Dienstag, 23. Oktober 2012

"Wozu dient die Vergangenheit ?" Lesenswertes von Rémi Brague

Ratzinger-Preisträger Prof. Rémi Brague hat dem Journalisten Paolo Viana von Avvenire ein sehr lesenswertes Interview gegeben, in dem beide über die Bedeutung der Vergangenheit und der Tradition sprachen

Philosophieprofessor Brague betont darin, daß die Vergangenheit nicht, wie viele glauben (wollen) aus einer ununterbrochenen Kette von Verbrechen besteht- was als Grundirrtum aller Revolutionäre zur Idee der tabula rasa führte, auf der dann die Zukunft konstruiert werden sollte.

Frage:
"Professor, zu was dient die Vergangenheit?"

Antwort:
" Nicht dazu in ihr zu verharren. Man soll nicht in der Vergangenheit bleiben, sondern dem, was sie hervorgebracht hat, treu bleiben, weil wir ihr Produkt sind. Wir müssen mit ihr verbunden bleiben, weil auch wir Vergangenheit werden wollen. Wir werden die Vergangenheit der Zukunft sein.
Man muß akzeptieren, daß die Vergangenheit Auswirkungen hat. Burke sagt dazu: "wer nie auf seine Vorfahren zurückblickt, wird auch nie seine Nachkommen sehen."
Auch die alten Römer assoziierten die Ehrung der Vorfahren mit der Frömmigkeit."

Frage
"Ist es nicht ein Problem des "Nichtkönnens", wenn unsere Zeitgenossen nichts mit der Vergangenheit zu tun haben wollen?"

Antwort:
" Der intellektuelle Mensch des Westens hegt ein sehr negatives Bild der Vergangenheit und stellt sie sich als ununterbrochenes Serie von Verbrechen vor. Es ist ein Teil Wahrheit in dieser Haltung, die zum Selbsthass des Westens führt.
Es ist wahr.: wir haben den Rest der Welt entdeckt, erobert, unterjocht und kolonisiert. Unser Hauptproblem ist das einer Beichte ohne Vergebung, die in eine perverse Reaktion mündet, die uns lähmt.
Um dieser Situation zu entkommen, muß die Beichte komplett werden, es muß die Absolution folgen- aber die kann nur Gott geben."


Frage:
"Ist also die Haltung, mit allen Traditionen in Kultur und Bräuchen und der Vergangenheit zu brechen, sie und sich selbst zu verdammen, nicht konsequent?"

Antwort;:
"Sie trägt das Risiko in sich, die Fähigkeit unsere Vergangenheit weiterzugeben, zu verlieren und bewirkt, daß praktisch unser Verhältnis zur Vergangenheit vergiftet ist. Dieser Prozess ist sehr weit fortgeschritten und hat schon unsere Spache infiziert. Bedenken wir, wie ambivalent bereits der Begriff Tradition geworden ist.
Uns gefällt zwar z.B. das "traditionelle" Brot, aber über die "traditionelle Ehe" zu sprechen, írritiert uns.
Im Bereich der Philosophie wird der Begriff Tradition dann akzeptiert, wenn er teleologisch gebraucht wird- weil: das Ende sind wir!- nicht aber , wenn wir sie als Weitergabe verstehen, was schließlich der Wortsinn des lateinischen "traditio" ist."

Frage:
" Warum ist die Tradition zur Bruchstelle geworden?"

Antowort:
"Weil es schwierig ist, etwas weiterzugeben, da muß ein Wille sein, ein positives Projekt. Es ist leichter, sich der Tradiition der Trägheit hinzugeben. Es ist eine Frage des Mutes. Wir brauchen Mut, um etwas weiterzugeben und uns nicht damit zu begnügen, das zu empfangen, was die Vergangenheit an uns weitergegeben hat ."

Frage:
"Glauben Sie nicht, daß es auch ein Problem der Sprache ist,eine Tradition für jeden, der nur über Twitter und Facebook kommuniziert, verständlich zu machen?"

Antwort:
" Nur zu sehr ! Es mißfällt mir, das zugeben zu müssen, aber so ist es. Die Intellektuellen von heute müssen eine Sprache finden, die zu allererst von der Jugend verstanden wird. Was fehlt ist eine Brücke über die, das was von den Intellektuellen gedacht wird, zur breiten Masse gelangt.
Die Medien tragen eine ungeheure Verantwortung dafür, daß die Ideen nicht an die Menschen weitergegeben werden, die ihrer so sehr bedürfen. Die Journalisten sind wie die Sophisten der Antike, wie Plato sie beschrieb: sie wiederholen und wiederholen und wiederholen stets das, was man in ihrem Kreis spricht."

Quelle: Paolo Viana/Avvenire






1 Kommentar:

  1. Hiermit:
    Unser Hauptproblem ist das einer Beichte ohne Vergebung,
    Hat der Herr Professor den Nagel auf den Kopf getroffen.
    Wir klagen alles und jedes an, aber haben keine Lösungen und die Lösungen die wir haben machen nicht glücklich.
    Erinnert an das Gedicht vom Narrenschiff
    http://beiboot-petri.blogspot.de/2012/09/paulus-und-die-aktuelle-lage-der-nation.html

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