Mittwoch, 8. Februar 2023

Sandro Magister: Ein unveröffentlichter Text von Papst Benedikt XVI

Sandro Magister kommentiert bei Settimo Cielo einen der im posthum erschienenen Buch von Papst Benedikt XVI "Was ist das Christentum. Fast ein geistliches Testament" Texte über die Bedeutung der Eucharistie und die Unmöglichkeit der Interkommunion mit Protestanten. Mit Erlaubnis des Verlages veröffentlicht er anschließend einen Teil dieses Essays.
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"DIE KATHOLISCHE MESSE, WIE SIE NOCH NIE JEMAND ERKLÄRT HAT. EIN UNVERÖFFENTLICHTES WERK VON PAPST BENEDIKT" 

Von den fünfzehn Texten, die Benedikt XVI nach seinem Rücktritt vom Papsttum verfasste, die nach seinem Tod auf sein Geheiß hin veröffentlicht wurden, in dem von Mondadori herausgegebenen Band "Was ist das Christentum. Fast ein geistliches Testament", vier sind unveröffentlicht und unter ihnen gibt es einen, der vor allem hervorsticht.

Er ist 17 Seiten lang und trägt den Titel: "Der Sinn der Gemeinschaft". Er wurde am 28. Juni 2018 abgeschlossen, gerade als innerhalb der deutschen Kirche und zwischen ihr und Rom ein sehr hitziger Konflikt über die Frage entbrannt war, ob die eucharistische Kommunion auch protestantischen Ehepartnern gegeben werden sollte oder nicht, im Falle interkonfessioneller Ehen, mit Papst Franziskus in Verwirrung, jetzt für ja und dann für nein. Und manchmal mit Ja und Nein zusammen gesagt.

In diesem Schreiben geht Joseph Ratzinger der Frage auf den Grund. Wenn selbst Katholiken die Messe auf ein brüderliches Tafelessen reduzieren, wie es für Protestanten der Fall ist, dann ist alles erlaubt, auch diese Interkommunion - schreibt er - wird nach dem Fall der Berliner Mauer zum politischen Siegel der deutschen Wiedervereinigung, wie es tatsächlich "unter den Augen der Kameras" geschah.

Aber die Messe ist kein Abendmahl, auch wenn sie während des letzten Abendmahls Jesu geboren wurde. Es leitet sich auch nicht von Jesu Mahlzeiten mit Sündern ab. Von Anfang an ist es nur für die Gemeinschaft der Gläubigen, vorbehaltlich "strenger Zugangsbedingungen". Sein richtiger Name ist »Eucharistia« und im Mittelpunkt steht die österliche Begegnung mit dem auferstandenen Jesus. Mehr als viele Liturgiker haben jene Jugendlichen, die den Herrn in der geweihten Hostie bei den Weltjugendtagen in Köln, Sydney und Madrid still anbeteten, sein Wesen verstanden - so Benedikt.

Der erste Teil von Benedikts Essay ist unten wiedergegeben. Gelehrt und agil zugleich. Mit Aufblitzen persönlicher Erinnerungen und mit schnellen und eindrucksvollen Anspielungen auf Fragen wie die Grundlagen des priesterlichen Zölibats oder die Bedeutung des »täglichen Brotes«, das im Vaterunser angerufen wird.

Die Publikation ist autorisiert von Piergiorgio Nicolazzini Literary Agency, PNLA - © 2023 Mondadori Libri S.p.A., Mailand, und © 2023 Elio Guerriero für das Kuratorium.

Quelle: S. Magister, Settimo Cielo

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                                      DIE BEDEUTUNG DER KOMMUNION

In den letzten Jahrhunderten hat die Feier des Abendmahls keineswegs einen zentralen Platz iM kirchlichen Leben der protestantischen Kirchen eingenommen. In vielen Gemeinden wurde das Heilige Abendmahl nur einmal im Jahr, am Karfreitag, gefeiert. [...] Es ist offensichtlich, dass die Frage der Interkommunion im Vergleich zu einer solchen Praxis keine Relevanz hat. Nur eine vernünftige Anpassung an die heutige Form des katholischen Zusammenlebens kann die Frage menschlich dringlich machen.

In der alten Kirche wurde überraschenderweise die tägliche Feier der Heiligen Messe sehr früh als selbstverständlich angesehen. Soweit ich weiß, gab es keine Diskussion über diese Praxis, die friedlich durchgesetzt wurde. Nur so kann man verstehen, warum [im "Pater noster"] das geheimnisvolle Adjektiv "epiousion" fast offensichtlich mit "quotidianus" übersetzt wurde. Für den Christen ist das "Übersubstanzielle" die tägliche Notwendigkeit. Die tägliche Eucharistiefeier erwies sich besonders für Priester und Bischöfe als "Priester" des Neuen Bundes als notwendig. Die zölibatäre Lebensform spielte dabei eine bedeutende Rolle. Der direkte, "leibliche" Kontakt mit den Geheimnissen Gottes hatte bereits in alttestamentlicher Zeit eine bedeutende Rolle dabei gespielt, die eheliche Praxis in den Tagen, als der zuständige Priester dafür verantwortlich war, auszuschließen. Da aber der christliche Priester sich nun nicht mehr nur vorübergehend mit den heiligen Geheimnissen befasste, sondern für immer für den Leib des Herrn, für das »tägliche« Brot verantwortlich war, wurde es zur Notwendigkeit, sich ihm ganz hinzugeben. [...]

Die Praxis des Kommunionempfangs unterlag jedoch für die Laien erheblichen Veränderungen. Natürlich verlangte das Sonntagsgebot, dass jeder Katholik am Tag des Herrn an der Feier der Mysterien teilnahm, aber die katholische Konzeption der Eucharistie beinhaltete nicht unbedingt den wöchentlichen Empfang der Kommunion.

Ich erinnere mich, daß es in der Zeit nach den zwanziger Jahren für die verschiedenen Lebensstände in der Kirche Tage der Kommunion gab, die als solche immer auch Tage der Beichte waren und so auch im Leben der Familien eine herausragende Stellung einnahmen. Es war ein Gebot, mindestens einmal im Jahr zu beichten und während der Osterzeit die Kommunion zu empfangen. [...] Als der Bauer, das Familienoberhaupt, gebeichtet hatte, herrschte auf dem Hof eine besondere Atmosphäre: Jeder vermied alles, was ihn aufregen und so seinen Reinheitszustand angesichts der heiligen Geheimnisse gefährden könnte. In diesen Jahrhunderten wurde das Heilige Abendmahl nicht während der heiligen Messe gespendet, sondern getrennt vor oder nach der Eucharistiefeier. [...]

Aber es gab auch immer Strömungen, die auf eine häufigere Kommunion ausgerichtet waren, die mehr mit der Liturgie verbunden war und die mit dem Beginn der liturgischen Bewegung an Stärke gewonnen haben. [...] Das Zweite Vatikanische Konzil erkannte die guten Gründe dafür an und versuchte damit, die innere Einheit zwischen der gemeinsamen Feier der Eucharistie und dem persönlichen Empfang der Kommunion hervorzuheben.

Gleichzeitig gab es vor allem in den Kriegsjahren im evangelischen Lager eine Spaltung zwischen dem Dritten Reich und den sogenannten "deutschen Christen", den deutschen Christen, einerseits und der "bekennenden Kirche" andererseits. Diese Spaltung führte zu einer neuen Vereinbarung zwischen den "bekennenden Christen", den evangelikalen bekennenden Christen, und der katholischen Kirche. Das Ergebnis war ein günstiger Impuls für die gemeinsame eucharistische Gemeinschaft unter den Konfessionen. In dieser Situation wuchs der Wunsch nach einem einzigen Leib des Herrn, aber heute läuft er Gefahr, sein starkes religiöses Fundament zu verlieren und wird in einer äußeren Kirche mehr von politischen und sozialen Kräften bestimmt als von der inneren Suche nach dem Herrn.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an das Bild eines katholischen Bundeskanzlers, der vor dem Auge der Kamera und damit auch vor den Augen religiös Gleichgültiger aus dem eucharistischen Kelch trank. Diese Geste erschien kurz nach der Wiedervereinigung als ein im Wesentlichen politischer Akt, in dem die Einheit aller Deutschen manifestiert wurde. Rückblickend spüre ich auch heute wieder mit großer Kraft die Entfremdung des Glaubens, die auf diese Weise entstanden ist. Und wenn Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, die zugleich Synodenvorsitzende ihrer Kirche waren, regelmäßig nach interkonfessioneller eucharistischer Kommunion gerufen haben, sehe ich, wie die Bitte um gemeinsames Brot und Kelch anderen Zwecken dient.

Zur gegenwärtigen Situation des eucharistischen Lebens in der katholischen Kirche mögen einige Hinweise genügen. Ein Prozess von großem Ausmaß ist das fast vollständige Verschwinden des Bußsakraments, das infolge des Streits um die Sakramentalität oder Nichtserität der kollektiven Absolution in weiten Teilen der Kirche praktisch verschwunden ist und es geschafft hat, nur in den Heiligtümern eine gewisse Zuflucht zu finden. [...] Mit dem Verschwinden des Bußsakraments hat sich eine funktionale Konzeption der Eucharistie verbreitet. [...] Diejenigen, die bei der Eucharistiefeier anwesend sind, die als reines Abendmahl verstanden wird, empfangen natürlich auch das Geschenk der Eucharistie. In einer solchen Situation der sehr fortgeschrittenen Protestantisierung des Verständnisses der Eucharistie erscheint die Interkommunion natürlich. Andererseits ist das katholische Verständnis der Eucharistie aber nicht ganz verschwunden, und vor allem die Weltjugendtage haben zu einer Wiederentdeckung der eucharistischen Anbetung und damit auch der Gegenwart des Herrn im Sakrament geführt.

Seit der protestantischen Exegese wurde zunehmend die Meinung bestätigt, daß das Letzte Abendmahl Jesu aus den sogenannten "Mahlzeiten mit Sündern" des Meisters zubereitet wurde und nur auf deren Grundlage verstanden werden konnte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Opfer des Leibes und Blutes Jesu Christi steht nicht in direktem Zusammenhang mit Mahlzeiten mit Sündern. Unabhängig davon, ob das letzte Abendmahl Jesu ein Passahmahl war oder nicht, passt es in die theologische und juristische Tradition des Pessachfestes. Folglich ist sie eng mit Familie, Heimat und Zugehörigkeit zum Volk Israel verbunden. Gemäß dieser Vorschrift feierte Jesus Pessach mit seiner Familie, das heißt mit den Aposteln, die seine neue Familie geworden waren. Damit erfüllte er ein Gebot, wonach Pilger, die nach Jerusalem gingen, sich in Kompanien, den sogenannten "Chaburot", zusammenschließen konnten.

Die Christen setzten diese Tradition fort. Sie sind seine »Chabura«, seine Familie, die er aus seiner Pilgergemeinschaft gebildet hat, die mit ihm den Weg des Evangeliums durch das Land der Geschichte gehen. So war die Feier der Eucharistie in der alten Kirche von Anfang an mit der Gemeinschaft der Gläubigen und damit mit strengen Zugangsbedingungen verbunden, wie aus den ältesten Quellen hervorgeht: "Didache", Justinus Märtyrer usw. Das hat nichts mit Parolen wie "offene Kirche" oder "geschlossene Kirche" zu tun. Vielmehr ist das tiefe Werden der Kirche, des Leibes mit dem Herrn, eine Voraussetzung, damit sie ihr Leben und ihr Licht kraftvoll in die Welt bringen kann.

In den kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation hervorgegangen sind, werden die Feiern des Sakraments "Abendmahl" genannt. In der katholischen Kirche wird die Feier des Sakraments des Leibes und Blutes Christi "Eucharistie" genannt. Dies ist keine beiläufige, rein sprachliche Unterscheidung. In der Unterscheidung der Konfessionen hingegen gibt es einen tiefgreifenden Unterschied, der mit dem Verständnis des Sakraments selbst zusammenhängt. Der bekannte evangelische Theologe Edmund Schlink erklärte in einer viel gehörten Rede während des Konzils, dass er die Einsetzung des Herrn in der katholischen Eucharistiefeier nicht erkennen könne. [...] Er war offenbar davon überzeugt, dass Luther durch die Rückkehr zur reinen Struktur des Abendmahls die katholische Fälschung überwunden und sichtbar die Treue zum Auftrag des Herrn "Tu dies..." wiederhergestellt hatte.

Es braucht hier nicht erörtert zu werden, was inzwischen eine feststehende Tatsache ist, nämlich, daß aus rein historischer Sicht sogar das Abendmahl Jesu ganz anders war als eine Feier des lutherischen Abendmahls. Es ist jedoch richtig festzustellen, daß die frühe Kirche das Abendmahl nicht phänomenologisch wiederholte, sondern anstelle des Abendmahls bewusst am Morgen die Begegnung mit dem Herrn feierte, die schon in frühester Zeit nicht mehr Abendmahl, sondern Eucharistie genannt wurde. Nur in der Begegnung mit dem Auferstandenen am Morgen des ersten Tages ist die Einsetzung der Eucharistie vollendet, denn nur mit dem lebendigen Christus können die heiligen Geheimnisse gefeiert werden.

Was ist hier passiert? Warum hat die entstehende Kirche so gehandelt? Kehren wir für einen Augenblick zum Abendmahl Jesu und zur Einsetzung der Eucharistie während des Abendmahls zurück. Als der Herr sagte: "Tu dies", wollte er seine Jünger nicht einladen, das Letzte Abendmahl als solches zu wiederholen. Wenn es eine Feier von Pessach war, ist es klar, dass Pessach nach den Regeln des Exodus einmal im Jahr gefeiert wurde und nicht mehrmals im Jahr wiederholt werden konnte. Aber auch unabhängig davon ist es offensichtlich, dass nicht der Auftrag erteilt wurde, das gesamte Abendmahl jener Zeit zu wiederholen, sondern nur das neue Opfer Jesu, in dem gemäß den Gründungsworten die Tradition des Sinai mit der Verkündigung des Neuen Bundes verbunden ist, die besonders von Jeremia bezeugt wurde. Die Kirche, die wusste, dass sie an die Worte "Tu dies" gebunden war, wusste daher zugleich, dass sie das Abendmahl nicht als Ganzes wiederholen sollte, sondern dass es notwendig war, das wesentlich Neue zu extrapolieren, und dass aus diesem Grund eine neue Gesamtform gefunden werden musste. [...]

Schon der älteste Bericht über die Feier der Eucharistie, den wir haben – derjenige, der uns um 155 von Justin dem Märtyrer überliefert wurde – zeigt, daß sich eine neue Einheit gebildet hatte, die aus zwei grundlegenden Komponenten bestand: der Begegnung mit dem Wort Gottes in einem Wortgottesdienst und dann der "Eucharistie" als "logiké latreia". "Eucharistie" ist die Übersetzung des hebräischen Wortes "berakah", Danksagung, und bezeichnet den zentralen Kern des jüdischen Glaubens und Gebets zur Zeit Jesu. In den Texten über das Letzte Abendmahl wird uns ausführlich gesagt, daß Jesus »mit dem Segensgebet dankte«, und deshalb ist die Eucharistie zusammen mit den Opfergaben von Brot und Wein als Kern der Form seines Letzten Abendmahls zu betrachten. Es waren vor allem J.A. Jungmann und Louis Bouyer, die die Bedeutung der "Eucharistie" als konstitutives Element betonten.

Wenn die Feier der Einsetzung Jesu, die im Rahmen des Letzten Abendmahls stattgefunden hat, Eucharistie genannt wird, werden sowohl der Gehorsam gegenüber der Einsetzung Jesu als auch die neue Form des Sakraments, die in der Begegnung mit dem Auferstandenen entwickelt wurde, gültig mit diesem Begriff ausgedrückt. Es ist keine Wiedergabe des Letzten Abendmahls Jesu, sondern des neuen Ereignisses der Begegnung mit dem Auferstandenen: Neuheit und Treue gehen Hand in Hand. Der Unterschied zwischen den Konfessionen "Abendmahl" und "Eucharistie" ist nicht oberflächlich und zufällig, sondern weist auf einen grundlegenden Unterschied im Verständnis des Auftrags Jesu hin."

Quelle: "Was ist das Christentum. Fast ein geistliches Testament", Settimo Cielo, S. Magister

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