Dienstag, 7. Juni 2022

Eine Antwort auf die Kritik aus dem progressiv-katholischen Lager an den Aussagen des Papstes zum Ukraine-Krieg und dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill

Sandro Magister veröffentlicht bei Settimo Cielo den kritischen Kommentar des Historikers und Theologen Pietro De Marco zur Kritik eines Quartetts aus dem progressiven katholischen Lager an Papst Franziskus´ Standpunkt im Ukraine-Krieg.
Hier geht´s zum Original:  klicken

"DER ZAR, DER PATRIARCH, DER PAPST.  EINE KRITIK AN FRANZISKUS´ KRITIKERN."

Es hat sicher nicht an Nachwirkungen von Franziskus´ leichtsinnigen Interview mit dem Corriere della Sera vom 3. Mai gefehlt, dem mit " die NATO, die vor den Toren Rußlands bellt" und Patriarch Kyrill als "Putins Ministrant".

Das Interview wird jetzt als die Quintessenz dessen angesehen, was der Papst über den Krieg in der Ukraine denkt. Und es ist deshalb keine Überraschung, daß sich die Kritiken darauf konzentrieren. Mit dabei ist vor allem eine, die trifft, teilweise weil sie aus dem progressiven katholischen Lager kommt, das das aktuelle Pontifikat am meisten unterstützt. 

Sie wurde von 4 renommierten Gelehrten aus 3 Nationen und aus 2 Kontinenten unterschrieben und in zwei Zeitschriften veröffentlicht, die den progressiven, qualitativen Katholizismus symbolisieren: im "National Catholic Reporter" und in "Il Regno". 

Die Kritik der 4 Unterzeichner ist solide begründet und wurde in Santa Marta irritiert aufgenommen, ohne daß von Franziskus der kleinste Hinweis kam, ihre Forderung akzeptieren zu wollen und seine Handlungen und Worte bzgl. des Krieges zu erklären. 

Aber dann hat die Kritik der 4 Gelehrten eine Diskussion für und gegen ihre Argumente ausgelöst. In Italien hat z.B. der Kirchenhistoriker Alberto Melloni, der über die Jahre eng mit einem der Vier verbunden war, geantwortet, daß Franziskus " nichts anderes und Unterschiedliches sagen sollte" als das, was er bereits sagt, weil das auf seiner eigenen Wellenlänge ist, die von weitem kommt und "zwischen Diplomatie und Prophetie" weit ausgreift. 

Der folgende Beitrag ist der letzte- und bisher am besten begründete Beitrag der Kritiken am Text der 4 Unterzeichner, der von manchen sehr begrüßt und von anderen bestritten wurde. Autor ist Professor Pietro De Marco, Geschichts- und Theologiewissenschaftler, emeritierter Professor für Religionssoziologie an der Universität Florenz und an der Theologischen Fakultät Mittelitaliens.

ZUM BRIEF VON BREMER, ELSNER, FAGGIOLI UND STOECKL

von Pietro De Marco

Tage nach dem Geschehen, hat der von Bremer, Elsner, Faggioli und Stoeckl unterzeichnete und in den USA im "National Catholic Reporter" und in Italien in "Il Regno" veröffentlichte Text weiterhin erhebliche Resonanz und repräsentiert eine ungewöhnlich kritische Stimme innerhalb der seltsamen postkonziliaren Kultur gegenüber Papst Franziskus und dem Hl. Stuhl bzgl. der Russischen Invasion in der Ukraine. 

Thema der Meinungsverschiedenheit sind die Methode und die Begriffe, die Rom bzgl. der russisch-orthodoxen Hierarchie, allen voran Patriarch Kyrill, verwendet. Die Autoren fordern Papst Jorge Mario Bergoglio auf, die systematische Ausnutzung seiner Handlungen und Worte durch die russische Seite zur Kenntnis zu nehmen und sich dagegen zu verwehren, indem er mit einer neuen Klarheit spricht, die es schwieriger machen würde, seine Absichten in der russischen öffentlichen- und kirchlichen Meinung zu verfälschen.

Ihr Argument entfaltet sich vor allem auf dem Gebiet ökumenischer Bemühungen, in  dem der Entschluss, dieses Dokument zu produzieren, wahrscheinlich entstanden ist. Außer Massimo Faggioli, Professor an der Villanova Universität in Philadelphia, Historiker (mit Ursprung in Bologna) des II. Vaticanischen Konzils und Essayist, sind Regina Elsner und Kristina Stoeckl junge Wissenschafler der post-sowjetischen Russischen-Orthodoxie, eine in Berlin, die andere in Innsbruck, während Thomas Bremer in Münster Ökumene lehrt und in renommierten Studien-Serien veröffentlicht wurde, die dem Christlichen Osten gewidmet sind. 

Was ich an dem Dokument am meisten zu schätzen weiß, ist die Eindeutigkeit der Urteile über die Protagonisten des aktuellen Krieges. Franziskus‘ Vision des Konflikts, schreiben sie, "weist wichtige Mängel auf. Die Vorstellung, daß Russland ein legitimes nationales Sicherheitsinteresse in der Ukraine verteidigt und daß die NATO dieses Interesse angeblich durch ihre vergangenen Erweiterungen verletzt hat, ist falsch. Sicherheit für wen?“ Und die vier Gelehrten meinen damit die Unterdrückung der freien Meinung, der kritischen Presse, der politischen Opposition in Russland, für die es keine Sicherheit gibt. Genau so deutlich ist auch die kritische Bewertung der Äußerungen des Heiligen Vaters. Ebenso wie die Behauptung, daß jede Bemühung um "Ausgleich“ zwischen den Kriegsparteien dazu neigt, von den russischen Medien manipuliert zu werden, bis zu dem Punkt, daß der Papst in Rom scheinbar mit dem Klima der Rechtfertigung der Aggression einverstanden ist, das das Bündnis zwischen Kyrill und Putin kennzeichnet. 

Aber der Primat, den das Dokument ökumenischen Gründen zuerkennt, führt zu einer Art Verzerrung

Ich möchte den Autoren nicht vorwerfen, daß sie das tun wollten, was sie getan haben, nämlich Alarm zu schlagen über den Schaden für die katholisch-orthodoxe Ökumene, der von der gegenwärtigen politisch-religiösen Widersprüchlichkeit herrührt, die Rom kennzeichnet. Sicher ist, daß der Horizont der ökumenischen Beziehungen im Moment am wenigsten wichtig ist, egal auf welcher Ebene der Realität man es betrachten mag, sei es im lokalen kriegerischen Rahmen und den eurasischen Auswirkungen oder den Beziehung zwischen Europa und Amerika und was vom imperialen und sowjetischen Russland übrig geblieben ist,  oder sei es der internationalen Position des Heiligen Stuhls.

Das Urteil über den Krieg, über das ich bereits in Settimo Cielo geschrieben habe, ist und muss abseits des ökumenischen Horizonts betrachtet werden: Es ist eine Frage von "justitia et iure“ und der Fähigkeit des gegenwärtigen Lehramtes, sich auf diese Ebene zu stellen, so wie es sich gehört.

Daß man diese manipulative Praxis auf die Worte von Papst Franziskus anwenden kann, ist viel weniger ernst als die tiefen Gründe, die im Ursprung die Zurückhaltung und die vorherrschende humanitäre Allgemeingültigkeit seiner Worte hervorrufen. Die Offenheit, die Franziskus gegenüber Kyrill an den Tag legt, betrifft nur die mutmaßliche schuldhafte Abhängigkeit des Patriarchen vom Fürsten. Doch der Vorwurf "Putins Ministrant“ zu sein, ist nur die Parodie auf eine Beziehung, die zur uralten orthodoxen "symphonia“ gehört. Der Vorwurf des "Ministranten"  ist eine polemische Angewohnheit, die in der fortschrittlichen katholischen Welt üblich ist und die- wie ich gesehen habe - im Laufe der Zeit gegen Theologen verwendet worden ist, die sich nicht einreihen wollten. Es scheint mir schon immer eine anmaßende und irrationale Beleidigung zu sein.

Natürlich müssen die Orthodoxen Kirchen dringend anerkennen, daß sie nicht länger mit einem Christlichen Fürsten zusammen leben und daß das Überdauern kanonischer und konstitutioneller Institutionen, die eine tiefe Verbindung zwischen Kirche und Staat zu bestätigen scheinen, jetzt nur noch von einem kontingenten politischen Realismus und von Staatsräson diktiert werden, ohne Grundlagen, außer vielleicht pragmatischen. Eine unvermeidliche kritische Schwelle für die politische Theologie der Weltorthodoxie.

Allerdings gibt es in Putins religiösem Russland "symphonia“, und wir sind auch nicht berechtigt, ernsthaft am Glauben des Präsidenten und des Patriarchen zu zweifeln. Sich in diese moralistische Richtung zu bewegen, ist ein strategischer Fehler, sogar ein ökumenischer.

Es sind nicht persönliche Kontroversen, die bei Kyrill die Überzeugung überwinden könnten, daß Putins Krieg aus Notwendigkeit und Gerechtigkeit geführt wird. Nach dem strengen Kriterium, daß der "Feind“ nicht jemand ist, den wir verachten und erniedrigen, muss nicht gesagt werden, daß Kyrill in Putins Diensten steht. Das ist eine Frage einer anderen Beurteilungsebene. Und wenn man den Krieg nicht vom Bösen im Allgemeinen unterscheidet, wenn man nicht eine Besonderheit und eine häufige Genese aus Gerechtigkeit für eine der Parteien anerkennt – und das ist sicherlich die Position der Ukrainer, eine gerechte legitime Verteidigung – gibt es kein Untergraben der von der ungerechten Seiten angegebenen Gründe. 

Kyrills Position ist ungültig, nicht weil sie für Putin günstig ist, sondern weil die Motive gemeinsam Fürst und Patriarch zu sein, schwach begründet sind, falsch und der direkte Grund für das stattfindende Böse. Kurz gesagt, es ist das "ius in bellum" des Kremls, das in der richtigen Reihenfolge widerlegt werden muß. 

Man muß auf die Wertigkeit der Tatsachen eingehen. Die Strategie des "Mir sind deine Motive egal, selbst wenn du Recht hast, weil Krieg nur schlecht ist" funktioniert nicht. Sie ist grundlegend falsch und "christlich" in einem vagen Sinn - für Philanthropen. Wie C.S. Lewis in "Bloß Christentum" schrieb, ist das "christlich" in einem Sinn, in dem der Begriff "Christentum" nutzlos wird, weil er einfach nur "gut" bedeutet. 

Es ist in der Kritik seit langem bekannt, daß La Fontaine ein politischer Denker war, kein Kinderbuch-Autor. Die Fabel "Der Wolf und das Lamm" hat jahrhundertelang das perfekte Schema der moralischen und praktischen Haltung von Wladimir Putin, wie von vielen Herrschern vor ihm, dargelegt. Es ändert wenig, wenn das ukrainische Volk durch Tugend und Vermögen kein Lamm ist.

Der letzte Abschnitt des Dokumentes vom Bremer, Elsner, Faggioli und Stoeckl verdient eine eigene Erwähnung. Er drückt die Angst vor einer neokonservativen Allianz von Franziskus mit Putins Rußland aus. Meinem Gefühl nach kommt dieser Teil aus Italienischer Hand. Darin erscheint wirklich eine Bezugnahme auf die symmetrischen und veralteten Allianzen der Gegner von Papst Franziskus in Rom und den Neokons der USA, wiederkehrendes Ziel von Faggiolis Feder. Jetzt muß nachdrücklich gesagt werden, daß die Ebene des Internationalen Rechts und des ius in bellum (das uns heute dazu bringt, die EU und die USA zu loben) und die der persönlichen Moral und das letzte Gebiet sind klar  unterscheidbar.  Daß einer den anderen oder das andere nicht mit sich ziehen sollte, wie es leider geschieht. 

Der Skandal, den Patriarch Kyrill durch seine Übereinstimmung mit Putins Angriffskrieg verursacht, betrifft nicht die legitimen Standpunkte der Christlichen Kirchen- orthodox oder nichtorthodox bezgl. bioethischer Themen, der sog. sensiblen Themen wie Leben und blblische Anthropologie, Und umgekehrt: eine mögliche Zustimmung zu Kyrills theologischen Sorgen kann einen nicht zu einem Komplizen von Putin machen. 

De facto hat die Folge von Ereignissen in den letzten zwei oder drei Jahren, die Bevölkerungen und den internationalen Handel lahm gelegt hat, zuerst die Gefahr des Corona-Virus und jetzt der globalen  Auswirkung eines Krieges in Europa eine konservative Minderheit innerhalb der Christlichen Kirchen offenbart, die bereit ist Notfällen (die die Menschheitsgeschichte seit Jahrtausenden kennt) -als der Schwelle zu einer apokalyptischen Krise -entgegen zu treten. Diese Antwort manifestiert sich sowohl in der panischen Form der Impfgegnerschaft als auch einem unterschiedlich begründeten Pro-Putinismus. 

Alle von den Anti-System-Neurosen in den letzten Jahrzehnten angesammelten Werkzeuge sind eingesetzt worden: die Delegitimierung des Feindes, die während der politischen Konflikten der Nachkriegs-Politik auf breiter Basis angewandt wurde, Verschwörungstheorien, bereit bei jeder Wendung nützlich zu sein, die neu-definierten neo-marxistischen  Produkte des Neue-Welt-Imperiums, die paranoide Leugnung von allem, das "offiziellen" Informationen entstammen könnte. 

Und dennoch hat genau das Schnüren "ideologischer Pakete" hervorgehoben, wie unsere Freiheit zur Analyse sie aufschnüren und auseinandernehmen kann. Eine Sache ist der ernsthafte und notwendige Kampf gegen den Horror der Manipulation des Lebens, die posthumanen Trends, eine andere ist die vernünftige Beurteilung von Impfstoffen, wertvollen Ergebnissen von Labors, die weder Schauplätze des Dämonischen sind noch schmierige Geld-Melkkühe. Die Verteidigung der christlichen Anthropologie (Menschenwürde, konstitutiver Wert des Mann-Frau Paares, Naturrecht) kann es sich nicht erlauben, Biologen oder Führer zu verunglimpfen. Es ist irrational und unmoralisch, dies zu tun.

So haben die wohlbekannten, antimodernen Ideen, die von Putins Ideologen produziert wurden, die man zum Objekt von Überlegungen machen kann (sie entstammen eher  der Europäischen Kulturen der Romantik als einer nicht-existenter archaischen "Russischen Mentalität") nichts mit irgendeiner Behauptung zu tun, die Putin über die spirituelle Rettung des Westens äußert. 

Unglücklicherweise wird diese konservative Christliche Front, ungeschützt gegen die ideologischen Viren (universale Entfremdung, okkulte Herrschaft des Kapitals, weltweiter "reset"), die sie ohne jede Vorsicht übernommen hat, durch ihre eigene Naivität zerstört werden. 

Reziprok dazu wird verstanden, daß die wahren Europäischen Wert, die heute in der Ukraine mit Waffen verteidigt werden, nicht die Werte des "Letzten Menschen" sind. Die Bewunderung eines Europas, das heute Putins Kraftprobe  (umso offensiver, weil er unsere Schwäche und Feigheit annahm) standhält, nicht bedeuten, daß man heute oder morgen die libertäre Moral und zivile Unordnung, die oft vom Parlament und der Kommission der Europäischen Union gefördert werden, akzeptieren kann. Die selben Nationen, die  heute an der Spitze Europas stehen, stehen dem Aufkommen des antichristliche Europas der Salons feindlich gegenüber. 

Die gegenteiligen ideologischen Vorschläge, in bequemen und verbindlichen Paketen von Wahrheiten, Werten und Optionen, "total inklusiv",  müssen mit zusätzlicher Vorsicht abgelehnt werden. 

Um zum Ende zu kommen. Die ökumenische Frage, die an dieser Stelle und mit diesen Begriffen eingeführt wird, läuft Gefahr, den politischen und diplomatischen Rahmen undurchsichtig zu machen. Dieses entschiedene Urteil über den "Feind“, das dem päpstlichen Rom fehlt, beinhaltet nicht die Leugnung dessen, was die russische Kirche mit ihrer Führung den anderen christlichen Kirchen zu sagen hat. Das ist einfach eine unzulässige Verbindung.

Der Feind muß besiegt werden, das ist die Ordnung der Dinge gegen jeden Pazifismus. Aber viel wird der russischen Zivilisation mit einer neuen Klarheit zu verdanken sein, nach dem Krieg nicht weniger als vor dem Krieg. Denken wir an die Beziehung von Liebe und Hass, Bewunderung und Zerstörung, Wettbewerb und Abhängigkeit, die in der Europäischen Geschichte die Beziehung zwischen den Zivilisationen Frankreichs und Deutschland begleitet hat. "

Quelle:  S. Magister, Settimo Cielo, Prof. Pietro De Marco

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