Riccardo Caniato,
"Gente", 16. April 2017
R.Caniato hat Vittorio Messori gebeten, dem Papa emeritus, die Glückwünsche der Zeitschrift "Gente" zu übermitteln und hat ihn bei dieser Gelegenheit interviewt.
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"JOSEPH, DER GIGANT"
Am 16. April 2017, gerade am Ostersonntag wird Joseph Ratzinger 90.
"Gente" vertraut seine Glückwünsche für den Papa emeritus Vittorio Messori an, dem dafür
qualifiziertesten Journalisten und Schriftsteller- auch er am 16. April geboren, aber 1941, von dem wir ein Bild des Mannes erbitten, noch vor dem des Pontifex, der die Kirche vom April 2005 bis Ende Februar 2013 regiert hat.
Messori hat 1976 mit "Hypothesen über Jesus" ( von dem fast 2 Millionen Kopien nur in Italien verkauft wurden) als erster Vaticanist ein "Buch zu vier Händen" mit einem Papst ("Auf der Schwelle der Hoffnung" mit Johannes Paul II 1993) veröffentlicht, dem 1985 eine andere Premiere
vorausgegangen war, ein- in jener Zeit undenkbar- Interviewbuch mit dem damaligen Präfekten der bis dahin undurchdringlichen Glaubenskongregation: Kardinal Ratzinger, für genau "Report über den Glauben","der die Frucht von drei Tagen engen Kontakts mit Joseph Ratzinger war, der ein nie unterbrochenes Band zwischen uns geschaffen hat,"wie der Schriftsteller sagt.
Was erinnern Sie von diesen Tagen?
Der Präfekt des ehemaligen Sant´ Uffizio hat mich für den Abend Mariae Himmelfahrt 1984 nach Brixen gerufen.
Ratzinger verbrachte dort seine Sommerferien im örtlichen Seminar- mit Studium und Meditation. Als ich vor dem Essen ankam. sagte man mir Seine Eminenz sei noch unterwegs bei Firmungen. Er kam dann in einem alten Volkswagen mit Münchner Kennzeichen. Er stieg im vollen Habit eines Kardinals aus, purpurrot, und ich war von diesem Kontrast zwischen seiner ernsten und intelligenten Erscheinung und diesem ärmlichen Auto des alten Priesters im einfachen schwarzen Hemd und römischen Kragen verblüfft, der ihn fuhr, Seppi und dann war da noch sein Bruder.
Wenn man daran zurückdenkt, sagt dieses Bild viel über das Mißverständnis aus. dessen Opfer Ratzinger sein in seinem ganzen Leben war.
Können Sie uns das besser erklären?
Wenn man ihm begegnete, genügten wenige Scherze um seine menschliche Statur wahrzunehmen. Die Weisheit, die Breite seiner Kultur,- nicht nur doktrinal- der Person und man fühlte sich als Zwerg. So viele Feinde der Kirche , die sehr wohl wußten, daß sie sich im Angesicht eines Rassepferdes befanden, fähig, den Glauben auf den Scharfsinn der Vernunft zu stützen , mit ihm nicht mit Argumenten messen konnten, haben dann einige Aspekte verzerrt-angefangen von seiner Nationalität und seiner großen Schüchternheit, um ein mediales Stereotyp zu schaffen. Das Bild des " deutschen Schäferhundes" und des "Großinquisitors", des "Panzerkardinals" oder des "eisernen Präfekten" sind Kinder dieser schwarzen Legende,
Dagegen?
Dagegen ist Joseph Ratzinger eine der liebenswertesten Personen, diskret und gut, die ich kennen gelernt habe.Wie alle wahren Weisen prahlt er nicht und weiß anderen zuzuhören. Und er ist humorbegabt auch gegen sich selbst.
Wußten Sie, daß er, wenn wir uns in einer Trattoria in der Nähe des Vaticans trafen, bat er mich bat, die Witze zu erzählen, die über ihn kursierten? Er lachte herzlich. Wer weiß, was die Verleumder gesagt hätten, wenn sie ihn so gesehen hätten.
Aber Papst Ratzinger wird auch wegen der unverhandelbaren Prinzipien und die Festigkeit seiner Ansichten erinnert....
Sicher ist er ein Mann, der nicht von der Wahrheit abweicht. Als ich ihm die Entwürfe des Buches zukommen ließ, bestand er darauf, sie selbst zu lesen, weil er einige explosive Erklärungen abgegeben hatte, und weil es eine sehr kräftige Verdammung einer bestimmte postkonziliaren Auseinandersetzung und neuer Denkrichtungen wie die Befreiungstheologie enthielt.
Aber er hat weder etwas korrigiert noch die härtesten Stellungnahmen abgeschwächt.
Er war über meine Sorgen überrascht: " Polemiken", fragte er mich auf Deutsch und betrachtete mich mit seinen unschuldigen blauen Augen: " Warum? Und warum nicht?"
Und hier spürt man diese evangelische Transparenz, die ihn auch als Papst charakterisierte, wegen der er sich darüber wunderte, daß die Verkündung der Wahrheit Polemiken auslösen könnte.
Aber die Polemiken sind nicht ausgeblieben, wie nach der Regensburger Rede über Glauben und Vernunft mit der berühmten Passage über Islam und Gewalt.
Deswegen löste er auch als Kardinal Diskussionen aus. Für die Sätze, die ich erwähnt habe. wurde er mit dem Tode bedroht. Zu seiner Sicherheit haben sie ihn gezwungen, in der US-Botschaft beime Hl. Stuhl unterzukommen, und als er mich zu sich einludt, mußte ich mich der Untersuchung durch die Marines unterziehen. Aber der Sicherheitsapparat stand in Kontrast zu dem Mann, den ich in der ruhigen Stille in seinem Haus fand.
Das sagt uns etwas über das menschliche Feingefühl Joseph Ratzingers.
Kehren wir zum Habit in Brixen zurück, ich habe ihn nicht wieder im Habit gesehen: er hatte den Purpur nach den Vorgaben der Liturgie und aus Respekt für die Firmlinge, die ungeduldig darauf warteten. einem Kirchenfürsten zu begegnen. Aber plötzlich änderte er sich und zog -zu meinem Vorteil-einen informellen, ein wenig fadenscheinigen Clergyman an.
Während des Aufenthaltes haben wir dann den ganzen Tag gearbeitet und am Abend haben wir
vor dem Schlafengehen zusammen die Aufzeichnungen revidiert.
Unermüdlich- stand Ratzinger viel früher auf als ich, um die Messe zu zelebrieren und am Abend zog er sich zum Rosenkranz in die Kapelle zurück, während ich in mein Zimmer ging, um die Fragen für den nächsten Tag vorzubereiten.
Er hat nicht verlangt, daß ich mich an seinen Rhythmus anpaßte. Monate später- in Rom- war in größeres Zutrauen entstanden, da habe ich ihm lächelnd enthüllt, daß ich in Brixen ein großes Opfer gebracht hatte, indem ich während der 3 Tage auf das Rauchen verzichtet hatte- aus Angst ihm Unbehagen zu bereiten.
Mir ging es schlecht und er fragte mich ernst. "Aber warum haben Sie mir das nicht gesagt? Ich rauche nicht, das ist wahr, aber mir gefällt der Duft brennenden Tabaks". Ich bin sicher. dqß das nicht wahr war, aber das war seine Art, mich nicht zu verletzen."
Haben Sie gemeinsam gegessen?
Sicher, wenn man das so sagen kann. Ich war damals wenig älter als 40 und beim Mittagessen stutzte-
weil ich mehr aß und er sich enthielt. Jeden Nachmittag sorgte er dafür eine Pause für einen richtigen Strudel zu organisieren, den die Tiroler Schwestern zubereiteten, die ihm halfen.
Er zögerte nicht mir mitzuteilen, daß dieser Snack speziell für mich bereitet wurdem, während Ratzinger sich ein Wasser bringen ließ. am dem er langsam nippte, und mit so die Zeit gab, aufzuessen. Ich fragte ihn, warum er sich nicht mit diesen sehr wohlschmeckenden Torten widmete, zog er sich anmutig hinter eine andere kleine Lüge zurück: "Sehen Sie liebe Doktor, es ist besser wenn ich keine Süßigkeiten essen."
Indem er mit sich selber streng war. aber voller Aufmerksamkeit gegenüber den anderen, die nicht zu seiner ständigen Selbstkasteiung fähig sind: so ist Joseph Ratzinger.
Wann haben Sie ihn erstmals nach seiner Wahl zum Papst getroffen?
Bei einer Audienz auf dem Petersplatz. Er hatte mich nach der Veröffentlichung des Bandes "Warum ich glaube", das ich zusammen mit Andrea Tornielli geschrieben hatte, eingeladen. Er umarmte mich und ich fand den Mut. ihn zu fragen, ob nicht die Zeit gekommen sei, "Report über den Glauben" zu üerbarbeiten" "Aber wie sollen wir das machen?" fragte er. "Wie das letzte Mal " antwortete ich "Heiligkeit, geben Sie mir 3 Tage...."
"Vittorio " unterbrach er mich lächelnd "wie kann ich Ihnen drei Tage geben, wenn keiner dem Papst drei Stunden Waffenstillstand läßt?"
Die letzte Begegnung?
Vor einigen Monaten. Noch einmal anläßlich der Veröffentlichung eines meiner Bücher und auf seine Initiative hin, weil seit er Papst war, habe ich nicht mehr den Mut gefunden, den ersten Schritt zu tun.
Er hat mich in Mater Ecclesiae empfangen, dem kleinen Palazzo in den Vaticanischen Gärten, in dem der Sitz des Konvents der Klausurschwestern gewesen war, das Johannes Paul II gewollt hatte.
Wie lebt Benedetto jetzt?
Zwischen seinen Büchern, dem Klavier, der Musik: Mozart, Beethoven Bruckner....er empfängt einige Gäste und beschäftigt sich mit der Korrespondenz, die ihn aus aller Welt erreicht. Ich habe auch zwei Tageszeitungen auf seinem Tisch gesehen: den Corriere della Seraund die bayrische Süddeutsche Zeitung. Am Abend schaut er TG 1. Die kleine Villa ist ein lichtvoller Ort.voller Blumen, der Frieden ausstrahlt. Benedetto ist umgeben von Respekt und Liebe.
Bei ihm sind immer die Memores Domini von CL und sein Sekretär, Erzbischof Georg Gänswein. wenn er nicht bei Papst Franziskus beschäftigt ist.
Gerade Msgr. Georg hat im letzten Jahr ein bißchen Alarm ausgelöst, als erklärte Benedetto sei wie eine Kerze. die langsam erlösche.
Bei unserer letzten Begegnung haben wir uns bis 13 Uhr unterhalten. Ich hoffte, mit ihm essen zu können, aber ich habe mich verabschiedet, um ihn nicht zu ermüden und ich nicht weiß, ob und was er ißt.
Benedetto ist jetzt sehr mager, auch zu Hause stützt er sich auf eine Gehhilfe und um ein bißchen im Garten Luft zu schnappen, schiebt er einen Gehwagen. Aber in unserem Gespräch hat er sich als Mann des Geistes- außerhalb des Gewöhnlichen-erwiesen, in einem klaren, leidenschaftlichen und fesselnden Gespräch. Nicht zufällig hat er im letzten Jahr von Nahem das Entstehen eines Interviewbuches und einer Biographie verfolgt.
Die Metapher von der erlöschenden Kerze geht, aber auch wenn das Licht dünner wird, es strahlt immer."
Quelle: Vittorio Messori
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