Mittwoch, 4. September 2024

Vom Turiner Grabtuch...

Emanuela Marinelli kommentiert in La Nuova Bussola Quotidiana die neuen Veröffentlichungen zum Turiner Grabtuch. Hier geht´s zum Original:  klicken

"DAS GRABTUCH CHRISTI - GEFANGEN ZWISCHEN rÖNTGESTRAHLEN UND KÜNSTLICHER INTELLIGENZ
Seltsamerweise haben sich zahlreiche Medien 2 Jahre nach seiner Veröffentlichung beschlossen, die Nachricht über eine 2022 veröffentlichte Untersuchung zu verbreiten, dass das Heilige Leintuch in die Zeit Jesu zu datieren ist. Der Boom in Medien und Sozialen Medien, der folgte, bestätigt, daß das "Antlitz" nie aufhört, Aufmerksamkeit zu erregen.
Plötzlich, ganz unerwartet, kurz nach Mitte August dieses Jahres, brach in Großbritannien die Nachricht über das Grabtuch aus, die sofort von den Medien in anderen Ländern aufgegriffen wurde, sogar von Aljazeera: Das verehrte Leinentuch wurde mithilfe einer neuen Analysemethode mit Röntgenstrahlen auf das erste Jahrhundert n. Chr. datiert.

Alles begann mit einem Artikel von Stacy Liberatore, der am 19. August in der Daily Mail Online Science erschien und Forschungsergebnisse ankündigte, die vor... zwei Jahren veröffentlicht worden waren. Die Journalistin erklärte nicht, warum sie erst jetzt auf diesen 2022 in Heritage veröffentlichten Text aufmerksam geworden war. Aber um fair zu sein: besser zu spät als nie. 

Die
 Autoren der Untersuchung, der Physiker Liberato De Caro und andere, hatten bereits 2019 einen früheren Artikel in Heritage über diese neue WAXS-Methode (Wide Angle X-ray Scattering) veröffentlicht, bei der Weitwinkel-Röntgenstrahlen verwendet werden, um den strukturellen Abbau zu beurteilen, den ein altes Leinengewebe im Laufe der Zeit erfährt, um ihm ein Alter zuzuordnen. Die Methode ist zerstörungsfrei und kann sogar auf eine kleine Fadenprobe von einem halben Millimeter angewendet werden 

Die
im Heritage-Artikel von 2022 enthaltene Nachricht, die von der Daily Mail Online neu aufgelegt wurde, betrifft die Datierung eines Fadens des Grabtuchs mithilfe der WAXS-Methode: Der Vergleich mit Fäden aus verschiedenen Epochen hat es ermöglicht, den Ursprung des Grabtuchs auf die Zeit Christi zu datieren, da die erhaltenen Messungen mit denen einer Leinenprobe aus den Jahren 55-74 n. Chr. vergleichbar sind, die von der archäologischen Stätte Masada in Israel stammt.


In den Medien, die die Nachricht aufgriffen, war auch die Meinung des Physikers Paolo Di Lazzaro zu finden, der, wie immer in wissenschaftlichen Debatten, eine gewisse Verwunderung über diese neue Untersuchungsmethode zum Ausdruck brachte. Doch der Erfolg des ersten Artikels, der das Grabtuch in die Top 10 der am häufigsten gesuchten Themen bei Google in englischer Sprache brachte, ermutigte die Daily Mail Online, in den folgenden Tagen weitere zu veröffentlichen: So sprach Stacy Liberatore am 20. August über David Rolfe,den atheistischen Filmemacher, der durch die Untersuchung des Grabtuchs für einen Dokumentarfilm, den er drehte Silent Witness bekehrt wurde, während William Hunter, ebenfalls am 20. August, verschiedene interessante sindonologische Themen diskutierte, darunter die Forschungen des Archäologen William Meacham an einigen Fäden des Grabtuchs im Stable Isotopes Laboratory in Hongkong. Dieser Isotopenuntersuchung zufolge wuchs das Leinen, aus dem das Grabtuch hergestellt wurde, im Nahen Osten.

Unter den untersuchten Themen schlägt Hunter jedoch auch das Experiment des forensischen Anthropologen Matteo Borrini und des Chemikers Luigi Garlaschelli erneut vor, die beweisen wollten, dass die Blutrinnen auf dem Grabtuch gefälscht waren. Das Experiment wurde weitgehend abgelehnt, wie man in La Nuova Bussola Quotidiana lesen kann.
 
Wieder schrieb Stacy Liberatore am 22. August einen Artikel über das Grabtuch, diesmal um über neue Forschungen des Ingenieurs Giulio Fanti zu sprechen, der unter anderem behauptet, in einigen Blutpartikeln Kreatinin gefunden zu haben, ein Beweis für ein Trauma, das der Mann auf dem Grabtuch erlitten hatte.

Angesichts des wachsenden Interesses veröffentlichte Stacy Liberatore am 23. August einen weiteren Artikel, in dem ich mit dem französischen Forscher Tristan Casabianca zu den Forschungsergebnissen interviewt wurde, die wir zusammen mit den Statistikern Benedetto Torrisie Giuseppe Pernagallo in Archaeometry veröffentlicht haben. Das ist eine Analyse der Rohdaten, die von den Laboren erhalten wurden, die das Grabtuch 1988 auf das Mittelalter datierten. Diese statistische Analyse widerlegte die Gültigkeit des Tests von 1988 endgültig, da er an einer Probe durchgeführt wurde, die nicht repräsentativ für das gesamte Grabtuch war. Das wurde auch in La Nuova Bussola Quotidiana  berichtet.

Am 28. August greift die Daily Mail Online das Thema erneut auf, mit einem Artikel von Ellyn Lapointe, der weitere Forschungsarbeiten von Liberato De Caro vorstellt und erneut die in Archaeometry vorgestellte statistische Analyse diskutiert.

Ebenfalls am 30. August erscheint ein neuer Artikel in der Daily Mail Online, diesmal von Rob Waugh, der ein drei Jahre altes Buch vorstellt, das die hypothetische Geschichte des Grabtuchs in den ersten Jahrhunderten rekonstruiert.
 
Nun jagen andere Zeitungen den von der Daily Mail veröffentlichten Nachrichten hinterher. Die französische Website des CIELT (Centre International d'Études sur le Linceul de Turin) listet in ihrer Presseschau vom August 170 Artikel auf – zu denen sie den Link liefert –, in denen das Grabtuch in diesem Monat in verschiedenen Zeitungen auf der ganzen Welt erwähnt wurde. Aber wieder einmal ist es die Daily Mail, die am 2. September mit einem neuen, von Rob Waugh unterzeichneten Artikel die treibende Kraft ist und andere Reliquien erwähnt, die mit der Passion Christi in Verbindung stehen: das Schweißtuch von Oviedo, die Tunika von Argenteuil, die Veronika des Vatikans.

Diese Abfolge von Nachrichten, auch veralteten, lässt einen über das Interesse nachdenken, das das Grabtuch bei den Menschen weckt, und über die daraus resultierende Beteiligung der Massenmedien, die ebenfalls darüber sprechen, um auf ihren Websites Meinungen zu erregen. Auf die Artikel folgen unten Hunderte von gegensätzlichen Kommentaren, im Wirbelwind von „Gefällt mir“ oder „Gefällt mir nicht“, „Daumen hoch“ oder „Daumen runter“.
           



Zu den verschiedenen Kuriositäten, die das Grabtuch hervorruft, gehört auch die des Aussehens Jesu, insbesondere seines Gesichts. So stellte die Daily Mail Online der künstlichen Intelligenz Merlin die Frage: „Können Sie ein realistisches Bild von Jesus Christus auf der Grundlage des Gesichts auf dem Turiner Grabtuch erzeugen?“ Am 22. August veröffentlichte Jonathan Chadwick das Ergebnis.Am Tag zuvor, dem 21. August, hatte sich auch der Daily Express der künstlichen Intelligenz zugewandt, allerdings mit einem anderen Programm: Midjourney. Das Ergebnis wurde von Michael Moran als „das wahre Gesicht Jesu im Express veröffentlicht.  

 Aber wenn dies das wahre Gesicht Jesu ist, warum unterscheidet es sich dann von dem anderen? Dabei sind sie doch beide von künstlicher Intelligenz erzeugt! Die Antwort ist einfach: Es sind zwei verschiedene Programme, die offensichtlich unterschiedliche Informationen verwenden. Letztendlich tut die künstliche Intelligenz nichts anderes, als die eingegebenen Daten zu verarbeiten.
Eine dritte von künstlicher Intelligenz erzeugte Ausarbeitung des Antlitzes Christi vom Grabtuch findet sich in Stacy Liberatores Artikel vom 23. August in der Daily Mail Online. Es ist das Werk des Grafikdesigners Otangelo Grasso (Foto).


Also unterschiedliche Ergebnisse, die je nach ästhetischem Geschmack mehr oder weniger gefallen können, aber keines ist wirklich mit dem unnachahmlichen Original vergleichbar: dem Grabtuchgesicht."

Quelle: E. Marinelli, LNBQ

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