Donnerstag, 27. Oktober 2022

Warum war die Rezeption des II. Vaticanischen Konzils bisher so schwierig?

Rorate Caeli veröffentlicht die Rede, die Fr. Alfredo Morselli bei der online-Konferenz "Das zweite Vaticanische Konzil . "An seinen Früchten sollen wir es erkennen" zur Hermeneutik Benedikts XVI gehalten hat.
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"DIE HERMENEUTIK BENEDIKTS XVI" REDE VON FR. ALFREDO MORSELLI"

Ave Maria! Liebe Brüder, ich bin gebeten worden über die Hermeneutiken Benedikts XVI zu sprechen- mit Bezug auf seine Rede vor der Römischen Kurie am 22. Dezember 2005 (vor fast 17 Jahren): 40 Jahre nach Abschluss des Konzils fragte sich Benedikt XVI nach den Gründen für eine bestimmte post-konziliare Krise.

Der jetzt emeritierte, aber damals regierende Pontifex zitierte den Hl. Basil und sagte:"Der verworrene Lärm ununterbrochenen Geschreis hat jetzt fast die ganze Kirche erfüllt und verzerrt durch Übermaß oder Fehler die richtige Glaubenslehre ...“Der Papst, der über all dies nachdenken wollte, fragte: "Warum war die Rezeption des Konzils in weiten Teilen der Kirche bisher so schwierig?"

Denken wir daran, daß diese Situation im Vergleich zu heute rosig war; Im Vergleich zu der von Benedikt XVI. beschriebenen postkonziliaren Krise haben wir heute weitaus schwerwiegenderes ununterbrochenes Geschrei, das "durch Übermaß oder durch Fehler die richtige Glaubenslehre“ verzerrt. Ich skizziere eine zusammenfassende Liste davon: 
• Amoris laetitia, das die Leugnung moralischer Werte und die Aufhebung von Ehebruch fördert. 
• Durch die Untergrabung der oben genannten Prinzipien kann auch Humanae Vitae nur zusammenbrechen. 
• Die Interkommunion für Nicht-Katholiken wird ebenfalls durch geduldete Bräuche geklärt. 
• Die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare wird zwar von der CDF verurteilt, aber de facto und in Belgien auch de jure praktiziert: Kardinal Jozef De Kesel mit den flämischen Bischöfen, d. h. den Bischöfen des niederländischsprachigen Belgiens, veröffentlicht am 20. September 2022 eine Liturgie, die die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare vorsieht. 
• Krieg gegen die Tridentinische Heilige Messe und Groll gegen sogenannte "Traditionalisten“

Franziskus sagte kürzlich: "Tradition ist der lebendige Glaube der Toten, Traditionalismus ist der tote Glaube einiger Lebender."  Das Problem ist jedoch nicht der tote Glaube einiger lebender Leute, sondern der falsche Glaube der Zombies, die Häresien toter Häretiker, die aus den Gräbern kom Jansenismus, Berengar, Luther usw. Wenn z.B. gesagt wird, daß ehebrecherischer Geschlechtsverkehr zulässig ist, "wenn man sonst nichts tun kann" wird der "unbesiegbare Lüsternheit" des Jansenismus exhumiert, wenn gesagt wird, daß jemand, der im Stand der Sünde lebt trotzdem in (der heiligenden) Gnade wachsen kann, haben wir Luthers extrinsische juristische Rechtfertigung, sein simul iustus et peccator. Ps. 9:18 "Zur Hölle fahren müssen die Frevler, die Völker alle, die Gott vergessen"

Weiter sagte der Papst: "Rückwärtsgewandtheit geht zwei Schritte zurück weil "es besser ist, wie es immer gemacht wurde". Es sit vielleicht falsch zu sagen "Wie schön war Rom bevor die Lansknechte kamen" oder "Wie schön war die Musik Palestrinas, Victorias, Perosis, Bertoluccis..." Weish. 4:16: Der entschlafene Gerechte verurteilt die lebenden Gottlosen" 

Wir haben immer noch: Bischöfe, die zur Freimaurerei (und mitn ihr) zwinkern, Zusammenbruch der Berufungen. 



Aber gehen wir zurück zu der Zeit, als die Dinge schon sehr schlimm waren, aber viel weniger als jetzt. Benedikt XVI fragte: "Wessen Fehler ist das?" Dann gab der Pontifex sich selbst diese Antwort: es ist alles die Schuld einer falschen Interpretation, einer falschen Rezeption des Konzils. Ich gebe die Ausschnitte der Rede wieder, in der er das obengenannte Konzept erklärt: 

"Die Frage taucht auf, warum die Rezeption des Konzils in einem großen Teil der Kirche so schwierig gewesen ist. Nun ja, alles hängt ab von einer korrekten Auslegung des Konzils oder – wie wir heute sagen würden – von einer korrekten Hermeneutik, von seiner korrekten Deutung und Umsetzung. Die Probleme der Rezeption entsprangen der Tatsache, daß zwei gegensätzliche Hermeneutiken miteinander konfrontiert wurden und im Streit lagen. Die eine hat Verwirrung gestiftet, die andere hat Früchte getragen, was in der Stille geschah, aber immer deutlicher sichtbar wurde, und sie trägt auch weiterhin Früchte."

"Auf der einen Seite gibt es eine Auslegung, die ich »Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches« nennen möchte; sie hat sich nicht selten das Wohlwollen der Massenmedien und auch eines Teiles der modernen Theologie zunutze machen können. Auf der anderen Seite gibt es die »Hermeneutik der Reform«, der Erneuerung des einen Subjekts Kirche, die der Herr uns geschenkt hat, unter Wahrung der Kontinuität; die Kirche ist ein Subjekt, das mit der Zeit wächst und sich weiterentwickelt, dabei aber immer sie selbst bleibt, das Gottesvolk als das eine Subjekt auf seinem Weg."

"Die Hermeneutik der Diskontinuität birgt das Risiko eines Bruches zwischen vorkonziliarer und nachkonziliarer Kirche in sich. Ihre Vertreter behaupten, daß die Konzilstexte als solche noch nicht wirklich den Konzilsgeist ausdrückten. Sie seien das Ergebnis von Kompromissen, die geschlossen wurden, um Einmütigkeit herzustellen, wobei viele alte und inzwischen nutzlos gewordene Dinge mitgeschleppt und wieder bestätigt werden mußten. Nicht in diesen Kompromissen komme jedoch der wahre Geist des Konzils zum Vorschein, sondern im Elan auf das Neue hin, das den Texten zugrunde liege: nur in diesem Elan liege der wahre Konzilsgeist, und hier müsse man ansetzen und dementsprechend fortfahren. Eben weil die Texte den wahren Konzilsgeist und seine Neuartigkeit nur unvollkommen zum Ausdruck brächten, sei es notwendig, mutig über die Texte hinauszugehen und dem Neuen Raum zu verschaffen, das die tiefere, wenn auch noch nicht scharf umrissene Absicht des Konzils zum Ausdruck bringe. Mit einem Wort, man solle nicht den Konzilstexten, sondern ihrem Geist folgen.
Unter diesen Umständen entsteht natürlich ein großer Spielraum für die Frage, wie dieser Geist denn zu umschreiben sei, und folglich schafft man Raum für jede Extravaganz."

An diesem Punkt müssen wir eine andere Frage stellen: die ganze Tragödie- ist das wirklich alles und einzig der Fehler einer "Interpretation"?

Wenn ich versuche, eine Antwort zu geben, finde ich mich, der diese These energisch- wenn auch mit großen Unterschieden verteidige- zwischen Scylla und Charybdis wieder.

Denn einerseits finde ich mich mit der triumphalistischen Hermeneutik wieder, die zusammenbricht: den triumphierenden Bösen aus Psalm 94:3: "Bis wann werden die Bösen triumphieren, o Herr?“ Schließlich ist es eine ganz andere Ekklesiologie, eine ganz andere Kirche ... Derselbe Hass gegen die tridentinische Messe rührt daher, daß hinter dieser eine ganz andere Ekklesiologie stünde. Das Konzil wird als Trennlinie gesehen: Die Geschichte der Kirche wird als zwischen vor und nach dem Konzil geteilt gesehen – jedoch nicht als Konzil "der Texte“, wie der Papst sagt … In diesem Zusammenhang wird Franziskus als der Prophet dieser wahren Erkenntnis gesehen- nur daß viele Progressive enttäuscht sind, z. B. durch den Stopp für den verheirateten Klerus ... weil dann der Heilige Geist existiert ...

Andererseite bin ich mit einer Hörerschaft konfrontiert, das so schockiert und ungläubig ist, daß sie mir angesichts der Ruinen sagt: "Aber wo ist die Kontinuität!?" Und das bestätigt den Bruch: d.h. auf der einen Seite sind die, die sagen: "Wie schön, daß sich alles geändert hat" und auf der anderen Seite "Wie schrecklich, daß sich alles geändert hat!"; in der Mitte steht Benedikt XVI, der sagt, daß sich im Wesentlichen nichts geändert hat und alles eine Frage der Hermeneutiken ist.

Beide Standpunkte sagen_ einige mit Freude, einige mit Kummer- "Alles hat sich geändert...Nach dem Konzil ist die Kirche eine ganz andere."

Wer von diesen Drei hat Recht? Benedikt XVI, die Ultra-Konziliaristen, die Ultratraditionalisten? Ich werde jetzt versuchen, diese Frage zu beantworten.

Fragen wir zuerst, was Hermeneutik ist: sie ist ein kognitiver Prozess, ein tieferes Wissen um den Kontext einer bestimmten Realität: und weil wir Thomisten sind, ist Wahrheit, das Objekt des Wissens, im Intellekt, aber sie hängt vom Realen ab: d.h. Wissen ist zielgerichtet, es hört nicht im Geist auf imd hängt letztendlich nicht von ihm ab, sondern strebt nach. berührt, greift nach und entspricht dem Realen. Der Intellekt und das Erkannte korrespondieren in dem, was wir Wahrheit nennen (veritas est adaequatio rei et intellectus). Die Hermeneutik der Kontinuität, das heißt das wahre und tiefer kontextualisierte Wissen der Kontinuität, gilt also, wenn Kontinuität außerhalb des Verstandes existiert, realiter.

Die Realität der Kontinuität der Kirche wird durch die Zusicherung garantiert: "Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwinden" (Mt. 16:18). Wenn die Kirche sich in ihrer Natur ändert, d.h. wenn sie eine andere Kirche wird, wenn sie sich von der von Jesus Christus auf Petrus gegründeten unterscheidet, gäbe es die wahre Kirche nicht mehr. Kontinuität gehört zum Mysterium der Kirche, lange vor jeder Hermeneutik. Daher besteht die wahre Hermeneutik der Kontinuität, die schwer zu erreichen, aber mit Hilfe der Gnade möglich ist, darin, den wahren und unfehlbaren Faden des Lebens und des Glaubens der Kirche zu finden; es ist der Faden, der manchmal dünn, verkleidet und mit Metastasen bedeckt ist, aber nie in seiner objektiven Kontinuität unterbrochen wird.

Die oben genannte Hässlichkeit wird nicht nur von den äußeren Feinden der Kirche (den Verfolgern) verursacht, sondern auch von inneren Feinden, die seit dem Jansenismus intrigiert und gearbeitet haben und – durch die Jahrhunderte, in einem teuflischen Staffellauf – das Zeugnis vom der Prozess der Selbstzerstörung weitergegeben haben. Dieser Prozess hat also nicht erst während und nach dem Konzil begonnen, sondern hat ältere historische Wurzeln.

Und jetzt komme ich zum zweiten Argument zur Verteidigung der Kontinuität des kirchlichen Lebens, auf dessen Grundlage man die Hermeneutik begründen kann. Viele, die die Möglichkeit dieser Hermeneutik leugnen, begehen einen logischen Fehler namens post hoc ergo propter hoc. Da diese - nie zuvor gesehene - Krise nach dem Konzil begonnen hat und im Namen des Konzils ihren Lauf fortsetzt, dann ist sie dem Konzil zu verdanken, ist sie eine Frucht davon. Was danach ist, wird durch das verursacht, was vorher ist. Das kann natürlich stimmen, muss es aber nicht. Diese vereinfachende Argumentation ist historisch falsch: denn wenn sie wahr wäre, müssten wir mit der gleichen unverblümten Argumentation sagen, daß, da das Konzil unmittelbar nach der Zeit von Pius XII kam, das Konzil die Schuld von Pius XII wäre; und wenn dem so wäre, würde ich überhaupt nicht in die Zeit vor dem Konzil zurückgehen wollen, denn (noch einmal so schlecht argumentiert) das Konzil muss das Ergebnis der Vorkonzilszeit sein.

Und so wäre für einige die Lösung der Krise im Grunde eine Art "katholische Orthodoxie": So wie die Orthodoxen die ersten sieben Konzile anerkennen, erkennen wir 20 Konzile an: Wir hören beim I. Vatikanischen Konzil auf. Und alles wäre gelöst, indem wir zum bloßen Beten der Messe von St. Pius V. zurückgehen: "Lasst uns alle Kirchen neu weihen und lasst uns von 1960 wieder neu beginnen." Praktisch ähnelt diese Vision dem Lied "Bella ciao": "Eines Morgens wachte ich auf und fand den modernistischen Eindringling."
Fortsetzung folgt...

Quelle: Fr. A.Morselli, RorateCaeli 

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