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"HAGIA SOPHIA : VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT"
Am 29. Mai 1453 nach zweimonatigem Kanonenbeschuss stürzten die dreifachen Mauern, die Konstantinopel fast ein Jahrtausend geschützt hatten schließlich ein, Die siegreichen türkischen Invasoren erkämpften sich ihren Weg durch die Bresche und viele eilten durch die zentrale Prachtstraße zur legendären Kathedrale der Stadt, der Hagia Sophia.
Sie brachen die massiven Schmucktore auf und fanden im Inneren Hunderte verängstigter Menschen vor, den letzten Rest eines einst großen christlichen Imperiums. Laut der Legende zelebrierte am Hochaltar der Hagia Sophia ein einzelner Priester die Hl, Messe, als die Eroberer ihre Gefangenen umzingelten. Plötzlich erschien eine leuchtende Tür in der Wand und der Priester, der immer noch die geweihte Hostie umklammert hielt, durchschritt sie. Dann verschwand die Öffnung. Es wird gesagt, daß dieses Tür wieder erscheinen wird, wenn die Hagia Sophia zu Christlichen Messen zurückkehrt und der Priester wird zurück kommen und die Messe beenden.
Auf Grund der Ereignisse der vergangenen Wochen, gibt es wenig Chancen, daß die leuchtende Tür bald erscheint. Am 10. Juli hat Recep Tayyep Erdogan, Präsident der Türkei, die Hagia Sophia zur Moschee erklärt. Damit gehört sie zu mehr als 3000 anderen Moscheen in Istanbul, von denen viele ebenfalls früher Kirchen waren. Aber die Hagia Sophia ist etwas anderes, was erklärt, warum die Welt diese Entscheidung so massiv verurteilt hat.
Es gibt nichts Ähnliches wie die Hagia Sophia. Sie hat, seit sie 532 fertig gestellt wurde, Staunen ausgelöst. Kaiser Justinian I, der 320.000 Goldpfund für das Projekt bezahlte, war so erstaunt, als er die große Kirche erstmals betrat, daß er ausgerufen haben soll: "Salomo, ich habe dich übertroffen!" Die 56m hohe und im Durchmesser etwas über 31 m große Zentralkuppel, war für fast 1000 Jahre die größte Kuppel der Welt. Sie wurde nur vom Bau des Petersdomes im 16. Jahrhundert übertroffen. Umringt von Fenstern, die das Sonnenlicht im steinernen Inneren willkommen heißen, erweckt die Kuppel den Eindruck (wie der Historiker Procopius bemerkte) daß sie an einer goldenen Kette vom Himmel herabhängt. An Größe un Majestät hat die Hagia Sophia jedes andere Gebäude übertroffen ebenso wie Konstantinopel jede andere Stadt der westlichen Welt überstrahlte.
Die Hagia Sophia wurde für fast ein Jahrtausend die Mutter der Kirchen des Ostchristentums und der Sitz des Patriarchen von Konstantinopel.
Als Sultan Mehmed II 1453 Konstantinopel eroberte, wandelte er die Kathedrale in die herrscherliche Moschee des Sultans um. Alle Kreuze wurden zerbrochen, alle Bilder entweder zerstört oder übertüncht. Der Altar und andere Teile der Kirchenarchitektur wurden entfernt, Gebetsteppiche auf dem üppigen Marmorboden ausgelegt und eine Mihrab (eine Nische, die die Richtung nach Mekka anzeigt) an der Seite des alten Hochaltars errichtet. Mehmed ließ draußen vor der Hagia Sophia ein Minarett bauen, auch spätere Sultane ließen noch weitere 3 errichten. Sie sollte bis zum Ende des Sultanats 1922 die Moschee der Herrscher bleiben.
Die Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum in den 30-er Jahren ging großenteils auf den prominenten amerikanischen Fundraiser Thomas Whittemore zurück. Mit Unterstützung von Mildred und Robert Wood Bliss aus Dumbarton Oaks, Washington D.C., erhielt Whittemore von der türkischen Regierung die Genehmigung, die mittelalterlichen Mosaike der Hagia Sophia zu enthüllen und zu restaurieren. Wunderbare Darstellungen Christi, der Hl. Jungfrau, Heiliger und Kaiser entstiegen ihrer jahrhundertelangen Gefangenschaft unter Putz. Bewaffnet mit Kameras und einem guten Gespür für Publicity präsentierte Whittemore der staunenden Welt die erhabenen Bilder des vergessenen Konstantinopels.
Präsident Mustafa Kemal Atatürk, der Vater der modernen Türkei, hatte großes Interesse an diesen Entdeckungen. Atatürk war entschlossen, die Türkei zu modernisieren und sie aus ihrer mittelalterlichen Vergangenheit herauszulösen. Das bedeutete u.a. die neue Republik Türkei vom alten Osmanischen Reich zu lösen. Er hatte bereits die Hauptstadt vom alten imperialen Konstantinopel verlegt, und deren Namen sogar in Istanbul geändert. Er hatte auch den Topkapi-Palast für die Touristen geöffnet. Die alte Moschee der Sultane in ein Museum zu verwandeln, paßte
perfekt in dieses Programm. 1934 erklärte der türkische Ministerrat, daß die Hagia Sophia nicht länger eine Moschee sondern "ein einzigartiges architektonisches Kunstdenkmal sein sollte."
Und das ist sie bis letzte Woche geblieben.
Einige haben angedeutet, daß die Entscheidung die Hagia Sophia zur Moschee zu machen, zu den Zerstörungen von Statuen und zum Kulturabbruch in den USA und Europa paßt. Aber es ist wirklich nur ein politischer Schritt. Weil seine Popularität bei dem Gemäßigten und Progressiven geschwunden ist, stützt sich Präsident Erdogan zunehmend auf die ländlichen, muslimischen Konservativen, die ihn an der Macht halten. Sie haben immer die Hoffnung gehegt, die Hagia Sophia in eine Moschee zurück verwandeln zu können, so wie sie glauben, daß Atatürks Reformen den Islam verraten haben -um eine Akzeptanz durch den Westen zu erreichen. Bei den jüngsten Wahlen hat Erdogan die Mehrheit in Istanbul verloren. So belohnt diese Entscheidung - die auf dem Lande geliebt und von den Progressiven in den großen Städten gehaßt wird, die Anhänger Erdogans wie sie gleichzeitig seine Feinde straft.
Es gibt keinen Ort in der Welt, den ich mehr liebe als die Hagia Sophia. Aber ich bin immer noch überrascht von der Aufmerksamkeit, die dieser Entscheidung zuteil wurde-. Ich vermute, daß es Erdogan ebenso geht,. Dennoch hat er die ausländische Verurteilung geschickt als Gelegenheit genutzt, sich in türkischen Nationalismus zu hüllen und darauf zu bestehen, daß das Bauwerk den Türken gehört und sie damit machen können, was sie wollen. Am vergangenen Sonntag bemerkte Papst Franziskus: "Ich denke an die Hagia Sophia und und bin sehr betrübt." Darauf gab es eine schnelle Zurückweisung durch einen Sprecher der türkischen Gerechtigkeits-und Entwicklungs-Partei (AKP), der erwiderte, daß das größte Verbrechen an der Hagia Sophia von der Lateinische Invasion begangen wurde, als vom Papst geleitete Kreuzritter die Kirche plünderten. Das ist ein Hinweis auf dem 4.Kreuzzug (1201-1204) der nach Konstantinopel segelte und die Stadt eroberte. Um fair zu sein, Papst Innozenz III hatte den Kreuzzug nicht nach Konstantinopel geschickt. er hatte- im Gegenteil- ausdrücklich verboten, dorthin zu fahren und hat viele der Kreuzritter exkommuniziert, die diesem Befehl nicht gehorchten.
Und während es wahr ist, daß die Kreuzritter die Hagia Sophia 1204 plünderten, haben sie sie dennoch während der folgenden 5 Jahrzehnte als blühende Kirche erhalten. Sie haben sogar die Kuppel repariert, als ein Teil davon einstürzte.
Es ist noch nicht klar, welchen Einfluß diese Veränderung auf die Millionen, die die Hagia Sophia jedes Jahr besuchen, haben wird. Erdogans Büro sagte, daß keines der Byzantinischen Kunstwerke beschädigt werden wird, auch wenn sie während der Gebetszeiten der Muslime durch Vorhänge oder Lichtinstallationen verborgen werden. Wie in allen Moscheen wird es keinen Eintrittspreis für Besucher mehr geben. Aber werden Teppiche den antiken Marmorboden bedecken? Wird der Zugang zu bestimmten Arealen beschränkt werden? Werden die Frauen Kopf und Beine bedecken müssen, wie in der nahegelegenen Blauen Moschee (Sultanahmet) ?
Wie bei allen Gebäuden dieses Alters ist die Geschichte der Hagia Sophia kompliziert. 9 Jahrhunderte lang war sie eine Kirche, fast 5 Jahrhunderte eine Moschee und fast ein Jahrhundert lang ein Museum. Sie ist ein Bauwerk von unvergleichlicher Schönheit und von unbeschreiblichem Horror. Die Geschichte des Westens ist in diesem bemerkenswerten Bauwerk zusammengefaßt.
Sie sollte nicht auf ein Pfand in einer politischen Kampagne reduziert werden. Die Hagia Sophia sollte ebenso wenig noch eine Moschee sein wie der Parthenon zum Kultus der Athena restauriert werden sollte. Das sind gemeinsame historische Denkmäler, an denen wir Menschen mit verschiedenen Hintergründen unsere gemeinsame menschliche Erfahrung sehen können. Die Welt hat viele Kirchen und Moscheen. Laßt die Hagia Sophia Hagia Sophia sein. "
Quelle: T. Madden* , FirstThings
*Thomas F. Madden ist Geschichtsprofessor und Direktor des Zentrums für Mittelalter-und Renaissance-Studien an der Universität von St. Louis, Autor von "Istanbul, majestätischen Stadt an der Kreuzung der Straßen der Welt"
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