A. Gagliarducci befaßt sich in seinem heutigen Kommentar für Monday in the Vatican mit dem Problem des Papstes, adäquat auf das Mißbrauchs-Problem zu reagieren.
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"PAPST FRANZISKUS: DAS PROBLEM AUF DIE MISSBRÄUCHE ZU ANTWORTEN"
In dieser Wochen haben zwei wichtige Fakten zum Thema Mißbrauch beim Hl. Stuhl eingeschlagen. Fakum Nr.1 ist, daß der Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki seine spirituelle Auszeit begonnen hat und sich praktisch bis zum März selbst von der Leitung seiner Erzdiözese supsendiert hat. Das zweite Faktum ist, daß ein Regierungsbericht in Frankreich feststellt, daß angeblich in der Periode von 1950-2020 um die 216.000 Minderjährige von ungefährt 3000 Priestern mißbraucht wurden.
Die beiden Nachrichten sind wichtig, weil sie auch zeigen, wie sich die Art, wie der Hl. Stuhl auf den Mißbrauch antwortet, sich geändert hat. Und sie beleuchten einige Probleme, die zu unterschätzen falsch wäre.
Kardinal Woelki hat einen 6-monatigen spirituellen Rückzug angetreten- mit einer Entscheidung, die vom Hl. Stuhl geteilt wird, weil - wie ein Statement der Nuntiatur erklärte.-anerkannt wurde, daß er einen Kommunikationsfehler gemacht hatte. Der Sturm gegen Kardinal Woelki begann, als der Kardinal selbst sich weigerte, zu berichten, wie seine Untergebenen mit den Mißbräuchen umgegangen waren. Laut einiger Berater enthielt der Bericht methodische Fehler. Die Erzdiözes gab dann einen weiteren Bericht in Auftrag.
Papst Franziskus hat auch eine vom Stockholmer Bischof Kardinal Anders Arborelius geleitete Inspektion geschickt, um die mögliche Verantwortung Kardinal Woelkis beim Vertuschen der Fälle zu untersuchen. Es wurde festgestellt, daß es nichts gab, was gegen den Kardinal spricht. In der Tat hatte der Kölner Erzbischof die Fälle gut- ohne jegliche Vertuschung- bearbeitet..
Es wurde jedoch beschlossen, ihn zu bitten, für eine Weile aus dem Sichtfeld der Öffentlichkeit zu verschwinden. Diese Entscheidung muß als Versuch betrachtet werden, Kardinal Woelki zu schützen, der von einer Lawine der Kritik überschüttet wurde. Anstatt den Kardinal dem Medien-Sturm ausgesetzt zu lassen, wurde beschlossen, ihn aus dem Sturm und dem Zentrum der Aufmerksamkeit zu entfernen.
Das war eine Entscheidung des gesunden Menschenverstandes. Aber in der Realität war die Wirkung eine ganz andere. Zuerst entstand der Eindruck, daß Kardinal Woelki für den Kommunikations-Fehler bestraft wurde und es ist leicht, einen Kommunikationsfehler mit Vertuschung zu verbinden. Die Öffentliche Meinung konnte frei -im negativen Sinn- über die Lage in der Kirche-spekulieren.
Die gleiche Möglichkeit zur Spekulation bekam die Öffentliche Meinung in Frankreich. Der sog. CIASE-Bericht, den die Französische Bischofskonferenz in Auftrag gegeben hatte, beruht nicht auf einer juristischen Untersuchung sondern auf einer Schätzung. Er beruht auf Vorwürfen, die telefonisch, per e-mail und Post eingingen und nur zum Teil aus den Archiven der Diözesen und Gemeinden stammen.
Die Zahle,. so durchtbar sie sind, müssen aus der richtigen Perpsektive gesehen werden: das sind 4 Prozent der Mißbräuche, die in ganz Frankreich von 2,8% der Priester begangen wurden. Es ist aber auch wichtig, über den Kult der Denunziation, der geschaffen wurde, nachzudenken.
Aus Angst wegen früherer Fehler, als Vorwürfe nicht objektiv angehört wurden, wird jetzt jede Beschuldigung zur Wahrheit, die nicht ignoriert werden kann. Das Ergebnis ist, daß den angeblichen Opfern Recht gegeben wird, bevor bewiesen ist, daß sie mißbraucht worden sind.
Nicht nur. Die Kirche hat nicht einmal mehr das Recht, zu sprechen. Der CIASE-Bericht hat auch eine Art Aufhebung des Beichtgeheimnisses in Mißbrauchsfällen vorgeschlagen, um dem Französischen Recht zu entsprechen, das die Pflicht zum Bericht vorsieht. Das ist keine neue Situation: bis jetzt ist in aller Welt von vielen Staaten vorgeschalgen worden, das Beichtgeheimnis abzuschaffen- von Australien bis zu den USA. Als jedoch Erzbischof de Moulins-Beaufort, Präsident der Französischen Bischofskonferenz betonte, daß das Beichtsiegel nicht angetastet werden kann, waren die Reaktionen heftig.
Von Innenminister Darmanin einbestellt, reagierte Erzbischof de Moulins Beaufort mit einem Statement, daß das Engagement der Französischen Kirche für Minderjährige beonte und unterstrich, daß seine Äußerungen ungeschickt gewesen waren. Auch hier ein totales Zugeständnis an die Öffentliche Meinung, die der Realität der Ergeignisse nicht gerecht wird.
Daß Mißbrauch ein Drama und ein Verbrechen ist- ist eine Tatsache. Es ist jedoch selbstmörderisch, aus Scham wegen der Gesamtsituation aufzugeben, die Wahrheit zu sagen.
Papst Franziskus selber hat beim Anti-Mißbrauchs-Gipofeltreffen, das er 2019 einberief, festgestellt, daß einige den Mißbrauchs-Skandal benutzten, um die Kirche anzugreifen. Deshalb müsse jede Klage tiefgreifend überdacht und verstanden werden.
Das Problem sind nicht die Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, sondern eher die Änderung der Mentalität. Jahrelang wurde Mißbrauch nicht erwähnt und die Ortsbischöfe haben nicht nach Rom berichtet, was passiert war und haben die Gemeindepfarrer von einer Gemeinde zur anderen versetzt. Und wie Benedikt XVI in seinem Hirtenbrief an die Irischen Katholiken erklärte, hatte es eine Barmherzigkeitssmentalität gegeben, die die Kultur des Rechts beiseite ließ.
Gerechtigkeit bedeutet auch, sich selbst verteidigen zu können, wenn Vorwürfe ungerecht sind. Aber in den vergangenen Jahren scheint die Kirche immer Anzeichen von Kapitulation zu zeigen. Kardinal Philippe Barbarins und Kardinal George Pells Fälle sind enthüllend: die beiden Kardinäle wurden zu Unrecht beschuldigt und dennoch an den Medien-Pranger gestellt, was Konsequenzen hatte. (Kardinal Barbarin hat die Führung seiner Diözese abgegeben; Kardinal Pell hat mehr als ein Jahr im Gefängnis verbracht).
Tatsächlich hat der Hl.Stuhl diese Prälaten immer förmlich verteidigt. Er hat das mit Pell und Barbarin getan und auch mit Woelki. Dennoch ist der Gedanke einer unfairen und nicht besonders energischen Art zu handeln, immer geblieben, die der Öffentlichen Meinung zu sehr nachgegeben hat.
Und die Frage bleibt; wird ein reiner Kommunikationsfehler (nach welchem Kriterium beurteilt?) genügen, um Bischöfe dazu zu bringen, sich weltweit selbst zu suspendieren? Wird ein Medienangriff genügen, um Kardinäle aufzufordern, zurückzutreten? Wird eine negative Öffentliche Meinung ausreichen, um jemanden ins Gefängnis zu zwingen oder ihn seinen Job verlieren zu lassen?
Die Mißbrauchsherausforderung wird in dieser Art ausgespielt. Nicht wegen der Maßnahmen, der Strenge und dem den Opfern-zuhören. Sie muß auf Rechtskriterein beruhen. "
Quelle: A. Gagliarducci, Monday in the Vatican
Das Problem liegt m.M. an anderer Stelle (ohne die Problematik möglicher priesterlicher Missbrauchsfalle herunterzuspielen!):
AntwortenLöschenWenn in einem Verein, einer Schule oder in einer Firma beweisbare Missbrauchsfälle vorgekommen sind, wird allenfalls gegen die fehlbare Person eine staatliche Strafverfolgung aktiv werden. Keine dieser Institutionen wird aber von sich aus je irgendwelche Fantasie-Entschädigungssummen auszahlen.
Würde die Katholische Kirche ebenso agieren, gäbe es nurmehr einen Bruchteil solcher Anklagen.