Sonntag, 14. Oktober 2018

Sandro Magister über die Jugendsynode, die "Benedikt-Option" und die Moderne, Fortsetzung....

Fortsetzung....

Eine "versteckte" Pädagogik? Dreher glaubt nicht - wie wir sehen werden - an "historische Unvermeidbarkeit" und ist daher überzeugt, daß es möglich ist, in die Vergangenheit zu schauen, um die Zukunft zu planen: "multa renascentur quae iam cecidere", Horaz´ Motto könnte sein eigenes sein. Vor diesem Hintergrund muss jedoch eine kritische Position gegenüber der Gegenwart aufrechterhalten werden. Man muss - so sagt er - eine "Gegenkultur" ausarbeiten, sonst werden das Christentum und die westliche Zivilisation nicht gerettet. Mit Bezug auf die Apokalyptiker einer früheren Zeit, die jetzt zahm integriert sind und so zahlreich in den Nachrichtenredaktionen und in den Denkfabriken vertreten- konnte Dreher eine alte Losung der Kommunistischen Internationale - wiederholen: "Die gesellschaftstheoretische Theorie, die du auf den Müll geowrfen hast, nehmen wir zurück und machen sie zu unserer!"

4.Aber wie sind wir in diese kritische Lage gekommen? Hier schlägt Dreher wieder eine hitorische Sichtweise vor, die nicht besonders originell ist mit Ausnahme- wie wir sehen werden- seiner Schlußfolgerung. Er nimmt im Wesentlichen die Strategie an, die die Verfechter der Moderne vor Jahrhunderten entwickelt und die ihre Gegner sich im Wesentlichen zu eigen gemacht haben- einschließlich des traditionellen katholischen Denkens -indem sie offensichtlich ihren Charakter verändert haben, was für den einen ein Reise der fortschrittlichen Emanzipation und Aufklärung war, war für die anderen ein Zugehen auf den Abgrund. Aber die Etappen waren mehr oder weniger die selben: die Krise des mittelalterlichen theologischen Denkens, der Humanismus des 15 Jahrhunderts, die Reformation der 1500-er Jahre, die wissenschaftliche Revolution der 1600er, der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die Industrialisierung und die folgende Modernisierung des 19. Jahrhunderts.

In dieser letzten Phase begannen die Protagonisten der Moderne von ihren Vorhersagen  abzuweichen: für manchen war der Liberalismus das Resultat dieses uralten Prozesses der Emanzipation vom mythologischen Denken und transzendenten Religionen.
Aber für andere war eine weitere Stufe nötig, weil die Reise bis zur kommunistischen Gesellschaft führen sollte. In Italien zwischen den beiden Weltkriegen fehlte es nicht an Stimmen, die den Faschismus als den Gipfel des "modernen Denkens" identifizierten. Und noch einmal zögerte das traditionelle Katholische Denken, das sich auch im Päpstlichen Lehramt zeigt, nicht, gegen jeden einzelnen Schritt auf diesem Weg, gegen Liberalismus, Kommunismus und Faschismus als extreme Stadien der Moderne zu bekämpfen.




Aber das sind alles Diskussionen des 20. Jahrhunderts! Dreher unterscheidet heute zwei verschiedene Ergebnisse: die sexuelle und die technologische Revolution. Der erste Prozess begann um 1960 herum und führte zur Aufgabe des "sozialen Konzepts" von Sexualität, das bis dahin zum wahren christlichen Denken gehörte- würde ich sagen- wie auch zum gesunden Menschenverstand - hin zu einem völligen sexxuellen Individualismus. Der Zweite - der von Biotechnologie, INternet, Smartphones - kurz von Infromation und technologischem Konsumismus- entwickelte sich nach 1980.

Das Urteil des amerikanischen Schriftstellers zur "sexuellen Revolution" ist radikal: für das Christentum war sie katastrophal-ebenso, wie wir hinzufügen könnten- für die traditionelle Moral- weil sie ins Herz der biblischen Doktrin zu Sexxualität und der menschlichen Person traf und das christliche Konzept von Gesellschaft, Familie und der Natur des Menschen. Kurz gesagt- sie veränderte die Voraussetzungen des sozialen Lebens, wie sie über 1000 Jahre gegolten hatten, radikal.

Sehr drastisch ist auch sein Urteil über die technologische Revolution. Er wiederholt nicht die Analysen vieler anderer, nach denen Technologie moralische neutral ist und sowohl zum Guten ls auch zum Schlechten genutzt werden kann. Für Dreher bringt uns "Technologie als Weltsicht dazu, alles was neu und innovativ ist, dem Alten, Familiären vorzuziehen und die Zukunft unkritisch zu bewerten. Sie zerstört die Tradition, weil sie sich weigert irgendwelche Grenzen für ihre Kreativität anzuerkennen. Der technologische Mensch sagt "Wenn wir es tun können, müssen wir frei sein, es zu tun." Für das technolpgische Denken sind Fragen, warum wir das tun oder nicht tun sollten oder betimmte technologische Entwicklungen akzeptieren sollten oder nicht, schwer zu verstehen."

Dreher schlägt seinen Lesern nicht eine umögliche Rückkehr in die Vergangenheit vor, sondern eine Arr "tchnologische Askese". Beides auf der pätdagogischen Ebene (wie wir unseren Kindern Techologie vermitteln, mit welchen digitalen Mitteln wir sie ausstatten, welche Alternativen wir ihnen bieten) und in unserem Alltagsleben-einschließlich dem "säkularen"-wir einen Lebensstil erreichen können, der die weitverbreiteten Aspekte der "technologischen Revolution" exorziert.
Um das erreichen zu können, besteht natürlich die Notwendigkeit "spiritueller Exerzitien" (im Sinne von Pierrre Hadot) -und so könnte z.B. ein oder zweitägiges digitales "Fasten" eine nützliche asketische Praxis sein, um sich selbst wieder zu finden.

5. In seinem Buch zitiert Dreher nie das Werk von Michel Houellebecq,dem großen, umstrittenen französichen Schriftsteller, aber er stellt wiederholt fest, daß er ihn für sein Werk als Gesprächpartner betrachtet. Ich glaube, daß er Recht hat: in seinen besten Romanen steckt mehr Geschichte und Philosophie als in vielen professionellen Bänden (in diesem Zusammenhang könnte man Louis Bettys Buch "Ohne Gott. Michel Houellebecq und der Materialistische Horror" lesen, das 2016 erschienen ist.)

Sein Roman von 1998 "Elementarteilchen" entwickelt sich rund um das Konzept einer "metaphysischen Mutation". Houellebecq schreibt: "In der Menschheitsgeschichte sind metaphysische Mutationen, die eine radikale und weltweite  Veränderung der Weltsicht, die von der Mehrheit akzeptiert werden, eher selten. [...] So bald sie entwickelt wird, entwickelt sich die metaphysische Mutation bis sie ihre extremen Positionen erreicht, ohne je auf Widerstand zu stoßen.
Unerschütterlich stürzt es wirtschaftlihe und politische Systeme, ästhetische Urteile, soziale Hierarchien um. Es gibt keine Kräfte, die in der Lage sind, ihre Entwicklung aufzuhalten, weder die menschliche oder eine andere- abgesehen vom Eintreten der neuen metaphysischen Mutation."

Ein erstes Beispiel, das der französische Autor gibt, ist das de is Ankunft des Christentums ind jenen Jahrhunderten in denen "das perfekt organisierte Römische Reich auf dem Gipfel seiner Macht war, das die bekannte Welt beherrschte und seine militärische Überlegenheit unangefochten war. Und dennoch gab es keine Hoffnung."

Analog dazu- am Ende dessen, was wir Mittelalter nennen- "bei Auftauchen der modernen Wissenschaft bestand das mittelalterliche Christentum aus einem vollständigen System des Verständnisses von Mensch und Universum, das als Grundlage diente, um das Volk zu regieren, Wissen und Arbeit zu produzieren- in Krieg und Frieden- das die Produktion und Verteilung der Güter organisierte. Alles das konnte den Zusammenbruch nicht verhindern."

Seither gab es stufenweise die Behauptung dessen, was der Autor "das materialistische Zeitalter" nennt. Sein Endpunkt ist genau die "sexuelle Revolution" , deren Entwicklung in Frankreich und der Welt von Houellebecq Jahr für Jahr verfolgt wurde, mit einer Serie extrem evokativer Feststellunbgeb: im Roman wird sie durch die Figur der Janine Ceccaldi personifiziert, der Mutter der beiden Protagonisten. Janine, 1928 geboren, gehört zur entmutigenden Kategorie der Vorläufer", jenen, die im Allgemeinen nur die Rolle eines  Beschleunigers eines historischen Zerfalls spielen- ohne je den Ereignissen eine neue Richtung geben zu können."

Houellebecq hat sich bereits 1994 mit der "sexuellen Revolution" in seinem Erstlingsroman "Ausweitung der Kampfzone"  (engl. "Whatever") befaßt. Hier ist nicht der Ort, seine Analyse zu erkunden, es genügt, zu sagen, daß sie für den französischen Schriftsteller die Ausweitung der sexuellen Sphäre aus dem ungehemmten Wettbewerb und ökonomischen Individualismus , der typisch  für eine reine marktwirtschaftliche Gesellschaft ist.
Das heißt, daß es eine Parallele zwischen dem unkontrollierten wirtschaftlichen Liberalismus und dem absoluten sexuellen Liberalismus gibt: beide produzieren Phänomene absoluter Verarmung und weitverbreiteter Formen der Exklusion.

Die Anhänger der Hypermodernität sind überzeugt, daß sie die Welt in ihren Händen halten. Wer aber weiß ,  ob sie vielleicht wie die Heiden des späten Imperiums ider der scholastischen Philosophen der frühen Moderne: daß unter den möglichen Hypothesen ein Paradigmenwechsel - eine neue "metaphysische Mutation" sein könnte.

Die Leser  von "Elementarteilchen" wissen wie das pasiert, in welche Richtung es sih entwickelt und wer-sozusagen- der Förderer ist: das ist sicher nicht der eine von Dreher Ersehnte.
Aber über das Narrativ des Planes hinaus (man muß sich immer daran erinnern, daß wir über einen Romancier und Dichter sprechen, nicht über einen Berufshistoriker oder Philosophen), es ist wichtig seine Ablehnung einer kontinuierlichen und unumstößlichen Reise der Geschichte, eines ungerichteten Konzeptes der historischen Entwicklung, die typisch für den Progressismus ist, einschließlich seiner katholischen Form. Brüche sind möglich was heute zu triumphgieren scheint, kann-wie gesagt- kann verschwinden.
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 Ich weiß nicht, in welchem ​​Maße Dreher von dieser Vision beeinflusst wurde, aber auf der Grundlage der "Benedict Option" nimmt man etwas Analoges wahr. Es ist nicht selbstverständlich, daß die Ära, die mit der "metaphysischen Mutation" der ersten Jahrhunderte der Neuzeit begann und zur gegenwärtigen Entchristlichung des Westens geführt hat, "für immer" ist. Die vollständige Entfaltung ihrer Folgen könnte zu einem neuen Bruch führen: Man muß für diesen Moment bereit sein.
Deshalb ist es wichtig, das christliche Erbe intakt zu bewahren, um es in einer mutierten Welt wieder präsentieren zu können: Anders als Houellebecq behauptet der amerikanische Schriftsteller, dies sei möglich. Um es zu bewahren, müssen wir mit der Menschheit unserer Zeit zusammenarbeiten - sagt Dreher - nicht durch Müßiggang. Im Grunde seiner Vision scheint es also keinen trostlosen Pessimismus oder - wie gesagt - die Wahrnehmung eines Belagerungszustandes zu geben: sondern die vernünftige Hoffnung auf eine Wiederbelebung.

6. Wie man sehen kann, ist das Gericht, das der amerikanische Schrifsteller anbietet, etwas für starke Mägen. Es ist wahr, daß gewisse Italienische Erfahrungen zu einigen seiner Vorschläge geführt haben, aber der Beobachter kann eine abschließende Fragen nicht vermeideb; können diese in der Italienischen Wirklichkeit wahre Gesprächspartner finden? Ich meine nicht in der hierarchischen Kirche sondern-was weiß ich schon?- in gewissen kulturellen Umfeldern und gewissen kirchlichen Gruppen? Werden sie wissen und es auch wollen, wie sie- vielleicht kritisch- auf das Gebiet dieser Christlichen Gegenkultur gelangen sollen, die der amerikanische Schriftsteller vorschlägt?

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