"Großrussland“, sowohl politisch als auch religiös, ist tatsächlich der Mutter-Gedanke der Moskauer Aggression gegen die Ukraine. Eine Idee, die für Putin zum neoimperialen Plan wird, während sie für das Patriarchat von Moskau eine Frage der Identität und des Primats ist.
Die der Moskauer Jurisdiktion unterstehende ukrainisch-orthodoxe Kirche hat ein Drittel der Gläubigen und gut 40 Prozent der Pfarreien des gesamten russischen Patriarchats, etwa 12.000 von 30.000. Sie zu verlieren wäre eine Tragödie für Moskau. Und wenn man zu diesen 12.000 Pfarreien die Tausenden hinzufügt, die zu den anderen beiden orthodoxen Kirchen gehören, die derzeit in der Ukraine existieren – die eine mit Epiphanius als Metropolit und die kleinere , die sich von Moskau getrennt hat, um dem selbsternannten Patriarchen Filaret zu folgen . Die Ukrainische Orthodoxie als Ganzes würde der zweitbevölkerungsreichste Zweig der Orthodoxie in der Welt werden und in der Lage sein, mit dem Patriarchat von Moskau zu konkurrieren, das bis heute der unbestrittene Führer in Bezug auf die Zahl der Gläubigen ist.
Ein Zeichen der Angst vor diesem Verlust kam in der
Predigt, die Patriarch Kirill am Sonntag, dem 27. Februar, in Moskau hielt zu Tage, die ausschließlich darauf abzielte, die Wahrung der Einheit – auch geografisch und politisch – zwischen der russischen Orthodoxie und der Moskau unterworfenen ukrainischen Kirche zu beschwören, "im Schutz unseres gemeinsamen historischen Mutterlandes vor jeder äußeren Kraft, die diese Einheit zerstören möchte.“
Tatsache ist, daß Russlands Aggression gegen die Ukraine nicht dazu beiträgt, diese Einheit zu festigen. Ganz im Gegenteil. In den vergangenen Tagen ergab eine Umfrage des russischen Forschungszentrums "Razumkov“, daß zwei Drittel der Gläubigen der dem Moskauer Patriarchat unterstellten ukrainisch-orthodoxen Kirche den Einmarsch verurteilen und daß die Wertschätzung für ihren Primas Onufry –auch er kritisch, wie man sehen konnte -viel höher ist als die für Patriarch Kirill, dessen Popularität stark zurückgegangen ist.
Aber dann sind da noch die fast fünf Millionen Griechisch-Katholischen Ukrainer, eine lebendige Gemeinschaft, mit einer von Märtyrern bevölkerten Geschichte, belebt von einem aufrichtigen ökumenischen Geist mit ihren orthodoxen Landsleuten und von einem starken Geist der Autonomie gegenüber Russland. Es ist die Kirche, die am meisten gefährdet wäre, wenn die Ukraine unter das Joch Moskaus fallen würde, die jedoch von Rom unglaublich schlecht behandelt wurde, seit Franziskus Papst wurde.
Der erste Angriff Russlands auf die Ukraine Ende 2014, die bewaffnete Besetzung seiner Ostgrenze im Donbass und die Annexion der Krim, fanden den Heiligen Stuhl wie gleichgültig am Rande, abgesehen von den bedauernden Worten von Franziskus über
"brudermörderische Gewalt“., die alle auf die gleiche Stufe stellten, und das, obwohl der damalige Nuntius des Vatikans in der Ukraine, Thomas E. Gullickson, immer alarmierendere Berichte über die Tragödien der Besatzung schickte, es aber Franziskus am wichtigsten war, sich mit dem Moskauer Patriarchen Kirill zu treffen, der durch einen doppelten Faden mit Putin verbunden und ein überzeugter Gegner der griechischen Katholiken der Ukraine ist, die er – mit dem verächtlichen Begriff "Unierte“ – als papistische falsche Nachahmer eines wahren orthodoxen christlichen Glaubens abtut.
Im Februar 2016 trafen sich Franziskus und Kyrill in Havanna nach dem säkularen Protokoll der Staatsoberhäupter im Transitbereich des Flughafens, ohne einen Moment des Gebets, ohne Segen. Nur ein privates Gespräch und die Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung, die ganz auf Moskaus Seite steht und von den ukrainischen Griechisch-Katholiken, vom Erzbischof von Kiew selbst und sogar vom neuen Nuntius Claudio Gugerotti sofort als "Verrat“ und "indirekte Unterstützung für die russische Aggression gegen die Ukraine“ aufgefaßt wurde.
Zwei Jahre später, im Jahr 2018, als in der Ukraine eine neue vom Moskauer Patriarchat unabhängige Orthodoxe Kirche, von diesem als Plage aber von den Griechisch-Katholiken wohlwollend angesehen, entschied sich Franziskus erneut dafür, mehr auf der Seite Kyrills und - er empfing im Vatikan eine Delegation des russischen Patriarchats unter dem Vorsitz seines mächtigen Außenministers, Metropolit Hilarion von Wolokolamsk -, der eine Strafpredigt gegen die griechisch-katholischen "Unierten“ hielt, denen er befahl, "sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Russisch-Orthodoxen Kirche einzumischen“. Der vollständige Text der Ansprache des Papstes, die vertraulich bleiben sollte, wurde schließlich veröffentlicht, nachdem das Patriarchat von Moskau zustimmend die für ihn am besten geeigneten Passagen veröffentlicht hatte.
Heute befindet sich die gesamte orthodoxe Welt gerade wegen der Ereignisse in der Ukraine in einer dramatischen Krise, nachdem die neue, von Moskau unabhängige Kirche die kanonische Anerkennung des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, der Kirchen Griechenlands und Zyperns sowie der Patriarchat von Alexandria und ganz Afrika bekommen hat. Aber gerade deshalb hat Moskau mit all diesen Kirchen die eucharistische Gemeinschaft abgebrochen.
In diesem Schisma, das die Orthodoxie spaltet, arbeitet das Patriarchat von Moskau sogar daran, Afrika seiner eigenen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen und es aus dem Patriarchat von Alexandria zu lösen. Es ist daher undenkbar, daß es den Verlust der Ukraine, den sie gerade sieht, passiv hinnehmen würde.
In einem buchlangen Interview über die Geschichte des Christentums in der Ukraine träumt der griechisch-katholische Erzbischof Shevchuk von der Wiedergeburt eines einzigen Patriarchats aller Christen, Orthodoxer und Katholiken in seinem Land. Der Traum ist historisch nicht unbegründet, ganz im Gegenteil. Aber was in Rom herrscht, ist Unsicherheit, wenn nicht Verwirrung, bis zu dem Punkt, daß man nicht einmal wagt, die Namen derjenigen zu nennen, die einen bewaffneten, politischen und religiösem Angriff auf die Ukraine verüben."
Quelle: S. Magister, Settimo Cielo
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