Freitag, 2. Mai 2014

"Das Rätsel Franziskus" von Sandro Magister

Sandro Magister: " Franziskus der Humanae-Vitae-Papst "
Es ist die Enzyklika "Humanae Vitae", die er sich zum Maßstab erkoren hat, obwohl sie die am meisten angefeindete des letzten Jahrhunderts ist. Bergoglio löst große Erwartungen der Veränderungen bzgl. der Ehe aus. Aber er könnte sich, wie damals Paul VI, auch gegen die Mehrheit entscheiden.
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"Rätsel Franziskus" so titelt  L´Espresso
Vier Päpste vereint unter den Augen der Weltöffentlichkeit: ein einmaliges Schauspiel. Das ging Sonntag, am 27. April, in Szene.
Zwei im Himmel: der Italiener Angelo Roncalli und der Pole Karol Wojtyla. Und zwei auf der Erde : der Deutsche Joseph Ratzinger und der Argentinier Jorge Mario Bergoglio. So nah und so verschieden. Der Hirte, der Kämpfer, der Theologe....und der letzte, der ?
Ein Rätsel. Mehr als ein Jahr nach seiner Wahl muß er noch enträtselt werden.
Sicher, Papst Franziskus spricht eine neue Sprache. In den morgendlichen Predigten, in Interviews, wenn er sich an die Menge wendet, vereinfacht er seine Sprache drastisch. Bei ihm hat das Mündliche Vorrang vor dem Geschriebenen, auch mit dem Risiko falsch verstanden zu werden. Ihm genügt, dass alle begreifen, dass das Gewissen eine unverletzliche Autonomie besitzt, dass die Kirche sich weder in das Intimleben der Menschen einmischen noch die Homosexualität verdammen will, dass Proselytismus eine Dummheit ist.

Unter den Katholiken fühlen viele ein Unbehagen bei seinen grob (wie mit der Axt - "accetta") ausgeführten Behauptungen. Aber Dank derer "von außen" ist der Erfolg gesichert. "Extra ecclesiam" ist Franziskus der populärste Papst der Geschichte.
Und doch ist  Bergolgio alles andere als sanft mit dem, was man "den einen dominierenden Gedanken"- atheistisch und liberal, nennt, das neue Opium für´s Volk.
Seine Vision von der Erde ist apokalyptisch, ein kosmischer Kampf mit dem Teufel, als dem großen Gegner.
Er spricht häufig von ihm, besonders in den morgendlichen Predigten.
Er verbirgt seine Aversion gegen das Auftauchen der neuen angeblichen Familien nicht, Familien ohne "Männlichkeit und Weiblichkeit eines Vaters und einer Mutter". Unbeugsam definiert er Abtreibung als ein abscheuliches Verbrechen.


Aber er ist ganz besonders auf der Hut, daß sich diese seineVerurteilungen niemals mit Gesetzen, Gerichtsurteilen, Regierungsdekreten kreuzen, oder den Meinungskampagnen, die täglich in vielen Ländern, das Fortschreiten dieses "einzigen Gedankens" belegen, den er verabscheut. Und das genügt, weil man ihm gutwillig zugesteht, alles zu sagen, wenn es nur abstrakt bleibt.
Sehr konkret wird Papst Franziskus dagegen bei anderen Kategorien der Realität, denen, die nicht kontrovers sind sondern allgemein akzeptiert.
Er ist auf die Insel Lampedusa gefahren, um dort angesichts der Emigranten, Flüchtlinge und Schiffsbrüchigen "Schande" zu rufen, So wird er nach Cassano all`Jonio gehen, um die Mafiosi zu verurteilen, die dort  ihren Bau haben. Dann nach Campanobasso, wo jener Giancarlo M. Bregantini Bischof ist, der den Text für den diesjährigen Karfreitags-Kreuzweg im Colosseum geschrieben hat, voller Mitgefühl für die Armen, die Flüchtlinge, die Arbeitslosen.
Er hat den antiklerikalen Parteiführer Marco Pannella angerufen, um ihm seine Unterstützung für dessen Kampagne für eine gerechte Behandlung Strafgefangener zuzusichern.
Aber wo er seinen Stil am meisten gezeigt hat - das war an jenem 27. April im Petersdom, bei der von ihm vor mehr als 500 italienischen Ministern, Abgeordneten und Senatoren gefeierten Hl. Messe. Kein einziges Lächeln, kein einziger Gruß. Und eine Predigt voller Vorwürfe, mit dem Schlüsselwort Korruption.
Das Wort, das im Wörterbuch Bergoglios die Sünde der Sünden bezeichnet, die es jedem, wer er auch sei, unmöglich macht, die Vergebung Gottes zu erlangen.
Was aber von allen, eingeschlossen der anwesenden Politiker, dem Sinn nach, als das spezifische Verbrechen dieses Namens, verstanden wurde.
In der öffentlichen Meinung - nicht nur in Italien - hat diese den Politikern ziemlich feindliche, unbescholtene Haltung Franziskus´ seine Popularität noch gesteigert.
Diejenigen, gegen die er er seinen Bannstrahl schickt, sind die selben, gegen die so viele gewohnheitsmäßig, vor allem mit Worten, wettern.
Undenkbar, daß einer den Papst kritisiert, wenn er die Mafia oder den Krieg verdammt.
Das "wer bin ich, daß ich richte?" ist der Erzählschlüssel dieses Pontifikates geworden, und gilt sicher, so wie er es sagte, für den Homosexuellen guten Willens, der Gott sucht.
Aber über viele andere Menschen urteilt Franziskus - und wie er das tut - und wendet sich, sie beim Vor und Nachnamen nennend, für oder gegen sie.
Er hat sich nicht zurückgehalten, gegen Nunzio Scarano, den Msgr. aus der Kurie, der wegen Finanzvergehen verhaftet wurde, aber noch ín Untersuchungshaft ist, den wie ein Peitschenschlag wirkenden Satz "Er sieht der seligen Imelda nicht ähnlich" zu sagen.
Und er schweigt nicht, wenn es gilt, die Bedürfnisse der Arbeiter zu unterstützen, wie er es Mittwoch nach Ostern tat, als er die Rechte der 4000 Arbeiter des von einer Schließung bedrohten Stahlwerkes in Piombino verteidigte.
Das ist eine verfeinerte Fähigkeit alter jesuitischer Schule, nach der Franzislus Zeit, Ort und Bezüge seines Sprechens ausrichtet. Auch sein Tun ist so.
Da findet man alles, auch die widersprüchlichsten Dinge, wie bei der IOR, wo sich die teuersten Wachhunde des multinationelane Promontorykonzerns, denen die Revision der Konten anvertraut wurde, mit denen der vorherigen Leitung und Titelträgern der Undurchsichtigkeit, die sich im Sattel halten konnten,  zusammen geworfen finden.
Aber es ist die Fähigkeit Franziskus´ aus diesem Nebeneinander von Tönen eine attraktive Musik, die eine ständige Spannung bewahrt, zu machen. Immer in der Erwartung eines Finales, das wir immer mehr herbeisehnen.
Es ist die kommende Synode der Bischöfe, zusammen gerufen zum Thema Familie, das perfekt in dieses Schema passt.
Zur Frage der Kommunion der wiederverheirateten Geschiedenen, das bereits Zentralthema der Streitigkeiten geworden ist,  wechselt Franziskus ununterbrochen zwischen Verweigerung und Zulassung.
Als aus Deutschland, von einem Teil der höherrangigen Bischöfe Signale kamen, die Richtlinien zugunsten der Kommunion zu ändern, läßt der Papst einen anderen Deutschen, den Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Müller, eine starke Entgegnung im Osservatore Romano veröffentlichen.
Aber dann beauftragt er als einzigen Relator des Konsitoriums, das zusammengerufen wurde, um diese Frage zu diskutieren, noch einen anderen Deutschen, den Kardinal und Theologen W.Kasper, der seit 30 Jahren darum kämpft, das Verbot der Kommunion aufzuheben.Und er stellt sich auf seine Seite, indem er ihn warm lobte, auch nachdem andere Kardinäle sích dagegen empört hatten.
Auch sich selbst gegenüber nimmt Bergoglio diese Doppelposition ein.
Er liebt es, seine Treue zur ewigen Doktrin zu beteuern, in diesem Fall an die Unauflöslichkeit der Ehe: "Die Lehre der Kirche ist bekannt, ich bin ein Sohn der Kirche."
Davon aber scheint er sich zu entfernen, wenn er sich zum Arzt einzelner Seelen macht, wie bei diesem katastrophalen "Feldlazarett", das für ihn die Welt ist, so voller Verwundeter, die dringend behandelt werden müssen.
Und so, wenn er mit einer Frau aus Buenos Aires telefoniert, treu katholisch, mit einem geschiedenen Mann in ziviler Ehe lebend,  die nach der Eucharistie hungert, und ihr sagt, sie könne problemlos an der Kommunion teilnehmen und in eine andere Gemeinde gehen, wenn ihr Pfarrer ihr die verweigere.
Vaticansprecher Federico Lombardi mußte bezüglich der persönlichen Telefonate des Papstes präzisieren, man möge vermeiden, aus ihnen Rückschlüsse für die Lehre zu ziehen.
Aber das mildert ihre Wirkung auf die öffentliche Meinung nicht. Der komplexe Effekt der Strategie Franziskus´ sind sich überstürzende Erwartungen einer Änderung. Die werden sich noch verstärken, wenn sich die Bischöfe im kommenden Oktober mit dem Ziel treffen, die letzten Vorschläge zu sammeln.
Die werden ein Jahr später in einer zweiten Sitzung der Synode geprüft werden, um am Ende die Summe zu bilden und dem Papst Lösungsmöglichkeiten vorzuschlagen. Weil es Franziskus- und nur er allein - sein wird,
der das letzte Wort hat, an ihm wird es sein,darüber zu entscheiden, ob die wiederverheirateten Geschiedenen zu Kommunion zugelassen werden oder ob nicht und wann und wie.
Die Entscheidung wird also Ende 2015 oder später fallen, nicht vorher, unter dem Druck der öffentlichen Meinung, die- das ist vorhersehbar-ein Ja erwartet.
Einen ähnlich massiven Druck zur Veränderung gab es in den Sechziger Jahren, als der Papst über die Zulassung der Kontrazeptiva entscheiden mußte, mit Theologen und Kardinälen, die großenteils dafür waren.
Aber 1968 entschied sich Papst Paul VI  mit der Enzyklika "Humanae Vitae" dagegen. Eine Enzyklika, die bittere Anfeindungen von Teilen ganzer Episkopate und den Ungehorsam von unzähligen Gläubigen erlitt.
Die aber Papst Franziskus, wie er bereits sagte, als Modell für seine Entscheidung nehmen will.
Man muß also aufmerksam noch einmal lesen, was Bergoglio am 5. März im "Corriere della Sera" Interview bezüglich dieser Enzyklika sagte:
" Alles hängt davon ab, wie man Humanae Vitae interpretiert. Paul VI selbst, hat den Beichtvätern Barmherzigkeit empfohlen, Aufmerksamkeit für die spezielle Situation. Aber seine Genialität war prophetisch, er hatte den Mut, sich gegen die Mehrheit zu stellen, die moralische Disziplin zu verteidigen, ein kulturelle Bremse zu betätigen und sich dem gegenwärtigen und zukünftigen Malthusianismus entgegen zu stellen. Die Frage ist nicht, die Doktrin zu ändern, sondern in die Tiefe zu gehen und das zu tun, was die Pastoral für die Situation, in der die Personen sich befinden, bereit hält."
Das Rätsel Franziskus findet sich ganz in seiner großartigen Lobeshymne auf "Humanae Vitae". Weil man von diesem "vom Ende der Welt" gekommenen Papst alles erwarten kann, auch daß er in der Frage der Kommunion für die wiederverheirateten Geschiedenen am Ende eine Entscheidung gegen die Mehrheit trifft, eine Entscheidung, die die Intaktheit der Doktrin, daß die Ehe unauflöslich ist, bestätigt, und sei es für eine ausgewogene Barmherzigkeit der Seelenhirten angesichts einer konkreten Situation.

Als Bergoglio am 27. April Johannes Paul II heilig sprach, wußte er, was der emeritierte Papst Benedetto vor wenigen Wochen über seinen großen Vorgänger gesagt hatte:
"Er suchte nicht den Applaus, noch kümmerte er sich darum, wie seine Entscheidungen aufgenommen wurden. Er handelte aus seinem Glauben und seiner Überzeugung heraus und war bereit, auch Schläge einzustecken. Der Mut zur Wahrheit ist ein primäres Kriterium der Heiligkeit."

Ein solcher Experte in der Pflege der öffentlichen Meinung  wie Papst Franziskus, ist nicht der Mann, sich von ihr gefangen nehmen zu lassen.

Quelle: www.chiesa/ L´Espresso, Sandro Magister

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