Montag, 11. Dezember 2023

Papst Franziskus und die Prozesse

In seiner heutigen Kolumne für Monday at the Vatican kommentiert A. Gagliarducci das Rechtsverständnis des amtierenden Papstes und die sich daraus ergebende Rechtslage im Vatican. 
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"PAPST FRANZISKUS, EIN PROZESS DER ENTSCHLÜSSELT WERDEN MUSS."

Am Vorabend der Woche, in der der sogenannte "Prozess des Jahrhunderts" im Vatican zuende gehen soll, empfängt Papst Franziskus  den emeritierten Erzbischof von Paris, Michel Aupetit, der vor zwei Jahren gezwungen wurde, zurückzutreten. Papst Franziskus hatte seinen Rücktritt "auf dem Altar der Heuchelei" akzeptiert, wie er etwas später den Journalisten während eines Fluges erklärte.

Obwohl die beiden Fälle nicht viel miteinander zu tun haben, kann das zufällige Zusammentreffen dieser beiden Fakten die Kraft, ein generelles Bild der Rechtslage im Pontifikat von Papst Franziskus zu liefern. 

Hier sind die Fakten.

Der Erzbischof von Paris wurde in der Presse wg. einer unangemessenen Beziehung an den Pranger gestellt, die er angeblich vor einigen Jahren mit seiner seiner Sekretärinnen hatte. Der Erzbischof hatte beschlossen, seinen Rücktritt anzubieten,  den der Papst "auf dem Altar der Heuchelei" akzeptierte, ohne auf ein endgültiges Urteil zu warten. Das Ergebnis der Ermittlung der französischen Polizei kam dann vor einiger Zeit und  wurde wg. Mangels an Beweisen eingestellt.

Detaillierter: die Untersucher befanden, dass "dieser Tatbestand nicht existiert"- ein europäischer Ausdruck für die Tatsache, dass die Rechercheure keine ausreichenden Beweise dafür gefunden haben, dass ein Verbrechen überhaupt begangen wurde- auch nur andeutungsweise. 

Aupetit hatte  "Fehler" in der Beziehung zu einer Sekretärin vor einigen Jahren bevor er Bischof wurde zugegeben, aber hat immer geleugnet, dass es sich um eine romantische Beziehung gehandelt habe und immer darauf bestanden, dass sie nie sexuell war. Die Sekretärin selbst hatte zur Polizei gesagt, daß das Handeln Aupetits kein Verbrechen war. Die Frau hatte nie eine Beschwerde eingereicht. 

In den vergangenen Monaten aber hat der Emeritus von Paris erlebt, daß sein Ruf ruiniert wurde.  Er war eine der einflussreichsten Personen in der Französischen Kirche - unter den wenigen, die Kritik am CIASE-Bericht über den Missbrauch geäußert haben- ein Bericht, an dem unabhängige Fachleute  und Experten ernste methodische Zweifel angemeldet haben. Ohne Aupetit  hat eine Form von Opposition gegen das säkularistische und säkulare Denken, den gewissen Einfluss, den sie in Frankreich hatte, verloren.  Nicht daß die Bischöfe schweigen- die Erklärungen gegen die Aufnahme der Abtreibung in die Verfassung  beweisen das- aber ihre Kraft  zu stören ist durch das Fehlen des Erzbischofs halbiert worden. 


Man fragt sich, warum der Papst Aupetiis Rücktritt so schnell angenommen hat. 

In einem anderen Fall hat der Papst nicht gehandelt. Das war der Fall von Kardindal Woelki, Erzbischof von Köln, der wegen Kommunikationsfehlern für  Monate suspendiert wurde. Auch er hatte einen Bericht über Missbrauch in seiner Diözese kritisiert. Der Papst jedoch wollte seinen Rücktritt nach der sechsmonatigen Suspendierung nicht akzeptieren. Mit welcher Autorität kann Kardinal Woelki die Erzdiözese nach der Suspendierung die der Presse-Atacke folgt, weiter verwalten?

Was hat das alles mit dem Vatican-Prozess zu tun?  Sogar in dem Fall hat Papst Franziskus summarische Urteile formuliert, Entscheidungen getroffen, die mehr dem Altar der Heuchelei entsprechen als er in Aupetits Fall behauptete. 

Kardinal Angelo Becciu wurde erst aufgefordert zurückzutreten und auf alle Privilegien eines Kardinals zu verzichten und landete am Ende in einem Prozess, nachdem der Papst die Regel, dass über Kardinäle nur von einen Gericht von Kardinälen gerichtet werden kann. Für Becciu gab es keine Möglichkeit Revision einzulegen und die Untersuchung zu seinem Fall waren noch nicht beendet und der Prozess war noch nicht zuende- Der Papst hat klar entschieden, ohne auch nur einen rettenden Ausweg aufzuzeigen. Der Papst vertraut seinen Mitarbeitern nicht mehr. Der Papst hat weniger Grund seine Mitarbeiter vor die Medien zu werfen.   

Dies gilt umso mehr, als der Papst auch versuchte, seine Barmherzigkeit oder Offenheit zu zeigen, indem er Becciu zu Konsistor ien und öffentlichen Demonstrationen einlud und ihn zu Hause besuchte, mit der Idee, Neutralität zu demonstrieren. Das heißt, der Papst respektiert die Urteile, ist aber nicht böse auf die Person. Mittlerweile ist der Kardinal jedoch nicht rehabilitiert; Er ist nicht einmal mehr Mitglied der Vatikanischen Dikasterien und hätte nicht die Möglichkeit, in einem zukünftigen Konklave abzustimmen.

Die Entscheidung des Papstes über Kardinal Becciu ist umso unglaublicher, wenn man bedenkt, daß es im Verlauf des Prozesses in diesen zwei Jahren zu einer deutlichen Veränderung des Narrativs gekommen ist. Waren die Medien zu Beginn des Prozesses noch von der Schuld Beccius und der Angeklagten überzeugt, so hat sich dieses Schuldurteil nun, nach den Argumenten der Verteidigung, abgeschwächt und weist Risse auf.

Der gesamte Prozess zeigte eine unglaubliche anklagende Tendenz und schien nicht Menschen, sondern das System selbst in Frage stellen zu wollen. Das Staatssekretariat wurde an den Rand gedrängt; Der Staat Vatikanstadt wurde durch die Prozessentscheidungen des Papstes geschwächt, die den Papst selbst zum ersten Richter machten und das Image aller Verteidiger in Frage stellten.

Im Wesentlichen wurde das getan, wozu uns der Papst immer auffordert, nämlich ein System nach dem neuen Gesichtspunkt zu beurteilen, ohne die Hermeneutik der Zeit zu berücksichtigen. Und das Urteil erfolgte nach der Bequemlichkeit und Überzeugung des Papstes, der mit vier verschiedenen Reskripten in den Prozess eingriff und die Regeln änderte, die die Untersuchungen regelten.

Der Fall Aupetit und der Prozess im sogenannten Jahrhundertprozess ähneln sich, weil beide die Glaubwürdigkeit der beteiligten Personen und die Glaubwürdigkeit der Kirche selbst schwächten. Wir wollen nicht glauben, daß Papst Franziskus es mit Absicht getan hat. Die Vorstellung, die man hat, ist jedoch die des impulsiven Denkens, das die möglichen Konsequenzen von Entscheidungen nicht berücksichtigt. Kurz gesagt, Gerechtigkeit entsteht nicht durch den Wunsch, Gerechtigkeit zu üben, sondern vielmehr durch den Drang, ein Problem zu lösen.

Das gesamte Justizsystem scheint mittlerweile krank geworden zu sein. Was fehlt, ist eine Vision, ein Projekt und der Wille, ein glaubwürdiges und international tragfähiges System zu schaffen. Der universale Papst hat so ein zutiefst örtliches und personalistisches System entstehen lassen.

Es ist ein Schritt zurück, dessen Konsequenzen komplex sein werden, um nicht mehr zu sagen. "

Quelle: A. Gagliarducci, Monday at the Vatican

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