In seiner heutigen Kolumne für Monday at the Vatican kommentiert und vergleicht A.Gagliarducci die Handhabung der Fälle von sexuellem Mißbrauch durch Kleriker durch Papst Franziskus und Papst Benedikt XVI. Hier geht´s zum Original: klicken
PAPST FRANZISKUS ZWISCHEN REALITÄT UND REPRÄSENTATION
Die Nachricht, daß der französische Priester und Psychiater Tony Antrella aus dem öffentlichen Leben verbannt wurde, aber nach seiner endgültigen Verurteilung wg. Mißbrauchs nicht in den Laienstand zurück versetzt wurde, ist bei Papst Franziskus angekommen, während das Echo auf den Rupnik-Fall noch nicht ganz abgeklungen ist. Die Entscheidung im Antrella-Fall zeigt wieder, daß Papst Franziskus trotz der großen Medienaufmerksamkeit in seinen Entscheidungen im Kampf gegen den Mißbrauch nicht weit von seinen Vorgängern abgewichen ist.
Papst Franziskus hat eine Päpstliche Kommission zum Schutz Minderjähriger gegründet, und der Papst hat im Februar 2019 tatsächlich ein Gipfeltreffen der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen der ganzen Welt einberufen, um zu diskutieren, wie man mit dem Thema umgehen solle. Nach dem Treffen traf der Papst einige Maßnahmen, um den klerikalen Mißbrauch-Skandal anzugehen.
Das alles muß jedoch in einem weiteren Kontext betrachtet werden. Wahrscheinlich müssen die Entscheidungen von Papst Franziskus als die natürliche Anwendung der Maßnahmen angesehen werden, die bereits in der Vergangenheit beschlossen wurden. Natürlich gibt es neue Elemente, aber die Linie der Entscheidungen ist die selbe. In der Tat läßt Papst Franziskus sogar mehr Ausnahmen zu und trifft seine Entscheidungen persönlicher.
Der Beschluss Anatrella nicht in den Laienstand zurück zu versetzen, erinnert daran, was Benedikt XVI mit Marcial Maciel, dem Gründer der Legionäre Christi, tat, der ein Doppel- und ein Dreifach-Leben führte und als Serien-Mißbraucher, Manipulator und sogar Drogen-User entlarvt wurde. Als er Präfekt der Glaubenskongregation war, hatte Kardinal Ratzinger große Schwierigkeiten dabei, den Fall gegen Maciel zu eröffnen. Als Papst bestrafte er ihn, zog es aber in Anbetracht der Tatsache, daß er jetzt am Ende seines Lebens war, vor, ihn in den Laienstand zurück zu versetzen, zwang ihn aber in ein zurückgezogenes Leben in Buße.
Wie der Hl. Stuhl während des Treffens des Komitees des Bündnisses gegen Folter 2014 offenbarte, hat Papst Benedikt XVI 848 Priester in den Laienstand versetzt und 2572 erhielten geringere Strafen - von ungefähr 3400 dem Hl. Stuhl zwischen 2004 und 2014 berichteten Fällen.
Kurz gesagt, es hatte nicht nur eine intensive Aktivität bei den Untersuchungen gegeben sondern auch juristische Beurteilung und Bestrafung derer, die des Mißbrauchs für schuldig befunden worden waren. Um Annus horribilis 2010, als die Fälle von mißbrauchenden Priestern zur täglichen Nachricht geworden waren, reagierte Benedikt XVI damit, die Kirche in Fatima in Buße zu versetzen und um Vergebung für die Sünden ihrer Kinder zu bitten, aber auch die beschränkenden Statuten für diese Art von Verbrechen abzuschaffen und die Regeln noch weiter zu spezifizieren.
Papst Franziskus seinerseits hat bekannt gegeben, daß er niemals Vergebung gewähren werde, wenn die Bitte darum einem Schuldspruch folgt. Juristisch gesprochen verschärfte er die Strafen. Er hob das Papstgeheimnis auf (auch wenn das Gesetz etwas vage ist), während er mit den Treffen mit den Opfern, mit denen Benedikt XVI begonnen hatte, fortfuhr.
Es ist kein Zufall, daß Papst Franziskus den vor kurzem verstorbenen Papst Emeritus wiederholt als Inspirator und Initiator des Kampfes gegen den Mißbrauch von Klerikern erwähnt hat.
Die Wahrnehmung in den Medien jedoch ist, daß Papst Franziskus einen fundamentalen Wechsel im Kampf gegen den Mißbrauch repräsentiert. Einige Entscheidungen führen zu einer speziellen Wahrnehmung. Z.B. die Gründung der Päpstlichen Kommission zum Schutz Minderjähriger. Man sollte feststellen, daß der Kampf gegen den Mißbrauch in einem speziellen Kursus der Kirchlichen Akademie, die die Diplomaten des Vaticans und zukünftigen Nuntien ausbildet, angesprochen wird.
Es muß gesagt werden, daß es beim Mißbrauchs-Thema ein Papsttum der Medien und ein reales gibt. Das Papsttum der Medien beschreibt Papst Franziskus als einer harten- Null-Toleranz-Linie ohne Ausnahmen verpflichtet. Aber in Wirklichkeit hat Papst Franziskus Erzbischof Gustavo Zanchetta einen Arbeitsplatz im Vatican mit einer ad-hoc- Anstellung verschafft. Zanchetta kehrte später nach Argentinien zurück und wurde des Mißbrauchs beschuldigt. Und weiter hatte der Papst Erzbischof Wesolowski, den des Mißbrauchs angeklagten Nuntius, in den Vatican, von dem keine Auslieferung beantragt werden konnte und wo der Nuntius starb, ohne auch nur einem Prozess vor dem Vatican-Gericht entgegen gesehen zu haben.
Papst Franziskus hat den Fall von Don Mario Inzoli wiedereröffnet, der wie der vorherige mit einem erneuten Schuldspruch endete. In Argentinien hatte er wegen seiner Handhabung des Grassi-Falls im Rampenlicht gestanden.
Realität ist, daß Papst Franziskus -sowohl beim 2019-Gipfel und bei anderen Gelegenheiten den Mißbrauch des Klerus auf ein spezifisches Phänomen reduzieren wollte und betonen, wie ein System die Kirche angegriffen hat.
Warum wurde Papst Franziskus soviel Kredit eingeräumt im Kampf gegen den Mißbrauch? Wie antwortet er auf die Erwartungen?
Vielleicht weil der Dinge tut, die jede säkulare Institution auch tun würde. Angesichts des Mißbrauchsskandals in Chile reagierte er, indem er das Phänonem fast ignorierte und dann die Chilenische Bischofskonferenz nach Rom einberief und jedem aufforderte zurückzutreten,
Benedikt XVI ist bei einem ähnlichen Fall, den irischen Fall, auf diametral entgegengesetzte Weise vorgegangen: er schrieb persönlich einen Brief an die Irischen Katholiken, bat um Vergebung und hoffte auf eine Änderung in der Gesellschaft und die Übernahme der Verantwortung, entließ aber niemanden. Stattdessen hielt er die Kommandokette der Zuständigkeit ein und überließ den Bischöfen die Aufgabe zu entscheiden- obwohl sie durch die Situation bereits delegitimiert waren.
Das sind zwei unterschiedliche Ansätze, die sich nicht einmal ausschließen würden, wenn nicht Papst Franziskus selbst den Kampf gegen Missbrauch und Transparenz in der Kirche zu seiner Stärke erklärt hätte. So passiert es, daß ein Erzbischof von Paris auf dem "Altar der Heuchelei“ (Papst Franziskus dixit) geopfert und ein anderer, der von Köln, aufgrund eines "Kommunikationsfehlers“ zum Rückzug aufgefordert wird. Beide hatten Vorbehalte gegen Missbrauchsberichte, die ihre Bischofskonferenzen bei externen Stellen in Auftrag gegeben hatten.
Und dann wieder passiert es, daß ein Kardinal, Barbarin, vor Gericht gestellt und freigesprochen wird, weil er nie Missbräuche vertuscht hat, und ein anderer Kardinal, Pell, in Australien von Verleumdungsvorwürfen getroffen wird und sogar Monate im Gefängnis verbringt, bevor er schließlich freigesprochen wird, und das ohne daß der Heilige Stuhl eine förmliche Protestnote schickt.
Das Papsttum der Medien betont die Strafentscheidungen von Papst Franziskus, verbirgt aber gleichzeitig die umstrittensten Entscheidungen, die in die Bilanz seines Kampfes gegen Missbräuche eingefügt werden müssen.
Und dann fragt man sich, ob dieser ganze Medienrummel für die Kirche gute Konsequenzen haben könnte. Am Ende muß über die notwendigen und gerechten Strafen für diejenigen, die ein schweres Verbrechen begehen, hinaus auch erklärt werden, daß nicht die Institution verdorben ist, sondern eher die Menschen.
Das scheint in der Erzählung von Papst Franziskus nicht vorzukommen, der auch Entscheidungen im Einklang mit denen trifft, die der Vorgänger getroffen hätte. Und doch scheint sich trotz Anzeichen von Kontinuität oder Diskontinuität ein Riss in der Kirche aufgetan zu haben.
Der Fall Anatrella könnte daher ein entscheidender Fall für Papst Franziskus werden. Er hat vielleicht einen Unterschied gemacht, aber das tat er spät. Zu spät."
Quelle: A. Gagliarducci, Monday at the Vatican
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