Samstag, 15. April 2023

Die Causa Orlandi : immer für eine Verleumdung gut und kein Ende

In einem Leitartikel für La Nuova Bussola Quotidiana kommentiert Enrico Spuntoni die skandalöse Sendung Di Martedi bei TV7 mit den neuen Anschuldigungen Pietro Orlandis u.a. gegen Papst Johannes Paul II, das lange und seltsame Schweigen des Vaticans dazu und die prompte und massive Antwort von Kardinal Dziwicz. Hier geht´s zum Original: klicken 

"DER HEILIGE STUHL REAGIERT SPÄT AUF DEN AUF PAPST WOJTYLA GEWORFENEN SCHMUTZ"

Wer weiß, ob ohne die klare Antwort von Kardinal Dziwisz,  sie jenseits des Tibers auf die Andeutungen reagiert hätten, die live im Fernsehen über Johannes Paul II. verbreitet wurden. Torniellis Leitartikel ist präzise und pünktlich in seinen Argumenten, aber das Schweigen des Vatikans lässt uns bestürzt zurück.

Es bedurfte der Intervention eines 83-jährigen emeritierten Erzbischofs, der in Polen lebt, um eine Reaktion des Heiligen Stuhls auf die sehr ernsten Unterstellungen über Johannes Paul II. zu veranlassen, die Pietro Orlandi live auf DiMartedì gemacht hat. Wäre ohne die entschlossene Erklärung von Kardinal Stanisław Dziwisz, der diejenigen, die vom Bruder des 1983 verschwundenen Teenagers ventiliert wurden, als "delirierende Anschuldigungen" und "kriminell" brandmarkte, der gestern im L'Osservatore Romano veröffentlichte Leitartikel, der vom Direktor des Dikasteriums für Kommunikation, Andrea Tornielli, unterzeichnet wurde,  erschienen?

Es ist legitim, sich das zu fragen, weil die erste offizielle Stellungnahme des Heiligen Stuhls drei Tage nach der schändlichen Ausstrahlung der Schande kommt, in der nicht nur unbegründete Verleumdungen aus Bars über einen Mann ausgeschüttet wurden, der von Katholiken auf der ganzen Welt als Heiliger verehrt wird, ins nationale Rampenlicht gerückt wurden, sondern auch eine alte Aufzeichnung eines ehemaligen selbsternannten Kriminellen, die übliche schwarze Sauce der Banda  della Magliana (eine Mafia-Gruppe) und vom Vatican erneut ausgegossen wurde, um dem Fall Orlandi seine Lösung zu geben: der Künstler Enrico De Pedis, zwischengeschaltete Gefängnisseelsorger, Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli und Johannes Paul II. sind moralisch verantwortlich. In diesem Audio und seiner Verbreitung hat Dziwicz den Punkt gut getroffen und in seinem Statement gegen "diese Unterstellungen, die aus schwer fassbaren Umgebungen der römischen Unterwelt stammen wollen, die nun einen Anschein von Pseudo-Präsentierbarkeit erhalten wollen", gedonnert.

Torniellis Leitartikel ist völlig zuzustimmen, vor allem, da wo er das Verhalten im Studio angreift, wo gleichzeitig (und vor allem ohne Beweise oder Hinweise) so schwerwiegenden Anschuldigungen gegen eine Figur wie Karol Wojtyla erhoben wurden, unter anspielungsreichem Lächeln und selbstbewussten Aussagen. Die große Zuneigung des Volkes, die den vierzigjährigen Kampf um die Aufklärung dieses Geheimnisses begleitet hat, darf nicht mit einem Schutzschild verwechselt werden, der es erlaubt, jede Anklage und jede Rekonstruktion in die Luft zu posaunen, auch wenn sie ohne Beweise und vor allem ohne jede Vernunft sind.


Das schwerwiegende Foul gegen Johannes Paul II. sollte die Medien dazu veranlassen, die bisherige Herangehensweise an die Medienbearbeitung des Orlandi-Falles zu ändern: Ist es wirklich richtig, den Dutzenden und Aberdutzenden von angeblichen Gerüchten, die jedes Jahr auftauchen, Raum – und damit Glaubwürdigkeit – zu geben? Ist es richtig, nicht über die zahlreichen Löcher in diesen Statements zu berichten, die zyklisch mit sensationslüsternen Tönen präsentiert werden?

Es ist ein Thema, dem sich in gewisser Weise auch die vatikanische Justiz stellen muss. In einem Interview, das wenige Stunden vor dem Treffen mit Pietro Orlandi, dem Förderer der Gerechtigkeit, im Corriere della Sera veröffentlicht wurde, sagte Alessandro Diddi, daß er direkt vom Papst den Auftrag erhalten habe, diesen Fall zu untersuchen. Nach dem Interview sprach der Bruder des Mädchens von einem "historischen Tag" und lobte die Tatsache, daß er "zum ersten Mal" "eingehend befragt" worden sei. Um das Treffen wurde von Orlandi gebeten, "um seine eigenen Erklärungen abzugeben und alle Informationen anzubieten, die sich in seinem Besitz befinden".

Worum es bei diesen Informationen ging, sagte Emmanuelas Bruder der Presse nach dem Interview: außer dem präsentierten Screenshot eines Chats, der angeblich 2014 stattgefunden haben soll (d. h. 31 Jahre nach den Verschwinden), in dem Kardinal Abril y Castello und Msgr. Lucio Vallejo Balda über Vorkehrungen die getroffen werden sollten und Grabräuber, die zu bezahlen waren, gesprochen haben sollen, ist da auch noch die Spur nach London, die sich auf eine vom Journalisten Emanuele Fittipaldi beruft, die der Hl. Stuhl bereits 2017 als "falsch und lächerlich" abgestempelt hat, bis hin zum Vorwurf der "Pädophilie". Das bei den laufenden Ermittlungen zu berücksichtigen, würde also bedeuten, zuzugeben, daß man sich geirrt oder sogar vor sechs Jahren gelogen hat. Dann der Vorwurf der Pädophilie unter den hohen Prälaten mit der Aufforderung, bei allen "vom Kleinsten zum Größten" zu recherchieren, die kurz darauf in den Fernsehstudios explizit von Giovanni Floris gemacht worden zu sein scheint.

Orlandi sagte, er habe Diddi auch das Audio des ehemaligen Mitglieds des römischen Verbrechens übergeben, das wiederholt auf La7 mit Worten über Wojtyla ausgestrahlt wurde, die seinen früheren Sekretär Dziwisz und viele Gläubige verärgert haben. Nach Orlandis Aussagen hätte sich der Förderer der Gerechtigkeit  jedoch bereit erklärt, alle von ihm in dem Interview aufgezeigten Wege in Betracht zu ziehen und keinen von ihnen auszuschließen. Emanuelas Bruder behauptete sogar, daß er in Bezug auf ihr langes Gespräch zu ihm gesagt hätte: "Du hast uns mit den Dingen, die du uns erzählst, neue Welten eröffnet."

Drei Tage nach diesen Erklärungen gab es immer noch kein Dementi oder eine Klarstellung durch das Presseamt des Heiligen Stuhls. So wie es vor Torniellis Leitartikel nach dem Kommuniqué von Dziwisz keinen Hinweis gab, um die Anspielungen auf Johannes Paul II. zu stigmatisieren. Ein schwerwiegendes Schweigen, das eine Veränderung im Vergleich zur Vergangenheit darstellt, sogar in jüngster Zeit, als das Presseamt des Heiligen Stuhls mit neuen haltlosen Pressegerüchten konfrontiert wurde, die von der Verwicklung des Vatikans in das Verschwinden des Mädchens sprachen, hatte das Presseamt des Heiligen Stuhls nicht gezögert, Notizen herauszugeben, um es mit Verachtung zu leugnen: Es war, wie erwähnt, im Fall von Fittipaldis Dossier geschehen. Im Jahr 2008 intervenierte der Heilige Stuhl, wiederum unter Bezugnahme auf den Fall Orlandi, trocken, um die "grundlosen verleumderischen Anschuldigungen gegen Msgr. Marcinkus, der vor einiger Zeit verstorben ist und sich nicht verteidigen konnte", zurückzuweisen. Eine Behandlung, die seinerzeit dem umstrittenen (zumindest von der Presse) amerikanischen Prälaten vorbehalten war, die diesmal nicht für einen vom jetzigen Papst heiliggesprochenen Papst gesehen wurde.

In den selben Stunden, in denen nach den schweren Anschuldigungen gegen Wojtyla Schweigen herrschte, verschickte das Presseamt des Heiligen Stuhls jedoch Kommuniqués über Ereignisse in Stiftungen, die nach ihm benannt sind. Wenn man es für unnötig hält, solche schwerwiegenden Anschuldigungen gegen einen Papst, der bis vor achtzehn Jahren regierte, sofort und verächtlich zurückzuweisen, wenn man es für nicht dringend hält, die Richtigkeit von Orlandis Aussagen zu bestätigen oder zurückzuweisen, die auf die Bereitschaft des vatikanischen Untersuchungsbeauftragten hindeuten, auch die Unterstellung in Bezug auf Johannes Paul II. zu berücksichtigen, dann könnte man denken, daß der Schatten des Verdachts auf einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Kirche des Zwanzigsten Jahrhunderts tolerierbar ist. Aber wenn es wirklich eine Möglichkeit gab, dass der polnische Heilige in den "Mist" verwickelt war, der ihm in diesen Tagen zugeschrieben wird, sollten wir im Vatikan die "Hütte und die Marionetten" für immer schließen, anstatt Kommuniqués der Stiftungen zu verschicken, die seinen Namen tragen.  Offensichtlich ist dies nicht der Fall, und deshalb war es nicht nur angemessen, sondern unvermeidlich, einzugreifen - und nicht erst nach drei Tagen -, um das zu verurteilen, was Kardinal Dziwisz als " Strafanzeige" bezeichnet hat."

Quelle: E. Spuntoni, LNBQ

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