Freitag, 1. Juli 2022

"Cancel-Kultur" der ewige gnostische Traum, ganz von vorn anfangen zu können.

Marco Tosatti veröffentlicht bei Stilum Curiae einen Leitartikel, den der Bischof von Triest, Msgr. G. Crepaldi über die Cancel-Kultur als Ausdruck der Gnosis  verfaßt hat. 
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"CREPALDI: CANCEL-KULTUR, DER EWIGE GNOSTISCHE TRAUM VON ANFANG NEU BEGINNEN ZU KÖNNEN."

Liebe Freunde und Feinde von Stilum Curiae, wir haben diesen Leitartikel des Bischofs von Triest bekommen, der in der neuen Ausgabe des "Bulletins der Soziallehre der Kirche" erschienen ist und veröffentlichen ihn gern.

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Cancel Kultur, der ewige gnostische Traum ganz von vorn zu beginnen 

S.E. MONS G. CREPALDI

(Bishof von Trieste)

Leitartikel für die Ausgabe  NR. 2/2022 von “Bollettino di Dottrina sociale della Chiesa”  zum Thema  “Die Evangelisierung der Amerikas: gegen die Cancel-Kultur" .

Eine Nation ohne Kultur ist wirklich etwas sehr Trauriges. Das wäre eine Nation, in der die Leute nicht wissen, was sie verteidigen, was sie kultivieren und was sie weitergeben sollen. Die Cancel-Kultur demoliert die Statuen von Christopher Columbus, alle offensichtlichen Spuren von Missionaren, die Amerika evangelisiert haben und jeden Gründungsvater, was er auch immer gegründet haben mag, und geht so weit, die westliche Kultur als Ganze auszulöschen, die griechische Metaphysik, das Römische Recht, die christliche Kultur. Nach ihren eigenen Regeln ist auch das eine kulturelle Tatsache. Eine Kultur auszuradieren, bedeutet eine Kultur auszudrücken. Antikultureller Nihilismus ist auch eine Kultur. Der Widerspruch ist offensichtlich, würde aber so aussehen, als ob die Befürworter dieser augenblicklichen Mode dieser Tatsache gegenüber blind sind, weil das Prinzip des Nicht-Widerspruchs sehr wahrscheinlich auch eines ihrer ausgewählten Opfer ist. 

Deshalb - wenn es also eine Kultur ist- wäre es angemessen, in die ihr eigene Natur einzutauchen.  Im Laufe der Geschichte gab es viele Wellen von "kulturellem Canceln“ oder "Auslöschungen“. Ich beziehe mich nicht wirklich auf die damnatio memoriae, die jeder Sieger auf die Kultur der Besiegten angewandt hat. Jeder Krieg hat Phänomene dieser Art hervorgebracht. Ich beziehe mich auf die für viele philosophische Kulturen der Moderne typische Bereitschaft, wieder "bei Null“ anzufangen. Einer der typischsten Fälle war der von Descartes, der das gesamte Wissen der Kultur, der er angehörte, praktisch die gesamte westliche Kultur, in Frage stellte, gerade um von vorne anzufangen. Dasselbe sollte dann von der Aufklärung und später von den Positivisten auch getan werden. Dieselbe entschlossene Hingabe zeigt sich auch im Marxismus. Natürlich hatten sie alle – und andere, an die man hier nicht erinnern kann – schon eine neue Kultur im Kopf, als sie ihre alte Kultur abreissen wollten. Descartes wollte eine Kultur, die auf geometrischer Wissenschaft basiert, die Aufklärung eine auf operativer Vernunft, Positivismus eine auf experimenteller Wissenschaft und Marxismus eine auf der Praxis. Das „Neue“ war bereits vorhanden, als sie danach strebten, das Alte auszulöschen.


Diese Haltung, die das Neue dem Alten vorzieht, die Tugend mit dem Festhalten an historischen Neuerungen und die Sünde mit der Bewahrung der Vergangenheit zusammenfallen lässt, ist charakteristisch für die Moderne als solche, selbst in ihrer nihilistischen Version der Cancel-Kultur. Man kann es Progressivismus nennen und sein Schlagwort könnte Revolution sein. Progressivismus und Revolution hören nicht auf, weil das Ergebnis der einer Revolution durch die nächste Revolution tödlich zerstört wird und der Fortschritt von heute notwendigerweise die Antike von morgen ist. Nichts kann bewahrt werden. Eigentlich. Auch hier liegt ein Widerspruch vor. Der Fortschritt will, dass sich alles ändert, aber nicht der Fortschritt selbst, der bleiben muss. Fortschritt muss „Fortschritt“ als etwas bewahren, das nicht bekämpft, kritisiert, überwunden oder ausgelöscht werden darf. Dasselbe gilt für die Revolution: Revolutionen verändern alles außer der unveränderlichen Realität der Revolution, die absolut bleibt. Auch das Auslöschen muss alles auslöschen, aber das Löschen als solches muss ein absolutes Prinzip bleiben.

In der Cancel Kultur sehen wir deshalb in ihrer engen Verbindung mit dem modernen Geist auch die gleichzeitige Präsenz von Relativem und Absoluten, Wechsel und  Dauern, weil der Wechsel permanent sein muß und das Relative absolut. 

Das ist typisch für die Gnosis, deshalb sollte die Cancel-Kultur als ein gnostisches Phänomen definiert werden. Missachtung von Realität und Ordnung, Schöpfung und Normen, die sich über Jahrhunderte in der Gesellschaft abgelagert haben. Die Steigerung der Wiedergeburt, eine neue Schöpfung, eine neue Welt, ein neuer Mensch, Palingenesis. Befreiung von den Zwängen der Realität, Wahrheit, Vergangenheit, Erlösung als Gleichgültigkeit gegenüber dem Bösen und allein auf das Gewissen bezogen. Es gibt viele Aspekte oder Merkmale der immerwährenden Gnosis, denen wir in der Cancel-Kultur begegnen. Und so können wir ihren Kampf mit dem christlichen Glauben nicht übersehen, der immer ihr Hauptfeind war.

Bei diesem Thema wurde die Cancel-Kultur nicht direkt angesprochen, weil wir es vorgezogen haben, sie anzugreifen, indem wir eines ihrer am meisten geschätzten Themen korrekt illustrieren, nämlich die Evangelisierung Amerikas, die so lange unter den dunklen Wolken einer "schwarzen Legende“ lag. verbreitet durch Bestrebungen im Zusammenhang mit der Aufklärung und der antireligiösen Propaganda des englischsprachigen und protestantischen Bürgertums. Geplante Desinformationen über die Evangelisierung Amerikas sind seit Jahrhunderten im Umlauf. Heutzutage gibt es jedoch ein zusätzliches Merkmal: Die Stossrichtung der Cancel-kultur konzentriert sich direkt auf dieses Erbe als das primäre Ziel seines Bestrebens, seinen Wunsch es zu löschen, es aufzuheben. Anstatt Polemik mit und gegen die Cancel-Kultur als solche zu führen, würden wir es daher für angebrachter und sinnvoller, halten, hervorzuheben und darzulegen, was sie canceln möchte, aber dies ins rechte Licht zu rücken.

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Quelle: M. Tosatti, Stilum Curiae, S.E.Bischof G. Crepaldi

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