Freitag, 18. September 2015

Kann ein Motu Proprio zurück genommen werden? Eine Kirchengeschichtslektion von Roberto De Mattei

Roberto De Mattei hat sich bei Corrispondenza Romana Gedanken über diese Frage gemacht. Er berichtet von den Folgen historischer Eheungültigkeitsentscheidungen. Und er zeigt anhand der historischen Ereignisse um Papst Pius VII, Napoleon und das Konkordat von Fontainebleau, wie ein Pontifex und die Kirche vor 200 Jchren mit seinem Irrtum umgegangen sind, und zieht eine Linie zu den Motu Proprio von Papst Franziskus, die die Ehe-Annulierungen vereinfachen, die Akte der Regierung des Papstes sind - also widerrufbar. Ebenso zeigt er mit seinem historischen Beispiel, daß es möglich ist, sie zu kritisieren, ohne den Primat des Papstes anzutasten. Lang aber lesenswert!
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           "DARF MAN REGIERUNGSAKTE DES PAPSTES KRITISIEREN?"
"Angesichts der zahlreichen Kritiken an den Motu Proprio stehen viel Gewissen vor einem delikaten Problem.
Wie auch immer wir über das Motu Proprio urteilen, es handelt sich dabei um einen direkten und persönlichen Regierungsakt des souveränen Pontifex. Kann ein Papst sich bei der Promulgierung des Kirchenrechtes irren?
Und muß man nicht trotz allem - im Falle des Dissenz - ihm gegenüber Schweigen bewahren?
Die Antwort auf diese Frage geben uns die Doktrin und die Geschichte.

Es ist tatsächlich sehr oft vorgekommen, daß die Päpste sich geirrt haben - in ihren politischen, pastoralen, und selbst lehramtlichen Entscheidungen, ohne dass das irgendetwas am Unfehlbarkeitsdogma und dem römischen Primat geändert hätte.
Der Widerstand der Gläubigen gegen solche Irrtümer - und in einigen Fällen sogar Gesetzesabweichungen der Souveränen Pontifices waren immer eine Wohltat für das Leben der Kirche.

Ohne in der Zeit zu weit zurückzusteigen, werde ich mich mit einem Ereignis beschäftigen, das 2 Jahrhunderte zurückliegt. Das Pontifikat von Pius VII - wie auch das von Pius VI -  kannte Augenblicke schmerzhafter Spannungen und des Kampfes zwischen dem Hl. Stuhl und Napoléon Bonaparte, dem Kaiser der Franzosen.
Pius VII hat am 15. Juli 1801 ein Konkordat mit Napoléon unterzeichnet, im Glauben, damit die Ära der Französischen Revolution zu beenden, aber Napoleon zeigte sehr schnell, was seine wahre Absicht war: eine seiner Aufsicht unterstellte nationale Kirche zu schaffen.
Am 2. Dezember 1804 krönte sich Napoleon eigenhändig zum Kaiser und eroberte einige Jahre später Rom, konfiszierte die Päpstlichen Ländereien in Frankreich. Der Papst wurde gefangen genommen und zunächst nach Grenoble dann nach Savona verschleppt.




Die Opposition echauffierte sich mehr über die zweite Ehe des Kaisers.
Napoléon hatte am 2. Dezember 1804 Joséphine de Beauharnais geheiratet -am Vorabend der Krönung, als die Kaiserin sich vor Pius VII auf die Knie geworfen und ihn angefleht hatte, sie mit dem Kaiser zu vermählen, mit dem sie nur zivil verheiratet war. Der Papst hatte Napoléon wissen lassen, daß er nur nach einer religiösen Vermählung an der Krönung teilnehmen werde.
Die Ehe wurde übereilt während der Nacht durch Kardinal Fesch, einen Onkel Napoléons, geschlossen. Joséphine schenkte dem Kaiser keinen Erben und ihre Herkunft war zu einfach für den, der Europa dominieren und sich mit seinen Herrscherhäusern verbinden wollte.

Der Kaiser beschloss also, diese Ehe annullieren zu lassen, um Marie-Louise von Österreich, die Tochter des wichtigsten europäischen Souveräns zu heiraten.
1810 wurde die Zivilehe durch einen Senatus Consultus sofort für ungülttig erklärt und unmittelbar danach die sakramentale Ehe durch ein Pariser Diözesangericht.
Der Hl. Stuhl erkannte diese Annullierungserklärung durch nachgiebige Prälaten nicht an, und als am 2. April 1810 der Kaiser die Kapelle des Louvre betrat, um in einer zweiten Ehe Marie-Louise zu ehelichen, fand er 13 der für die eingeladenen Kardinäle reservierten Plätze leer vor.

Der Kaiser behandelte die Ferngebliebenen als Staatsfeinde, weil sie mit ihrer Geste ihre Überzeugung ausgedrückt hatten, daß seine Ehe nur vom Papst hätte annulliert werden können.
Deshalb wurden die 13 Kardinäle dazu verurteilt, sofort ihren Habit und ihre Insignien abzulegen und sich in die einfache schwarze Priestersoutane zu kleiden - woher der Name "schwarze Kardinäle" oder "zelanti" stammt - im Gegensatz zu den "roten", die Napoleon treu und seiner Heirat gegenüber positiv eingestellt waren.

Pius VII schwankte zwischen beiden Tendenzen hin und her, aber am 25. Januar 1813 unterzeichnete er - erschöpft vom Kampf - einen Vertrag zwischen dem Hl. Stuhl und dem Kaiser, in dem er auch einige mit der katholischen Lehre nicht zu vereinbarenden Bedingungen zustimmte.
Das unter dem Titel " Konkordat von Fontainebleau" bekannte Dokument akzeptierte im Endeffeket die Unterordnung des Hl. Stuhls unter die Autorität des französischen Staates, und gab die Kirche letztendlich in die Hände des Kaisers.
Dieser Akt, in dem der Papst öffentlich als Oberhaupt der Katholische Kirche handelte, wurde von den zeitgenössischen Katholiken sofort als  katastrophal angesehen und seither immer von den Kirchenhistorikern.
Pater Ilario Rinieri, der 3 Bände über die Beziehung von Papst Pius VII und Napoléon verfaßt hat, schreibt, daß der Vertrag von Fontainebleau "so ruinös wie nichts anderes war, sowohl für die Souveränität des römischen Pontifex als auch für den Hl. Stuhl selbst," und fügt hinzu "warum der Hl. Vater Pius VII sich dazu bringen ließ, einen Vertrag der so katastrophale Bedingungen enthielt, zu unterschreiben ist eines der Phänomene, deren Erklärung über die Rechte der Geschichte hinaus geht."

"Es ist unmöglich den finsteren Eindruck zu beschreiben, den die Veröffentlichung dieses Konkordats machte", erinnert Kardinal Barolomeo Pacca in seinen "Memorie storiche"
Es gab Personen, die das Konkordat begeistert begrüßten und es ganz leise kritisierten, weil sie nicht wagten es laut zu sagen, sei es aus Servilität, sei es aus falscher theologischer Doktrin.
Kardinal Pacca -Prosekretär des Papstes, gehörte zu den Kardinälen, die nachdem sie vergebens versucht hatten, dem Papst die Unterschrift auszureden, sagten, daß es kein anderes Mittel gäbe, dem Skandal gegen den Katholizismus und dem sehr schweren Schaden, der der Kirche durch die Inkraftsetzung dieses Konkorates zugefügt wurde, zu begegnen, als seine sofortige Zurücknahme und eine generellen Annullierung des Vertrages durch den Papst" und sie wiesen dabei auf das wohlbekannte Beispiel von Papst Paschalis II hin.
Die Rücknahme gewann. Angesichts der Vorwürfe der "eifernden" Kardinäle , erkannte Pius VII  in großer Demut den Fehler an und unterschrieb am 24. März einen Brief an Napoléon, in dem man diese Worte lesen kann:
"Über dieses Papier, auch wenn es von Uns  unterzeichnet wurde, sagen wir Ihrer Majestät das, was unser Vorgänger Paschalis II in einem ähnlichen Fall in einem von ihm gezeichneten Schreiben an Heinrich V sagte - weil sein Gewissen Grund hatte, zu bereuen - also zu sagen: wie wir dieses Schreiben als Fehler anerkennen und es ebenso mit der Hilfe des Herrn als Fehler beichten, wollen wir, daß es sofort dahin gehend korrigiert wird, daß der Kirche keinerlei Schaden entsteht und für unsere Seele keine Vorverurteilung."

In Italien erfuhr man nicht sofort von diesem Zurückziehen durch den Papst sondern nur von der bereits geleisteten Unterschrift unter das Konkordat.
Deshalb verfaßte der Selige Pio Bruno Lanteri, der die Bewegung "Amicizie Cattoliche" leitete sofort einen Text in dem er diesen Akt des Papstes stark kritisierte und u.a. schrieb:
"Man wird mir sagen, daß der Hl. Vater alles tun kann, quodcumque solveris - quodcumque ligaveris  (was immer du lösen wirst , was immer du binden wirst) etc. Das ist wahr, aber er kann nichts gegen die göttliche Verfassung der Kirche tun. Er ist der Vikar Gottes, aber er ist nicht Gott, noch darf er das Werk Gottes zerstören!"

Niemand konnte Kardinal Pacca einer zu heftigen Ausdruckweise anklagen, oder Pio Bruno Lanteri der mangelhaften Bindung an das Papsttum.
Die Konkordate, wie die Motu Proprio, die Apostolischen Konstitutionen, die Enzykliken, Bullen sind legislative Akte die den päpstlichen Willen ausdrücken, aber sie sind nicht unfehlbar, außer der Papst definiert sie bei ihrer Promulgierung, als Teil der Lehre oder der verbindlichen Moral für jeden Katholiken,.
  
Der Selige Lanteri, der ein glühender Verteidiger der Rechte des Papsttums war, gab die Möglichkeit zu, dem Papst im Falle eines Irrtums Widerstand zu leisten, im Wissen um die Allmacht des Papstes - die aber nicht grenzenlos und willkürlich ist.

Der Papst -wie jeder Gläubige - muß das  Naturrecht und das göttiche Recht respektieren, dessen Hüter er durch göttliches Mandat ist. Er kann weder die Glaubensregel noch die göttliche Verfassung der Kirche (z.B. die 7 Sakramente) ändern, auch als zeitweiliger Souverän kann er das fundamentale Gesetz des Königtums nicht ändern, "weil man" - wie Bossuet in Erinnerung bringt - "wenn man es verletzt, an allen Fundamenten der Erde rüttelt."

Die Motu Proprio von Papst Franziskus zur Eheannullierung sind ein Akt der Regierung, der diskutiert und durch einen weiteren Akt der Regierung zurückgezogen werden kann. Das Motu Proprio Summorum Pontificum von Papst Benedikt XVI  vom 7. Juli 2007 zur traditionellen Liturgie ist diskutiert und heftig kritisiert worden.
Die Motu Proprio von Franziskus, die sein bisher revolutionärstes Handeln darstellen, sind bis zum 8. Dezember noch nicht in Kraft.
Ist es illegitim zu fordern, daß man bei der Synode diese Ehereform diskutiert und daß eine Gruppe von "eifernden" Kardinälen ("zelanti") seine Rücknahme verlangt?" 

Quelle: Corrispondenza Romana, Roberto De Mattei, BenoîtXVI-et-moi













1 Kommentar:

  1. Herzlichen Dank für diese Übersetzung. Dieser Text hilft mir sehr bei meinen großen Fragen und Verwirrungen, die im Laufe dieses Pontifikats immer mehr zugenommen haben.

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