Edward Walters veröffentlicht bei FirstThings, einen Text von Samuel Sweeney, Präsident der Mesopotamischen Hilfsstiftung im nordöstlichen Syrien, über das Christentum des Mittleren Ostens.
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"VON DEN HEILIGEN DES MITTLEREN OSTENS LERNEN"
"Eine Stimme voller Seufzer, Klagen, einen Schrei meines Herzens opfere ich dir auf, Oh Seher der Geheimnisse."
So beginnt das Buch der Klagen von Gregor von Narek, eines armenischen Heiligen des 10. Jahrhunderts. Ich habe das Buch zum ersten mal 2013 in Beirut gesehen, wo ein Armenischer Buchhändler mir eine arabische Übersetzung des Textes gab Er erzählte mir, daß er regelmäßig sowohl armenische als auch arabische Kopien verkauft. Der Hl. Gregor ahnte nicht, daß seine Worte mehr als ein Jahrtausend später nachdem er sie schrieb, noch gelesen werden würden. Seine übersetzten Schriften sind leicht in vielen Sprachen, einschließlich Englisch zu erwerben. Diese relativ leichte Zugänglichkeit steht im Gegensatz zu großen Teilen der Kirchenliteratur des Mittleren Ostens, die bestenfalls auf obskure akademische Zeitschriften beschränkt bleibt, zu denen man außerhalb von Universitäts-Bibliotheken nur schwer Zugang bekommt.
Aber ein hervorragender neuer Band der übersetzten Texte von Gregor von Narek bietet auch ein Heilmittel an. Auf seinen Seiten wird der moderne Leser viele Perlen dessen finden, was man locker Christentum des Mittleren Ostens nennen könnte, oder genauer Traditionen der Nicht-Lateinischen und Nicht-Griechischen Christen nennen könnte, die auf die frühesten Tage der Kirche zurückgehen.
Herausgegeben von J. Edward Walters von Hill Manuskript Museum und Bücherei in Minnesota, bietet "Östliches Christentum" klare und lesbare englische Übersetzungen grundlegender Texte aus der christlichen Literatur der syrischen, armenischen, georgischen, arabischen, koptischen und äthiopischen Sprache an. Jede Sprache und jeder Text hat eine kurze Einführung vom Übersetzer. Die Texte reichen von Geschichten über das Martyrium und Andachtsliteratur bis hin zu Apologetik und Geschichten christlicher Kontroversen. Das Buch deckt ein breites Themenspektrum ab und eignet sich sowohl für die spirituelle Lektüre als auch für das akademische Studium.
Östliches Christentum öffnet ein Fenster auf das wichtigste Thema des heutigen Christentums im Mittleren Osten, namentlich die Beziehung der Kirchen zum Islam.
Manchmal wird ausdrücklich auf Muslime angespielt, manchmal zwischen den Zeilen. Ein Text stammt vom renommierten Gelehrten Hunayn ibn Ishaq, der bestens dafür bekannt ist, griechische und syrische Texte im Bagdad des 9. Jahrhunderts während des abbasidischen Kalifats ins Arabische übersetzt zu haben. Seine Abhandlung in dem Buch trägt den Titel "Wie man die wahre Religion erkennt“. Er beginnt mit der Frage: "Wie kann ein Mensch wissen, daß sein eigenes Glaubensbekenntnis wahr ist, während das, was andere bekennen, falsch ist?“ Er nennt sechs Gründe, warum ein Mensch eine Lüge als wahr annehmen könnte, etwa wenn er "gegen seinen Willen durch Gewalt gezwungen“ wird oder "freiwillig einem Zustand von Zwang und Not entflieht . . . so versetzt er sich selbst daraus in einen Zustand, in dem er auf Bequemlichkeit und Überfluss hofft.“
Für Hunayn stellen die Ursprünge des Christentums eine klare Widerlegung dieser Gründe dar. Das Christentum, schreibt er, "wurde nicht durch die Macht eines Königs oder durch den Zwang eines Fürsten angenommen. Vielmehr zeigten sich ihm alle Könige und Fürsten der Erde feindlich gesinnt und versuchten, alle von ihm zu vertreiben.“ Darüber hinaus waren diejenigen, die das Christentum in seinen frühesten Tagen annahmen, gezwungen, von einem Leben der Leichtigkeit zu einem Leben der Last überzugehen, nicht umgekehrt. Das Christentum verbesserte ihren sozialen Status nicht, sondern senkte ihn. Sie wurden oft gezwungen, die Verbindung zu ihren Familien abzubrechen. Mit anderen Worten, irdischer Gewinn war kaum ein Grund für die anfängliche Verbreitung des Christentums. Hunayn fand also diese zwingenden Gründe, um die Gültigkeit des Christentums zu beurteilen, und stellte diese Gründe denen gegenüber, die seine Religion verteidigen, "weil er sie von seinen Vorfahren geerbt hat oder weil er sie von einer Schriftstelle oder von einem Propheten bekommen hat, der inspirierte Verse angeboten hat, oder vielleicht weil sie auf seiner eigenen Untersuchung beruht.“
An einer anderen Stelle des Buchs beklagt der Katholikos der Armenischen Kirche, Nerses Shnorhali, die mangelnde Hingabe seiner Gläubigen ans Gebet. Er vergleicht ihr Maß an Hingabe mit dem der Muslime. Er stellt ein Gebet vor, das fünfmal am Tag zu beten, er seine Anhänger dringend auffordert, und beklagt sich: "Und wenn Christen es versäumen, das zu lernen und zu beten, sollen sie von der irrigen Sekte Mohammeds zurechtgewiesen werden, die selbst in Schlachten nicht auf die Gebete verzichtet, die er sie lehrte, ganz zu schweigen von friedlichen Stunden.“
Das östliche Christentum beleuchtet die Reichtümer der Kirchen im Mittleren Osten und ihre jeweiligen literarischen Kanons. Diese alten Zweige des Christentums überleben noch heute in ihren Heimatländern, aber einige von ihnen sind ernsthaft vom Verschwinden bedroht. Wenn wir von den Gefahren hören, denen das Christentum im Mittleren Osten ausgesetzt ist, sind viele der Völker und Traditionen dieses Buches existenziell bedroht. Man hofft, daß ein besseres Verständnis der Geschichte der Christen im Mittleren Osten, das dieses Buch vermittelt, zum Handeln anregt, das hilft sie in der Gegenwart zu retten."
Quelle: S. Sweeney, FirstThings
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