Dienstag, 9. Februar 2021

S. Magister zur bevorstehenden Papstreise in den Irak

Sandro Magister befaßt sich bei Settimo Cielo mit der bevorstehenden Reise von Papst Franziskus in den Irak und dem geplanten Treffen mit Groß-Imam Al Sistani. 

 Hier geht´s zum Original:  klicken

"FRANZISKUS UND DER SCHIITISCHE GROSS-AYATOLLAH IM DIALOG ZU MENSCHENRECHTEN UND RELIGIONS FREIHEIT...NUR EIN TRAUM?"

Am Donnerstag, 4. Februar, nachmittags war Papst Franziskus physisch in Rom, aber virtuell in Abu Dhabi, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, um gemeinsam mit Gastgeber Scheich Mohammed Bin Zayed, Groß-Imam von Al Azhar und UN-Generalsekretär Antonio Guterres im live-streaming den ersten, von den UN ausgerufenenen Internationalen Tag der menschlichen Brüderlichkeit zu feiern.

Während der Feier wurde erstmals auch der Zayed-Preis für menschliche Brüderlichkeit -an Guterres selbst und dem in Marokko geborenen französischen Aktivisten Latifa Ibn Zayadin, dessen Sohn Imad 2012 von einem jungen Fanatiker ermordet wurde, verliehen. 

Sowohl der Tag als auch der Preis haben einen Vorläufer und ein Ergebnis. 

Vorläufer ist das "Dokument zur menschlichen Brüderlichkeit für Weltfreiden und Zusammenleben", das am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi gemeinsam von Papst Franziskus und dem Groß-Imam von Al Azhar unterzeichnet wurde. 

Ergebnis ist, daß Franziskus in weniger als einem Monat, vom 5.-8. März, den Irak besuchen will.

Das ist ein Besuch, den der Papst sich mit aller Kraft wünscht. Daran hat er am 1. Februar erinnert, als er mit amerikanischen Journalisten vom Catholic News Service  sprach. Er ist so bedacht darauf, in den Irak zu reisen, daß er auch- wenn es nötig wäre- einen normalen Flug nehmen würde, um dorthin zu gelangen, "weil es wichtig ist, daß sie sehen, daß der Papst in ihrem Land ist"-auch wenn sie ihn wegen der Covid-Restriktionen nur im Fernsehen sehen. Nur wenn es eine ernste neue Infektionswelle gibt, könnte die Reise verschoben werden. 

Franziskus hat nichts über die Gefahr von Attentaten gesagt. Offensichtlich hält er die für nicht so gefährlich, daß sie ihn entmutigen könnten, zu reisen- trotz der Tatsache, daß sich die Angriffe von Islamisten in den letzten Wochen vervielfacht und zahlreiche Opfer gefordert haben. 

Der schlimmste Angriff mit 32 Toten und mehr als 100 Verletzten fand am 21. Januar auf einem belebten, von ISIS beanspruchten Platz in Bagdad statt, dem selbsternannten Islamischen Staat, der seit 2017 kein Territorium mehr hat, aber immer noch voll bewaffnet aktiv ist. 

Zusätzlich hat ISIS in den vergangenen Jahren die Verantwortung für 1422 Angriffe mit 2748 Opfern übernommen, davon 19 in der letzten Januarwoche mit 176 Toten und Verletzten, die sich meistens auf das Gebiet zwischen Bagdad und der Grenze zum Iran konzentrierten.


In den vergangenen Tagen haben irakische Regierungsvertreter bekannt gegeben, daß mehrere ISIS-Anführer der Terror-Organisation im Irak getötet wurden, einschließlich Abu Yasser Al-Issawi, der sich zum Vize-Kalifen und "wali" = Gouverneur stilisierten hatte.

Aber die irakische Anti-Terror-Einheit - die Ashd Al-Shaabi -eine Art Volksfront- hatte am 2. Februar 5 Tote zu beklagen,  bei einem bewaffneten Zusammenstoß mit ISIS. 

2014 wurde diese militärische Gruppe durch eine Fatwa von Groß-Ayatollah Sayyid Ali Husaini Al Sistani gegründet, der obersten spirituellen Autorität des Schiitischen Islam im Irak, der die jungen Iraker dazu aufforderte, gegen die islamistischen Fanatiker von ISIS die Waffen zu ergreifen. Auf freiwilliger Basis gegründet wurde diese Anti-Terroristen-Gruppe 2016 in die reguläre Armee eingegliedert. 

Nun gut, genau dieses Treffen mit Groß-Ayatollah Al-Sistani ist das vorherrschende Ziel der Reise in den Irak, die Papst Franziskus machen will. 

Insbesondere will der Papst, daß der Schiitische Groß-Ayatollah dem 2019  bereits von ihm und dem Sunnitischen Groß-Imam von Al Azhar unterzeichneten Dokument seine Unterschrift hinzufügt, um der Welt zu zeigen, wie sehr die vom Oberhaupt der Katholischen Kirche gepredigten "menschliche Brüderlichkeit" auch die beiden historisch feindlichen Strömungen des Islams versöhnen könnte. 

Diese Feindschaft geht auf den Anfang des Islams zurück,. Beim Tod Mohammeds gab es einen Streit darüber, wer die Leitung der Gemeinschaft übernehmen sollte. Für einige sollte die Macht dem Nachkommen des Propheten anvertraut werden, das war die Schia-Partei von Ali. dem Ehemann von Mohammeds Tochter Fatima. Die anderen dachten, daß der Kalif gewählt werden sollte. 

Diese Gruppe hatte die Oberhand- auch auf dem Schlachtfeld- und sie wurden später Sunniten genannt- die Unterstützer der "sunna", der Tradition. Aber die Schiiten haben seither die Macht des Kalifen als usurpiert und illegitim betrachtet. Und sie haben ihre Geschichte als die von Passion und Martyrium interpretiert, die jährlich während der ersten 10 Tage des Monats Muharram in einem kollektiven heiligen Drama, "Taziyeh" gefeiert wird.

Heute machen die Schiiten rund 15% der Muslime der Welt aus - ungefährt 180 Millionen in mehr als 100 Ländern. Im Iran fast die gesamte Bevölkerung, im Irak die Mehrheit- mit den beiden heiligen Städten Karbala und Najaf. 

In Najaf, wo sich das Grab Alis befindet, haben seit Jahrhunderten die meistrespektierten Ayatollahs studiert und gelehrt- bevor das theokratische Regime Khomeinis das Hauptausbildungszentrum der Schiiten nach Qom im Iran verlegte. Aber seit 2000 haben die Bemühungen, den Primat Najafs wieder herzustellen, neuen Zuspruch bekommen und in keinem Geringeren als Groß-Ayatollah Al-Sistani einen Schirmherrn gefunden. 

Al-Sistani wurde vor 73 Jahren im Dorf Mashad im Iran geboren. Im Alter von 5 Jahren hatte er den gesamten Koran auswendig gelernt- mit 7 Jahren trat er ins Seminar ein, mit 20 setzte er seine Studien in Qom fort und 1952 emigrierte er nach Najaf und wurde zum Protegé  des Groß-Ayatollahs Abu Qassim Khoei , der 40 Jahre lang die weltweit höchste Autortitä des Schiitischen Islams war.  

Khoei starb 1952  nachdem Saddam Hussein ihn unter Hausarrest gestellt hatte und Al-Sistani als sein Nachfolger anerkannt worden war. Auch er wurde verhaftet und bekämpft, aber nach dem Sturz des Diktators konnte er die Schiitischen Theologischen Schulen wiederbeleben, nicht nur in Najaf sondern auch in anderen Städten- mit Hilfe von Spenden seiner Anhänger in aller Welt. 

Aber Al-Sistani war nicht nur ein großer Förderer der Bildung. Er unterstüzte- und unterstützt bis heute- eine präzise Vision, die selbe, der auch sein Mentor Khoei und seine Vorgänger während er letzten 200 Jahre folgten- eine Strömung der "quietitischen" Art- laut der der Lehrer theologisches Gesetg und Moral lehrt und verlangt, daß die Prinzipien des Islam in der Öffentlichkeit respektiert werden- aber keinerlei politische Machtfür sich fordert oder vorgibt diese zu kontrollieren. 

Diese Sicht hat in Najaf immer vorgeherrscht. Der iranische Ayatollah, der von 1965 bis 1978 in dieser Stadt lebte und den gegenteiligen Standpunkt vertrat, war völlig isoliert. 

Khomeinis These, die er 1979 mit seiner theokratischen Revolution im Iran verkörpterte, war, daß "nur eine gute Gesellschaft gute Gläubige hervorbringen kann". Und er verlieh den Klerikern die nötige politische Macht, um die perfekte Gesllschaft zu errichten. 

Khoei und Al-Sistani dagegen dachten, daß "nur gute Bürger eine gute Gesellschaft schaffen können". Und sie verwarfen die Idee der Theokratie. Die in Najaf während der letzten beiden Jahrhunderte gelehrte schiitische Doktrin hat immer Politik von Religion unterschieden. Wenn es Verletzer der Tradition gab, dann sind das Khomeini und seine Anhänger im Iran. 

Heute lebt Al-Sistani im Ruhestand und spricht selten in der Öffentlichkeit und läßt andere seine Freitags-Predigten in der Moschee vortragen. Er wurde im Januar wegen einer Schenkelhalsfraktur nach einem Sturz operiert. Aber Dank seines Wirkens ist Najaf als spirituelle Hauptstadt des wetlweiten Schiitischen Islams wiedergeboren worden. 

Und es ist Najaf, 130 km südlich von Bagdad, wohin Papts Franziskus persönlich reisen will, um Al-Sistani zu begegnen und dessen Unterschrift dem Abu-Dhabi-Dokument hinzu zu fügen. 

Von der Kanzel der Hauptmoschee in Najaf hat Imam Sadruddin Qabbanji - sicherlich von Al-Sistani inspiriert- den Papst schon bei den irakischen Schiiten willkommen geheißen. 

Aber wenn die Ziele von Papst Franziskus auch die Versöhnung von Sunniten und Schiiten und beider mit dem Christentum vorsehen, könnte ein Appell wie der des Abu Dhabi-Dokumentes steril bleiben.

Weil Europa auch blutige Religionskriege zwischen Katholiken und Protestanten erlebt haten, sie aber nur überwunden werden konnten, weil sie sich zuerst eine transnationale Ordnung und dann ein liberales ökumenisches Denken zulegten, so daß sie in der Lage waren, in der Vielfalt friedlich zu regieren.

Der Islam hat jedoch keine entsprechende Ökumene entwickelt, um zwischen Sunniten und Schiiten einen rechtsstaatlichen Frieden zu schließen und sogar innerhalb des schiitischen Islam bleibt die Kluft zwischen dem stillen und dem theokratischen Islam bestehen. 

Warum also nicht wegen des Strebens des Papstums den Weg wieder aufnehmen, den Benedikt XVI mit seiner epochalen Regensburger Rede am 12. September 2006 beschritten hat und der dann unterbrochen wurde? 

Diese Rede hat weltweit Reaktionen präzedenzloser Gewalttätigkeit nicht nur von Muslimen ausgelöst- sondern auch von katholischer Seite, Aber wenige erinnern sich, daß im gleichen September 2006 Repräsentanten von Al-Sistani zweimal den damaligen Sekretär der Vaticanischen Nuntiatur, Thomas Hlim Shib in Bagdad besuchten, um ihm Wertschätzung und Freundschaft gegenüber Benedikt XVI und den Wunsch für ein Treffen mit ihm in Rom auszudrücken. 

Es war wiederum in Regensburg, wo 2007 der Brief von 138 Muslim-Gelehrten an Papst Joseph Ratzinger bekannt wurde, der den Weg der Überlegung nicht nur zwischen Islam und Christentum sondern auch innerhalb der Muslim-Welt wieder öffnen sollte. 

Dieser Weg des Nachdenkens hätte speziell diese "wahren Errungenschaften der Aufklärung" -Ratzingers Worte- ansprechen können, die lange Zeit ein Thema fruchtbarer Forschung im Christentum war, aber nie vollendet wurde, während sie in der Muslim-Welt bis heute noch weitgehend tabu sind. 

Um die auf dem Spiel stehende Frage besser zu verstehen, muß man die kristallklaren Worte Benedikts XVI nach seiner Reise in die Türkei während des selben dramatischen Herbstes 2006 noch einmal lesen,

Ist es zu sehr Traum, daß diese Worte als Entwurf für das Gespräch zwischen Papst Franziskus und dem Groß-Ayatollah Al-Sistani dienen möge? 

Hier geht´s zum deutschen Text dieser Rede: klicken

Quelle: Settimo Cielo, S. Magister


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