Montag, 5. Dezember 2022

Pragmatismus, Reformen und Änderungen, Ideen und Realität im aktuellen Pontifikat

In seiner heutigen Kolumne in "Monday at the Vatican" analysiert und kommentiert A. Gagliarducci die von Papst Franziskus angekündigten Änderungen in Kirche und Kurie an Hand des jüngsten Interviews mit dem Jesuiten-Magazin "America" - mit dem Erreichten. 
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"PAPST FRANZISKUS, PRAGMATISMUS UND DIE AUSSTEHENDEN ENTSCHEIDUNGEN" 

Das Interview, das Papst Franziskus in dieser Woche dem Jesuiten-Magazin America gegeben hat ist eine Synthese der pragmatischen Weltsicht des Papstes. Tatsächlich ist der Papst dem Prinzip treu, daß Realitäten größer sind als Ideen und er betrachtet die Welt in konkreten Begriffen-auf eine Weise pragmatisch ist- bis zu dem Punkt zynisch zu erscheinen.  zu

Dieser Pragmatismus ist auch eine Art sich selbst der Welt zu präsentieren oder der Welt gegenüber-zutreten. Papst Franziskus äußert nie klare Meinungen und wenn er das tun muß, benutzt er die Geschichte- wenn auch ein bißchen manipuliert und ungenau, um zu erklären, daß nicht er es ist, der auf eine bestimmte Weise denkt, sondern daß seine Überzeugung bereits verwurzelt ist und deshalb- von seinem Gesichtspunkt aus nicht kritisiert werden kann.

Aber in diesem Pragmatismus gibt es auch praktische Widersprüche, die besonders gefährlich sein könnten.

Im America-Interview gibt es zwei Passagen, die diese pragmatische Zugehensweise zeigen. 

Die ersten Sorgen gelten dem Krieg in der Ukraine. Eine zeitlang hat der Papst einen gemäßigten Standpunkt zum Thema Krieg einzunehmen, was vor allem darauf abzielt, die russische Seite nicht anzugreifen. Die Argumentation des Papstes scheint zu sein: die Russen fühlen sich als Teil der Geschichte und werden nicht ausgeschlossen oder angegriffen, sie werden eher geneigt sein, zu diskutieren und den Krieg zu beenden.

Also haben die Äußerungen des Papstes die Grausamkeiten des Krieges zuerst Söldnern und dann sog. "nicht-russischen" ethnischen Gruppen zugeschrieben, wie Tschetschenen und Burjaten. Der Papst unterstreicht klar- vielleicht erstmalig- daß Rußland der Aggressor ist.

Schade, daß dieser Pragmatismus nicht die gewünschte Wirkung erzielt hat. Tatsächlich erregten die Äußerungen über Tschetschenen und Burjaten den Zorn der beiden Bevölkerungen. Selbst der russische Außenminister Lawrow betonte, daß der Papst eine "nichtchristliche Erklärungen“ abgegeben habe. Wenn das Ziel darin bestand, einen Dialog mit Russland zu eröffnen, wurde dies nicht erreicht.

Und es wurde nicht erreicht, weil diese Äußerungen keine wirkliche Substanz besaßen , ungeplant waren und vom Papst in "einfachen“ Worten formuliert wurden. Papst Franziskus mag keine Institutionalität. Leider werden einige Aussagen trotzdem zwangsläufig institutionell.

Bei der zweiten Passage geht es um die Möglichkeit einer bedeutenderen Rolle für Frauen in der Kirche. Papst Franziskus hütet sich auch in diesem Fall davor, eine klare Position zu beziehen. Er beschränkt sich darauf zu sagen, daß das Petrinische Amt den Zugang von Frauen zu den Weiheämtern "nicht zulässt“, daß Frauen aber in Wirklichkeit ein "Marianisches Amt“ haben, das viel mehr wert ist, und daß tatsächlich, wenn Frauen beteiligt sind, die Dinge bessert funktionieren. Es entsteht der Eindruck eines Papstes eine klare Vision in dieser Angelegenheit hat, aber diese Vision wird nicht explizit formuliert. Das Ziel scheint zu sein, niemandem zu missfallen. Der Papst weiß, daß er der Idee von Frauen im Priesteramt nicht nachgeben wird, will aber gleichzeitig nicht, dass Frauen unterbewertet werden.

 Auch in diesem Fall sind alle unzufrieden: diejenigen, die eine klare Position von ihm wollten, um das Thema abzuschließen, und diejenigen, die eine Wiederaufnahme der Frage wünschten.

Letztendlich führt der Pragmatismus von Papst Franziskus dazu, daß er der öffentlichen Meinung zu viel von sich selbst preisgibt, sogar bis zu dem Punkt, daß er die Männer der Kirche nicht verteidigt. Daher seine auf Ausgleich bedachten Positionen zu den Berichten über Pädophilie in der Kirche in Frankreich und Deutschland, Berichten, die fragwürdigen Statistiken enthielten, die der Papst akzeptierte und sogar so weit ging, sich für die Missbräuche zu entschuldigen.

Es ist ein Pragmatismus, der auch dazu führte, daß der Rücktritt des Erzbischofs von Paris, Michel Aupetit, auf dem Altar der Heuchelei hingenommen und die sechsmonatige Suspendierung des Kölner Erzbischofs Kardinal Rainer Maria Woelki für das, was die Nuntiatur fehlerhafte Kommunikation nannte. Und es ist ein pragmatischer Ansatz, der den Papst dazu veranlasst, die vatikanischen Regeln so neu zu definieren, daß Kardinäle vor ein ordentliches Gericht gestellt werden können, was ihn dazu veranlasst, die Kurie zu reformieren, indem er das Prinzip beseitigt, nach dem sich die Autorität von religiösen Weihen ableitet; oder nicht zu erklären, daß der Fötus ein Mensch ist, um Kontroversen zu vermeiden, da das Thema „immer noch diskutiert wird“.

Papst Franziskus liebt die geometrische Figur des Polyeders und verwendet sie oft, um die Realität zu beschreiben. Man könnte im Vergleich sagen, dass dies ein facettenreiches Papsttum ist, weil es schwierig ist, alle Gesichter und Facetten von ihm zu sehen. In einer scheinbar letzten Phase des Pontifikats oder zumindest in einer Zeit, in der der Papst selbst seine treibende Kraft verloren hat, riskiert der pragmatische Ansatz, ein Papsttum mit zwei Geschwindigkeiten zu schaffen: eines, das auf die öffentliche Meinung achtet, und eines, das genau, weil es das tut, sich stattdessen gerade wegen dieses Pragmatismus isoliert und lässt einen Papst allein läßt im Kommando und ihn damit seinen eigenen Fehlern ausgesetzt.

Es ist ein wichtiges Thema, das für die Zukunft definiert werden muss, umso mehr, als Papst Franziskus den Präfekten für Wirtschaft ausgewechselt hat und Ersatz für die Leiter von mindestens vier anderen Dikasterien in der Kurie finden muss. Das wird der Augenblick sein, an dem das Pontifikat beurteilt werden kann. Ist es nur ein praktisches Pontifikat, das sich geändert hat, weil es notwendig war, sich zu ändern, aber ohne eine wirkliche zugrunde liegende Idee? Wird es ein Pontifikat sein, das die Provokationen der Welt angenommen hat, ohne den Mut, sie anzugehen? Oder wird es eher ein Pontifikat sein, das in seinem Veränderungswillen nichts getan hat, außer gleich zu bleiben?

Das sind Fragen, die offen bleiben, während sich ein Kreis zu schließen scheint: Am Anfang des Pontifikats gab es Kommissionen, jetzt gibt es Inspektionen; zu Beginn des Pontifikats gab es Ideen zur Abschaffung des IOR, jetzt gibt es Gerichtsverfahren in Finanzangelegenheiten. Aber in beiden Fällen gibt es mehr Fragen als Antworten. Zu Beginn des Pontifikats gab es einige Charaktere, die auch zyklisch wieder auftauchen. Alles ändern, um nichts zu ändern, hieß es in "Der Leopard". Ist das vielleicht die pragmatische Idee von Papst Franziskus? Vielleicht. Aber nicht die Kirche hat sich verändert, sondern das Pontifikat, das sich immer wieder wiederholt. Auch dies ist ein zu diskutierendes Thema."

Quelle: A. Gagliarducci, Monday at the Vatican

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