Montag, 15. April 2019

Sandro Magister vergleicht den aktuellen Umgang des Papstes mit Mißbrauchsfällen mit dem Befund, den der Papa emeritus in seinem Essay formuliert hat,.

Marco Tosatti kommentiert bei Settimo Cielo den veränderten Umgang des Pontifex und seiner Mitarbeiter mit des Mißbrauchs Verdächtigen oder Überführten - die Aufgabe des Null-Toleranzprinzips, ohne daß die viel besungene Transparenz  schon realisiert wurde.
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"LEB WOHL NULL-TOLERANZ. ABER DIE "TRANSPARENZ" IST NOCH IN WEITER FERNE"

"Was die derzeitigen Führer der Kirche vor, während und nach dem Gipfeltreffen vom 21.- 24. Februar im Vatican zum von geweihten Priestern begangenen sexuellen Mißbrauch- ist vom "Papa emeritus" Benedikt XVI gesagt und geschrieben worden- in den Notizen, die er am 11. April veröffentlichte, nachdem er den Kardinal-Staatssekretär Pietro Parolin und Papst Franziskus informiert hatte.

Joseph Ratzinger ist an den Grund des Skandals gegangen: die sexuelle Revolution der 68-er, den Kollaps der Katholischen Lehre und Moral zwischen 1960 und 1980, den Verfall der Unterscheidung zwischen gut und böse, zwischen Wahrheit und Lüge, der Förderung "homosexueller Clubs" in den Seminaren, die Einführung des sog. "angemessenen Prozesses", der jene unantastbar machte, die diese Neuheiten- einschließlich der Pädophilie selbst-rechtfertigten -und in einer finalen Analyse die Entfernung von jenem Gott, der der Grund für die Existenz der Kirche und der Sinn für jeden Mensch ist. 

Als Ergebnis ist -nach dem Urteil Ratzingers- die Aufgabe der heutigen Kirche , den Mut über Gott zu sprechen wieder zu entdecken und Gott allem anderen vorzuziehen, zum Glauben daran zurück zu kehren, daß er wirklich in der Eucharistie gegenwärtig ist, anstatt sie zu einer zeremoniellen Geste herabzustufen, auf die Kirche als voller Unkraut aber auch guten Weizens, Heiliger, Märtyrer zu schauen, die vor der Verleumdung des Bösen geschützt werden muß, ohne uns selbst zu täuschen, daß wir selbst eine bessere Kirche machen können, völlig politisch, "die keinerlei Hoffnung anbieten kann."



Das ist eine Analyse, die sicher zu einer Diskussion führen wird, diese Analyse Ratzingers , wenn wir sehen, wie weit sie von dem entfernt ist, was heute auf der obersten Ebene der Kirche -über den Skandal des sexuellen Mißbrauchs gesagt und getan wird, aus der Perspektive,  daß es sich um eine juristische Sache handelt -die zwischen den beiden Polen von "Null-Toleranz" und dem angemessenen Prozess pendelt. 

Der angemessene Prozess unterscheidet sich zur Gänze von dem "sogenannten" von Ratzinger zitierten , weil er statt dessen, die Rechte des Angeklagten betrifft, die Unschuldsvermutung bis zum endgültigen Urteil und die Angemessenheit der Strafe und hilfreich dabei ist, zu beurteilen, wie er heute im Hinblick auf Kardinäle und Bischöfe angewandt wird, die in Mißbrauch verwickelt sind. ´


Auf die Analyse des letzten Punktes konzentriert kommt man zu folgendem Resultat:

Bis zum vergangenen Herbst war die Formel "Null-Toleranz" eine der in Reden und Schriften von Papst Franziskus am meisten gebrauchte, um auszudrücken, wie man dem sexuellen Mißbrauch minderjähriger Opfer durch Kleriker entgegen treten solle.

Aber seither ist sie verschollen. Aus dem Schlußdokument der Jugendsynode verschwunden, verschwunden aus der folgenden apostolischen Exhortattion "Christus Vivit" , verschwunden aus den Reden und Dokumenten ebim vaticanischen Gipfeltreffen vom 21.-24. Februar.

Im Gegenteil - zu Beginn  dieses Gipfeltreffens hat Franziskus seine eigenen, handgeschriebenen 21 "Reflektionspunkte"an die Teilnehmer verteilt, die nicht mit "Null-Toleranz"  übereinstimmen.


So sagt Punkt 14 z.B.:
"Das Prinzip der Unschuldsvermutung im Natur- und im kanonischen Recht muß solange gelten, bis die Schuld der Angeklagten bewiesen ist."

und Punkt 15:
"Man beachte das traditionelle Prinzip der Proportionalität der Strafe im Hinblick auf das begangene Verbrechen. Ob Priester und Bischöfe des sexuellen Mißbrauchs Minderjähriger schuldig sind, soll man den Zivilgerichten überlassen.

Die in diesen letzten zwei Monaten gegen fünf Kardinäle und Erzbischöfe ergriffenen Maßnahmen, die wegen begangenen oder vertuschten Mißbrauchs vor Gericht endeten, bestätigen diesen Wechsel des Standpunkts.
Und keine Maßnahme ist wie die andere. Nur in einem Fall bestand sie in der Zurückversetzung des Verurteilten in den Laienstand, während kraft der "Null-Toleranz" diese Sanktion über alle hätte verhängt werden müssen- einschließlich derer die vor vielen Jahren nur einen einzigen Mißbrauch an einem einzigen Opfer begangen haben.

Der Einzige, von dem man weiß, daß er in den Laienstand zurück versetzt wurde, ist Ex-KArdinal Theodore McCarrick . Vor oder nach ihm wurde keiner der anderen vier bestraft.

Der australische Kardinal George Pell und der französische Kardinal Philippe Barbarin - beide von Zivilgerichten in ihren betreffenden Ländern verurteilt, die beide auf ihren Revisionsprozess warten,  sind beide im kirchlichen Raum ganz anders behandelt worden, Pell strenger und Barbarin unvoreingenommener- wie Settimo Cielo dokumentiert hat.

" Bei Pell und Barbarin urteilt der Papst mit zweierlei Maß  and Two Measures

Noch nachsichtiger erschien der Papst bei Kardinal Ricardo Ezzati Andrello, als er sich darauf beschränkte, am 23. März dessen Rücktritt als Erzbischof von Santiago, Chile, zu akzeptieren, einen Tag nachdem er wegen Vertuschung von Mißbrauch vor Gericht geladen wurde. 

Und noch anders war der Umgang mit dem früheren Bischof von Agana auf der Insel Guam, Anthony Sablan Apuron - der am 7, Februar von der Glaubenskongregation in einem am 4. April veröffentlichten Urteil zu drei Strafen verurteilt wurde:
"Entfernung aus dem Amt
Dauerhaftes Verbot sich- auch nur zeitweise- innerhalb des Jurisdiktionsbereiches der Erzdiözese von Agana aufzuhalten
und das andauernde Verbot, die Bischofsinsignien zu benutzen"

Weil die Insel Guam im Pazifik zu den USA gehört, ist Apuron der erste Erzbischof der Vereinigten Staaten der bisher mit einer endgültigen kanonischen Strafe wegen Mißbrauchs bestraft wurde- 6 Tage vor jenem 13. Februar an dem McCarrick laisiert wurde.

Aber das ist es dann auch, ungleich diesem Letztgenannten wurde Apuron nicht in den Laienstand zurückversetzt, trotz der Tatsache, daß er für schuldig befunden wurde "an Minderjährigen Verbrechen gegen das 6. Gebot begangen zu haben" . Er kann weiterhin zelebrieren, wenn auch weit von Guam entfernt und ohne die bischöflichen Insignien zu tragen.

Und dieser eklatante Kontrast zur "Null-Toleranz" , Richtlinie seit der "Dallas Charta" von 2002 - als kein anderer Präsident der Bischofskonferenz war als  Wilton Gregory, den Papst Franziskus am Tag des milden Urteils gegen Apuron zum Erzbischof von Washington ernannte.

Wie kam es zu diesem Nachspiel?

In erster Instanz im Fall Apuron war Kardinal Raymond Burke, Kirchenrechtler von illustrem Ruf, Vorsitzender der Jury, auch er aus den USA, vom Papst persönlich in dieser Rolle ernannt, aber sehr darauf bedacht, die Garantien für den Angeklagten sicherzustellen.

Dieser erste Prozess enden am 16. März 2018 mit einem Schuldspruch im Fall des Mißbrauchs Minderjähriger und mit der Absetzung Apurons als Erzbischof von Guam.

Apuron legte dennoch Revision ein. Und ein neuer Prozess im Vatican begann, diese mal unter dem Vorsitz von Franziskus persönlich, laut dem, was bei der Pressekonferenz auf dem Rückflug von Dublin am vergangenen 26. August bekannt gegeben wurde.

"Der Erzbischof von Guam hat gegen sein Urteil Revision eingelegt und ich habe- weil das ein sehr komplexer Fall war- vom Recht, das ich habe Gebrauch zu machen und den Einspruch selbst anzuhören und ihn nicht vor ein mit Priestern besetztes Revisionsgericht zu schicken. Ich habe es persönlich unternommen, ich habe eine Kommission aus Kirchenrechtlern eingesetzt, dir mir helfen sollte und sie sagten mir, daß sie innerhalb kurzer Zeit einen Vorschlag vorlegen würden. so daß ich ein Urteil fällen könnte. Einerseits ist es ein komplizierter Fall, aber nicht schwierig, weil die Beweise sehr klar sind- vom Standpunkt der Beweise ist er klar. Aber ich kann nicht vorverurteilen. Ich warte auf den Bericht und dann werde ich das Urteil fällen. Ich sage, daß die Beweise klar sind, weil sie das Gericht in erster Instanz zu seinem Urteil veranlaßten."

Das bringt uns zum endgültigen Schuldspruch vom 7. Februar dieses Jahres. Gegen den Apuron allerdings weiterhin protestiert , er sei unschuldig, Opfer einer "Pressure-group" die beschlossen haben ihn zu zerstören "indem sie Beschuldiger rekrutieren- sogar gegen Versprechen von Geld."

Tatsächlich hat "Vatican Insider" am 20. September 2017 einen Bericht veröffentlicht, in dem auf beunruhigende Weise über Machtkämpfe- in der Erzdiözese von Agana berichtet wird, vor und nach der Eröffnung des Prozesses gegen Apuron, Kämpfe die während der Phase als die Erzdiözese vom Vatican dem damaligen Sekretär von "Propaganda Fide" Savio Hon Taifa  und Weihbischof Michael Jude Byrnes - der jetzt zum Ordinarius beförderten, anvertraut wurde, nicht abflauten sondern sogar noch heftiger wurden.

Daß einige der gegen Apuron  erhobenen Vorwürfe nicht stichhaltig waren. hatte auch die von Kardinal Burke geleitete Jura festgestellt, die jedoch einige der Verbrechen als bewiesen beurteilte, mit der Verurteilung als Folge.

Während der Gipfeltreffen vom 21.-24. Februar erhoben sich verschiedene Stimmen- darunter die von Kardinal Reinhard Marx , Erzbischof von München und Mitglied des Kardinalsrates , der Franziskus bei der Regierung der universalen Kirche assistiert, die dafür plädierten, das Papstgeheimnis zu lockern, das den Zugang zu den Vorgängen bei kanonischen Gerichtsprozessen beschränkt.
Baer bis jetzt hat sich da nichts geändert. Und wenn es wirklich den Wunsch gibt, die nicht zu rechtfertigende Rigidität der "Null-Toleranz" im Namen des Rechts des Angeklagten auf Verteidigung un der Proportionalität der Strafe - zu überwinden, dann muß auch die vielgepriesene "Transparenz" praktiziert werden, mit der Veröffentlichung nicht nur des abschließenden Urteils sondern auch des Weges, der zu ihm geführt hat. "

Quelle: Settimo Cielo, S. Magister


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