Luisella Scrosati veröffentlicht im Rahmen ihrer Katechesen bei La Nuova Bussola Quotidiana ihren Beitrag über das Wesen der Gnade. Hier geht ´s zum Original: klicken
"DAS WESEN DER GNADE"
Gnade ist nicht nur einfach Wohlwollen von Gott, aber sie ist Schöpfer einer neuen Qualität in der Seele. Beim Hl. Thomas ist klar, dass Gnade Göttlichwerden möglich macht, die Erhebung des Menschen zum göttlichen Leben. Eine Wirklichkeit die von Luther geleugnet wird,
Heute ist der fünfte Termin, der dem Thema Gnade gewidmet ist. Erinnern wir uns an den Weg, den wir beschritten haben. Welches sind die drei Mittel, die drei Wege zur? Rückkehr zu Gott ? Wir haben gesehen: das Gesetz als Wegweiser; die Tugenden, die Gnade Gottes.
Diese drei Aspekte sind natürlich nicht auf der selben Ebene. Es gibt eine Reihenfolge der Wichtigkeit, es gibt eine Hierarchie. Allerdings sind alle drei für die Rückkehr zu Gott entscheidend.
Wir haben es mit der Frage 110 von I-II der Summa Theologica zu tun. Wir kommentieren die quaestiones, die der Hl. Thomas dem Thema Gnade widmet. Und heute konzentrieren wir uns auf das Wesen der Gnade. Nach der Einführung haben wir gesehen dass wir für das Folgende Gnade brauchen.Weil wir die Gnade selbst brauchen, weil die menschliche Natur Gnade braucht, um geheilt zu werden, weil sogar due, die schon in der Gnade sind, weiterhin das Wirken der Gnade brauchen. Hier sind die drei Themen.
Heute sehen wir, das Gnade ist, was wir meinen, wenn wir von Gnade sprechen. Beginnen wir mit Artikel 1, in dem gefragt wird, ob Gnade etwas in der Seele auslöst. Das Thema ist wichtig, weil einige Umwege, die wir in der Kirchengeschichte gemacht haben und die irgendwie im Hintergrund auftauchen sehen in der Gnade ein einfaches Wohlwollen Gottes, der-wie wir sagen könnten- "für uns Gnade benutzt", uns gegenüber wohlwollend wird. Von diesem Gesichtspunkt aus, wäre Gnade zuerst und esklusiv eine göttliche Disposition -namentlich Gottes- uns gegenüber. Aber diese Linie spricht nicht die Frage an, ob Gnade wirklich etwas ist, was mit uns zu tun hat, d.h. das in uns eintritt.
Andererseits ist ein anderer Weg, die tiefe katholische Bedeutung der Gnade nicht zu verstehen, zu behaupten, dass alles Gnade ist: sogar z.B.das Essen, die Luft, die wir atmen; in diesem Sinn ist es eine weitere und deshalb weniger präzise Bedeutung das der Begriff "Gnade" , d.h. Gnade im Sinn von allem, was von Gott frei gegeben wird. Das sind nicht zwei in sich falsche Standpunkte: sie werden erst falsch, wenn die vorgeben, die Bedeutung von Gnade erschöpfend zu erfassen.
Der heilige Thomas gibt uns eine umfassendere und besser formulierte Vision davon, die wir nun in Art. 1 sehen, in dem präzise die Frage gestellt wird, ob die Gnade ein göttliches Wohlgefallen ist – das heißt, Gott, der seinen gütigen Blick auf uns richtet – oder ob es stattdessen etwas gibt, das in uns eintritt und uns von innen heraus verwandelt. "Wenn das Gute der Geschöpfe aus dem Willen Gottes abgeleitet wird, also aus der Liebe, mit der Gott das Gute der Geschöpfe will, fließt etwas Gutes in die Geschöpfe selbst. Andererseits wird der Wille des Menschen von dem Guten bewegt, das in den Dingen bereits vorhanden ist: und so verursacht die Liebe des Menschen nicht vollständig das Gute der Dinge, sondern setzt es entweder teilweise oder ganz voraus (I-II, q. 110, a. 1). Der heilige Thomas sagt uns, dass es einen Unterschied gibt, wenn wir von Gnade sprechen, davon, Gnade zu haben, davon, in einer bestimmten Weise disponiert zu sein, in Gott und im Menschen. Warum? Der heilige Thomas schreibt: "Wenn das Gute der Geschöpfe aus dem Willen Gottes abgeleitet wird.“ Daher ist Gott den Geschöpfen gegenüber nicht wohlwollend "disponiert“, weil es in ihnen etwas Gutes gibt, das diesem wohlwollenden Blick vorausgeht, weil alles Gute, das existiert, von Gott kommt. Dies ist beim Menschen nicht der Fall. Wir haben diese Wohltätigkeit, weil wir uns einem Guten zuwenden, das bereits in der anderen Person vorhanden ist, der wir wohlwollend gegenüber stehen, wem wir sozusagen Gnade schenken, dem gewähren wir Gnade. Das sind zwei verschiedene Perspektiven, aber lassen Sie uns sie im Hintergrund behalten und versuchen zu verstehen, warum sie wichtig sind.
Der heilige Thomas erklärt: "Es ist also offensichtlich, dass jeder Akt der Liebe von Seiten Gottes ein Gut in der Kreatur hervorbringt, das verursacht wird und niemals gleich ewig ist wie die ewige Liebe“ (ebd.). Hier erfasst der heilige Thomas den Punkt, der darin besteht: "Jeder Akt der Liebe von Seiten Gottes bringt ein Gut in der Kreatur hervor, das verursacht wird“ von Gott selbst. Wenn wir also die Rede von der Gnade als eine besondere göttliche Güte gegenüber den Menschen betrachten würden, vom Standpunkt der bloßen göttlichen Freude, müssten wir dennoch die Konsequenzen dieser göttlichen Freude ziehen. Was meinen Sie damit? Es bedeutet, dass Gott diesen wohlwollenden Blick hat und während er diesen wohlwollenden Blick hat, schafft er dieses Gute in der Person, zu der er wohlwollend ist. Der Grund ist radikal, metaphysisch: Es gibt kein Gutes außerhalb Gottes.
Deshalb wendet sich Gott sich selbst zu, neigt sich mit Güte zu seiner Kreatur herab, gerade weil diese seine Kreatur ein Gut ist, dieses Gute, das er selbst geschaffen hat. Dies gilt sowohl aus der Sicht der Natur als auch aus der Sicht der Gnade. Daher ist diese göttliche Freude kein bloßes Gefühl, keine bloße Hinwendung, sondern schafft jenes Gute, auf das die göttliche Güte gerichtet ist.
Tatsächlich sagt der heilige Thomas: "Es gibt eine universelle Liebe, mit der ‚Er alles liebt, was existiert‘, wie die Schrift sagt“ (ebd.). Warum? Weil existierende Dinge ein Gut sind, das Er selbst ins Leben gerufen hat. Denken Sie an Kapitel 1 des Buches Genesis. Gott erschafft und jedes Mal heißt es: "Es war gut“. Woher kommt die Güte der Schöpfung? Aus der Tatsache, dass Gott selbst die Schöpfung, das Gute dieser Schöpfung, ins Leben gerufen hat.
Aber, so betont Thomas, "es gibt auch eine besondere Liebe, mit der Gott das vernünftige Geschöpf über den Zustand der Natur hinaus zur Teilhabe am göttlichen Guten erhebt“ (ebd.). Es ist eine andere Form des Guten, "eine besondere Liebe“, durch die Gott seinem Geschöpf nicht nur eine gute Natur, gute Eigenschaften gibt, sondern einige dieser Geschöpfe – die rein geistigen, das heißt die Engel, und die geistigen, die mit einer Körperlichkeit vereint sind, das heißt die Menschen – dazu aufruft, am göttlichen Guten teilzuhaben. Es handelt sich also um eine besondere Güte.
Der heilige Thomas kommt zu dem Schluss: „Wenn wir sagen, dass wir die Gnade Gottes haben, meinen wir eine übernatürliche Gabe, die Gott im Menschen hervorgebracht hat“ (ebd.). Es handelt sich also nicht um reine und einfache göttliche Güte. Was bedeutet es, wenn man sagt: „Ich habe die Gnade meines Vorgesetzten“? „Ich habe die Güte meines Vorgesetzten.“ Aber das erschafft nichts in der Person, sondern setzt es voraus. In Bezug auf Gott sind die Dinge umgekehrt, denn Gott ist die Grundlage allen Seins. Außerhalb Gottes gibt es nichts und nichts Gutes. Und so erschafft Gott mit dieser besonderen Liebe in der Person eine besondere übernatürliche Gabe.
In der Antwort auf die erste Schwierigkeit – die die Bedeutung der göttlichen Gnade auf das bloße Wohlgefallen Gottes beschränkte – wiederholt der heilige Thomas: „Was einen Menschen einem anderen angenehm macht, ist eine Voraussetzung für solche Liebe oder solches Wohlgefallen; was aber Gott gefällt, wird durch die Liebe Gottes verursacht, wie gesagt wurde“ (ebd.). Im Menschen gefalle ich jemandem, ich habe Gnade bei jemandem für ein Gut, das ich habe und das mir diese Güte zuteil werden lässt, daher ist dieses Gut, das ich habe, eine Voraussetzung, eine Vorbedingung für die Güte eines anderen. In der Beziehung zu Gott ändern sich die Dinge, sie sind umgekehrt. Das heißt, es ist Gott selbst, der uns ihm wohlgefällig macht, indem er in uns das Geschenk der Gnade bewirkt. Zunächst einmal ist es wichtig, dies zu verstehen.
In einer späteren Frage, 112, Art. 1, sagt der heilige Thomas offen, dass nur Gott die Ursache der Gnade sein kann, nur Gott ist in der Lage, diese Gnade zu geben, in einem absoluten Sinn, das heißt, verstanden als jedes Gute, weil Gott die Grundlage allen Guten ist. Aber in einem spezifischen Sinn handelt es sich um jene besondere Gnade, die jene gewisse assimilierende Teilnahme am göttlichen Leben, die Vergöttlichung, mit sich bringen wird.
Lassen Sie uns nun etwas direkter auf diese Frage eingehen, indem wir eine Prämisse aufstellen. Sehr oft wurde der lateinischen und westlichen Theologie und sogar dem heiligen Thomas vorgeworfen, dass sie nicht diese relative Tiefe der Gnade hätten, die aus dem östlichen Christentum kommt. Der von Vergöttlichung, Theosis, spricht, während wir von Heiligung sprechen. Dieser Kritik zufolge hätten wir uns mehr auf die moralische Seite verlagert. Dies ist eine Kritik, die leider die Realität der Dinge nicht berücksichtigt; es ist eine Kritik, die beispielsweise nicht an die Theologie der Gnade gerichtet werden kann, wie wir sie beim heiligen Thomas finden.
Die Begriffe "vergöttlichen“ und "deiform“ – dieser Neologismus aus dem aktiven Verb "vergöttlichen“ und dem Adjektiv "deiform“ ( also in derselben Form wie Gott) – finden wir in Thomas‘ Werk 34 bzw. 51 Mal. Es handelt sich also nicht um einen Begriff, der ihm einmal vorgekommen ist, sondern um einen grundlegenden Begriff. Und es sollte diejenigen, die mit Thomas‘ Quellen vertraut sind, nicht überraschen. Trotz der Arbeit vieler Gelehrter wurde nicht genug darauf hingewiesen, dass der heilige Thomas die griechischen Kirchenväter sehr gut kennt. Man denke nur daran, dass in einem seiner weniger bekannten Werke, der Goldenen Kette, einem Kommentar zu den vier Evangelien, der sich stark auf Zitate der alten Kirchenväter stützt, die am häufigsten und nicht selten zitierten Kirchenväter die griechischen Kirchenväter sind, viel mehr als die lateinischen. Was bezeugt das? Dies bezeugt, dass der heilige Thomas die griechische Theologie sehr gut kennt, die östliche Theologie, die offensichtlich zu seiner Zeit verfügbar war: Autoren wie der heilige Dionysius Areopagita, der heilige Johannes von Damaszenus, der heilige Gregor von Nyssa sind für Thomas alles andere als fremd. Dies ist sehr wichtig, auch im Hinblick auf eine wahre und gesunde theologische Auseinandersetzung mit dem Osten, sogar mit dem nichtkatholischen Osten. Bei Thomas ist diese Idee der Vergöttlichung vorhanden und sie ist zentral, es ist wichtig, sie zu wiederholen.
In Art. 2 nimmt der heilige Thomas die Fäden dessen wieder auf, was er in Art. 1 erklärt hat. „Wenn wir sagen, dass ein Mensch die Gnade Gottes hat, wollen wir damit sagen, dass in ihm eine Auswirkung des freien Willens Gottes vorhanden ist“ (I-II, q. 110, a. 2). Gottes Gnade zu haben bedeutet nicht bloße Güte, sondern dass Gott etwas ins Leben ruft, eine Auswirkung dieser seiner Gnade. Das heißt, Gott erschafft, wenn er Gnade schenkt. Und was erschafft sie? Schaffen, Art. 2, eine wahre und eigentliche Eigenschaft der Seele: Gott flößt uns durch seine Gnade eine gewohnheitsmäßige Gabe ein, eine neue Eigenschaft unserer Seele, die sie von Natur aus nicht hatte. Eine gewohnheitsmäßige Gabe der Gnade.
Daher ist Gottes Gnade nicht nur eine göttliche Freude, sondern es ist eine göttliche Freude, die erschafft, die eine neue Eigenschaft der Seele entstehen lässt. Die göttliche Gnade ist daher nicht einmal eine Bewegung der Seele, sondern eine stabile Eigenschaft, eine gewohnheitsmäßige Gabe. Was nicht heißt, dass sie keine Bewegungen mit sich bringt.
Tatsächlich fragt der heilige Thomas in Artikel 3: Ist es nicht so, dass diese Gnade, die Gott in der Seele hervorbringt, wenn er uns gnädig ist, zufällig mit den Tugenden zusammenfällt, den eingeflößten Tugenden? Das heißt, mit den drei theologischen Tugenden (Glaube, Hoffnung, Nächstenliebe), den vier Kardinaltugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung), den anderen eingeflößten Tugenden im Allgemeinen, den Gaben des Heiligen Geistes. Ist das nicht zufällig? Der heilige Thomas sagt nein, aber nicht, weil dies nichts damit zu tun hätte. Versuchen wir, seine Argumentation zu verstehen.
Stellen wir eine Analogie zu den menschlichen Tugenden her: Was erfordern sie? Die menschlichen Tugenden erfordern eine menschliche Seele, deren wirksame Prinzipien, deren wirksame Gewohnheiten sie darstellen. Es gibt auch etwas Analoges in Bezug auf eingegossene Tugenden und gewohnheitsmäßige Gnade, Gnade als Eigenschaft der neuen, nachfolgenden Seele.
Tatsächlich sagt uns der heilige Thomas: „Die Tugend jeder Realität ist relativ zu einer präexistenten Natur. Das heißt, wir sprechen von Tugend, wenn ein Wesen in Übereinstimmung mit seiner Natur angeordnet ist“ (I-II, q. 110, a. 3). Daher ist Tugend die Folge einer Natur, ein Leben in Übereinstimmung mit einer Natur, die in dem Sinne präexistent ist, dass sie das Substrat der Tugenden ist. Dies gilt auch für die Beziehung zwischen Gnade und eingegossenen Tugenden. Thomas erklärt: „Für die eingegossenen Tugenden ist es notwendig, dass sie mit einer höheren Natur verbunden sind“ (ebenda), weil sich die eingegossenen Tugenden nicht nur auf die geschaffene Natur beziehen können, sondern auf jene geschaffene Natur, die durch etwas ersetzt ist, das der heilige Thomas eine höhere Natur nennt.
Und was ist diese höhere Natur? Vorsicht, hier kommen wir zum Kern der Sache: „Das ist die geteilte göttliche Natur, von der der heilige Petrus so spricht (2 Petr 1,4): ‚Er hat uns die kostbarsten und größten Güter geschenkt, die uns verheißen sind, damit ihr durch sie Teilhaber der göttlichen Natur werdet.‘ Weil wir diese Natur empfangen haben, können wir sagen, dass wir als Kinder Gottes wiedergeboren sind“ (ebd.). Das heißt, diese überragende Qualität, die Gott in der Seele, im Menschen und im Engel schafft, ist nichts Geringeres als eine Teilhabe an der göttlichen Natur.
Wir nehmen nicht an etwas Allgemeinem teil, sondern an der Natur Gottes selbst. Deshalb verwenden wir den starken Begriff der „Deformation“, „Vergöttlichung“, das heißt, wir werden zu Göttern. Aber in welchem Sinne? Auf eine partizipatorische Weise. Dies ist nur durch Teilnahme möglich, denn Götter in sich selbst und nicht durch Teilnahme zu sein, ist natürlich nur Gott möglich. Und doch gibt Gott den Menschen dieses außergewöhnliche Geschenk, an nichts Geringerem als der göttlichen Natur selbst teilzuhaben. Dies ist die Bedeutung der Gnade, dieser Gewohnheit, dieser neuen Qualität, die in die Seele eindringt und, wohlgemerkt, das Substrat bildet, an das alle eingegossenen Tugenden, theologischen, Kardinaltugenden usw., gebunden sind.
Und deshalb sagt der heilige Thomas: „Denn so wie die erworbenen Tugenden den Menschen dazu prädisponieren, im Einklang mit dem natürlichen Licht der Vernunft zu wandeln, so prädisponieren ihn die eingegossenen Tugenden dazu, im Einklang mit dem Licht der Gnade zu wandeln“ (ebd.), mit dieser neu geschaffenen Natur, mit dieser Teilhabe an der göttlichen Natur.
Dies sind die Tugenden. Und daher besteht keine Übereinstimmung zwischen eingegossenen Tugenden und Gnade. Das bedeutet nicht, dass es einen Gegensatz gibt, aber sie müssen unterschieden werden.
Und deshalb sagt uns der heilige Thomas – in Art. 4, dem letzten zu dieser Frage – im Wesentlichen, dass die Gnade Gottes nicht in den Fähigkeiten des Menschen liegt, das heißt, sie liegt nicht in seinem Willen oder seiner Intelligenz, sondern im Wesen der Seele. Warum im Wesen der Seele? Thomas erklärt: „Denn so wie der Mensch durch die Fähigkeit des Intellekts, kraft des Glaubens, an der göttlichen Erkenntnis teilhat und durch die Fähigkeit des Willens, kraft der Nächstenliebe, an der göttlichen Liebe teilhat, so hat auch die göttliche Natur durch die Natur der Seele Anteil, gemäß einer gewissen Ähnlichkeit mit einer gewissen Erzeugung oder Wiedergeburt“ (I-II, q. 110, a. 4). Das heißt, es ist die Seele selbst, das Wesen der Seele selbst, das an dieser göttlichen Natur teilhat. Das ist unerhört, es ist etwas Außergewöhnliches, wir können darüber reden, aber wir können kaum über diese Realität nachdenken.
Offensichtlich ruft die Gnade, die im Wesen der Seele wohnt, diese Tugenden hervor, die in den Fähigkeiten der Seele wohnen: Glaube an die Intelligenz; Nächstenliebe im Willen und dann die ganze Reihe der eingegossenen Tugenden. Aber was ich Ihnen gegenüber gerne wiederholen möchte, ist, dass wir vor einer wahren und eigentlichen Vergöttlichung des Menschen stehen, die die Verwirklichung des Plans ist, den Gott seit dem irdischen Paradies hatte und den der Teufel sehr gut kannte und von dem er unsere Vorfahren auf irgendeine Weise abzubringen versuchte. Wie hat er das gemacht? Erinnern Sie sich an die Versuchung: „Sie werden wie Gott.“ Der Teufel hat einen Teil der Wahrheit genommen. Der wahre Teil ist, dass der Mensch wirklich dazu berufen ist, wie Gott zu werden. Aber was hat er verschwiegen? Er hat über das grundlegende Element geschwiegen: Um wie Gott zu werden, kann es keine menschliche Initiative geben; wir können unsere Natur nicht über sich selbst erheben. Wir können viele Dinge tun, die zu unserer Natur gehören, die auf der Ebene unserer Natur liegen, aber nicht darüber hinaus. Tatsächlich haben wir gesehen, dass diese Vergöttlichung nur das Werk dessen sein kann, der die göttliche Natur in sich trägt, Gott selbst, der sie jedoch mit seinen Geschöpfen teilt, den Menschen oder den Engeln.
Der Teufel hat also nicht gelogen, als er sagte: „Ihr werdet wie Götter werden“; er hat gelogen, weil er verschwieg, dass es ein Geschenk Gottes selbst ist, wie Gott zu werden. Es ist ein Geschenk, das Gott den Menschen schenken möchte, das aber ohne Gott oder gegen Gott undenkbar ist. Das Thema ist theologisch stark, aber auch existenziell bedeutsam.
Fassen wir nun diese vier Artikel der Frage 110 zusammen. Zunächst einmal beziehen wir uns, wenn wir von Gnade sprechen, auf eine geschaffene Qualität: von Gott selbst geschaffen, in unserer Seele, die in einer Teilhabe an der göttlichen Natur, in einer gewissen Assimilation der göttlichen Natur, in einer Vergöttlichung besteht. Das ist die Bedeutung der Adoption als Kind. Die Adoption als Kind Gottes ist kein externer juristischer Akt. Es gibt keinen Richter, der bestimmt, dass der oder die der Adoptivsohn eines anderen ist. Das ist es nicht. Dies entspricht der Auffassung von Gnade als einem Akt bloßer äußerer Güte, der den Menschen innerlich nicht verändert.
Hier ist die ganze Polemik über die Rechtfertigung, die Polemik mit Luther. Luther lehnte diese Vorstellung von Gnade als eine wirkliche Teilhabe an der göttlichen Natur ab, die den Menschen selbst verändert, das Entstehen einer neuen Qualität, die im Wesen der Seele liegt. Das ist der Clou. Technisch gesehen bezieht sich dies auf die kollektive Gewohnheit der heiligmachenden Gnade. Die heiligmachende Gnade ist eine stabile Gewohnheit, die das Sein betrifft, das heißt das wahre Wesen der menschlichen Seele: die kollektive Gewohnheit der heiligmachenden Gnade. Dazu kommen weitere Gaben, die von Gott selbst kommen und die diese kollektive Gewohnheit der heiligmachenden Gnade erfordern. Und was sind diese? Sie sind die sogenannten operativen Gewohnheiten der eingegossenen Tugenden, d. h. die unmittelbaren Wirkungsprinzipien.
Wir haben die Parallele zu den menschlichen Tugenden gesehen, die die unmittelbaren Funktionsprinzipien sind, um im Einklang mit der menschlichen Natur zu handeln. Und hier haben wir die unmittelbaren Funktionsprinzipien, die uns im Einklang mit dieser göttlichen, partizipatorischen Natur handeln lassen. Die beiden Prinzipien stehen, wie wir gesehen haben, nicht im Widerspruch zueinander. Wir haben diese wunderbare Harmonie zwischen der menschlichen Natur und der vergöttlichten menschlichen Natur: Letztere zerstört Erstere nicht, beseitigt sie nicht, macht sie nicht nutzlos, sondern veredelt sie.
Dritter Schritt, den wir in Klammern gelassen haben. Diese Wesenstracht und diese Funktionsgewänder erfordern die aktive Gegenwart Gottes, insbesondere der dritten Person, das heißt des Heiligen Geistes. Dies nennt man ungeschaffene Gnade. Es ist wichtig, eine Diskussion zu verstehen, die mit der eher für die franziskanische Welt typischen Gnadentheologie nie wirklich gelöst wurde. Die franziskanische Welt besteht zu Recht stark auf der aktiven Gegenwart des Heiligen Geistes im Menschen. Aber der heilige Thomas, seien Sie vorsichtig, sagt: Ungeschaffene Gnade ist nicht, dass wir sie wegwerfen und dass diese Innewohnen nicht mehr vorhanden ist; Aber aufgrund dieser Innewohnung haben wir die geschaffene Gnade, die kollektive Gewohnheit. Warum ist es so wichtig, das zu betonen? Weil wir dadurch sagen können, dass innerhalb der menschlichen Seele eine echte qualitative Veränderung stattgefunden hat, die mit dem Wesen der Seele zu tun hat. Es findet eine echte Vergöttlichung des Menschen statt. Es gibt nicht „nur“ eine Innewohnung des Heiligen Geistes.
Diese Innewohnen, die ungeschaffene Gnade, initiiert, erschafft eine neue Schöpfung, die eben durch die heiligmachende Gnade, durch diese Wesensgewohnheit und dann durch wirksame Gewohnheiten, die eingeflößten Tugenden, gegeben wird. Es ist wahrhaftig, als wäre es eine neue Schöpfung, die der natürlichen nicht gegenübergestellt und noch weniger entgegengesetzt, sondern tief mit ihr verbunden ist. Dennoch ist es eine neue Schöpfung, weil es eine wahre und eigentliche Vergöttlichung des Menschen ist. Es ist nicht „nur“ ein Innewohnen Gottes in der Seele, sondern es ist eine Erhebung, eine Veränderung, eine echte Vergöttlichung der Seele selbst.
Wir haben viel Öl ins Feuer gegossen. Es scheint mir richtig, trotz einiger technischer Schwierigkeiten, diese sehr wichtigen Punkte der katholischen Theologie mitzuteilen, damit sie uns ein wenig vertrauter werden, denn hier öffnet sich eine Welt, dort liegt unsere ganze Berufung, der außergewöhnliche Ruf des Christen. Der nicht einfach darin besteht, an Weihnachten besser zu sein oder großzügiger Almosen zu geben als ein anderer. Das heißt, es ist kein besseres moralisches Verhalten; Das heißt nicht, dass es das nicht geben sollte, dass wir nicht auch danach streben sollten. Es ist auch nicht einfach das Wissen um etwas, das mehr ist als andere. Es ist wirklich eine Transformation. Wenn wir vom großen Geheimnis Christi und der Erlösung sprechen, werden wir sehen, dass es darum geht, durch den Sohn Teilhaber der göttlichen Natur zu werden, das heißt, Kinder Gottes im Sohn, Jesus Christus, zu werden.
Quelle: L.Scrosati, LNBQ
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