Mittwoch, 14. April 2021

Wenn Blinde von der Farbe sprechen....

ist das sicher viel aussagekräftiger und näher an der Realität, als wenn Richard Dawkins über Gott schreibt. Der Literaturkritiker der London Review of Books, Terry Eagleton, hat Dawkins "Die Gottes-Illusion" gelesen und rezensiert.
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"AUSFÄLLIG, WIE EIN DRESCHFLEGEL UND TRIFFT  DANEBEN" 

Stellen Sie sich jemanden vor, der Vorträge über Biologie hält. dessen einzige Kenntnis des Themas aus dem "Book of British Birds" stammt und Sie erhalten eine vage Vorstellung davon, wie es sich anfühlt Richard Dawkins über Theologie zu lesen. Karteikarten-mit-sich-tragende Rationalisten wie Dawkins, der seit Bertram Russel einem professionellen Atheisten am nächsten kommt, sind in gewissem Sinn diejenigen, die am schlechtesten ausgerüstet sind,um zu verstehen, was sie geißeln, weil sie nicht glauben, daß es irgendetwas zu verstehen gibt. Deshalb kommen sie ausnahmslos zu einer vulgären Karikatur des religiösen Glaubens, die ein theologisches Erstsemester zusammenzucken lassen würde. Je mehr sie Relgion verabscheuen, desto schlechter informiert wird ihre Kritik. Wenn sie gebeten werden, zur Phänomenologie oder der Geo-Politik von Süd-Asien zu urteilen, würden sie zweifellos die Frage so eifrig beantworten wie sie könnten. Aber wenn es zur Theologie kommt, ist jede schäbige alte Travestie gut genug. In diesen Tagen ist die Theologie, die Königin der Wissenschaften, in einem  weniger erhabenen Sinn des Wortes als in ihrer Blütezeit im Mittelalter.

Dawkins über Gott ist eher wie einer dieser rechten Cambridge-Persönlichkeiten, die vor einigen Jahren eifrig im Senat ihr non-placet zur Ehrendoktorwürde für Jacques Derrida einreichten. Sehr wenige von ihnen - vermutet man.- hatten mehr als nur wenige Seiten seines Werkes gelesen.  Sogar dieses Urteil mag sehr wohltätig gewesen sein. Dennoch wären sie sicher entsetzt gewesen, einen Essay über Hume von einem Studenten zu bekommen, der seine Treatise of Human Nature nicht gelesen hat. Es gibt immer Themen, in die sich sonst gewissenhafte Geister, ohne auch nur den Versuch die größten Vorurteile zu bekämpfen, stürzen würden. Für viele akademische Psychologen ist das Jacques Lacan, für die Oxbridge-Philosophen ist es Heidegger; für die früheren Bürger des Sowjet-Blocks sind es die Schriften von Marx; für militante Rationalisten ist es die Religion. 

Worüber man sich wundert, sind Dawkins Ansichten über die epistemiologischen Unterschiede zwischen Aquinas und Duns Scotus. Hat er Eriugena zum Thema gelesen, Rahner zur Gnade oder Moltmann zur Hoffnung? Hat er je von ihnen gehört? Oder stellt er sich wie ein aufgeblasener junger Rechtsanwalt vor, daß man die Gegenseite besiegen kann, während er deren schwierigsten Fall nicht kennt? Dawkins, so sieht es aus, wurde manchmal von Theologen gesagt, er baue Strohmänner auf, um sie dann umzuwerfen, eine Anschuldigung, die er in diesem Buch widerlegt. Aber wenn "Die Gottes-Illusion" etwas ist, an dem man vorbeigehen kann, haben sie absolut recht. Soweit es die Theologie betrifft. Was die Theologie angeht, hat Dawkins sehr viel mit Ian Pasiley und Amerikanischen Fernseh-Evangelikalen gemein. Beide sind sich ziemlich einige darüber, was Religion ist.; es ist  nur, daß Dawkins sie verwirft, während "Oral Robert" und sein slabunsvoller Stamm durch sie fett werden.


Ein Maulwurfshügel aus einem Berg von Instanzen muß reichen. Dawkins überlegt, daß aller Glaube blinder Glaube ist und daß christliche und muslimische Kinder dazu erzogen werden, ohne zu fragen, zu glauben. Nicht einmal die dümmsten Kleriker, die mich im Gymnasium herumschubsten, dachten das. Für das Mainstream-Christentum  haben Diskussionen und ehrlicher Zweifel immer eine  integrale Rolle im Glauben gespielt. (Wo ist- angenommen er lädt dazu ein, alles in Frage zu stellen, Dawkins´ eigene Kritik an Wissenschaft, Objektivität, Liberalismus, Atheismus und ähnlichem?).
Vernunft, da kann man sicher sein, geht nicht den ganzen Weg mit den Gläubigen, aber sie tut das auch nicht für die meisten vernünftigen, zivilisierten nichtreligiösen Menschen. Sogar Richard Dawkins lebt mehr vom Glauiben als von der Vernunft. Wir glauben soviel, für das es keine unantastbare rationale Begründung gibt, an dem man aber dennoch vernünftig festhalten kann. 
Nur Positivisten denken, daß "vernünftig" "wissenschaftlich" bedeutet. Dawkins weist die sicher vernünftige Annahme zurück, daß Wissenschaft und Religion keine Konkurrenten sind - mit der Begründung, daß das die Religion vor vernünftiger Untersuchung schützt.  Aber das ist ein Fehler; zu behaupten, daß wenn die Knochen Jesu in Palästina entdeckt werden würden, der Papst sich so schnell wie möglich in die Schlange der Arbeitslosen einreihen müßte. Das ist eher so, als ob man behauptet, daß Glaube- ähnlich wie Liebe,- Faktenwissen beinhalten muß. aber nicht auf darauf reduzierbar ist. Damit meine Behauptung, dich zu lieben, kohärent ist, muß ich erklären können, was an dir ist, das das rechtfertigt; aber mein Bank-Manager könnte meinen, mit feuchten Augen vorgetragenen Beschreibungen von dir zustimmen, ohne selbst in dich verliebt zu sein. 

Dawkins glaubt, daß die Existenz oder Nichtexistenz Gottes eine wissenschaftliche Hypothese ist, die für rationale Beweise offen ist. Das Christentum lehrt, daß zu behaupten, daß es einen Gott gibt, vernünftig sein muß, aber das ist nicht das selbe wie Glaube, an Gott zu glauben. Was auch immer Dawkins denken mag, es ist nicht, als ob man den Schluß zieht, daß es Aliens oder die Zahnfee gibt. Gott ist ein himmlisches Super-Objekt oder ein göttliches UFO, über dessen Existenz wir bis alle Beweise vorliegen, unwissend bleiben müssen. Theologen glauben nicht, daß er entweder innerhalb oder außerhalb des Universums ist, wie Dawkins denkt, daß sie es tun. Seine Transzendenz und seine Unsichtbarkeit sind Teil dessen, was er ist, was beim Ungeheur von Loch Ness nicht der Fall ist. 
Das heißt nicht, daß religiöse Menschen an ein Schwarzes Loch glauben, weil sie auch denken, daß Gott sich selbst offenbart hat: nicht wie Dawkins denkt, in der Verkleidung eines kosmischen Handwerkers, klüger als Dawkins selbst (das Neue Testament sagt fast nichts über Gott als Schöpfer) aber zumindest für Christen in Form eines beschimpften und ermordeten politischen Kriminellen. Die Juden des sogenannten Alten Testaments glaubten an Gott, aber das bedeutet nicht, daß sie -nachdem sie die Sache bei verschiedenen internationalen Konferenzen diskutiert hatten- beschlossen hätten, die wissenschaftlich Hypothese zu unterstützen, daß es einen obersten Architekten des Universums gibt. sogar- wenn sie- wie Genesis enthüllt- dieser Meinung waren. Sie haben an Gott geglaubt, in den Sinn, wie ich an Sie glaube. Sie können sich sehr wohl getäuscht haben, aber sie haben sich nicht deshalb getäuscht, weil ihre wissenschaftliche Hypothese falsch war. 

Dawkins spricht spöttisch über einen persönlichen Gott, als ob völlig offenichtlich wäre, was das genau bedeuten könnte. Er scheint sich Gott als eine Art Kerl vorzustellen- wenn auch ohne weißen Bart- wie übergroß er auch sein mag, Er fragt, wie dieser Kerl gleichzeitig mit Milliarden von Menschen sprechen kann (...) Für das Judentum ist Gott keine Person in dem Sinn, wie es z.B. AL Gore ist. Er ist auch kein Prinzip, keine Entität oder "Existenz". In gewissem Sinne ist es kohärent, zu behaupten, daß Gott tatsächlich nicht existent ist. Er ist vielmehr die Bedingung der Möglichkeit für jede Entität - einschließlich unseres Selbst. Er ist die Antwort darauf, warum es eher etwas gibt, als nichts, Gott und das Universum addieren sich nicht zu zwei,so wenig wie meine Mißgunst und mein linker Fuß ein Paar darstellen. 

Das -nicht irgendein Super-Produkt- ist traditionell gemeint,  wenn von Gott als dem Schöpfer gesprochen wird. Er erhält alles durch seine Liebe am Leben und das wäre auch so, wenn das Universum keinen Anfang hätte. Zu sagen, er habe es aus dem Nichts ins Sein gebracht, ist kein Maß dafür, wie besonders klug er ist sondern dafür, zu vermuten, daß er es eher aus Liebe als aus der Notwendigkeit tat. Die Welt war nicht die Folge einer unaufhaltsamen Kette von Ursache und Wirkung. Wie das Kunstwerk eines Modernisten, gibt es dafür überhaupt keine Notwendigkeit und Gott hätte sehr wohl das Werk seiner Hände schon vor Äonen bedauern können. Die Schöpfung ist das ursprüngliche Geschenk. Gott ist ein Künstler, der es aus reiner Liebe tat, kein Wissenschaftler, der an einem wunderbaren rationalen Plan arbeitet, der die Geldgeber seines Forschungsstipendium unendlich beeindrucken soll. 

Weil das Universum Gott gehört, ist es Teil seines Lebens, das ein Leben in Freiheit ist. Deshalb funktioniert es aus sich selbst und deshalb sind sowohl Wissenschaft als auch Richard Dawkins möglich. Das selbe gilt auch für den Menschen: Gott ist kein Hindernis für unsere Autonomie und unsere Freuden, sondern- wie Aquinas argumentiert- die Macht, die uns ermöglicht, wir selbst zu sein, er ist die Quelle unserer Selbstbestimmung, nicht ihre Zerstörung. Von ihm abhängig zu sein - wie von unserem Freund abhängig zu sein, -ist eine Sache von Freiheit und Erfüllung, Freundschaft ist in der Tat das Wort, daß der Aquinate benutzt, um die Beziehung zwischen Gott und der Menschheit zu beschreiben. 

Dawkins, der sowohl von der Mechanik der Schöpfung als auch seinen creationistischen Widersachern besessen ist, versteht nichts von diesen traditionellen Doktrinen. Auch versteht er nicht, daß weil Gott für uns transzendent ist (was ein anderer Weg ist, zu sagen, daß er uns nicht hervorbringen mußte) ist er von jedem neurotischen Bedürfnis nach uns frei und will uns einfach nur lieben dürfen. Dawkins Gott -ist im Gegenteil satanisch. Satan (hebr. der Beschuldiger) ist die Fehlwahrnehmung Gottes als "Big Daddy"  und strafendem Richter und Dawkins Gott ist genau so ein abstoßendes Super-Ego. Diese falsche Erkenntnis wird durch die Person Jesu verworfen, der den Vater eher als Freund und Liebenden offenbart denn als Richter. Dawkins Oberstes Wesen ist der Gott jener, die versuchen Gottes Zorn durch Tieropfer abzuwenden, spezielle Eßgewohnheiten haben und sich untadelig gut benehmen. Sie können den Skandal nicht akzeptieren, daß Gott sie so liebt, wie sie in ihrer ganzen moralischen Schäbigkeit sind. Das ist der eine Grund, warum der Hl. Paulus sagt, daß das Gesetz verflucht ist. Dawkins sieht das Christentum in einer engen legalistischen Wahrnehmung von Sühne.- als einen brutal rachsüchtigen Gott, der sein eigenes Kind opfert als Sühne dafür, beleidigt worden zu sein- und beschreibt den Glauben als bösartig und abstoßend. Es wäre ein sichere Wette, daß der Erzbischof von Canterbury damit völlig einverstanden wäre. Es war der imperiale römische Staat, nicht Gott, der Jesus ermordete.

Dawkins denkt, daß es merkwürdig ist, daß Christen nicht erwartungsvoll auf den Tod schauen, angesichts dessen, daß sie durch ihn ins Paradies aufgenommen werden. Er sieht nicht, daß das Christentum - wie die meisten religiösen Glauben- das menschliche Leben hoch schätzt, weshalb sich das Martyrium vom Selbstmord unterscheidet. Der Selbstmord gibt das Leben auf, weil es wertlos geworden ist;  Märtyrer überliefern seinen oder ihren wertvollsten Besitz für das endgültige Wohl anderer. Dieser Akt der Selbsthingabe ist allgemein als Opfer bekannt, ein Wort, dem zu Unrecht alle möglichen politisch unkorrekten Implikationen beigemessen werden. Jesus- spekuliert Dawkins- könnte sein Verratenwerden und seinen Tod gewünscht haben, eine Sache, die die Autoren des Neuen Testaments speziell zurückweisen wollten, indem sie die Gethsemane-Szene einfügten, in der Jesus vor der Aussicht seiner bevorstehenden Hinrichtung in Panik verfällt. 
Sie legten ihm auch- als er am Kreuz  hängt- Worte in den Muind, die in die selbe Richtung gehen. Jesus ist nicht gestorben, weil er verrückt oder masochistisch war, sondern weil der Römische Staat und seine ausgewählten örtlichen Lakaien und "Rennhunde" Angst vor seiner Botschaft der Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit- wie auch vor seiner enormen Beliebtheit bei den Armen bekamen und ihn beseitigten, um einem Massenaufstand in einer hochexplosiven politischen Situation zuvorzukommen.

Etliche der Jesus Nahestehenden waren wahrscheinlich Zeloten, Mitglieder einer anti-imperialistischen Untergrundbewegung. Judas´ Nachname läßt denken, daß er vielleicht einer von ihnen war, was seinen Verrat verständlicher macht: vielleicht hat er seinen Führer aus bitterer Enttäuschung verkauft- als er erkannte, daß der am Ende doch nicht der Messias war. Ein Messias wird nicht in Armut geboren; sie verschmäht Zerstörungswaffen nicht; und er würde eher in einer kugelfesten  Limousine mit Polizeieskorte in die Hauptstadt einziehen als auf einem Esel. (...) "

Den Rest mögen die geneigten Leser bitte dem verlinkten Original entnehmen.

Quelle: T. Eagleton, London Review of Books 

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