Montag, 1. Januar 2024

Benedikt XVI und seine Beziehung zur Orthodoxie

Anlässlich des 1. Todestages von Papst Benedikt XVI veröffentlicht La Nuova Bussola Quotidiana ein Interview, in dem Nico Spuntoni den ehemaligen Assistenten Pater Stephan O. Horn des Verstorbenen zur Orthodoxie und zur Ökumene befragt. Hier geht´ s zum Original: klicken

"ICH SPRECHE ZU IHNEN ÜBER DIE BEZIEHUNG ZWISCHEN RATZINGER UND DER ORTHODOXEN WELT" 

Von seinen Anfängen als junger Universitätsprofessor in Bonn bis zu seinem Petruswirken hat Ratzinger bei vielen Gelegenheiten den Dialog mit der orthodoxen Welt gepflegt und sich für eine "Reinigung des Gedächtnisses" eingesetzt. La Bussola interviewt Pater Horn, seinen langjährigen Assistenten.

Einer der weniger bekannten Aspekte von Joseph Ratzingers Denken ist sein großer Respekt und seine aufrichtige Sympathie für die Orthodoxie. Im Kloster Mater Ecclesiae, in das er sich nach seinem Rücktritt zurückzog und wo er vor einem Jahr, am 31. Dezember 2022, starb, wünschte sich der nun emeritierte Papst nachdrücklich, daß eine russische Ikone mit der Darstellung der Muttergottes "mit Blick auf die Demut" am Eingang aufgehängt wird. Es war das sehr willkommene Geschenk, das ihm sein Nachfolger Franziskus bei seinem ersten Besuch nach der Wahl in Castel Gandolfo gemacht hatte. Bergoglio hatte es von Hilarion, dem "Außenminister" des Patriarchen Kyrill von Moskau, erhalten. Die (erwiderte) Bewunderung für die orthodoxen Kirchen täuscht über ein weiteres Klischee hinweg, das Ratzingers öffentliches Bild zur Zeit der Veröffentlichung von Dominus Iesus begleitete: Der Panzerkardinal war kein Feind der Ökumene, sondern hatte eine ökumenische Vision, die dem "authentischen Geist des Konzils" entsprang. Eine Vision, in der die auch vom amtierenden Papst wiederholte Überzeugung zum Ausdruck kam, daß "unter den Kirchen und christlichen Gemeinschaften die Orthodoxie uns theologisch am nächsten steht".

Ein unmittelbarer Zeuge der Beziehung zwischen Ratzinger und der christlich-orthodoxen Welt ist Pater Stephan Otto Horn, sein Universitätsassistent in Regensburg und späterer Präsident des Schülerkreises. Der Salvatorianer, einer der Männer, die Benedikt XVI. bis zum Schluss am nächsten standen, sowie Gründer eines wissenschaftlichen Zentrums für Ost- und Weststudien, das dem Heiligen Ephräm in Wien gewidmet ist, sprach darüber in diesem Interview mit La Nuova Bussola.

Pater Horn, wann begann Joseph Ratzingers Interesse an der orthodoxen Welt?

Das Tor zur geistigen Welt der Orthodoxie wurde dem jungen Professor Joseph Ratzinger von zwei talentierten jungen orthodoxen Theologen aus Griechenland geöffnet, die bei ihm promovieren wollten. Sie sprachen ihn in Bonn an, wo er 1959 die erste Phase seiner Universitätslaufbahn begonnen hatte und wo die Studenten in Scharen zu ihm strömten. Auch sie sollten später für ihn wichtig werden: Damaskinós Papandreou, damals Sekretär des Panorthodoxen Rates, und Stylianos Harkianakis, damals Erzbischof von Australien, der eines Tages sein Gesprächspartner in der Leitung der Kommission für den Dialog zwischen den orthodoxen Kirchen und der katholischen Kirche werden sollte. Es ist möglich, daß er in dieser frühen Zeit die sogenannte eucharistische Ekklesiologie der russischen Exiltheologen kennenlernte und darauf sowohl mit Zustimmung als auch mit Kritik reagierte.


Hat die Teilnahme am Zweiten Vatikanischen Konzil dieses Wissen beeinflusst?

Die letzte Phase seiner Tätigkeit als Hochschullehrer in Regensburg führte ihn zu intensiven Begegnungen mit der Orthodoxie anlässlich der sogenannten Ökumenischen Symposien in Regensburg, in die er auch einige seiner Studenten einbezog. In der Zwischenzeit war auch das Zweite Vatikanische Konzil zu Ende gegangen. Die Aufhebung der Exkommunikation zwischen Rom und Konstantinopel, die am 7. Dezember 1965 erfolgte, muss ihm besonders am Herzen gelegen haben. Er widmete ihr einen wichtigen Artikel über die nun mögliche und notwendige "Reinigung des Gedächtnisses" zur Überwindung der inneren Entfremdung. Im Dezember 1974 wurde ihm von Patriarch Demetrios von Konstantinopel das Goldene Kreuz vom Berg Athos für seine Verdienste um die Orthodoxie verliehen, einschließlich der Bemühungen um die Vollendung des Chambésy-Orthodoxen Zentrums, das ihm von Metropolit Demetrios an der Universität Regensburg überreicht wurde. Professor Ratzinger interessierte sich schon sehr früh für die Geschichte des Primats des römischen Stuhls.

Ist es eine theologische Frage, der auch Sie, die 1980 geborenen Schülerinnen und Schüler des ursprünglichen Schülerkreises, mit ihm nachgehen konnten?

Ich erinnere mich an einige Vorlesungen, die sein Studentenkreis um 1980 in Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg veranstaltete. Die erste fand 1987 in Rom statt, anlässlich des 60. Geburtstags unseres Meisters. Wir hatten drei Vorträge über den Petrusdienst im ersten Jahrtausend geplant, vor allem im Hinblick auf den Osten. Unter anderem hielt der spätere Kardinal Christoph Schönborn einen Vortrag über Theodor den Studiten, Dr. Vincent Twomey über Eusebius von Cäsarea und Athanasius und ich über das Konzil von Chalcedon. Ein zweites Treffen im Jahr 1988 führte uns nach Chambésy in der Nähe von Genf zu Metropolit Damaskinós Papandreou, wo wir nach seinem Vortrag über das Papsttum Zeuge einer wunderbaren Diskussion zwischen ihm und unserem Professor wurden. Ich möchte auch daran erinnern, daß ein anderer seiner Schüler, Dr. Martin Trimpe, eine Dissertation verfasst hat, in der er sich insbesondere mit dem Petrusamt nach Reginald Pole, Cousin und Antipode Heinrichs VIII., befasste, dessen Theologie und Spiritualität des Papsttums unseren Professor tief berührte

An welche anderen Treffen im Schülerkreis erinnern Sie sich am liebsten?

Ich möchte auf andere Treffen in Italien eingehen, bei denen dieses Thema nicht angesprochen wurde. Wir hielten eine in Como auf Einladung des Bischofs ab, der ihn als Mitarbeiter des Katechismus der Katholischen Kirche erfreuen wollte und ihn und seinen Studentenkreis zu sich nach Hause eingeladen hatte. In der voll besetzten Kathedrale von 1988 hielt Kardinal Ratzinger einen anspruchsvollen Vortrag über Eucharistie und Mission. Anlässlich seines 75. Geburtstags fand in Rom eine weitere Konferenz statt, bei der unser Kardinal jeden von uns dem Heiligen Vater Johannes Paul II. vorstellte. Anlässlich einer Audienz für die deutschsprachigen Gläubigen nach seiner Wahl zum Nachfolger des Apostels Petrus lud er uns schließlich zu einem Treffen nach Castel Gandolfo ein, wo wir ihn jedes Jahr wieder zu theologischen Gesprächen begrüßen konnten.

Ist es eine theologische Frage, der auch Sie, die 1980 geborenen Schülerinnen und Schüler des ursprünglichen Schülerkreises, mit ihm nachgehen konnten?

Ja, eine letzte Phase seiner Begegnung mit der Orthodoxie war die Freundschaft mit dem Wiener Studienhaus des Heiligen Johannes von Damaskus (CCVU), in dem orthodoxe und katholische Studenten und Lehrer gemeinsam leben und studieren, beten und arbeiten. Ich kann bestätigen, daß Papst Benedikt dieser katholisch-orthodoxen Gemeinschaft bis in die letzten Wochen seines Lebens nahe stand.

Kardinal Kurt Koch schrieb: "Die ökumenische Vision Joseph Ratzingers muss daher auf der Grundlage seiner ekklesiologischen Grundüberzeugungen verstanden werden, die tief in der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils verwurzelt sind." Inwiefern hat sich Ihre Interpretation der konziliaren Ekklesiologie ausgeprägt?

Schon im ersten Jahr seines Pontifikats hat sich Papst Benedikt mit der Frage nach den Kriterien für eine korrekte Auslegung der Konzilsdokumente beschäftigt. Offensichtlich sah er die Klärung dieses Problems als eine wichtige Aufgabe seines Petrusamtes an, weil die Priesterbruderschaft St. Pius X. dazu neigte, zu allen Dokumenten Ja zu sagen, weil sie über die Darstellungen der Tradition hinausgingen, während andere mit der These, dass es sich nicht um das Wort, sondern um den Geist des Konzils handele, Sie gaben die volle Bedeutung der Dokumente auf. Der Papst wandte sich gegen eine rein statische Hermeneutik, aber auch gegen eine Interpretation, die eine Lücke zwischen der Lehre vor und nach dem Konzil schaffte. Papst Benedikt wandte sich gleichermaßen gegen beide Positionen und vertrat eine Position, die er die Hermeneutik der Reform nannte. Er stellte ihr eine Hermeneutik der Lücke und auch eine statische Hermeneutik gegenüber. Solche Tendenzen habe er bereits als Teilnehmer des Rates ein Jahr nach dessen Abschluss in Deutschland gekannt. Professor Joseph Ratzinger hatte bereits im ersten Jahr nach dem Ende des Konzils eine tiefgreifende Meinungsverschiedenheit unter den Katholiken in Deutschland in ihrer Einschätzung festgestellt. In der Tat schrieb er: "Für einige hat das Konzil noch zu wenig getan, es ist überall in seinen Versuchen blockiert geblieben, ein Konglomerat vorsichtiger Kompromisse, ein Sieg der diplomatischen Klugheit über den Sturm des Heiligen Geistes, der keine komplizierte Synthese will, sondern die Einfachheit des Evangeliums; für andere aber ist es ein Ärgernis, eine Hingabe an die Geistlosigkeit eines Zeitalters, dessen Verfinsterung Gottes das Ergebnis seines wilden Eigensinns in der Erde ist." Für ihn war diese Situation eine zutiefst spirituelle Herausforderung. Er betonte daher, daß "keine der beiden Fragen einfach beiseite geschoben werden kann: Die große Aufgabe der Kirche nach dem Konzil wird es sein, ihnen geistlich zu begegnen und in diesem Sinne Antworten zu geben – eine Aufgabe, die natürlich nur im Heiligen Geist erfüllt werden kann".

Welche Reaktionen hat Ihre Haltung zum Konzil hervorgerufen?

Als sich Papst Benedikt 2005 bei seiner Audienz bei der Kurie für die Weihnachtsgrüße entschieden gegen eine "Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruchs" aussprach, entlud sich vor allem in Deutschland ein Sturm der Entrüstung gegen ihn, mit dem Vorwurf, der Papst gehe hinter das Konzil zurück, gehe zu weit in die Priesterbruderschaft St. Pius X. und provoziere Juden, weil sie einen Holocaust-Leugner tolerierten. Richard Williamson. In Wirklichkeit ging es ihm nicht nur darum, die Auflösung des Glaubens der Kirche an die wahre Gottessohnschaft Jesu Christi zu verhindern, sondern auch darum, ein sich anbahnendes Schisma in traditionalistischen Kreisen zu überwinden, bevor es sich endgültig verfestigte. Der Studentenkreis des Papstes übernahm dann 2010 gemeinsam mit Papst Benedikt bei einem Treffen in Castel Gandolfo die Aufgabe, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, basierend auf den Vorträgen des damaligen Erzbischofs Kurt Koch. Einige Monate später schilderte Papst Benedikt seine Erfahrungen in einem Gespräch mit Peter Seewald, in dem er sich auch zum sogenannten Williamson-Fall äußerte, den er als "Katastrophe" bezeichnete (in dem Interview Light of the World erklärte Ratzinger, daß er Williamsons Positionen zur Shoah nicht kannte, sonst hätte er die Exkommunikation nicht aufgehoben, Anm. d. Red.). Die Treue zu Papst Benedikt, zu seiner Theologie und Spiritualität, die insbesondere in der Konferenz von 2010 zum Ausdruck kam, betrachte ich als einen Appell an den Schülerkreis und den neuen Schülerkreis, sein Vermächtnis in der Kirche mit Herzblut und Geist lebendig zu halten."

Quelle:N.Spuntoni, LNBQ

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