Donnerstag, 3. März 2022

Wo steht der Papst im Konflikt zwischen Kiew und Moskau?

Sandro Magister analysiert und kommentiert bei Settimo Cielo kritisch die Haltung des Papstes im Konflikt zwischen Moskau und der Ukraine.
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"ZWISCHEN MOSKAU UND KIEW HAT DER PAPST SEINEN WEG VERLOREN" 

Es ist schwer, einen Krieg zu finden, in dem der Unterschied zwischen Angreifer und Angegriffenem so klar ist wie im gegenwärtigen Konflikt in der Ukraine. Dennoch ist es diese Unterscheidung, die in Worten und Taten von Papst Franziskus fehlen. Sein Besuch beim Russischen Botschafter beim Hl. Stuhl am Freitag, 25, Februar, war ein eklatantes Beispiel dafür. "Während seines Besuchs wollte der Papst seine Sorgen über den Krieg in der Ukraine ausdrücken" trompetete der Osservatore Romano auf der Titelseite. Keine weitere Zeile, kein Artikel folgte. Weil es nur das und nichts anderes war, was der Papst über seinen Kontakt mit dem Rußland Vladimir Putins und des Moskauer Patriarchen Kyrill wissen lassen wollte. 

Natürlich hat Franziskus am Telefon auch mit dem Ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelensky und dem Groß-Erzbischof der Griechisch-Katholischen Kirche, Svjatoslav Shevchuk gesprochen. Für den
Aschermittwoch hat er einen Tag des Gebets und Fastens "für den Frieden in der Ukraine und der ganzen Welt angekündigt. Und sowohl er als auch Staatsekretär Kardinal Pietro Parolin haben wiederholt die Gegner aufgefordert, ihre Waffen niederzulegen. Aber "so zu tun, als ob man nicht versteht, daß wenn man mitten in einer Invasion einen Waffenstillstand fordert, man das angegriffene Volk überredet, zu kapitulieren und sie aufzufordern, die Besetzung ihres Landes zu akzeptieren" wie Angelo Panebianco, der führende Politwissenschaftler der liberalen Schule im  Corriere della Sera am 27. Februar feststellte. 

In den Kirchen der von Russland  besetzen Ukraine. In seinen leidenschaftlichen Botschaften an die Gläubigen, die jeden Tag aus dem Keller der Katholischen Kathedrale von Kiew gesendet werden, betet Erzbischof Shevchuk für die "heroischen Soldaten der Grenzwächter auf der Insel Zmijiny im Schwarzen Meer“, die getötet wurden, weil sie sich dem Eindringling nicht ergeben haben. für "den Helden, der unter Einsatz seines Lebens die russische Armee bei Cherson aufhielt, indem er sich zusammen mit der Brücke über den Dnjepr in die Luft sprengte“, kurz gesagt, sowohl "für alle unschuldigen Opfer unter der Zivilbevölkerung“ als auch „für alle, die für die Verteidigung der Nation kämpfen."



Aber da ist noch mehr. Nicht einmal die dem Moskauer Patriarchat unterstellte ukrainisch-orthodoxe Kirche hat die Invasion gebilligt, wie es dagegen die Mutterkirche in Russland getan hat. Ihr Primas, Onufry, Metropolit von Kiew, hat von Anfang an Gottes Segen auf "unsere Soldaten erbeten, die unser Land und die Menschen, die Souveränität und Integrität der Ukraine schützen und verteidigen“. Und er hat die Angriffe auf seine Priester und Gläubigen und die Verwüstung der ukrainisch-orthodoxen Kirchen durch russische Truppen angeprangert: das völlige Gegenteil von dem, was Putin in seiner Rede vom 21. Februar behauptete, in der er die ukrainischen Behörden beschuldigte, die orthodoxen Gläubigen in Moskau und Russland zu verfolgen uns behauptete, ihr Verteidiger zu sein.

Nicht nur das. Am 28. Februar veröffentlichte die Synode derselben Kirche eine Botschaft der vollen Solidarität mit dem ukrainischen Volk, mit einem direkten Appell an den Moskauer Patriarchen Kirill, "die Führung der Russischen Föderation“, womit Putin gemeint ist, "aufzufordern, die bestehenden Feindseligkeiten sofort einzustellen, die bereits droht, sich in einen Weltkrieg zu verwandeln.“ Bisher ohne Kommentar vom Patriarchat von Moskau.

Vorhersehbarer war die Verurteilung der russischen Invasion durch die andere vom Moskauer Patriarchat unabhängige orthodoxe Kirche, die  von letzterem verboten und von der eucharistischen Kommunion ausgeschlossen wurde. Ihr Metropolit Epiphanius richtete am Sonntag, 27. Februar, "dem  Tag, an dem wir uns an das Jüngste Gericht erinnern“, einen lebhaften Appell an den Moskauer Patriarchen Kirill: "Wenn er sich nicht gegen die Aggression aussprechen kann, kann er zumindest helfen,  die Leichen der russischen Soldaten zurückzubringen, die in der Ukraine mit ihrem Leben für die Idee von "Großrussland‘ bezahlt haben.“

"Großrussland“, sowohl politisch als auch religiös, ist tatsächlich  der Mutter-Gedanke der Moskauer Aggression gegen die Ukraine. Eine Idee, die für Putin zum neoimperialen Plan wird, während sie für das Patriarchat von Moskau eine Frage der Identität und des Primats ist.

Die der Moskauer Jurisdiktion unterstehende ukrainisch-orthodoxe Kirche hat ein Drittel der Gläubigen und gut 40 Prozent der Pfarreien des gesamten russischen Patriarchats, etwa 12.000 von 30.000. Sie zu verlieren wäre eine Tragödie für Moskau. Und wenn man zu diesen 12.000 Pfarreien die Tausenden hinzufügt, die zu den anderen beiden orthodoxen Kirchen gehören, die derzeit in der Ukraine existieren – die eine mit Epiphanius als Metropolit und die kleinere , die sich von Moskau getrennt hat, um dem selbsternannten Patriarchen Filaret zu folgen . Die Ukrainische Orthodoxie als Ganzes würde der zweitbevölkerungsreichste Zweig der Orthodoxie in der Welt werden und in der Lage sein, mit dem Patriarchat von Moskau zu konkurrieren, das bis heute der unbestrittene Führer in Bezug auf die Zahl der Gläubigen ist. 

Ein Zeichen der Angst vor diesem Verlust kam in der Predigt, die Patriarch Kirill am Sonntag, dem 27. Februar, in Moskau hielt zu Tage,  die ausschließlich darauf abzielte, die Wahrung der Einheit – auch geografisch und politisch – zwischen der russischen Orthodoxie und der Moskau unterworfenen ukrainischen Kirche zu beschwören, "im Schutz unseres gemeinsamen historischen Mutterlandes vor jeder äußeren Kraft, die diese Einheit zerstören möchte.“

Tatsache ist, daß Russlands Aggression gegen die Ukraine nicht dazu beiträgt, diese Einheit zu festigen. Ganz im Gegenteil. In den vergangenen Tagen ergab eine Umfrage des russischen Forschungszentrums "Razumkov“, daß zwei Drittel der Gläubigen der dem Moskauer Patriarchat unterstellten ukrainisch-orthodoxen Kirche den Einmarsch verurteilen und daß die Wertschätzung für ihren Primas Onufry –auch er kritisch, wie  man sehen konnte  -viel höher ist als die für Patriarch Kirill, dessen Popularität stark zurückgegangen ist.

Aber dann sind da noch die fast fünf Millionen Griechisch-Katholischen Ukrainer, eine lebendige Gemeinschaft, mit einer von Märtyrern bevölkerten Geschichte, belebt von einem aufrichtigen ökumenischen Geist mit ihren orthodoxen Landsleuten und von einem starken Geist der Autonomie gegenüber Russland. Es ist die Kirche, die am meisten gefährdet wäre, wenn die Ukraine unter das Joch Moskaus fallen würde, die jedoch von Rom unglaublich schlecht behandelt wurde, seit Franziskus Papst wurde.

Der erste Angriff Russlands auf die Ukraine Ende 2014, die bewaffnete Besetzung seiner Ostgrenze im Donbass und die Annexion der Krim, fanden den Heiligen Stuhl wie gleichgültig am Rande, abgesehen von den bedauernden Worten von Franziskus über "brudermörderische Gewalt“., die alle auf die gleiche Stufe stellten, und das, obwohl der damalige Nuntius des Vatikans in der Ukraine, Thomas E. Gullickson, immer alarmierendere Berichte über die Tragödien der Besatzung schickte, es aber  Franziskus am wichtigsten war, sich mit dem Moskauer Patriarchen Kirill zu treffen, der durch einen doppelten Faden mit Putin verbunden und ein überzeugter Gegner der griechischen Katholiken der Ukraine ist, die er – mit dem verächtlichen Begriff "Unierte“ – als papistische falsche Nachahmer eines wahren orthodoxen christlichen Glaubens abtut.

Im Februar 2016 trafen sich Franziskus und Kyrill in Havanna nach dem säkularen Protokoll der Staatsoberhäupter im Transitbereich des Flughafens, ohne einen Moment des Gebets, ohne Segen. Nur ein privates Gespräch und die Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung, die ganz auf Moskaus Seite steht und von den ukrainischen Griechisch-Katholiken, vom Erzbischof von Kiew selbst und sogar vom neuen Nuntius Claudio Gugerotti sofort als "Verrat“ und "indirekte Unterstützung für die russische Aggression gegen die Ukraine“ aufgefaßt wurde. 

Zwei Jahre später, im Jahr 2018, als in der Ukraine eine neue vom Moskauer Patriarchat unabhängige Orthodoxe Kirche, von diesem als Plage aber von den Griechisch-Katholiken wohlwollend angesehen,  entschied sich Franziskus erneut dafür, mehr auf der  Seite Kyrills und - er empfing im Vatikan eine Delegation des russischen Patriarchats unter dem Vorsitz seines mächtigen Außenministers, Metropolit Hilarion von Wolokolamsk -, der eine Strafpredigt gegen die griechisch-katholischen "Unierten“ hielt, denen er befahl, "sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Russisch-Orthodoxen Kirche einzumischen“. Der vollständige Text der Ansprache des Papstes, die vertraulich bleiben sollte, wurde schließlich veröffentlicht, nachdem das Patriarchat von Moskau zustimmend die für ihn am besten geeigneten Passagen veröffentlicht hatte.

Heute befindet sich die gesamte orthodoxe Welt gerade wegen der Ereignisse in der Ukraine in einer dramatischen Krise, nachdem die neue, von Moskau unabhängige Kirche die kanonische Anerkennung des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, der Kirchen Griechenlands und Zyperns sowie der Patriarchat von Alexandria und ganz Afrika bekommen hat. Aber gerade deshalb hat Moskau mit all diesen Kirchen die eucharistische Gemeinschaft abgebrochen.

In diesem Schisma, das die Orthodoxie spaltet, arbeitet das Patriarchat von Moskau sogar daran, Afrika seiner eigenen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen und es aus dem Patriarchat von Alexandria zu lösen. Es ist daher undenkbar, daß es den Verlust der Ukraine, den sie gerade sieht, passiv hinnehmen würde. 

In einem buchlangen Interview über die Geschichte des Christentums in der Ukraine träumt der griechisch-katholische Erzbischof Shevchuk von der Wiedergeburt eines einzigen Patriarchats aller Christen, Orthodoxer und Katholiken in seinem Land. Der Traum ist historisch nicht unbegründet, ganz im Gegenteil. Aber was in Rom herrscht, ist Unsicherheit, wenn nicht Verwirrung, bis zu dem Punkt, daß man nicht einmal wagt, die Namen derjenigen zu nennen, die einen bewaffneten, politischen und religiösem  Angriff auf die Ukraine verüben."

Quelle: S. Magister, Settimo Cielo

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