Freitag, 29. April 2022

Ist ein Katholischer Frühling in Sicht?

Der italienische Historiker Roberto Pertici  kann in einem von Sandro Magister in Settimo Cielo veröffentlichten Artikel keine Anzeichen dafür entdecken.
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"DER LETZTE KATHOLISCHE FRÜHLING VERWELKTE VOR DEM KONZIL UND VOM NÄCHSTEN IST KEINE SPUR ZU SEHEN. EINE HISTORISCHE NEUINTERPRETATION"

Im vorhergegangenen post in Settimo Cielo hat Roberto Pertici, Professor für Gegenwartsgeschichte an der Universität Bergamo  die letzten Jahrhunderte der Geschichte der Katholischen Kirche  vom Konzil von Trient bis ins frühe 19. Jahrhundert nachgezeichnet, um dazwischen  die Zeit der Katholischen Wiedergeburt aufzuspüren.  

Er hat zwei identifiziert und beschrieben. Und er hat in diesem zweiten und Schlußteil seiner historischen Neuinterpretation von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute eine dritte gefunden. 

Eine vierte Wiederbelebung gehörte sicher zu den Zielen des II.Vaticanischen Konzils. Aber sie blieb unvollendet, während zur selben Zeit eine offensichtlich unausweichliche Welle der Dechristianisierung vorankam.

Perticis Essay endet ohne daß er in der Lage ist,zu sagen, was in nächster Zukunft passieren wird. Aberes kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß es wieder eine religiöse Wiedergeburt gibt, vielleicht unerwartet und auf Grund von Impulsen von außerhalb der kirchlichen Autoriäten- wie es schon in der Vergangenheit passiert ist. 

In einem zukünftigen Konklave könnten auch die Kardinäle darüber nachdenken.

IST EINE "RELIGIÖSE WIEDERGEBURT" MÖGLICH? 

II.  Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute

von Roberto Pertici

4. Die religiöse Wiedergeburt des frühen 19. Jahrhunderts endete mit dem Scheitern der Revolutionen von 1848-49, das zu einer historischen Enttäuschung führte, mit Auswirkungen für die Europäische Kultur für die folgenden Jahrzehnte, die kaum zu überschätzen sind. 

Die folgende Restauration, die zweite nach 1814-1815  wurde massiv von den Kirchen der katholischen  Sphäre unterstützt, der Rechtsschwenk von Pius IX wurde von der "Angst" vor der Revolution ausgelöst und die neue Politik des Pontifex und seines Staatssekretärs Giacomo Antonelli, markierten den Bruch mit der traditionellen Ausgeglichenheit von Katholizismus-Freiheit, der viele liberale Katholiken in den vorangegangenen zwanzig Jahre müde geworden waren und in Italien war der Katholizismus die Zivilreligion der nationalen Sache. In Frankreich unterstützte der größte Teil der katholischen Welt während des gesamten nächsten Jahrzehnts die Autorität von Louis-Napoléon Bonaparte und das zweite Kaiserreich. Juan Donoso Cortés stellte die Theorie der Diktatur als Damm gegen die revolutionäre Welle auf. Der Prozess, der zum „Syllabus“ von 1864 führen sollte, begann.

Diese Erstarrung, die auch die anderen christlichen Kirchen betraf, löste eine neue Welle des intellektuellen, aber auch populären Antiklerikalismus aus: nicht nur in Frankreich, wo er sich in den Widerstand gegen den napoleonischen Staatsstreich einmischte, sondern auch in England (den Ursprüngen des säkularistische Bewegung von George Holyoake) und in Deutschland (die große Debatte der fünfziger Jahre über den Materialismus voller politischer Bedeutung). Von 1859 bis 1863 erschienen in dieser Reihenfolge: „On the Origin of Species“ von Charles Darwin, „On Liberty“ von John Stuart Mill (1859), „La Sorcière“ von Jules Michelet und „Les Misérables“ von Victor Hugo (1862), „Vie de Jésus“ von Ernest Renan (1863). Kurz gesagt, die europäische Kultur verließ die katholische Kirche und mehr noch das Christentum im Allgemeinen.

Ein ähnliches Argument kann auch in Bezug auf die italienische Kultur, einschließlich der literarischen Kultur, vorgetragen werden. Sogar ein oberflächlicher Blick zeigt uns eine Reihe von literarischen Kreisen (von den "Scapigliati“ zu den "Veristi“ bis zu den "Esteti“ der frühen neunziger Jahre), in denen die religiöse Sensibilität völlig fehlt. Die Verfinsterung des Sterns von Alessandro Manzoni nach 1870, die offensichtliche Schwäche seiner Nachahmer (von Ruggiero Bonghi bis Giacomo Zanella), das wachsende Vermögen des völlig klassischen und heidnischen Dichters des italienischen Antiklerikismus Giosue Carducci gehören zu den bedeutendsten Indikatoren für das neue Klima. Es war eine ganze Generation, die sich vom Christentum löste: Man kann in einem Zeitalter des Darwinismus und des säkularen Wissenschaft nicht gleichzeitig kultiviert und christlich sein. Daher der außergewöhnliche und nicht konformistische Charakter einiger Konvertierungen, wie der von Antonio Fogazzaro und später in Rom von Giulio Salvadori. Kurz gesagt, man beobachtete einen neuen Paradigmenwechsel: den Beginn des Zeitalters des Positivismus.

5. Etwas Neues begann sich gegen Ende der 80-er Jahre  zu ändern: beginnend in Frankreich. Hier können wir auch ein symbolisches Datum aufzeigen:  1886 die Veröffentlichung von "Le roman russe" von Melchior de Vogué. Während  Frankreich jahrzehntelang mit  einer realistischen Literatur brodelte, die auf der unterdrückerischsten Form des Materialismus und Determinismus basierte, entwickelte sich in Russland - so mehr oder weniger die Verkündung dieses brillanten Diplomaten - stattdessen eine literarische Kultur, die von den großen metaphysischen, spirituellen und religiösen Problemen des zeitgenössischen Menschen handelte. 

In den folgenden Jahren proklamierte Ferdinand Brunetière, seit 1893 Direktor der "Revue des deux mondes“, den "Bankrott der Wissenschaft“. Die Ära der " Großen Konvertiten“ begann: Paul Bourget, J.-K. Huysmans, Brunetière selbst, Francis Jammes, Charles Péguy, Jacques Maritain und seine Frau Raissa, Paul Claudel. In Europa gab es eine allgemeine Rückkehr zum Katholizismus oder zumindest zur religiösen Diskussion durch eine Reihe großer Intellektueller, insbesondere Schriftsteller: in Frankreich:  Georges Bernanos, Julien Green, François Mauriac, Ernest Psichari; in Großbritannien T. S. Eliot, Graham Greene, Robert Hugh Benson, Evelyn Waugh, Hilaire Belloc, G. K. Chesterton; in Norwegen Sigrid Undset; in Österreich Franz Werfel; in Polen Henryk Sienkiewicz; in Russland Nikolai Berdjaev; in Deutschland Carl Schmitt.

Es ist die zusammengesetzte Bewegung, die als "Renouveau Catholique" bezeichnet wurde. Während die Kirche mit der anti-modernistischen Verfolgung, die auf  Schweigen und Gehorsam der kulturell dynamischsten Teile des Geistlichen reduziert wurde, paradoxerweise mehr Platz für diese intellektuelle Laien ließ , ist das Urteilen auf  doktrinaler Ebene weniger gefährlich: tatsächlich in der Lage, ihre religiöse Botschaft in einer Gesellschaft überzeugender zu verbrieten, in der die traditionelle katholische Präsenz bis zu einer Minderheit immer mehr schrumpfte. Die Position der meisten dieser Intellektuellen war kritisch gegenüber „Moderne“, ihrem Materialismus, dem Niedergang traditioneller moralischer Werte, der Entstehung der Gleichheit der Massen: diese warnte vor der Notwendigkeit einer "Rückkehr zur Ordnung“ und "Tradition“, typisch für ein konservatives Paradigma.

In der italienischen geschichtlichen - und literarischen Kultur wurde dem "Renouveau catholique“ wenig Beachtung geschenkt, dennoch trat dieses Phänomen auch in Italien auf: Agostino Gemelli, der Gründer der Katholischen Universität, war Sozialist und Positivist gewesen und hatte in Paris Medizin und In der italienischen Geschichts- und Literaturkultur wurde dem „Renouveau catholique“ wenig Beachtung geschenkt, dennoch trat dieses Phänomen auch in Italien auf: Agostino Gemelli, der Gründer der Katholischen Universität, war Sozialist und Positivist gewesen und hatte in Paris Medizin und   in Deutschland Psychologie studiert: er war aber zum Katholizismus konvertiert und in den Franziskanerorden eingetreten. Seine Bekehrung war die erste in einer Reihe von Bekehrungen von Kulturschaffenden und "Intellektuellen“, die auch in Italien in den Jahren der Vorkriegs-, dann der Kriegs- und Nachkriegszeit stattfanden. Die neuen "Konvertiten“ gehörten der Welt der Zeitschriften, Verlage, Meinungszeitungen, kurz der militanten Literatur an; das heißt, sie bewegten sich in Umgebungen, in denen es in den vorangegangenen Jahrzehnten eine fast vollständige Irreligiosität gegeben hatte, und sie schienen das Symptom einer Trendwende zu sein. Giosuè Borsi, Domenico Giuliotti, Federigo Tozzi, Giuseppe Fanciulli, Ferdinando Paolieri, Guido Battelli, später Clemente Rebora und sogar ehemalige Anhänger des neo-idealistischen Philosophen Giovanni Gentile wie Mario Casotti und Armando Carlini schlugen erneut vor, manchmal nachtragend und aggressiv: Das Problem einer katholischen Kultur.

Aber es war die Konversion von Giovanni Papini mit seiner "Geschichte Christi", die im April 1921 erschien, die in der Nachkriegsliteratur sofort eine des causes célebres wurde, markiert das "Auftauchen aus den Katakomben" einer neuen Kultur, die während der folgenden Jahre - ohne Verzögerung (wie manchmal ermüdend wiederholt wird) ein neues konkordantes Verhältnis zwischen Staat und Kirche organisierte. Während dieser Periode wurde auch die Katholische Universität von Mailand gegründet, die wichtigste Institution des italienischen "Renouveau Catholique". Das war eine in sich sehr vielfältige und differenzierte kulturelle Bewegung, in der nicht wenigen ihrer Vertreter - im Faschismus der zwanziger Jahre einen Feind vieler ihrer Feinde sahen und eine gewisse Verwirklichung einiger ihrer Erwartungen, aber ohne je sich vollständig mit ihr zu identifizieren, immer etwas anderes blieben, sowohl in ihren kulturellen Voraussetzungen als auch in ihren spirituellen Horizonten. Das Gleiche gilt für viele Vertreter des europäischen "Renouveau catholique“. 

Während vieler Jahrzehnte waren es diese Autoren, nicht die Theologen, die die Katholische Kultur übermittelten- nicht nur im großen Sektor der katholischen Laien sondern auch im gebildeten Publikum. Ein Beispiel: der französische Schriftsteller Joseph Malégue - den den amtierende Pontifex so schätzt-  gehörte ganz zu dieser Welt. 

6. Wenn die Dinge so satnden, dann versteht man, wann diese "religiöse Wiedergeburt“ zu Ende ging: mit dem Sonnenuntergang des "konservativen Paradigmas“, über das ich zuvor bei  Settimo Cielo vom 31. August 2020 geschrieben hatte. "Nach 1945“, schrieb ich , " schien das konservative Paradigma vom gewaltsamen Ende der rechtsradikalen Regime (Faschismus, Nationalsozialismus) überwältigt worden zu sein. Die Beziehung zwischen dem Konservatismus und diesen Regimen ist historisch umstritten. Nicht wenige Gelehrte (einschließlich der Unterzeichneten) betonen neben den unbestreitbaren Kompromissen auch die vielleicht noch größeren Spaltungen und Konflikte. Aber in der Nachkriegszeit war die vorherrschende These, daß der rechte Totalitarismus im Wesentlichen eine Entwicklung und die vollständige Entfaltung der konservativen Kultur gewesen sei, die es daher verdient habe, mit den anderen zu verschwinden.“

Diese Veränderung erfolgte nicht sofort: in den fünfziger Jahren führten die Kataloge katholischer Verlage weiterhin die Autoren des "Renouveau catholique“; bis Anfang der sechziger Jahre (für die Kirche die Konzilsjahre) mit der Abschwächung des Kalten Krieges und dem Verblassen der Vorkriegsgeneration diese kulturelle Konstellation endgültig unterging. Wer liest heute noch Mauriac oder Bernanos oder Claudel? Welche hochkarätige katholische Literatur oder Kultur ist an ihre Stelle getreten und bietet sich einem katholischen Katecheten oder Lehrer an?

Wir können das II. Vaticanische Konzils als den größten Versuch einer katholischen Reform der Kirche in den letzten Jahrhunderten identifizieren. Im Settimo Cielo vom 14. September 2020 habe ich erneut versucht, die Gründe zu erklären, warum dieses Konzil im Gegensatz zu den Hoffnungen und Bemühungen vieler Kirchenmänner und auch der intellektuellen Laien nicht die "religiöse Wiedergeburt“ hervorgebracht hat, die sicherlich zu seinen Zielen gehörte; In der Tat hat es - im Gegensatz zu seinen Erwartungen - zu einem Prozess der „christlichen De -Christianisierung“ beigetragen, wie Michel Onfrax es effektiv erklärt hat, die bis heute andauert.

Viele Beobachter dachten, hofften oder befürchteten, daß der Zerfall des Marxismus und das Ende des Kommunismus in Europa (den historischen Feinden der Kirchen und der religiösen Kultur des 20. Jahrhunderts) eine neue "religiöse Wiedergeburt“ bringen könnte. Die große Persönlichkeit von Johannes Paul II., seine außergewöhnliche mediale Wirkung und sein kulturelles Ansehen schienen das Sinnbild dafür zu sein, die kirchlichen Bewegungen (denen dieser Papst reichlich Platz einräumte) ihre möglichen Vehikel: aber das gigantische Begräbnis von Karol Wojtyla war gewissermaßen auch die Beerdigung dieses Traumes. Der Plan von Benedikt XVI, eine katholische Kultur neu zu beleben, die kritisch auf die Herausforderungen der Moderne reagiert, wurde sowohl vom "Friendly Fire“ als auch von der ablehnenden Reaktion der Mogule der italienischen und internationalen Medienwelt zunichte gemacht: sie wurde als "Wiederherstellung“ und nicht als Versuch einer "Wiedergeburt“ wahrgenommen. Was das jetzige Pontifikat betrifft, so ist es für eine Bewertung noch zu früh, aber man gewinnt den Eindruck, daß es sich nicht einmal das Ziel einer "religiösen Wiedergeburt“ zum Ziel setzt, wie ich es hier zu veranschaulichen versucht habe: wenn überhaupt, dann einer "politischen“ Wiedergeburt, zum Teil auch, weil das die einzige Sprache ist, die das dominante Mediensystem verstehen kann.

7. Fazit: die "religiösen Wiedergeburten“, die sich in den letzten Jahrhunderten in der europäischen Kultur vollzogen haben, haben sich nicht unter einem direkten Impuls der kirchlichen Institution und der Hierarchie entwickelt, mit Ausnahme der ersten, der des 16. Jahrhunderts, die dennoch kulturell hervorgebracht wurden, reifere Früchte im Zeitalter des französischen Klassizismus des 17. Jahrhunderts, mit Ergebnissen, die die Kirche teilweise verurteilte und sogar bekämpfte. Die von der Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils geförderte und erhoffte Wiedergeburt hat bisher nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht.

Die anderen Wiedergeburt ereigneten sich nach großen epochalen Ereignissen, die das Image der Kirche als Institution neu  gestartet hatten, die in der Lage waren, den Stürmen der Geschichte, im Zeitalter der Romantik, oder tiefgreifende kulturelle Pausen wie die Krise des Positivismus und die Wiedergeburt der religiösen Gefühle zu trotzen. Zwischen dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Man fragt sich, ob in beiden Fällen die Kirche, die Joseph de Maistre, Bernanos oder Eliot im Sinn hatten, eher  eine echte historische Einheit als eine "imaginäre Einheit" war. In all diesen Fällen wurden diese Wiedergeburten jedoch von Einstellungen begleitet, die für dem unaufhaltsamen Marsch der "Modernität“ gegenüber kritisch waren, manchmal gegen ihn, in anderen Fällen versuchten sie, den christlichen Geist (liberaler Katholizismus) in ihn zu übertragen, ohne ihn jemals vollständig zu akzeptieren:  und ihm gegenüber eine tiefsitzende Ablehnung beizubehalten. 

Die Kirche hat auf verschiedene Weise versucht, diese Bewegungen, die sich außerhalb ihres Impulses und letztendlich auch ihrer Kontrolle entwickelten, zu steuern, zu zügeln, zu institutionalisieren, manchmal sogar zu unterdrücken.

Werden noch "religiöse Wiedergeburten“ versucht werden? Wird es angesichts der geistlichen Atrophie der institutionellen Kirche immer noch Sache der Laien, einzelner Personen oder Gruppen und Bewegungen sein, zu versuchen, sie zu fördern? Und mit welchen Inhalten? Oder wird diesmal die Kirche versuchen, einen religiösen Diskurs wiederzueröffnen? Und mit welcher Haltung gegenüber der uns umgebenden Hypermoderne?

Für den Historiker bleiben diese Fragen zwangsläufig unbeantwortet."

Quelle: S. Magister, Settimo Cielo, R. Pertici

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