Sonntag, 20. November 2022

Die neuheidnische Naturreligion: Pan ist zurück, Fortsetzung...

Fortsetzung von hier und hier

           "ÖKOLOGIE ALS ALLGEMEINE RELIGION"

von Chantal Delsol

In diesem beginnenden 21. Jahrhundert ist die etablierteste und attraktivste philosophische Strömung eine Form von Kosmotheismus verbunden mit dem Schutz der Natur. Unsere westlichen Zeitgenossen glauben nicht länger an ein Leben nach dem Tod oder Transzendenz. Die Bedeutung des Lebens muß  in diesem Leben selbst gefunden werden und nicht darüber, wo nichts ist. Das Heilige wird hier gefunden, in Landschaften, im Leben auf der Erde und in menschlichen Wesen selbst. Was produiziert wurde ist eine "monistische Anthropologie", die dem alten Animismus nahe kommt. Für dem heutigen Ökologismus gibt es nicht länger eine Trennung zwischen dem Menschen und anderer Lebewesen, noch zwischen dem Menschen und dem Ganzen der Natur, die er einfach bewohnt, ohne sie in irgendeiner Art Superiorität zu beherrschen. 

Der Mensch als Monotheist fühlt sich selbst als Fremder in dieser immanenten Welt und hofft auf die andere Welt und es genau das macht z.B. Nietzsche den Christen zum Vorwurf. Für den Kosmotheisten dagegen, ist die Welt ein ihm ganz eigener Aufenthaltsort, im vollen Sinne des Wortes. Er will diese Welt als vollwertiger Bürger bewohnen und nicht mehr als flüchtiger Fremder, wie es der anonyme Verfasser des Briefes an Diognet als Christen beschrieben hat. Er will in einer autarken Welt leben, die ihren eigenen Sinn hat, mit anderen Worten: eine verzauberte Welt, deren Zauber in ihr liegt und nicht in einem quälenden und hypothetischen Jenseits.  

Der postmoderne Mensch will Unterschiede abschaffen, sein bevorzugtes Adjektiv ist "inklusiv" . Und der Kosmotheismus paßt zu ihm, wei, es den alten, typisch judäo-christlichen Dualismus ausradiert. Er fühlt das Bedürfnis den Widersprüchen zwischen dem Falschen und der Wahrheit, zwischen Gott und der Welt. zwischen Glauben und Vernunft zu entfliehen. Anstatt Gott aus der Welt zu entfernen, ruft er ihn hierher zurück und beansprucht das Heilige. Für Odo Marquardt, einen zeitgenössischen deutschen Philosophen, bietet die Kurzatmigkeit des Monotheismus dem Polytheismus die Chance zur Rückkehr auf die Bühne- durch die Rückkehr der zahlreichen Mythen. Er beschreibt die Rückkehr des Polytheismus als eine Emanzipation von der exklusiven Wahrheit, als totale Freiheit des Narrativs und das Ende der Eschatologie der Erlösung. 

Ökologie heute ist eine Religion, ein Credo. Nicht weil das aktuelle Umweltproblem nicht als wissenschaftliche bewiesen betrachtet werden sollte, sondern weil diese wissenschaftlichen Gewissheiten über Klima und Umwelt irrationale Glauben und Gewissheiten produzieren, die in Wirklichkeit religiöser Glaube sind, ausgestattet mit allen Manifestationen einer Religion. 


Die heutige Ökologie ist zur Liturgie geworden: es ist unmöglich ihre Zelebrierung auf die ein oder andere Weise, in jeder Rede oder jedem Bruchteil einer Rede, auszulassen. Sie ist ein Katechismus; der die Kinder gelehrt wird, beginnend im Kindergarten und auf wiederholte Weise, um ihnen zu helfen, sich in Handeln und Gedanken gute Gewohnheiten anzueignen. Es ist ein einvernehmliches Dogma: wer Fragen dazu stellt oder auch nur den geringsten Zweifel hegt, gilt als Verrückter oder Übeltäter. Vor allem aber – und das ist das deutliche Zeichen eines Glaubensbekenntnisses und schon gar nicht einer rationalen Wissenschaft – führt die Leidenschaft für die Natur zur Akzeptanz dessen, was der allmächtige Individualismus abgelehnt hat: Eigenverantwortung, Schuld gegenüber den Nachkommen, Pflichten gegenüber der Gemeinde. Im Namen dieser immanenten und heidnischen Religion integrieren wir daher alle unentbehrlichen Dimensionen des Daseins, die zuvor vom Christentum übernommen und kultiviert wurden.

Jenseits des notwendigen Umweltschutzes, der im Industriezeitalter zu lange vernachlässigt wurde, entwickelt ökologisches Denken eine echte und richtige Lebensphilosophie. Es bleibt nicht beim Schutz der Umwelt. Diese Tatsache hat einen ganz bestimmten Grund. Wir haben eine ganze christliche Tradition der Verteidigung der Natur, vom heiligen Franziskus oder der heiligen Hildegard von Bingen bis hin zu unserer Zeit und dem "Philosophenbauern“ Gustave Thibon. In dieser Tradition wird die Natur als göttliches Geschöpf betrachtet und als solches geschützt; Die Verteidigung der Natur findet ihren Platz im Glauben an die Transzendenz und in einem Humanismus, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Aber wenn das Christentum verschwindet und mit ihm die Transzendenz, ist es unvermeidlich, daß das Heilige in der einen oder anderen Form wieder auftaucht. In dem Moment, in dem der Schutz der Umwelt als dringende und offensichtliche Pflicht bekräftigt wird, sieht sich die Natur sakralisiert, dh in einen Schutzraum gestellt, überhöht und unantastbar gemacht.

Die neue ökologische Religion ist eine Form des postmodernen Pantheismus. Die Natur wird zum Objekt mehr oder weniger offensichtlicher Verehrung. Mutter Erde wird zu einer Art heidnischer Göttin, und das nicht nur unter den bolivianischen Ureinwohnern, sondern auch unter den Europäern. So sehr, daß Papst Franziskus heute von "unserer Mutter Erde“ spricht, offensichtlich im christlichen Sinne, aber die Mehrdeutigkeit offen lässt, die die Verbindung mit zeitgenössischen Überzeugungen ermöglicht. Unsere Zeitgenossen verteidigen die vom Menschen entnatürlichte Natur in all ihren Formen, genauso wie sie nicht zögern, Bäume zu umarmen. Wir befinden uns in einer Phase, in der auf dem weiten Feld, das durch die Beseitigung des Christentums eröffnet wurde, neue Überzeugungen auftauchen: und vor allem der Pantheismus, der die Verteidigung der Umwelt in Religion übersetzt.

Christen, verärgert über den Rückgang ihres Einflusses, neigen heute, zu der Behauptung, daß alle Moral mit der Beseitigung des Monotheismus verschwinden wird. Aber das bedeutet, die Geschichte außer Acht zu lassen. Moral und Religion entstehen nicht zusammen, und es sind keine Religionen, die Moral hervorbringen, bis das Juden-Christentum auftaucht. In den alten polytheistischen Welten kommt Moral aus der Gesellschaft und hat einen ganz menschlichen Ursprung: abgeleitet von Bräuchen, von Traditionen. Religion ist von anderer Ordnung. Die Götter fordern Opfer und erzeugen Rituale. Moralische Normen verlangen Gehorsam. Bei polytheistischen Völkern ist der Staat der Hüter der Moral. Unglaublich und neu ist das Schauspiel, wie Moses mit den Gesetzestafeln vom Berg herunterkommt: Hier kommt tatsächlich zum ersten Mal die Moral von Gott.

Doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt die Kirche ihre Rolle als Hüterin moralischer Normen auf und diese geht wieder zurück an den Staat. Die Vielfalt moralischer und religiöser Überzeugungen, die in unseren Ländern vorhanden sind – deutlich sichtbar durch die Vielfalt in den Ethikkommissionen  – führt zwangsläufig zu einer Verstärkung der Rolle der politischen Macht. Letztere, vertreten durch ebenso bewusste wie aktive Eliten, wird wieder zum Wächter der Moral, wie er es vor der langen Zeit des Christentums war.

Heute wollen die Bewohner des Westens nicht mehr, daß diese Sicherung durch Religionen, durch Geistliche gewährleistet wird. Sie bevorzugen die neutrale Autorität, die der Staat ist, die die Eliten sind, institutionell oder durch Einfluss. Deshalb nimmt sich heute der offizielle "Mainstream“ das Recht, die Moral zu schützen und ihre Abweichungen zu verhindern sowie Abweichler zu ächten. Die Talkshow-Moderatoren sind die Wächter und manchmal die Zerberusse der allgemeinen Moral. Nicht unbedingt die Produzenten, denn Moral kommt aus vielen Quellen, sondern die Wächter, die über ihre Ausführung wachen. Sie haben die Rolle übernommen, die vor einem halben Jahrhundert noch die Bischöfe spielten.

 

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