Freitag, 10. Februar 2023

Memoiren des emeritierten Erzbischofs von Brüssel Joseph Léonard und wie er die aktuellen Herausforderungen für die Kirche einschätzt.

Solène Tadié hat für den National Catholic Register den emeritierten Erzbischof von Mechelen-Brüssel und Primas von Belgien André-Joseph Léonard anläßlich der Veröffentlichung seiner Autobiographie zu seinen Erinnerungen und zum derzeitigen Zustand der Kirche befragt.  
Hier geht´s zum Original: klicken

"BELGISCHER ERZBISCHOF: DIE FUNDAMENTALE LEHRE DER KIRCHE IST ZUR ZEIT BEDROHT"

Anläßlich der Veröffentlichung seiner Autobiographie, die die vergangenen 50 Jahre der Kirchengeschichte nachzeichnen, diskutiert der emeritierte Erzbischof André-Joseph Léonard die großen Herausforderungen unserer Zeit.

Der emeritierte Erzbischof von Brüssel-Mechelen André Joseph Lèonard und frühere Primas von Belgien hat gerade ein Buch veröffentlicht, das sicher in der Katholischen Welt nicht unbeachtet bleiben wird. 

"Die Kirche in allen ihren Zuständen: 50 Jahre Diskussionen um den Glauben" wird als autobiographische Zusammenfassung präsentiert, durch die sein Autor eine kompromißlose Analyse der Ereignisse liefert, die während der letzten 50 Jahre in der Kirche stattgefunden haben - von den theologischen und pastoralen Verschiebungen, die die postkonziliare Periode gekennzeichnet haben bis zu den aktuellen Debatten um die Synode zur Synodalität und den diversen sexuellen Mißbrauchsskandalen, die in diesen Jahren vorgekommen sind. 

1940 geboren und 1964 zum Priester geweiht, wurde Léonard 1991 zum Bischof von Namur geweiht, dann 2010 Erzbischof der Erzdiözese von Brüssel-Mechelen. 2015 ist er zurückgetreten.

Seine angeblich orthodoxen Standpunkte in Glaubensfragen und seine Ausgesprochenheit haben ihm oft den Zorn der belgischen Presse eingebracht. 2013 nahmen ihn feministische Aktivistinnen der Femen-Gruppe bei einer Konferenz ins Visier, weil er 2007 inn einem Interview Homosexualität mit einer "blockierten normalen psychologischen Entwicklung" gleichsetzte. Die Bilder des Erzbischofs im stillen Gebet, während er von Oben-Ohne-Femen-Demonstrantinnen naßgespritzt wurde, gingen um die Welt. 

Der Autor von annähernd 30 Büchern, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden, dieser ausgezeichnete Philosoph und Theologe war auch von  1987 bis 1991 Mitglied der Internationalen Theologen-Kommission, was ihm zu zahlreichen Begegnungen mit ihrem damaligen Präsidenten  Kardinal Joseph Ratzinger - dem zukünftigen Papst Benedikt XVI verhalf. Ihm war 1998 auch der Entwurf der Enzyklika Johannes Pauls II  "Fides et Ratio" anvertraut. 

In diesem Interview mit dem Register, teilt er seine persönliche Diagnose mit, die die Kirche und die christliche Welt heute quälen und schaut auf einige der Ereignisse zurück, die sein Leben als Kleriker geprägt haben und diskutiert das Erbe der Päpste, Hl. Johannes Pauls II und Benedikts XVI. 


"Ihr Buch zeichnet die letzten 50 Jahre oder so der Kirchengeschichte nach, deren Zeuge aus  Hand Sie waren. Sie fokussieren sich besonders sehr auf die Post-Vatican II Verschiebungen, deren Zeuge Sie waren, ohne sie direkt auf das Konzil zu beziehen. Sie weisen daarauf hin, daß das Problem nicht in  den Texten des Konzils liegen, sondern an dem was Sie das "Meta-Konzil" der 1970-er nennen. Was meinen Sie damit?" 

Ich meine, daß die Texte des Konzils objektiv einwandfrei sind, was ihren Inhalt angeht, aber daß in den Intentionen gewisser Redakteure oder Sachverständiger zuweilen eine bewusste Mehrdeutigkeit bestand, die dann eine tendenziöse Auslegung zuließ. Mein damaliger Bischof – der zu Recht dafür gekämpft hat, daß die [dogmatische] Kirchenverfassung (Lumen Gentium) nicht bei der Hierarchie, sondern beim Mysterium, also der tiefen Wirklichkeit der Kirche, und beim Volk Gottes als Ganzes ansetzt– hat mir einige Jahre später sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß dieser Ansatz auf eine Weise interpretiert worden sei, die nicht der Sendung der Kirche entspreche, daß dieser Ansatz so interpretiert worden sei, als ob nach dem Vorbild der politischen Demokratien die Lehrautorität der Bischöfe kam von unten und nicht von Christus zu ihnen gekommen sei und er vermutete, daß diese falsche Interpretation der Reihenfolge der Kapitel eine versteckte Absicht bestimmter Experten war.

Sie haben eine Anzahl doktrinaler Themen herausgestellt- wie Frauen-Priestertum,Priester-Ehe und die Segnung homosexueller Paare. Glauben Sie, daß die Kirchenlehre zu diesen Themen in der gegenwärtigen Zeit wirklich bedroht sind? 

Ja, diese Drohung besteht! Sie ist bereits in der pastoralen Sorge vorhanden, die in verschiedenen essentiellen Punkten vom Katholischen Glauben abweichen, so wie, daß das Priestertum den (männlichen) Bräutigam Kirche repräsentiert, Christus, der hohe Wert des priesterlichen Zölibats im Westen und die Komplimentarität von Mann und Frau in der Ehe. Leider  fürchte ich, daß viele der bei der "Synode zur Synodalität" - was für ein absurder Ausdruck-formulierten Forderungen- versuchen werden, diese lebenswichtigen Realitäten zu relativieren. 

Als Erzbischof von Mechelen-Brüssel mußten Sie sich mit sexuellen Mißbrauch-Skandalen in Belgien auseinandersetzen. Nichtsdestoweniger denunzieren Sie den aktuellen Gebrauch des Wortes "systematisch" um dieses Phänomen innerhalb der Kirche zu beschreiben (ein Begriff den der kürzliche Französische Sauvé-Report weithin benutzte) Warum ist dieser Begriff problematisch? 

So bald Benedikt XVI mich zum Oberhaupt der Erzdiözese Mechelen-Brüssel[2010] ernannt hatte, mußte ich mit den Vorwürden gegen den damaligen Bischof von Brügge [Rogef Vanheulwe] befassen, indem ich von Rom seine sofortige Entlassung erreichte. Heute bedaure ich diese Eile, weil weder ein ziviler noch ein kanonischer Prozess diesem erzwungenen Rücktritt vorausging. Es bleiben Fragen. 

Danach haben einige Mitbrüder im belgischen Episkopat, um die Mißbrauchsfälle in der Vergangenheit anzusprechen mit Hilfe qualifizierter Rechtsexperten einen Anhördienst für Opfer organisiert und Prozeduren, um ihnen zu helfen. Das wurde auf hervorragende Weise getan. Und es sind Maßnahmen definiert und in die Praxis umgesetzt worden, damit ähnliche Mißbräuche in Zukunft vermieden werden können. 

Nachdem das gesagt ist, finde ich es unangemessen, den gesamten sexuellen Mißbrauch als "systemisch" zu betrachten, d.h.daß wenn er von einem Kleriker begangen wird, mit der Natur und Funktion der klerikalen oder geweihten Welt zu verbinden; weil in diesem Fall  alle Priester und Mönche, die während ihrer Ausbildung eine gewisse Prägung durchlaufen haben, die Zahl der Mißbrauchstäter sehr hoch sein würde, wohingegen es de facto - glücklicherweise-eine sehr kleine Minderheit  bleibt.  Würden wir darüber hinaus , weil die meiste sexuelle Gewalt in der Familie stattfindet (und von Vätern, Stiefvätern, Großvätern, Onkeln, Brüdern, Cousins begangen wird) auch hier sagen, daß das ab  Problem systemisch ist und daß es die Familie ist, die alle diese Übel verursacht?
Ich fürchte deshalb, ohne in der Lage zu sein, das zu beweisen, daß die geheime- vielleicht unbewußte- Absicht des Sauvé- Reports war, den priesterlichen Zölibat und die Verpflichtung zum geweihten Leben in Frage zu stellen. Das ist fortzusetzen...

Sie sind dem damaligen Kardinal Ratzinger in der zweiten Hälfte der 1980-er begegnet, als die Mitglied der Internationalen Theologen Kommission waren, die er leitete. Welche Erinnerungen an ihn sind Ihnen am meisten im Gedächtnis geblieben?

Ich erinnere vor allem die Höflichkeit und die immense Kultur und Intelligenz des Mannes, Während der Kommissions-Sitzungen hat er kaum in unsere Diskussionen eingegriffen. Aber am Abend hat er uns eine Synthese der während des Tages in den verschiedenen Richtungen ausgedrückten Gedanken angeboten und den genauen Weg der Arbeit des nächsten Tages vorgezeichnet. Wie sein Freund Hans Urs von Balthasar, beherrschte er die Kunst Tiefe mit Präzision zu kombinieren, In seiner freien Zeit hat er uns - wenn wir es wünschten- immer zu einem persönlichen Gespräch von seltener Einfachheit empfangen.  Und wir hatten das Gefühl, einen alten Freund zu treffen. 

Was denken Sie, war sein Hauptbeitrag für die zeitgenössische Kirche - sowohl theologisch als auch pastoral?

Ein Satz aus Psalm 85 faßt seinen Beitrag zusammen: "Liebe und Wahrheit werden sich treffen", sein Motto war "Diener der Wahrheit".  Im Gegensatz zu allen Formen des Relativismus, hat er seine theologische Arbeit der objektiven Wahrheit der biblischen Offenbarung und apostolischen Tradition, ohne Kompromiss, aber mit allen nötigen Nuancen im Ausdrücken dieser Wahrheit. Und auf der praktischen Ebene wußte er, daß man die Wahrheit nicht zwingen kann, die effektiv nur empfangen werden kann, indem man eine Pädagogik entwickelt, die dorthin führt. 

Ich finde daß ein Beispiel für seine theologische Finesse sein Meisterwerk Jesus von Nazareth ist, es ist ihm gelungen, die Anforderungen der historisch-kritischen Methode und der "kanonischen" Exegese zu kombinieren, die die Schrift aus ihr selbst interpretiert, die Bücher des Alten und des Neuen Testamentes auf einander zu beziehen und sie im Licht einer langen Kirchentradition neu zu lesen. 

Ihre Beziehung zu Johannes Paul II hatte eine besondere Wirkung auf Ihre persönliche Reise. Er beschloss, Ihnen den Entwurf der wichtigen Enzyklika Fides et Ratio anzuvertrauen und hat Sie auch ausgewählt, 1998 bei den Fasten-Exerzitien zu predigen. Während die spirituelle Kontinuität zwischen ihm  und seinem Nachfolger Benedikt XVI oft erwähnt wird, was würden Sie sagen. ist die Essenz jedes dieser beiden Pontifikate?

Ich bin in der Tat gebeten worden, einen vollständigen Text über die Beziehung zwischen Glauben und Vernunft zu schreiben, der nach meiner Ernennung zum Bischof von Namur von Experten gemischt, angereichert, vollendet und von Experten gekürzt wurde, was ganz normal ist. Johannes Paul II und Benedikt XVI hatten unterschiedliche Temperamente. Obwohl er ein sehr tiefes, spirituelles und innerliches Leben führte, hatte Johannes Paul II ein große Begabung  dafür, Massen anzusprechen. Benedikt XVI war ebenso tief und spirituell, glänzte aber mehr bei persönlichen Begegnungen, kämpfte aber darum, die Begeisterung der Menge hervorzurufen.  Was sie jedoch-außer einem unerschütterlichen Glauben-war eine außergewöhnliche Kultiviertheit, hauptsächlich philosophisch im Fall von Johannes Paul II und hauptsächlich theologisch im Fall von Benedikt XVI, obwohl beide auf beiden Gebieten exzellent waren. 

In Ihrem Buch erzählen Sie, daß Sie ihn während eines privaten Treffens mit Johannes Paul II. auf sein zunehmendes Beharren in seinen Predigten auf das Herannahen der Parusie – das Ende der Zeiten und das Wiederkommen Jesu in Herrlichkeit – hingewiesen haben, und daß er Ihr Gefühl bestätigte. Die Welt und die Kirche haben im Laufe der Geschichte ähnliche oder sogar noch tragischere Perioden des Chaos erlebt als heute. Wie erklären Sie sich ein solches Beharren seitens Johannes Paul II.?

Ihre Frage ist durchaus angebracht. Bei mehreren Gelegenheiten in der Geschichte der Kirche haben wir geglaubt, daß das Ende dieser Welt gekommen sei. Tatsächlich befinden wir uns seit der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu per Definition am Ende der Zeiten. Das Spezifische unserer Zeit aber ist die Globalisierung der Menschheit, die eine Parusie mit notwendigerweise universeller Dimension ermöglicht. Denn die Wiederkunft Jesu in Herrlichkeit kann nicht einen einzigen Kontinent betreffen; es wird sich auf die gesamte Menschheitsgeschichte und auf die gesamte Geographie der Erde beziehen. Außerdem fällt mir auf, daß die zahlreichen erkannten oder noch zu erkennenden marianischen Erscheinungen der letzten Zeit fast alle einen eschatologischen Beigeschmack haben. Vielleicht war auch Johannes Paul II. dafür sensibel. Aber es wäre unangebracht gewesen, ihn zu fragen, woraus er persönlich diese Hoffnung und diese Überzeugung schöpfte.

Sie machen auch die schmerzliche Beobachtung, daß "sogar die Christlichen Kirchen im Westen oft ihre Seele verloren haben." "Das Salz ist fade geworden und wir können nicht länger erkennen, wie wir seinen Geschmack wieder herstellen können" sagen Sie. Was läßt Sie das denken?

Die gesamte zeitgenössische Kultur- oder ihre Abwesenheit- sind durch diesen Relativismus geprägt, der zu Recht von Benedikt XVI verurteilt wird, und es ist unausweichlich, daß die lebhafte Flamme des christlichen Lebens an Kraft verliert.

Weihnachten, das Wunder der Inkarnation, ist aufgelöst und Schneelandschafen, Tannenbäume, einen lächerlichen Weihnachtsmann und Puter oder Foie gras. Der Geburtstag Jesu wird gefeiert, aber die Rathäuser sind angewiesen, den Namen des einen, dessen Tag der "Geburt" gefeiert wird, nie zu erwähnen. Es ist so als veranstalte man eine schöne Geburtstagsparty für einen Freund und seinen Namen niemals nennen. Da sind wir....Ostern, das wichtigste Ereignis in der menschlichen Geschichte ist auf Schokoladeneier reduziert worden. Die Pandemie wird als Vorwand benutzt, die Hl. Messe zu einer Fernseh-Show zu reduzieren, anzuordnen, nicht zu reisen und die Kommunion mit dem Leib Christi zum Zufall werden zu lassen. Fast alle Katholischen Institutionendefinieren sich selbst als sogenannte "christliche oder evangelische" Werte, ohne auch nur den Namen Christi zu erwähnen. Alle unsere Gesellschaften müssen wieder evangelisiert werden.
Glücklicherweise gibt es Zentren Christlichen Lebens, Bewegungen mit einem evangelikalen Eifer, bereit die Schönheit Christi in guten und schlechten Zeiten zu verkünden, ohne sich selbst durch jene (einschließlich von Bischöfen) entmutigen zu lassen, die pausenlos predigen. "vor allem kein Proselytismus!" Sie diskreditieren den Hl. Paulus, ihn, der der größte Proselyt in der Kirchengeschichte war, er, der redete und handelte, um der größtmöglichen Zahl von Menschen zu erlauben, Christus näher zu kommen. Das ist, was das griechische Wort proselyte bedeutet: "der, der dazu kommt".

Sie schauen auf ihre vielen pastoralen Besuche als Bischof rund um die Welt zurück, vor allem auf die in den USA. Was sind, glauben Sie. die wichtigsten Realitäten in jenem Land?

Ich bewundere die Tatsache, daß in den USA viele Christen gegen die Trivialisierung von Abtreibung kämpfen und dieses Engagement mit aktiven Bemühungen Frauen zu helfen, für die eine Schwangerschaft viele Schwierigkeiten mitbringt. Wir brauchen beides: Abtreibung verurteilen und schwangere Frauen in Schwierigkeiten unterstützen.

Allgemeiner gesagt, während meines einzigen Besuchs in den USA, einige Wochen vor der Tragödie der Zwillingstürme, habe ich die Vitalität der Katholischen Gemeindene bewundert, die ich besucht habe."

Quelle: S. Tadié, NCR
 

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