Mittwoch, 23. März 2022

Über die Rolle des Papstes beim Vatican-Prozess

Sandro Magister kommentiert bei Settimo Cielo die Rolle, die Papst Franziskus beim aktuellen vaticanischen Prozess gegen Kardinal Becciu und zehn weitere Angeklagte, den die internationalen Medien einen Jahrhundertprozess nennen, spielt. 
Hier geht´s zum Original:  klicken 

"RICHTER UND ANGEKLAGTER. DIE BEIDEN ROLLEN DES PAPSTES IM JAHRHUNDERTPROZESS" 

Nach neun Anhörungen, die durch Verfahrenshindernisse blockiert waren, begann schließlich am 17. März im Vatikan das, was die internationalen Medien "den Prozess des Jahrhunderts" nennen, der gegen Kardinal Giovanni Angelo Becciu und andere Angeklagte vor allem wegen des katastrophalen Erwerbs eines Gebäudes an der Sloane Avenue in London durch das Staatssekretariat geführt wird.

In der vorangegangenen Anhörung am 1. März hatten die Richter des vatikanischen Tribunals unter dem Vorsitz von Giuseppe Pignatone in einem 40-seitigen Dekret alle bisher von den Verteidigern erhobenen Einwände gegen die Rechtsgültigkeit des Prozesses als unbegründet zurückgewiesen.

Dies ändert nichts an der Tatsache, daß das Ansehen des im Vatikan geltenden Justizsystems, für das dieser Prozess Beweise liefert, weiterhin sehr schlecht ist. Die großen internationalen Medien, von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über den "Corriere della Sera" bis hin zu "The Economist", waren sich einig, daß ihm die konstituierenden Elemente einer modernen Rechtsstaatlichkeit fehlen.

Tatsächlich gibt es im Vatikan und insbesondere während dieses Pontifikats – das sich der Welt so sehr als Modernisierer angekündigt hatte – keine "Rechtsstaatlichkeit", die für alle gilt, weil über jeder kodifizierten Regel die höchste Macht des Papstes steht, der jederzeit befiehlt und tut, was er will, ohne daß jemand darüber urteilen kann, wie Kanon 1404 des Codex des kanonischen Rechts besagt: "Prima sedes a nemine iudicatur".

Genau diese höchste Macht kennzeichnet in der Tat den Prozess, der jetzt im Gange ist, in dem Papst Franziskus alles nach seinem Willen getan und rückgängig gemacht hat-:

Ein durchschlagender Beweis für diese Willkür war am 24. September 2020 die öffentliche Degradierung Beccius – der durch Papst Franziskus ohne Angabe von Gründen sogar der "Rechte" des Kardinalats beraubt wurde, ohne daß sich der Angeklagte verteidigen konnte und das mehrere Monate bevor der Prozess gegen ihn begonnen wurde.




Das erste „Rescriptum“ vom 2. Juli 2019 ist sicher das interessanteste, weil es – auf seine Art – die Entstehungsgeschichte des Prozesses beleuchtet.

Laut dem, was Papst Franziskus dort schreibt, war derjenige, der die ersten Zweifel an der "Legitimität“ und "Rechtmäßigkeit“ eines Deals des Staatssekretariats – der das Londoner Gebäude betrifft – geäußert hat, der Direktor des IOR, die Vatikanbank, von der das Staatssekretariat einen "erheblichen Finanzierungsbetrag“ angefordert, aber nicht erhalten hatte.

Der Direktor des IOR, Gian Franco Mammì, ist seit seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires ein enger Mitarbeiter von Jorge Mario Bergoglio, und dessen „vertraulichen Informationen“ über das mutmaßliche Fehlverhalten sollen den Papst davon überzeugt haben, das IOR "Untersuchungen mit maximaler Strenge und maximaler Vertraulichkeit“ durchführen zu lassen. 

Daher die drei Bestimmungen dieses ersten päpstlichen "Rescriptums“:

- die Ermächtigung des IOR, seine Ermittlungen "frei von Meldeverpflichtungen gegenüber anderen staatlichen Stellen“ durchzuführen;

- die Anordnung für das IOR, "detaillierte Angaben über die Informationen, über die es verfügt, dem Büro des Rechtspflegers zu übermitteln“;

- die Bestimmung, "daß das Amt für die erforderlichen Ermittlungstätigkeiten bis zum Abschluss der Ermittlungen selbst in den Formen eines summarischen Verfahrens vorgeht. Mit dem Recht, gegebenenfalls ungeachtet der geltenden Maßnahmen jede Art von Bestimmung, auch präventiver Art, direkt zu erlassen.“ 

Das zweite Rescriptum datiert vom 5. Juli 2019, gerade 3 Tage nach dem ersten und ermächtigt sowohl das IOR als auch das Amt des Rechtspflegers Überwachungstechniken gegen "Subjekte, deren Kommunikationsaktivitäten als nützlich für den Verlauf der Untersuchungen betrachtet werden" zu nutzen. Und das "mit größter absoluter Vertraulichkeit" und den "äußerst angemessenen Methoden für den Erwerb, Gebrauch und Ausbewahrung der gesammelten Beweise".

Das dritte "Rescriptum" stammt vom 9. Oktober 2019 -acht Tage nach der Razzia der Vaticanischen Gendarmen der Büros im Staatssekretariat und bei der Finanziellen Aufsicht (AIF) und autorisiert den Ankläger "alle Dokumente und Materialien- in Papier- und elektronivcher Form- die während der Durchsuchung gesammelt werden "ohne Rücksicht auf irgendwelche Zusagen der Vertraulichkeit von Seiten der betroffenen Autoritäten."

(Es sollte darauf hingewiesen werden, daß der Heilige Stuhl aufgrund der Beschlagnahme von Dokumenten im Besitz des AIF, die unter Missachtung strenger internationaler Vertraulichkeitsauflagen durchgeführt wurde, vorübergehend aus der Egmont-Gruppe ausgeschlossen wurde, dem "Geheimdienst“ -Netzwerk von 164 Staaten, zu dem die Vatikan gehört).

Das vierte „Rescriptum“ vom 13. Februar 2020 schließlich stellt fest, daß die Ermittlungen nicht nur "alle dem Amt des Rechtspflegers zugewiesenen Befugnisse“ sowohl durch das erste als auch durch das zweite „Rescriptum“ weiterhin genießen sollten, sondern auch "andere, die zur Feststellung des Sachverhalts für erforderlich erachtet werden.“

Aus alle dem ergibt sich das Bild eines Prozesses, der im Vatican stattfindet, bei dem Papst Franziskus sowohl Regisseur als auch Drehbuchautor ist, während die Staatsanwälte ihm als Produktionscrew dienen. 

Aber es gibt noch mehr. Während aus dem ersten der vier päpstlichen „Rescripta“ – wie auch aus den freien Äußerungen des Papstes während der Pressekonferenz am 26. November 2019 auf dem Rückflug aus Japan – geschlossen wurde, daß alles im Sommer 2019 mit den ersten Verdächtigungen und den Ermittlungen begann, die später in den Prozess mündeten, ist es gar nicht so.

Tatsächlich gibt es ein anderes maßgebliches Dokument, das eine völlig andere Rekonstruktion bietet, und das ist die 20-seitige Informationsmeldung des stellvertretenden Staatssekretärs Edgar Peña Parra, die mit der Genehmigung des Papstes, sie zu veröffentlichen, beim Vatikanischen Tribunal eingereicht wurde und von Settimo Cielo am 3. Januar ausführlich berichtet wurde.

Laut dem, was in dieser Meldung geschrieben steht, ist die Wahrnehmung des Vatikans, daß die Londoner Operation alles andere als klar war, mindestens auf den Herbst 2018 zurückgeht, ebenso wie die Bemühungen, die Verluste einzudämmen. Diesmal mit Franziskus als Hauptdarsteller. 

Es ist der Papst selbst, der vor und nach Weihnachten dieses Jahres sein Bestes tat, um sich mit dem Finanzier Gianluigi Torzi zu einem sehr hohen Preis von 10 Millionen über den Rückkauf des letzten entscheidenden Aktienpakets des Londoner Anwesens zu einigen. Und das trotz Peña Parras Überzeugung – schwarz auf weiß in seiner Notiz geschrieben –, daß es sich nicht um eine friedliche Einigung handele, sondern um den Epilog einer Erpressung, eines „Betrugs“ auf Kosten des Staatssekretariats.

Während des Verhöres bei der Vorverhandlungen des Prozesses gegen Becciu und den anderen Angeklagten, bestätigte Msgr.Alberto Perlasca, den damaligen Leiter des Verwaltungsbüros des Staatssekretariats, diese Beteiligung des Papstes, wurde aber vom Rechtspfleger Alessandro Diddi schroff zum Schweigen gebracht: "Monsignore, was Sie sagen, ist nebensächlich! Bevor wir das taten, was wir jetzt tun, sind wir zum Heiligen Vater gegangen und haben ihn gefragt, was passiert sei, und ich habe vielleicht Zweifel an allen - außer dem Heiligen Vater.“

Diese Passage von Perlascas Vernehmung, die von einem Verteidiger bei der Gerichtsverhandlung am 17. November veröffentlicht wurde, veranlasste Diddi dazu,  das zu dementieren und zu leugnen, den Papst befragt zu haben.

Tatsache ist, daß das Ergebnis surreal ist. Mit Franziskus, der sowohl als Leiter des Prozesses auftritt, mit seinen „Rescripta“, die seine Entwicklung unter Missachtung der Rechte der Verteidigung gesteuert haben, als auch als Co-Star des verdrehten Plots, nach dem der Prozess laut der Notiz von Pena Parra vom  beurteilen soll von Peña Parra vom Papst selbst bewertet werden soll. Gleichzeitig Richter und Angeklagter.

Der Sommer 2019 war besonders produktiv in Bezug auf das Biegen der Regeln des Vatikans durch Papst Franziskus, um den Prozess zu steuern. Zu den vier oben genannten "Rescripta“ kann noch mindestens eine weitere erwähnt werden.

Eine Erklärung des Vatikans vom 17. September dieses Jahres lieferte die Nachricht von einer "Sonderbestimmung des Heiligen Vaters vom 29. Juli, die den Grund der Nichtzulassung beseitigte", die "die Anklage gegen Don Gabriele Martinelli wegen sexuellen Missbrauchs, die angeblich im Vorseminar von St. Pius X. in Jahren vor 2012 stattgefunden haben, verhinderte. und gegen Don Enrico Radice, Rektor des Proseminars zur Zeit des Sachverhalts, mit dem Vorwurf der Beihilfe"

Tatsächlich heißt es in der Erklärung: "Das damals geltende Gesetz verhinderte den Prozess, wenn innerhalb eines Jahres nach den strittigen Fakten keine Beschwerde der beleidigten Person eingereicht wurde", die jedoch mehrere Jahre zurückreichte, bevor die Klage am 18. April 2018 eingereicht wurde.

Aber Franziskus hat das Hindernis beseitigt und der Prozess wurde geführt. Der endete dann  am 14. Oktober 2021 mit dem Freispruch der Angeklagten.

Das Proseminar, in dem diese Ereignisse stattfanden, befand sich innerhalb der Mauern des Vaticans und wurde im September 2021 geschlossen."

Quelle: S.Magister, Settimo Cielo

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