Thomas G. Guarino stellt bei firstthings den Hl. Vincent von Lérins, den Lieblingstheologen von Papst Franziskus vor. Hier geht´s zum Original: klicken
"DER LIEBLINGSTHEOLOGE DES PAPSTES"
Daß Papst Franziskus eine starke Vorliebe für das Denken des Hl. Vincents von Lérins hat, ist keine Neuigkeit. Wieder und wieder hat er einen Satz aus dem großen Commonitorium zitiert, das der Hl. Vincent im frühen 5. Jahrhundert zusammengestellt hat. Die Christen sollten Franziskus dankbar dafür sein, diesen scharfsinnigen Kirchenvater vor relativer Dunkelheit gerettet zu haben.
Der Hl. Vincent war nicht immer eine schattenhafte Figur. Als sein Hauptwerk im 16. Jahrhundert wieder-entdeckt wurde (nachdem er ein Jahrtausend verloren war) wurde er sowohl von katholischen als auch protestantischen Theologen häufig zitiert. Aber im Lauf der Zeit wurde das Denken Lerins zunehmend vergessen und sogar diskreditiert, Was führte zu dieser Vernachlässigung?
Der erste Grund ist, daß Vincent als unkritische Archaiker betrachtet wurde, weil er behauptete, daß die Kirche "den Glauben vertritt, der überall, immer und von jedem geglaubt wurde (ubique, semper, et ab omnibus)" Die Geschichte der Doktrin selbst, wenden seine Kritiker gegen ihn an, bekämpft die naive Behauptung Vincents, daß die Christliche Lehren immer und überall vertreten worden sei. Sogar der große Theologe und Ökumeniker. Yves Congar, hat Vincents Axiom als reinen Antiquarianismus fehlinterpretiert und festgestellt, daß deswegen, das Commonitorium in der Dogmatischen Konstitution zur Göttlichen Offenbarung des II. Vaticanischen Konzils zitiert werden konnte.
Zweitens wurde Vincent zunehmend verachtet, weil er als giftiger Gegenspieler des Hl. Augustinus angesehen wurde. Die Klöster des südlichen Galliens- wo Vincent zu Hause war- wurden als Bastionen des Semi-Pelagianismus betrachtet, tief beschäftigt den freien Willen zu verteidigen und unempfänglich für die energische Betonung der absoluten Priorität der Gnade durch den Hl. Augustinus. Jahrhundertelang wurden deshalb der Theologe von Lérins mit einem breiten halb-pelagianischen Bürstenstrich geteert.
Tatsächlich erwähnt der Hl. Vincent Augustinus in seinem Hauptwerk nie, während er pausenlos den Pelagianismus zuschlägt. Außerdem wissen wir heute, weil das Manuskript erst Mitte des 20.Jahrhunderts entdeckt wurde- daß Vincent ein würdigendes Florilegium (Zitatensammlung) der Texte Augustinus´ zur Heiligen Dreifaltigkeit und zur Christologie veröffentlicht. Das klingt kaum wie das Projekt eines militanten und entschlossenen theologischen Gegners.
Angesichts des Niedergangs, in den Vinzenz‘ Denken in den letzten Jahrhunderten geraten ist, können wir Papst Franziskus dankbar sein, daß er diesen klugen Theologen aus dem Exil gerettet hat. Und Franziskus hat völlig Recht, wenn er den Schwerpunkt der Lerinianer auf Wachstum betont. Kein anderer alter christlicher Denker schreibt so ausführlich und so klar über die Lehrentwicklung. Zu einer Zeit in der Geschichte der Kirche, in der es kaum theoretische Überlegungen zum Zusammenhang zwischen christlichem Glauben und christlicher Entwicklung gab, geht der heilige Vinzenz das Thema mutig an.
Angesichts des Niedergangs, in den Vinzenz‘ Denken in den letzten Jahrhunderten geraten ist, können wir Papst Franziskus dankbar sein, daß er diesen klugen Theologen aus dem Exil gerettet hat. Und Francis hat völlig Recht, wenn er die Betonung der Lerinianer auf Wachstum betont. Kein anderer alter christlicher Denker schreibt so ausführlich und so klar über die Entwicklung der Lehre. Zu einer Zeit in der Geschichte der Kirche, in der es kaum theoretische Überlegungen zum Zusammenhang zwischen christlichem Glauben und christlicher Entwicklung gab, geht der heilige Vinzenz das Thema mutig an.
Der Theologe von Lérins lebte nach den Konzilen von Nicäa und Ephesus und erkannte an, daß die Kirche nun häufig Wörter wie homoousios (wesensgleich) und Theotokos (Gottesgebärerin) verwendete, die in der Bibel nicht vorkommen. Er erklärte dies, indem er argumentierte, daß sich die christliche Lehre allmählich „deutlicher und deutlicher“ entfalte, so wie aus einem Kind ein Erwachsener und aus einem Samen eine blühende Pflanze werde. Vinzenz zitiert eine Vielzahl christologischer und trinitarischer Aussagen, um seine Behauptungen zu untermauern. Beispielsweise bekennt die Kirche Jesus als eine Person mit sowohl menschlicher als auch göttlicher Natur und glaubt an eine Dreieinigkeit verschiedener Personen, während sie gleichzeitig auf der göttlichen Einheit besteht.
In dem von Franziskus geliebten lateinischen Ausspruch sagt Vinzenz: "ut annis scilicet consolidetur, dilatetur tempore, sublimetur aetate.“ Das heißt, der Fortschritt in der christlichen Lehre ist so groß, daß er "mit den Jahren gefestigt, mit der Zeit erweitert und mit dem Alter verfeinert“ wird. Vinzenz war davon überzeugt, daß die Lehre sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt und fortschreitet, ohne die biblische Substanz und Bedeutung zu verraten, so wie das Kind erwachsen wird und dabei derselbe Mensch mit der gleichen Natur bleibt.
Wie Franziskus hätte auch Vinzenz wenig Zeit für das, was der Papst als "Indietrismus“ bezeichnet – er wäre rückwärtsgewandt und habe keine "angemessene Entwicklung im Verständnis von Glaubensfragen“ erkannt. Das entscheidende Wort hier ist natürlich "angemessen“. Während Vincent argumentiert, daß Veränderungen immer im Laufe der Zeit stattfinden, erkennt er an, daß einige Veränderungen schädlich und destruktiv sind, während andere legitim und willkommen sind.
In mancher Hinsicht besteht der heilige Vinzenz sogar noch nachdrücklicher auf Veränderung als Franziskus. Er stellt die rhetorische Frage: gibt es in der Kirche Christi keinen Fortschritt in der Religion? Seine direkte Antwort: Es gibt „überaus große Fortschritte.“ Doch obwohl Vincent ein entschiedener Befürworter des Wachstums ist, lautet seine liebste Bibelstelle, die er in seinem gesamten Werk immer wieder zitiert: "Bewahre das Erbe, Timotheus!“ (1. Tim. 6:20). Die Kirche muss zweifellos in ihrem Verständnis der göttlichen Offenbarung voranschreiten und gleichzeitig das ihr anvertraute Glaubensgut sorgfältig bewahren.
Diese doppelte Aufgabe – Erhaltung und richtige Entwicklung – ist der Grund, warum Vincent biologische Analogien beruft. Natürlich gibt es mit dem Alter Veränderungen – aber es muss eine homogene, organische Entwicklung sein, bei der die gleiche "Natur“ sorgfältig bewahrt wird. Gläubige Christen bewahren frühere Errungenschaften in der Lehre, auch wenn sie proportional damit verbundene Einsichten zulassen. Theologische Spekulationen über die Natur und Person Jesu Christi müssen zwar weitergehen, aber immer innerhalb der von den Konzilen von Nicäa und Ephesus vorgegebenen Parameter.
Aus diesem Grund lautet einer der berühmtesten Sätze des heiligen Vinzenz – der im selben Kapitel zitiert wird, in dem er so eloquent von Wachstum spricht –, daß jede Veränderung, jede Entwicklung, jeder Fortschritt "in eodem dogmate, eodem sensu, eademque sententia“ erfolgen muss. (nach derselben Lehre, derselben Bedeutung und demselben Urteil), wobei stets die Substanz dessen bewahrt wird, was ihr vorausging. Ich würde diesen heiligen Satz dem Lehramt von Franziskus empfehlen – der ihn selten zitiert –, weil er für das Verständnis der Art der Entwicklung, die Vinzenz billigt, von entscheidender Bedeutung ist. Es ist ein Wachstum, das frühere Errungenschaften in der Lehre vollständig respektiert, bewahrt und darauf aufbaut.
Der heilige Vinzenz hätte es auch geschätzt, daß Franziskus in seiner Weihnachtsansprache an die römische Kurie 2023 betonte, daß es wichtig sei, „weiterhin zu suchen und in unserem Verständnis der Wahrheit zu wachsen und der Versuchung zu widerstehen, stillzustehen.“ . . . Angst, Starrheit und Monotonie führen zu einer Unbeweglichkeit, die den offensichtlichen Vorteil hat, keine Probleme zu verursachen – bleiben Sie, wo Sie bleiben, bewegen Sie sich nicht.“
Wie Franziskus weist auch der Theologe von Lérins auch Versuche zurück, Wachstum und Wandel zu vereiteln. Aber Vincent ist sich ebenso bewusst, daß es nicht nur orthodoxe Christen sind, die Unbeweglichkeit ablehnen. Auch Ketzer lehnen es ab und bestehen vehement auf der Wichtigkeit von Veränderungen. Tatsächlich stellt Vincent fest, daß der ständige Ruf der Ketzer lautet: "Lehne den alten Glauben ab!“ Halte fest, was du früher verurteilt hast, und verurteile, was du früher verteidigt hast!“ Ketzer wollen zwar Veränderung, aber keine organische und lineare Evolution, die auf früheren Errungenschaften aufbaut. Für sie bedeutet Veränderung kein Wachstum in eodem sensu – auf dem gleichen Weg wie die frühere Tradition –, sondern in alieno sensu, einer Umkehrung früherer Errungenschaften der Lehre. Gegen diese Menschen, betont Vinzenz, ruft uns die große Posaune der Apostel, der heilige Paulus, zu: „Wenn euch jemand eine neue Lehre predigt, soll er mit dem Fluch belegt werden.
Wie können Vinzents Einsichten der Kirche heute helfen? Letzten Monat hielt Franziskus einen einfühlsamen Vortrag über die aktuelle Ausbildung katholischer Priester. Er sprach über Priester, die aus dem einen oder anderen Grund ihre Fähigkeit verloren haben, den Gläubigen zu dienen. Sie betrachten sich selbst als "Herren“ und "Aristokraten“ und fühlen sich gegenüber dem heiligen Volk Gottes "allmächtig“.
Ich vermute, daß der heilige Vinzent die Kommentare des Papstes unterstützen würde. Aber angesichts seines tiefen Interesses an der christlichen Lehre würde er die Bemerkungen von Franziskus wahrscheinlich auf die theologische Tradition ausweiten. Niemand in der Kirche ist "allmächtig“ in Bezug auf die Lehrtradition; Niemand ist ihr "Herr“. Vielmehr besteht die Aufgabe der Kirche darin, das Glaubensgut streng zu schützen – wie der heilige Paulus rät – und sein ordnungsgemäßes Wachstum sorgfältig zu pflegen.
Ein wohlbekanntes Beispiel päpstlicher "Allmacht“ ist Paul VI. beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Im Mai 1964 schickte der Papst in einem gut gemeinten Versuch, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen päpstlichem Primat und bischöflicher Kollegialität zu erreichen, an die Theologische Kommission des Konzils dreizehn Vorschläge zur Verbesserung des Schemas über die Kirche (De Ecclesia), während er der Kommission die Freiheit ließ, seine Vorschläge zu diskutieren. Ein Vorschlag war die Behauptung des Paulus, daß der Papst "allein dem Herrn gegenüber“ verantwortlich sei. Die Kommission widersetzte sich entschieden Pauls VI Formulierung und antwortete, daß sie eine übermäßige Vereinfachung riskiere, weil der Papst für unzählige Dimensionen der göttlichen Offenbarung verantwortlich sei – einschließlich der Grundstruktur der Kirche, der Sakramente, der Definitionen ökumenischer Konzile und anderer Elemente, die zu zahlreich seien, um sie alle aufzuzählen . Ein konservatives Mitglied der Theologischen Kommission, Erzbischof Parente vom Heiligen Offizium, bemerkte sogar, daß Pauls Formulierung den Beigeschmack von Ketzerei habe. Papst Paul VI hatte die Demut, die Antwort der Kommission zu akzeptieren.
Diese Erwiderung der Theologischen Kommission hätte Vincent sicherlich gefallen, weil sie deutlich machte, daß niemand in der Kirche "Meister“ der göttlichen Offenbarung ist. Alle Christen – Hierarchie und Gläubige gleichermaßen – empfangen sie und sind ihr unterworfen, auch wenn die Kirche, wie Franziskus lehrt, niemals unbeweglich ist. Im Laufe der Zeit gab und muss es eine organische und architektonische Entwicklung geben, aber immer – in den wichtigsten Angelegenheiten – auf dem Weg der vorherigen Tradition, in eodem sensu eademque sententia. Der heilige Vinzenz hat uns auch sechzehn Jahrhunderte später noch viel über den christlichen Glauben zu lehren.
Doch im Laufe der Zeit wurde der Gedanke von Vincent de Lérins zunehmend ignoriert und sogar diskreditiert. Was hat diese Vernachlässigung verursacht?"
Quelle: T. G.Guarino, firstthings
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