WARUM HATTE GALILEO PROBLEME?
Eine Reihe kurzgefaßter Erklärungen sind für Galileos mögliche Probleme angeboten worden, die ein "tragicher Konflikt von Weltanschauungen" genannt worden sind. Die Frage ist natürlich, zu verstehen, wie ein Konflikt von Weltanschauungen tragisch werden konnte.
Anders als der Galileo-Mythos ist keine der historischen Erklärungen Wissenschaft versus Religion als Kern der Galileo-Affäre zu betrachten.
Der Galileo-Mythos unterstützt das Vorurteil, daß die Kirche immer Angst vor neuen Ideen hatte. Aber die Kirche hat das Universitäts-System erfunden und vorangebracht. Gar nicht zu erwähnen, daß das Kopernikanische System zuerst von der Kirche verbreitet und noch lange nach dem Galileo-Prozess diskutiert wurde.
Wenn Sie sowohl Galileo als auch seine Widersacher lesen, finden Sie, daß obwohl seine Grundidee, daß die Erde sich bewegt, richtig ist, die Beweise, die Galileo präsentierte, falsch waren und er hatte keine guten Antworten auf die Einwände anderer Wissenschaftler seiner Zeit.
Ein anderer Vorschlag ist, daß der Fall Galileo ein Konflikt starker Persönlichkeiten war. Das suggeriert, daß er sich durch seinen brillanten aber sarkastischen Stil zu viele persönliche Feind machte. Die Philosophen verfolgten ihn-so heißt es; oder vielleicht waren die Jesuiten hinter ihm und seinem Buch her, das den Papst persönlich beleidigte.
Nach dem Galileo-Prozess schrieb ein prominenter Jesuit, daß wenn Galileo nur die gute Beziehung zu den Jesuiten beibehalten hätte, statt sie zu anzugreifen, er nicht in diese Schwierigkeiten geraten wäre . Galileo las das und interpretierte es so, daß sein Prozess die Rache der Jesuiten war.
Ein anderes Thema ist, daß die Wissenschaft in Galileos Zeit gerade erst erfunden worden war und sie wurde von Galileo und seinen Zeitgenossen erfunden. Sie setzten das, was wir Wissenschaft nennen, mit Naturphilosophie und Philosophie mit Wahrheit gleich.
Aber heute wissen wir, daß Wissenschft nur eine wahrscheinliche Beschreibung der Natur ist- keine endgültige Wahrheit. Und fruchtbare Wissenschaft löst nicht "nur" Probleme, sie provoziert die Art tieferer Einsichten, die neue Themen entdeckt, die erforscht werden.
Einige Historiker schlagen vor, daß der Dreißigjährige Krieg bei der Galileo-Affäre eine wichtige Rolle gespielt hat. In diesem Krieg zwischen Spanien und den nördlichen deutschen Staaten, war die Position des Papstes sowohl prekär als auch zweideutig.
Spanien behauptete, den Katholizismus gegen die protestantischen Deutschen zu verteidigen, aber sowohl der Papst als auch das Katholische Frankreich waren über Spaniens wachsende Macht beunruhigt. Galileos reiche Förderer in der Toscana, die Medici, bewahrten derweil sorgfältig ihre Neutralität.
Interessanterweise begann der Galileo-Prozess genau in dem Moment, als der Krieg in einer Krise steckte und so wurde er vielleicht als Ablenkung geplant, um den Druck auf den Papst aufrecht zu halten.
Auf alle Fälle, sieht keine der Erklärungen (außer dem "Mythos") Wissenschaft versus Religion im Kern der Galileo-Affäre. Daraus entsteht eine letzte Frage. Warum gibt es einen Galileo-Mythos? Jeder, der die Kirche kritisieren möchte, kann viel ernstere (und wahre) Fehler bei ihr finden. Aber sicher hat das Gütesiegel "Wissenschaft versus Religion" immer noch Geltung.
SCHLECHTES BENEHMEN
Kopernikus´Theorie ist nicht falsch, auch wenn sie eine Vereinfachung ist.
Die wissenschafltichen Probleme, die sie zu der Zeit zu haben schien, wurden durch weitere Fortschritte in der Wissenschaft teilweise gelöst. Wir wissen jetzt, daß die Erde tatsächlich um die Sonne kreist, wenn auch nicht in einem Kreis sondern in einer Elipse. Der Vatican brauchte 2 Jahrhunderte um die Erklärung der Kongregation vollständig aufzuheben.
Man kann nicht leugnen, daß Urban VIII klar seine Macht mißbrauchte, indem er die Inquisition auf Galilo ansetzte.
Mächtige Männer in der Kirche, die aus eigenen Gründen wenig mit Religion zu tun hatten, haben eine wissenschaftliche Idee abgelehnt, die sich als richtig herausstellte. Und sie haben einen großen Wissenschaftler schlecht behandelt, der diese Idee vertrat.
Da ist wenig zur Verteidigung der Kirche zu sagen.
Urbans Verhalten wäre auch dann kaum zu entschuldigen gewesen, sogar wenn sich herausgestellt hätte, das Galileo sich irrte. Auch ist es keine Entschuldigung, daß zur Zeit Galileos alle möglichen Autoritäten ihre Macht auf die grausamste Art nutzten.
Aber es könnte zumindest erklären, wie Mitarbeiter der Kirche in Versuchung gerieten, so zu handeln. Die Kirche war und ist eine Institution, die sich aus Menschen zusammensetzt, die die Kultur, die sie umgibt, aufsaugen.,
In jenen Tagen wurden relativ banale Vergehen brutal bestraft. Größere Verbrechen noch brutaler.
Galileo war auch ein Mensch und das bedeutet, daß er nicht immer auf die beste Art handelte.
Als der deutsche protestantische Astronom Simon Marius auch Entdeckungen über die Jupiter-Monde veröffentlichte- hat ihm Galileo wegen seiner genialen Studie gratuliert, die ihm erlaubte, zu beweisen, daß Jupiter um die Sonne kreist? Nein- stattdessen war ein eifersüchtiger Galileo wütend darüber, daß Marius in sein Gebiet eingedrungen war.
Und als der jesuitische Astronom Christoph Scheiner Beobachtungen über die Sonne veröffentlichte, die über diejenigen Galileos hinausgingen, nannte Galileo ihn "Vieh", "Schwein" und "bösartiger Esel", einen "tollwütigen Hund" und "jämmerlichen Mann" und das alles in einem einzigen Abschnitt in einem Brief.
Galileo sind auch schwerwiegende wissenschaftliche Irrtümer unterlaufen. Während seine Beobachtungen mit dem Kopernikanischen System übereinstimmten. waren sie nicht- wie er behauptete- "bewiesen"! Und die Argumente die er vorbrachte. waren in der Tat falsch. Manchmal igonrierte er einfach die Fakten, die ihm widersprachen.
Wenn man nach der Schuld suchen möchte, war da sicher auf allen Seiten schlechtes Benehmen, Dennoch sollte man mehr über das Verhalten der Kirchenmitarbeiter sein als über Galileo. Nicht nur, daß die Kirchenmitarbeiter es besser gewußt haben sollten, sie hätten auch vorsichter bei der Ausübung ihrer Macht sein sollen."
KIRCHE UND WISSENSCHAFT HEUTE
Als Bellarmine und Galileo 1615 miteinander sprachen- sagt der Witz- daß Galileo der bessere Theologe und Bellarmine der bessere Wissenschaftler war. Ihre Diskussion wurde von Wissenschaftlern - sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche- weitere 100 Jahre fortgesetzt.
Die Kirche war lange Zeit Teil des wissenschaftlichen Unternehmens. Denken Sie z.B. an alle diese Katholischen Krankenhäuser.
Viele Kirchenmänner haben zur Zeit Galileos Wissenschaft betrieben und tun das bis heute. Zu den berühmten Katholischen Wissenschaftlern kann man Volta und Ampere zählen (nach denen Volt und Ampere benannt sind) Pasteur und Mendel, Fr. Angelo Secchi (der als Vater der Astrophysik betrachtet wird) und Fr. Georges Lemaitre (der erste, der die Urknall-Theorie vorschlug).
Der Gedanke, daß die Kirche anti-wissenschaftlich ist, stammt nicht aus der Galileo-Ära, sondern war eine Erfindung antiklerikaler Politiker in Europa und von Anti-Einwanderer-Vorurteilen im Amerika des 19. Jahrhunderts. Tatsächlich existierte das Wort "Wissenschaftler" bis ins 19. Jahrhundert gar nicht.
Davor waren Menschen, die die Nautr studierten, "Naturphilosophen" und die meisten von ihnen entweder Adelige oder Kleriker. Wer hatte schließlich die Bildung und die freie Zeit, die Natur zu studieren?
Das "Antiwissenschafts" Vorurteil stammt aus der Interpretation des 19. Jahrhunderts, daß Wissenschaft mit ihrer Elektrizität und ihren Dampfmaschinen (selbst damals haben die Leute Technologie mit Wissenschaft verschmolzen) unausweichlich alle menschlichen Probleme lösen würde und die Religion obsolet machen würde.
Zur gleichen Zeit wurde die Situation dadurch verschlimmert, daß die Kirche unter der eigenen Versuchung des "Triumphalismus" litt und einige Kirchenmänner die moderne Wissenschaft mit der Gewalt der Französischen Revolution verbanden.
Tatsächlich stellt der Katechismus der Katholischen Kirche fest:
-"Obwohl der Glaube über der Vernunft steht, kann es nie eine Diskrepanz zwischen Glaube und Vernunft geben. Weil der selbe Gott, der Geheimnisse enthüllt und Glauben einflößt, dem menschlichen Geist, das Licht der Vernunft verliehen hat, kann Gott weder sich selbst leugnen, noch kann Wahrheit je der Wahrheit widersprechen.
-Folglich kann die methodische Forschung in allen Wissensgebieten, sofern sie wirklich wissenschaftlich betrieben wird und moralische Gesetze nicht außer Kraft setzt, dem Glauben niemals widersprechen, weil die Dinge der Welt und die Dinge des Glaubens von demselben Gott stammen . Der demütige und beharrliche Erforscher der Geheimnisse der Natur wird gleichsam von Gottes Hand gegen sich selbst geführt, denn Gott, der Bewahrer aller Dinge, hat sie zu dem gemacht, was sie sind."
Galilei selbst wurde 1952 von Papst Pius XII in einer Ansprache an die Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union zustimmend erwähnt, wo er seine Ausführungen mit den Worten schloss:
So, liebe Freunde, ist dies, abgesehen von dem tiefen Respekt, den wir allen Wissenschaften und insbesondere Ihrer entgegenbringen, ein weiterer Grund, warum wir zum Gebet bewegt sind: Möge die Wissenschaft der Astronomie, gegründet auf den höchsten und universellsten Horizonten, das Ideal so vieler großer Männer in der Vergangenheit wie Kopernikus, Galileo, Kepler und Newton, trägt weiterhin die Frucht wunderbarer Fortschritte und bringt durch die herzliche Zusammenarbeit, die von Gruppen wie der Internationalen Astronomischen Union gefördert wird, die astronomische Vision des Universums zu einer immer tieferen Perfektion.
Die ausführlichste Beschreibung, wie die Kirche die Interaktion zwischen Religion und Wissenschaft sieht, findet sich in einem Brief von Papst Johannes Paul II aus dem Jahr 1987 an P. George Coyne SJ, Direktor der Vatikanischen Sternwarte. In diesem Brief bestand er auf der Gleichwertigkeit von Wissenschaft und Religion:
...sowohl Religion als auch Wissenschaft ihre Eigenständigkeit und Eigenart bewahren müssen. Religion gründet weder auf Wissenschaft noch ist Wissenschaft eine Erweiterung der Religion. Jede sollte ihre eigenen Prinzipien, ihre Verfahrensmuster, ihre Interpretationsvielfalt und ihre eigenen Schlussfolgerungen besitzen.
Die Wissenschaft kann die Religion vom Aberglauben reinigen; Religion kann die Wissenschaft von falschem Absoluten reinigen. Jeder kann den anderen in eine größere Welt ziehen, eine Welt, in der beide gedeihen können.
Er argumentierte auch, daß dieser Dialog für den Fortschritt in der Wissenschaft selbst von wesentlicher Bedeutung sei, ein Thema, das Papst Franziskus dann später in Laudato Si‘ entwickeln sollte:
…Wissenschaft entwickelt sich am besten, wenn ihre Konzepte und Schlussfolgerungen in die umfassendere menschliche Kultur und ihre Sorge um ultimativen Sinn und Wert integriert werden. Wissenschaftler… können auch selbst erkennen, daß diese Entdeckungen kein echter Ersatz für das Wissen um das wirklich Letzte sein können.
DER GALILEO-MYTHOS HEUTE
Die Galileo-Geschichte ist kompliziert; aber in der populären Meinung wird sie zu oft zu einer falschen Erzählung eines einsamen Helden (er war nicht allein) mit der Wahrheit (er lag nicht ganz richtig) exkommuniziert (war er nicht) und auf dem Scheiterhaufen verbrannt ( wurde er nicht) von einem Haufen Wissenschaftsleugner, die nicht einmal durch ein Teleskop schauen würden. (Tatsächlich haben sie so gute Teleskope gehabt wie die von Galileo hergestellten und verwendeten.)
Warum lebt der Galileo-Mythos weiter? Wahrscheinlich weil er eine einfache, ansprechende Geschichte ist.
Aber wie alle Mythen ist er falsch. Und er ist nicht gut für die Wissenschaft.
Wissenschaft ist das Geschäft der Vatikanischen Sternwarte. Die Sündenbock-Version der Galileo-Geschichte fördert die Idee von einsamen Helden und Verschwörungen in der Wissenschaft. Sie ignoriert, wie Wissenschaft wirklich funktioniert. Sie bietet Betrügern die Möglichkeit, sich in den Mantel von Galileo zu hüllen, die breitere Funktionsweise der Wissenschaft abzulehnen und zu behaupten, daß sie der einsame Held mit der Wahrheit sind.
Wir wären alle besser dran, wenn das Internet nicht so begeistert von dieser Geschichte wäre. Hoffentlich hilft dieser Beitrag dabei. Wenn Sie mehr Details wünschen, suchen Sie einfach auf unserer Website nach „Galileo“. Sie werden viel finden."
Quelle: vaticanobservatory
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