Montag, 22. Mai 2023

Wie sich die Gesetzgebung und die Veränderungen durch Papst Franziskus aus den Heiligen Stuhl auswirken

In seiner heutigen Kolumne in Monday at the Vatican analysiert und kommentiert A. Gagliarducci die Auswirkungen der Gesetzgebung von Papst Franziskus und die von ihm  durchgeführten Änderungen in den Statuten des Vatican-Staates. 
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"PAPST FRANZISKUS UND DIE VATICANISIERUNG DES HEILIGEN STUHLS" 

Was unter Papst Franziskus passiert scheint ein Prozess der Vaticanisierung des Heiligen Stuhls zu sein. Es ist eine Art kopernikanische Revolution, die wirkungsvoll ein fundamentales Prinzip umwirft. Der Vatican-Staat wurde de facto geplant, dem Hl. Stuhl zu dienen, seine Existenz garantiert eine Souveränität, die weit mehr ist als nur eine Formalität. Aber Papst Franziskus hat den Staat durch eine Serie scheinbar nebensächlicher Entscheidungen immer zentraler werden lassen. Entscheidungen, die die Perspektive umgekehrt haben und die den Staat zu der zentralen Einheit machen, der der Hl. Stuhl folgen muß. Eine Vaticanisierung des Hl. Stuhls begann bemerkbar zu werden, als Papst Franziskus beschloss, mit vier Reskripten in den Prozess zum Management der Fonds des Staatssekretariats einzugreifen und de facto die Prozess-Vorschriften änderte, während der Prozess noch lief. Der Papst hat natürlich die Macht, das zu tun, weil der Souverän und die höchste Legislative Instanz ist. Aber Päpste haben das nie getan, um zu vermeiden, den Staat wichtiger werden zu lassen, als die internationale Entität. 

Was würde also wirklich passieren, wenn der Hl. Stuhl sich in einem internationalen Forum befände , das ein ordnungsgemäßes Verfahren verteidigt, und sich mit einem Justizsystem auseinandersetzen müsste, das die Gesetze ändert, während die Prozesse laufen? Wie viel Glaubwürdigkeit hätte der Heilige Stuhl bei der Unterzeichnung internationaler Verträge, wenn diese Verträge dann missachtet werden, zumindest grundsätzlich oder hinsichtlich ihrer Anwendung

Wir sehen uns Entscheidungen gegenüber, die- auch wenn sie einer internen Logik folgen- internationale Konsequenzen haben, die nicht unterschätzt werden sollten. Das sind Reformen, wie alle anderen von Papst Franziskus, die Auswirkungen weit über die Grenzen des Vatican-Staates haben.

Ein Beispiel sind die neuen Statuten der Finanz-Aufsichtsbehörde.  2020 erlassen, änderten die  Statuten den Namen der Behörde in  Finanzielle Aufklärungs- und Aufsichtsbehörde und verlieht der Rolle des Präsidenten größere Autorität. Aber die Statuten für die Rolle des Präsidenten wurden sokonzipiert, daß sie garantieren sollten, ihn daran zu hindern, als ein Deus ex machina agieren zu müssen und die Mitglieder daran, andere externen Aktivitäten nachzugehen, um einen Interessenkonflikt zu vermeiden. 


Auf europäischer Ebene -und insbesondere gegen Geldwäsche könnten die neue Rechtsprechung des Vaticans, die die vorhergehenden Reformen widerruft und allen Richtern und Staatsanwälten Teilzeitarbeit zugesteht, Sorgen verursachen. Das ist ein Beschluss, der eine besonders schwierige Situation schafft. Es is so, als ob ein Staatsanwalt in den USA gleichzeitig Rechtsanwalt in Frankreich wäre. Und tatsächlich war das Gesetz so angepaßt worden, daß zumindest einer der Richter und einer der Staatsanwälte im Vatican in Vollzeit arbeitet. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. 

In einem Crescendo der Reformen dieser Art, die den besonderen Charakter des Vatican-Staates und des Heiligen Stuhls nicht zu berücksichtigen scheint, scheint die fast plötzliche Einführung des neuen Grundgesetzes des Vatican-Staates ein Schritt in eine andere Richtung zu sein. 

Das letzte Grundgesetz war 2000 von Johannes Paul II approbiert worden und hatte ein präzises Ziel: anzuerkennen, daß das Handeln des Papstes eine universale Dimension besitzt, anders als das eines weltlichen Monarchen und daß staatliche  Pflichten, Machbefugnisse könnte man sagen, einer aus Kardinälen zusammengesetzten Kommission überlassen wurde, weil sie dem Papst gleichrangig waren und die selben Regierungsmachtbefugnisse teilten. 

Das Grundgesetz von Johannes Paul II spiegelte einen Weg der schrittweisen Entfernung der Aufgaben der ordentlichen Verwaltung von der Person des Papstes wider. Dieser Weg begann 1939 mit Pius XI., der von einer Regierung mit Hilfe eines Gouverneurs zu der einer Kardinalskommission überging. Dann übertrug Johannes Paul II 1984 seine Vorrechte dem Staatssekretär, bis er im Jahr 2000 das neue Grundgesetz verkündete.

Mit Papst Franziskus kehren wir jedoch offenbar zu einer zentralen Rolle eines Papstes zurück, der allein Macht hat und Funktionen nur an andere delegiert. Nicht nur. Regierungsaufgaben werden einer Kommission übertragen, die jedoch nicht nur aus Kardinälen besteht. Dabei gilt der Grundsatz, daß es die Mission ist, die Autorität verleiht, wie in der apostolischen Konstitution Praedicate Evangelium festgelegt. Aber es geht nicht so sehr um die Einbeziehung von Laien, Männern und Frauen, in die Regierungsstrukturen.

Das neue Grundgesetz streicht alle Verweise auf das Staatssekretariat bis auf einen, konzentriert alles auf die Figur des Papstes und betont, dass "der Staat Vatikanstadt die absolute und sichtbare Unabhängigkeit des Heiligen Stuhls für die Erfüllung seiner hohen Mission in der Welt gewährleistet.“ und seine unbestreitbare Souveränität auch auf internationaler Ebene garantiert.“

In der Praxis sieht das Gesetz vor, daß der Staat die Unabhängigkeit des Heiligen Stuhls gewährleisten muss. Tatsächlich besaß der Heilige Stuhl jedoch auch ohne Staat und ohne Territorium Unabhängigkeit und Souveränität. Das war, als Rom 1871 erobert und dem Königreich Italien angegliedert wurde, was das Ende des Kirchenstaates bedeutete. Der Heilige Stuhl existierte jedoch weiterhin, um internationale Beziehungen zu unterhalten und Botschafter auszutauschen. Es genügt zu sagen, daß der Heilige Stuhl während des Pontifikats Benedikts XV, das von 1914 bis 1922 dauerte, diplomatische Beziehungen mit zehn Staaten aufnahm, sein diplomatische Netzwerk auf 17 ausdehnte, und das am Ende des Pontifkates 27 umfaßte.  

Das neue Grundgesetz macht die Rolle des Staates erkenntlich deutlicher, nicht mehr nur als "Mittel“ für den Heiligen Stuhl, sondern sogar als Garant der Souveränität. Dazu gehören auch die bisher abwesenden Vertreter des Gouvernements in den internationalen Beziehungen. Das läßt das Staatssekretariat außer Acht, das stattdessen als Vermittler zwischen dem Staatsapparat und dem Heiligen Vater fungiert, und rückt damit die Figur des Papstes wieder in den Mittelpunkt. 

Tatsächlich war 1929 vorgesehen, daß die gesetzgebende Gewalt direkt vom Papst,lso vom Souverän, ausgeübt werden sollte, mit der Möglichkeit, "die gesetzgebende Gewalt für bestimmte Angelegenheiten oder für einzelne Zwecke an den Gouverneur des Staates zu delegieren“.

Das Grundgesetz von 2000 legte stattdessen fest, dass es die Päpstliche Kommission ist, die die Macht direkt ausübt, mit Ausnahme der Fälle, in denen der Papst sie sich selbst oder anderen Ämtern vorbehält.

Nun aber rückt der Papst wieder in den Mittelpunkt, und unter anderem wird seine Rolle als Staatsoberhaupt betont. Es handelt sich um eine Reform, die den Staat Vatikanstadt vielleicht einem modernen Staat näher bringt, ihn aber von seinem natürlichen und Hauptzweck entfernt.

Was bei Papst Franziskus geschieht, ist, kurz gesagt, eine Art kopernikanische Revolution in der Wahrnehmung des Vatikanstaates. Der Staat ist nicht länger ein funktionales Organ, das gegenüber dem Heiligen Stuhl handlungsfähig ist, sondern wird in manchen Fällen sogar zu dem Organ, das den Heiligen Stuhl dominiert. Die Vorschriften des Staates, der eine absolute und patrimoniale Monarchie ist, können die "Wertediplomatie“ des Heiligen Stuhls gefährden. Es wäre das Gegenteil von dem, was Johannes Paul II wollte, nämlich diese "Diplomatie der Werte“ zu verteidigen und die Figur des Papstes in Regierungssituationen weniger zentral zu machen.

Oft ist von der Zentralisierungsarbeit von Papst Franziskus die Rede, die über jede synodale und kollegiale Propaganda hinausgeht. In der Zwischenzeit hat Papst Franziskus jedoch eine weitere Reform durchgeführt, und zwar die des Staates. Aber wenn der Heilige Stuhl an Bedeutung und Zentralität verliert, was wird dann aus seiner Diplomatie? Und welche Rolle wird es wirklich auf der internationalen Bühne spielen?

Das Risiko besteht darin, eine über Jahrtausende geleistete Arbeit zu dekonstruieren. Vielleicht würden einige Probleme gelöst. Aber natürlich würden dadurch noch viele andere entstehen."

Quelle: A. Gagliarducci, Monday at the Vatican

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