Samstag, 16. März 2019

Aus der Mitte einer Gesellschaft in Auslösung- der SJ.

Sandro Magister kommentiert bei Settimo Cielo  das in zweiter, erweiterter Auflage erschienene Buch "Zeugnisse von Jesuiten"  und zitiert ausführlich das sehr kritische Bekenntnis von Xavier Tilette SJ , der der Gesellschaft einen katastrophalen Zustand attestiert.
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"DIE GESELLSCHAFT JESU AUF ABWEGEN. DIE ANKLAGE EINES GROSSEN JESUITEN"

"Es scheint, daß ich in guter Gesellschaft bin. ..."So hat ein begeisterter Antonio Spadaro bei Twitter das Erscheinen von "Confesiones de jesuitas" die erweiterte Neuauflage eines 2003 veröffentlichten Buches mit dem Titel "31 Jesuiten beichten"  gepriesen, in dem er jetzt auch -zusammen mit 37 anderen Mitbrüdern -einschließlich einiger in den höchsten Rängen, Lebender und Toter, erscheint, von Avery Dulles bis zu Carlo Maria Martini, von Roberto Tucci zu Tomás Spidlik, von Jon Sobrinoi zu Robert E. Taft, von Arturo Nicolás zu Arturo Sosa Abascal - die letzten beiden Ordengeneräle der SJ:

Die Herausgeber des Buches, die Katalanen Valentí Gómez-Oliver und Josep M. Benîtez-Riera schreiben im Vorwort, daß das up-dating dieser Sammlung von Zeugnissen durch die Wahl des ersten Jesuiten-Papstes in der Geschichte angestoßen wurde.
Sie haben jeden der Interviewten gebeten, seine persönliche Lebenserfahrung zu bezeugen, um eine Art kollektives Selbstporträt der Gesellschaft Jesu zu komponieren - nach der Ankunft Jorge Mario Bergoglios an der Spitze der Kirche.

Aber Vorsicht! "Confesiones de jesuitas" ist weit davon entfernt, ein feierliches Buch zu sein. Pater Spadaro kann das nicht realisiert haben, wenn man sieht, wie er auch angesichts der Aussagen aus der Mitte einer Gesellschaft, die sich im Urteil einiger ihrer eigenen Mitbrüder als nicht so "gut" erweist, jubelt.

Um das zu verstehen, genügt es, die "Beichte" von Xavier Tilliette aus Frankreich zu lesen, der im Alter von fast 100 Jahren am 10.Dezember 2018 starb und am nächsten Tag vom Osservatore Romano als "nicht nur ein Vollblut-Philosoph und Theologe sondern auch wahrer Jesuit" gepriesen wurde.

Als Spezialist für den deutschen Philosophen Schelling, dem er ein bisher unübertroffenes, monumentales Buch widmete, ist er konkurrenzlos. Aber seine Forschung reicht weiter- an die Grenzen zwischen Glaube und Vernunft, was ihm die Bewunderung und Freundschaft von Größen des Katholischen Denkens des 20. Jahrhunderts wie Gaston Fressard, Henri de Lubac, Jean Daniélou, Hans Urs von Balthasar- die drei Ersten auch Jesuiten- einbrachte.
Und sehr lesenswert ist das emotionale Erinnern, das ihm der Osservatore Romano  widmet- durch seinen Mitbruder Jacques Servais,  Schüler von Balthasars und Autor des wichtigsten Interviews mit Joseph Ratzinger nach seinem Verzicht auf das Papsttum.

Hier also was Tilliette-unter vielem anderen- in seiner "Beichte" schreibt.
Um anzufangen, dienen diese Worte als Titel für das, was folgt:
"Meine religiöse Berufung in die Gesellschaft Jesu war frühreif und wankte praktisch nie. Nur in den letzten Jahrzehnten -angesichts der Verändernungen, die ihre Züge unkenntlich machten, wurde sie harten Prüfungen unterworfen und bei der Befolgung der Gelübde zu Armut und Gehorsam, der Arbeit der Vorgesetzten und der Zukunft der Gesellschaft entstanden Fragen für mich. "




Einer der ausschlaggebenden Momente war 1968, als Tilliette in Paris lebte, gerade als er sich mit Leib und Seele seiner monumentalen Studie zu Schelling widmete und während sein bekanntester Mitbruder Michel de Certeau - den Papst Franziskus Jahre später "den größten Theologen der Gegenwart" nannte, den aber de Lubac als "Joachimiten" -besessen von einem Goldenen Zeitalter ohne institutionelle Kirche" brandmarkte - die Revolte als einen Moment der völligen Befreiung lobpries.

"Ich machte mit der Krise im Mai 1968 sehr schlechte Erfahrungen, von denen ich mich sofort distanzierte. Der Enthusiasmus eines Michel de Certeau schien mir völlig deplaciert. Man war Zeuge des Zusammenbruchs dieser bewunderswerten Institution- der Universität- mit Rückwirkung auf die Gesellschaft, von der sie sich nie erholt hat."

So beschreibt Tilliette dieses Zerbröckeln der Gesellschaft Jesu, die für ihn  und viele seiner Mitbrüder unkenntlich wurde.

"Parallel zum plötzlichen Tumult von 1968 und ohne Beziehung dazu, fand in der Kirche die methodische Veränderung der Kirche nach dem Konzil statt. Aber die Zunahme an Freiheit, die daraus hervorging, stammte aus diesen katastrophalen Konsequenzen für die Scholastiker der SJ.
Bei dieser Gelegenheit habe ich die Entwicklung oder Verwandlung unserer Art zu Leben auch als sehr schlechte Erfahrung erlebt. Die Rebellion der Scholastiker erschien mir absurd. Ich blieb überzeugt, daß die Gesellschaft stärkere Nerven und eine innere Stärke hatte, und fähig war, die Krise zu überwinden, ohne eines ihrer Essentials aufzugeben.
Aber das Ergebnis war nicht das erhoffte. Gott sei Dank wurde der Geist bewahrt, aber der Körper des Geistes, der Buchstabe, hat auf dauerhafte Weise gelitten.
Den Jesuiten meiner und der folgenden Generation wurde eine harte Prüfung auferlegt. Es mag mangelnde Flexibilität, ein Mangel an Anpassung sein, aber sie erkennen sich selbst nicht wieder in dem lockeren Lebensstil, der eingeführt wurde, sie erkennen sich in dem Orden nicht länger wieder, der sie in früheren Zeiten willkommen geheißen hatte.
Die Vollversammlung hat die Veränderungen zur Kenntnis genommen- die im Verhalten entstand, aus dem Wunsch nach Unabhängigkeit bei ihren Mitgliedern, aus der Permissivität, die aus der Zivilgesellschaft kommt und sich unter uns ausgebreitet hat. Sie haben den Schatz der Regeln beiseite gelegt, das Wichtigste vom Wichtigsten ist nicht länger das gemeinsame religiöse Leben, das zerbrochen ist- sondern die Sorge um Gerechtigkeit und die Bevorzugung der Armen. Wundervolle Ideen, die aber dennoch das Risiko in sich bergen, zu bloßen Worten zu verkommen und größtenteils unrealisierbar zu werden."

Als einen enthüllenden Moment in der Krise der Gesellschaft, identifizierte Tilliette das, was nach dem Tod von Kardinal Jean Daniélou im Haus einer Prostituierten in Paris passierte, die er an den Rand der Konversion gebracht hatte.

"Nach dem Tod von Kardinal Daniélou ist etwas in mir zerbrochen, als Verleumdungen sogar in den höchsten Rängen der Gesellschaft zirkulierten und die Haltung der Oberen schrecklich und mittelmäßig war. Anstatt einem ermordeten Mitbruder zu Hilfe zu eilen, gab es einen Großbrand auf der Basis von Rache. Damals zog ich meinen Orden in Zweifel, sein Differenzierungsvermögen, seine Fähigkeit zur Solidarität. Ich stürzte von der Höhe meiner Ideale ab- wie Mallarmé. Vor meinem Eintritt und in der Zeit meiner Ausbildung hatte ich ein sehr hohes Ideal von der SJ, von ihrem esprit de corps, ihrer Solidarität."

Als Philosophie-Professor -erst an Jesuitischen Bildungseinrichtungen, dann am Institut Catholique de Paris und schließlich an der Päpstlichen Gregoriana-Universität- sagt Tilliette- sah er auch den Primat der "Intellektuellen"  aus der Gesellschaft verdunsten.

"Ich habe mein Leben als Jesuit in den traditionellen Positionen als College-Direktor und Professor, als Herausgeber und Schreiber eines Magazins, als Universitäts-Professor verbracht. Ich habe diese Aufgaben ernst genommen, überzeugt, daß der jesuitische Humanismus primär ist und Intellektuelle die Augäpfel der Gesellschaft. Heute dagegen ist das nicht länger so, und es werden die direkten apostolischen Dienste vorgezogen. Ich denke, daß das eine Tugend ist, die aus der Notwendigkeit entstanden ist: die spärlichen Rekrutierungen erlauben die Aufrechterhaltung des hohen Niveaus der Studien nicht und die Oberen haben nicht die Möglichkeiten, die Lücken zu füllen, die nach und nach entstehen. Von diesem Gesichtspunkt aus ist die Zukunft der Gesellschaft ziemlich dunkel,
Häuser werden geschlossen, die Alten werden in Einrichtungen mit medizinischem Personal gebracht. Zweifellos gibt es keine andere Lösung. Aber es würde uns gefallen, wenn dieser unausweichliche Rückzug nicht von den üblichen euphorischen Reden begleitet würde, die an Ankündigung von Niederlagen in Kriegszeiten erinnern."

Zusammengefaßt ist das Bild das Tilliette über die gegenwärtige Gesellschaft zeichnet dunkel, teilweise wegen des Schweigens der "Oberen".

Nachdem ich das Alter erreicht habe, in dem die Schatten sich ausdehnen, fühle ich die Pflicht, eine Enttäuschung zuzugeben, die ich mit vielen teile. Ich habe mich sehr viel weniger verändert als die lebenswichtige Umgebung, die mich umgibt und es tut weh, sich außer der Synchronisation, antimodern und schlimmer- als Komplize zu fühlen, weil der Einfluß der umgebenden Umwelt zu groß ist. Ich will niemanden beschuldigen, aber in bestimmten Augenblicken fehlten energische Worte von Seiten der Oberen. Die materialistische Mentalität regiert und breitet sich aus, ohne daß das kollektive Gewissen dem entgegentritt. Gott ist in den Herzen abwesend.
Der Unschuldige und das Opfer sind weniger wert als der Schuldige. Eine Gesellschaft, die Himmel und Erde gegen die Todesstrafe in Bewegung setzt und gleichzeitig freie Abtreibung rechtfertigt und fördert, steht auf der untersten Stufe der Perversion."

Aber die Schlußfolgerung bleibt auf alle Fälle vertrauensvoll, weil es wichtiger ist, der Kirche zu dienen als zur SJ zu gehören.

"Unser Zeitalter ist eines der dunkelsten der Geschichte, nichtsdestoweniger sieht es das Blühen erhabener Opfer, Heldentum, Beispiele von Heiligkeit. Hier entsteht der Wunsch mit Gertrud von le Fort nach dem I. Weltkrieg zu wiederholen: "nur in der Katastrophe und im allgemeinen Zusammenbruch steht die Kirche fest, die Heilige Katholische Kirche wie ein Leuchtturm auf dem Hügel. Die in ihrem göttlichen Kern intakt bleibt, auch wenn unsere Sünden ihr edles Gesicht beschmutzt haben."
Meine frühe Erziehung hat mir Liebe und Respekt für die Kirche, ihre Sakramente, ihre Liturgie, den Zufluchtsort für Gebet und Erkenntnis, den sie den Menschen der Welt anbietet, beigebracht.
Das Leben der Heiligen, das Beispiel von Fr. de Lubac, das eifrige Lesen von Claudel lehrte mich, die Kirche zu verehren, die untergeordnete Mitgliedschaft in der Gesellschaft, im Dienst an der Kirche und dem Papst, für den sie geschaffen wurde und deren Daseinsgrund sie sind. Nicht die Gesellschaft als solche, aber einige Jesuiten aller Altersklassen müssen eine ernsthafte Gewissenserforschung betreiben. Meine ist sicher nicht beruhigend und ich muß jeden Tag eine Lektion lernen,.Aber ich glaube nicht, daß ich vorsätzlich gegen das Licht gesündigt habe."

Quelle: Settimo Cielo, S. Magister

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