zeigen keinerlei Verständnis dafür zu haben, was derzeit HIV/AIDS in Afrika vorbeugt und klammern sich an den abgetakelten Mythos der "Überbevölkerung" - in einem Augenblick, in dem die Geburtenraten weltweit fallen und Europa in einen selbst erzeugten demographischen Winter eintritt.
Sie scheinen die wissenschaftlichen Beweise, die die Verteidigung des menschlichen Embryos durch die Kirche untermauern, nicht zu kennen, während sie der Katholischen Kirche vorwerfen, die Stammzellforschung abzulehnen.
Warum wissen Sie diese Dinge nicht? Offensichtlich sind Sie ein intelligenter Mann; Sie haben einmal grundlegende ökumenisch-theologische Arbeit geleistet. Was ist mit Ihnen passiert?
Was passiert ist- denke ich- ist, daß Sie den Streit über die Bedeutung und die richtige Hermeneutik des II. Vaticanums verloren haben. Das erklärt, warum sie unermüdlich Ihre 50-er Jahre-Forderung nach einem liberalen, protestantischen Katholizismus verfolgen, genau in der Zeit, wo das liberale protestantische Projekt wegen seiner inneren theologischen Inkohärenz zusammenbricht. Und das ist es auch, warum Sie sich jetzt so sehr in einer bösartige Schmutzkampagne gegen einen früheren Vatican II-Kollegen engagieren, Joseph Ratzinger. Erlauben Sie mir, bevor ich auf diese Schmutzkampagne eingehe, kurz mit der Hermeneutik des Konzils fortzufahren.
Während Sie nicht der theologisch vollkommenste Exponent dessen sind, was Benedikt XVI in seiner Weihnachtsansprache von 2005 an die Römische Kurie die Hermeneutik der Ruptur nennt, sind Sie zweifellos das international sichtbarste Mitglied dieser alternden Gruppe, die fortfährt zu behaupten, daß die Periode von 1962 - 1965 eine entscheidende Falltür in der Geschichte der Katholischen Kirche darstellte: den Augenblick eines Neubeginns, in dem die Tradition von ihrem angestammte Platz als primäre Quelle theologischer Überlegungen entthront wurde, um von einem Christentum ersetzt zu werden, das zunehmend "die Welt" die Agenda der Kirche bestimmen läßt (wie ein Motto des Weltkirchenrates es dann ausdrückte).
Der Kampf zwischen dieser Interpretation des Konzils und der von Konzilsvätern wie Ratzinger und Henri de Lubac vorgebrachten haben die postkonziliare katholische theologische Welt in kämpfende Parteien mit dazugehörigen Zeitschriften gespalten: Concilium für Sie und Ihre progressiven Kollegen und Communio für diejenigen, die Sie "Reaktionäre" zu nennen, fortfahren. Daß das Concilium-Projekt mit der Zeit immer unplausibler wurde, und daß eine jüngere Generation von Theologen -besonders in Nord-Amerika- sich mehr Communio zuwendet kann für Sie keine glückliche Erfahrung gewesen sein. Und daß das Communio-Projekt die Beratungen der außerordentlichen Bischofssynode, die 1985 von Johannes Paul II einberufen wurde, um die Erfolge des II. Vaticanischen Konzils zu feiern und seine vollständige Umsetzung am 20. Jahrestag seines Abschlusses durchzusetzen, entscheidend prägen sollten, muß ein weiterer Schlag für Sie gewesen sein.
Dennoch wage ich zu raten, daß das Eisen wirklich in Ihre Seele eindrang als am 22. Dezember 2005 der neugewählte Papst Benedikt XVI - der Mann, bei dessen Berufung an die Theologische Fakultät in Tübingen Sie einst mitgewirkt haben, die Römische Kurie ansprach und andeutete, daß der Streit vorüber sei: und daß die konziliare "Hermeneutik der Reform", die Kontinuität mit der Großen Tradition der Kirche annahm den Sieg über die "Hermeneutik der Diskontinuität und der Ruptur" davongetragen habe.
Vielleicht haben Sie - als Sie und Benedikt XVI im Sommer 2005 in Castel Gandolfo Bier tranken, sich irgendwie vorgestellt. daß Ratzinger seine Meinung zu dieser zentralen Frage geändert habe. Das hatte er offensichtlich nicht. Warum Sie sich je vorstellten, daß er Ihre Ansicht über das, was eine "fortwährende Erneuerung der Kirche" beinhalten würde, ist schlicht ein Rätsel. Auch wird Ihre Analyse der aktuellen katholischen Situation nicht plausibler, wenn man in Ihrer jüngsten Breitseite, daß die Päpste der jüngsten Vergangenheit gegenüber den Bischöfen "Autokraten" waren; Wieder wundert man sich, ob Sie aufmerksam genug waren. Weil es selbstverständlich klar scheint, daß Paul VI, Johannes Paul II und Benedikt XVI peinlich bestrebt waren - manche würden sagen, unglücklich widerstrebend waren - die Bischöfe zu disziplinieren, die sich selbst als inkompetent oder unannehmbar erwiesen - und deshalb die Fähigkeit verloren hatten, zu lehren und zu führen: eine Situation, die sich wie viele von uns hoffen - im Lichte der jüngsten Kontroversen ändern wird und bald ändern will.
In gewissem Sinn ist natürlich keine Ihrer üblichen Klagen über das postkonziliare katholische Leben neu. Es scheint allerdings für jemanden, der sich wirklich um die Zukunft der Katholischen Kirche als Zeugin der Wahrheit Gottes für die Rettung der Welt sorgt, immer weniger überzeugend zu sein, der Linie zu folgen, zu der Sie uns beharrlich drängen, daß ein glaubwürdiger Katholizismus denselben Weg beschreiten soll, den in den letzten Jahrzehnten verschiedene protestantische Gemeinschaften gegangen sind, die - ob bewußt oder nicht - der einen oder andere Version Ihres Ratschlags gefolgt sind und eine Hermeneutik der Ruptur mit der großen Tradition des Christentums akzeptiert haben.
Das ist aber die entschlossene Haltung, die Sie eingenommen haben, seitdem einer Ihrer Kollegen sich Sorgen gemacht hat, daß Sie zu durchschaubar werden und weil Sie diese Haltung auf den Seiten der Zeitungen, die Ihre Lesart der katholischen Tradition teilen, deutlich gemacht haben, denke ich, daß es zu viel ist, von Ihnen zu erwarten, daß Sie Ihre Ansichten ändern oder modifizieren, auch wenn jedes kleine Stück verfügbarer empirischer Erkenntnis nahe legt, daß der von Ihnen vorgeschlagene Weg für die Kirche der Weg des Vergessens ist.
Was man allerdings erwarten kann, ist daß Sie sich in den Kontroversen, in denen Sie sich engagieren, mit einem Minimum an Integrität und elementarem Anstand benehmen. Ich verstehe odium theologicum so gut wie jeder andere, aber ich muß Ihnen in aller Ehrlichkeit sagen, daß Sie mit Ihrem letzten Artikel eine Linie überschritten haben, die Sie nicht hätten überschreiten sollen, als Sie das folgende schrieben:
Man kann die Tatsache nicht leugnen, daß es ein weltweites System der von Klerikern begangenen Vertuschung sexueller Verbrechen gibt, die von der Römischen Glaubenskongregation unter Kardinal Ratzinger gesteuert wurde (1981-2005).
Das Sir, ist nicht wahr. Ich weigere mich zu glauben, daß Sie wußten, daß das falsch ist und es trotzdem geschrieben haben, weil das bedeuten würde, daß Sie sich selbst absichtlich als Lügner verurteilt haben. Aber angenommen, daß Sie nicht wußten, daß dieses Urteil aus Falschheit besteht, dann sind Sie so offensichtlich ahnungslos, wie die Kompetenzen für die Mißbrauchsfälle in der Römischen Kurie verteilt waren, bevor Ratzinger die Kontrolle über den Prozess übernahm und sie 2001 der Kompetenz der CDF unterstellte, dann haben Sie jeden Anspruch verloren, zu diesem oder jedem anderen Thema, das die Römische Kurie und die zentrale Leitung der Katholischen Kirche betrifft, ernst genommen zu werden.
Wie Sie vielleicht nicht wissen, war ich ein rigoroser und wie ich hoffe verantwortungsbewußter Kritiker der Art wie die Mißbrauchsfälle von einzelnen Bischöfen und Autoritäten der Kurie bis spät in die 1990-er schlecht gehandhabt wurden, bis der damalige Kardinal Ratzinger anfing, um relevante Veränderung in der Handhabung dieser Fälle zu kämpfen. (Wenn Sie interessiert sind, empfehle ich Ihnen mein Buch von 2002 "Der Mut katholisch zu sein: Krise, Reform und die Zukunft der Kirche")
Deshalb spreche ich mit gewisser Überzeugung vom Grund aus, auf dem ich stehe, wenn ich sage, daß Ihre Beschreibung von Ratzingers Rolle-wie oben zitiert- nicht nur für jeden, der mit der relevanten Geschichte vertraut ist, haarsträubend ist- und widerlegt durch die Erfahrung der amerikanischen Bischöfe, die Ratzinger immer rücksichtsvoll, hilfreich, tief besorgt über die Korruption des Priestertums durch eine kleine Minderheit von Mißbrauchern und durch die Inkompetenz und das Versagen von Bischöfen gestresst fanden, die die Versprechungen der Psychotherapie sehr viel ernster annehmen, als sie sollten, oder denen der moralische Mut fehlte, dem entgegenzutreten, dem entgegen getreten werden mußte.
Ich erkenne an, daß Autoren nicht immer die schrecklichen Untertitel lesen, die Leitartikeln manchmal gegeben werden. Dennoch haben Sie ein Stück Gift verfaßt - auch das für einen Priester völlig unangemessen, einen Intellektuellen oder einen Gentleman - das den Herausgebern der Irish Times gestattete Ihrem Artikel einen Schlag zu versetzen "Papst Benedikt hat fast alles, was in der Katholischen Kirche falsch ist, schlimmer gemacht und ist - laut diesem Offenen Brief an alle Katholischen Bischöfe direkt für die Steuerung der weltweiten Vertuschung des Kindesmißbrauchs durch Priester verantwortlich." Diese groteske Verdrehung der Wahrheit zeigt vielleicht, wohin odium theologicum einen Mann bringen kann. Aber es ist dennoch schändlich.
Erlauben Sie mir, vorzuschlagen, daß Sie Papst Benedikt XVI eine öffentliche Entschuldigung schulden, für das, was - objektiv gesprochen- eine Verleumdung ist, die teilweise - dafür bete ich - auf Nichtwissen (schuldhaftem Nichtwissen) beruht. Ich versichere Ihnen, daß ich mich für eine gründliche Reform der Römischen Kurie und des Episkopats engagiere, Projekte, die ich ziemlich ausführlich in Gottes Wahl: Papst Benedikt XVI und die Zukunft der Katholischen Kirche" beschrieben habe. Ich schicke Ihnen gern eine deutsche Kopie davon. Aber es gibt keinen Weg der wahren Reform in der Kirche, der nicht durch das enge und steile Tal der Wahrheit geht. Die Wahrheit wurde in Ihrem Artikel in der Irish Times geschlachtet. Und das bedeutet, daß Sie der Sache der Reform geschadet haben.
Mit der Versicherung meines Gebetes
George Weigel
Quelle: firstthings, G. Weigel
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