Mittwoch, 21. April 2021

George Weigel: noch ein Nachruf auf Hans Küng

George Weigel hat bei First Things dem kürzlich verstorbenen Hans Küng noch einen verspäteten Nachruf gewidmet. Hier geht´s zum Original:  klicken

"HANS KÜNG UND DIE GEFAHREN DES RUHMS" 

Während seiner Anfängerjahre bei den Baltimore Orioles, bekam der spätere Hall-of-Famer Eddie Murray einen Rat von einem Veteranen, Lee May: Wenn du Talent hast- sagte May dem 21-jährigen Schlagmann - kann Ruhm dir nicht helfen, aber die Chancen sind gut, daß er dich ruiniert. Murray befolgte Mays weisen Rat und vermied das Rampenlicht. Pater Hans Küng, der mediengeniale katholische Schweizer Schriftsteller, der am 6. April im Alter von 93 Jahren starb, tat das nicht. 
Darin liegt eine traurige Geschichte.

Hans Küng hatte sicher Talent. Seine Doktorarbeit über Karl Barth, wohl der größte protestantische Theologe des 20. Jahrhunderts, wurde ein bahnbrechendes Buch der ökumenischen Theologie. Sein kleines Traktat "Das Konzil: Reform und Wiedervereinigung" half dabei, der Diskussion bei der kritischen ersten Sitzung des II. Vaticanischen Konzils einen Rahmen zu geben. Küng konnte auch Talente erkennen und fördern; er hat persönlich die Berufung von Joseph Ratzinger auf einen Lehrstuhl der prestigeträchtigen Theologischen Fakultät der Universität Tübingen veranlaßt. 

Dennoch- ungeachtet der Mythologie- hatte Hans Küng praktisch keinen Einfluss auf die großen Dokumente des II. Vaticanischen Konzils. Während der Konzilsjahre hat er in Rom mehr Zeit mit der Weltpresse und dem Nebenkonzil ("off Broadway") der öffentlichen Reden und Debatten zugebracht als mit der härteren Arbeit, die Vatican II-Texte zu entwickeln. Ratzinger hat im Gegensatz dazu wirklich wichtige Beiträge zu mehreren Konzils-Dokumenten geliefert. Das tat auch der belgische Theologe Gérard Philips, der bestenfalls 0,0001% der Medienaufmerksamkeit Küngs erhielt, aber so einflussreich auf das war, was das Konzil wirklich gelehrt hat, daß der andere wichtige Vatican-II-Theologe, der französische Dominikaner Yves Congar, scherzte, daß Vatican II nach Philips´ Universität in Louvain II umbenannt werden sollte.


Während und nach den Vatican II-Jahren erfand Hans Küng einen neuen Persönlichkeitstyp und nutzte den aus: den dissidenten Katholischen Theologen als internationalen Medienstar. Gut aussehend, redegewandt und ein zuverlässiger Sprecher der progressiven Sache des Augenblicks - war Küng einer der ersten katholischen Intellektuellen, die herausfanden, daß die Weltpresse der "Hund-beißt-Mann" Geschichte nicht widerstehen kann, in der ein katholischer Denker die Kirchenlehre herausfordert- und das auf eine Weise, die die progressiven kulturellen Vorurteile bestätigt. So wurde der Mann, der einst ein wirklich kühnes Buch schrieb (Rechtfertigung: Die Lehre von Karl Barth und eine katholische Überlegung) mehr eine Medienpersönlichkeit als ein ernsthafter katholischer Theologe. Und mit dem Buch "Unfehlbar? Eine Untersuchung" von 1971 erklärte Küng sich selbst in scharfem Dissens zu einem definierten Dogma des apostolischen Glaubens.

Deshalb- was auch immer sein Einfluß auf die Davos-Eliten war- und man muß hoffen, daß dieser Mann, der nie das Priestertum verließ- einigen spirituellen Einfluß auf diese ultramondäne Welt hatte- ist es möglich, daß Hans Küngs ernsthaftester Beitrag zur Theologie nach seinem Buch über Barth ein Zufall des akademischen Sabbatical-Systems war. Weil  Küng, als er plante, eine einjährige Pause in der Universität einzulegen, Joseph Ratzinger bat, einen seiner Kurse in Tübingen zu übernehmen- und Ratzingers Vorlesungen in diesem Kursus zum internationalen Bestseller "Einführung ins Christentum" wurden.

Hans Küng war in seiner Position bewundernswert klar: er glaubte nicht, daß er das, was die Katholische Kirche definitiv lehrte, glauben und als die Wahrheit lehren würde. So sollte es nicht überraschen, daß die Glaubenskongregation am 15. Dezember 1979 Pater Küng zustimmte und erklärte, daß er "nicht länger als Katholischer Theologe angesehen werden könne" und ihm die Lehrerlaubnis als "Professor der Katholischen Theologie" entzog. Der deutsche Episkopat war mit der Entscheidung der CDF einverstanden, die die Grundlinie der Katholischen Überzeugung wiedergibt, daß die Kirche -Dank der Anwesenheit des Hl. Geistes in einer Wahrheit bleibt, die sie mit Autorität verkünden kann, sogar in ihrem Verständnis, daß Wahrheit sich entwickelt. (Die Dinge haben sich bei den deutschen Bischöfen offensichtlich geändert.) 

Die letzten Jahrzehnte in Hans Küngs Leben waren durch bittere Angriffe auf Papst Johannes Paul II und Papst Benedikt XVI gekennzeichnet- obwohl letzterer- immer der christliche Gentleman- seinen alten Tübinger Kollegen kurz nach seiner Wahl einlud, einen Nachmittag mit ihm in Castel Gandolfo zu verbringen. An einem gewissen Punkt -stiegen diese antipäpstlichen Polemiken- wie ich 2010 in einem offenen Brief an Pater Küng feststellte, zur toxischen Müllkippe von Verleumdung herab, nicht zuletzt wegen Küngs Unfähigkeit, sich von den liberalen Schibboleths zu allem- von Abtreibung, über AIDS, zu Katholisch-Islamischen Beziehungen und zur Stammzellforschung- zu befreien- eine traurige Liste für einen intelligenten Mann. 

Lee Mays Warnung an Eddie Murray war ganz klar: Ruhm ist gefährlich. Deshalb gehört Hans Küng, um F. R. Leavis über die literarischen Bürostühle zu paraphrasieren, eher zur Geschichte der Publicity als zur Geschichte der Theologie. Requiescat in pace."

Quelle: G.Weigel, First Things


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