Freitag, 29. Juli 2022

Über Karl Rahners Einfluss auf die moderne Theologie.

Peter Kwasniewski analysiert und kommentiert bei OnePeterFive die Theologie Karl Rahners, ihren Einfluss auf die moderne Theologie und zitiert dabei auch die Beurteilung Rahners durch Hans Urs von Balthasar. 
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"KARL RAHNER UND DAS UNAUSGESPROCHENE RAHMENWERK (GROSSER TEILE) DER MODERNEN THEOLOGIE" 

Charles Coulombes interessante Bemerkung in einem kürzlich erschienenen Artikel, daß Pius XII trotz all seiner Unnachgiebigkeit gegenüber dem dogmatischen Modernismus Pater Karl Rahner, S.J., erlaubte, Herausgeber des angesehenen Denzinger zu werden, veranlasste mich, die Frage nach Rahners Theologie und ihrem immensen Einfluss auf den modernen katholischen Diskurs aufzugreifen. Sein Einfluss ist so groß, daß er nicht einmal mehr als solcher gefühlt oder wahrgenommen wird, sondern erfolgreich eine Atmosphäre geschaffen hat, eine Reihe impliziter Annahmen, ein geistiges Miasma, mit dem viele Theologen und Studenten arbeiten, ohne überhaupt zu bemerken, daß es eher Rahnerianisch als katholisch ist. So wie viele Jahrhunderte lang fast jedes Werk der Theologie und Spiritualität die unverwechselbare Handschrift des heiligen Thomas trug – ob er nun ausdrücklich zitiert wurde oder nicht – so findet sich auch bei den Autoren, die als konservativ bezeichnet werden, fast überall die unverwechselbare Handschrift des Innsbrucker Jesuiten. 

Eine Figur von Rahners Größenordnung, die Dutzende von Bänden mit dichtem Material veröffentlicht hat, lässt sich zwangsläufig nicht leicht zusammenfassen, und ich biete das folgende "große Bild“ an, wobei ich voll und ganz anerkenne, daß es ihm an Nuancen mangeln wird. Ich bin jedoch davon überzeugt, daß es ein Gesamtbild im Werk gibt; daß wir genau identifizieren können, was es ist; und daß das ausreicht, um seine Wirkung zu beurteilen und kritische Fragen dazu zu stellen. Jeder Denker hat bestimmte Leitgedanken, die sich um ein paar große Themen ranken, und wenn man diese herausfindet, hat man eine Art "Schlüssel“ für den Rest.

Die revolutionäre Natur der Rahnerschen Theologie kann nur vor dem Hintergrund einer traditionellen Darstellung der christlichen Lehre gesehen werden. Wenn man versuchen müsste, die traditionelle Lesart in einem Absatz zusammenzufassen, würde der ungefähr so sein:

Gott, der drei Personen in einer Natur ist, hat den Menschen geschaffen, um ihn in Vereinigung mit sich selbst zum ewigen Glück zu bringen. Dem ersten Menschen, Adam, wurden die übernatürlichen Gaben anvertraut, die notwendig waren, um zu dieser Vereinigung zu gelangen, und er sollte sie an alle seine Nachkommen weitergeben. Durch die Sünde gegen Gott verlor Adam diese übernatürlichen Gaben und gab statt dessen seine Sünde an seine Nachkommen weiter, sodass jeder von uns mit einer echten Schuld geboren wird, wenn auch nicht mit einer persönlichen Schuld. Da wir uns selbst nicht retten konnten, nahm die zweite Person der Dreifaltigkeit eine menschliche Natur an und wurde ein Mensch, bekannt als Jesus Christus, und bot sein Leben als Opfer für alle Menschen an. Jeder, der an dieses Opfer glaubt und Christi Anweisungen befolgt, wie er sich in dieses Opfer eingliedern kann, kann von Adams Sünde und von seinen eigenen Sünden gerettet werden und kann in Vereinigung mit Gott ewiges Glück erlangen.


                             RAHNERS GROSSE IDEE

Rahner nimmt eine neue Idee und stellt sie ins Zentrum des Christentums. Das ist die Idee der "transzendentalen Erfahrung“. Was genau er damit meint, ist schwer zu erfassen, aber man kann sich zumindest einen Eindruck davon verschaffen. Während alle Geschöpfe begrenzt und endlich sind, ist der Mensch das einzige Geschöpf, das über seine Begrenzungen und Endlichkeit nachdenken kann; Indem er so über sie nachdenkt, transzendiert er sie und greift über seine Grenzen hinaus zum "Transzendenten“, zum unbekannten Jenseits, das ihn ruft und ihn drängt, über seine Grenzen hinauszugehen. Das unbekannte Jenseits, der "Begriff der Transzendenz“, nennen Christen Gott. Und da ein Mensch bei jeder Handlung, die er ausübt, innerhalb seiner Grenzen handelt, hat jede Handlung eines Menschen implizit das Transzendentale in sich, das einfach darauf wartet, daß der Mensch es reflektiert und explizit macht; daher ist Gott (der das unbekannte Jenseits ist, das in einer transzendentalen Erfahrung entdeckt wird) der implizite Horizont jeder menschlichen Handlung.

Auch wenn ein Mensch vielleicht nicht ganz versteht, wozu ihn das unbekannte Jenseits ruft und drängt, ist es in der Tat Gottes Ruf zur glückseligen Vision. Die grundlegende Pflicht eines Menschen im Leben besteht also darin, auf den Ruf zur Transzendenz zu antworten und die Vereinigung mit dem Jenseits zu suchen, das gleichzeitig völlig jenseitig und dem Horizont jeder seiner Handlungen eng verbunden ist. Wenn ein Mensch so handelt, wird er gerettet.

    RAHNERS NEU INTERPRETIERTES CHRISTENTUM 

Weil dieser zum Wesen des Menschen gehörende Ruf zur Transzendenz nun das Grundproblem der Erlösung ist, liegt es auf der Hand, daß die Grundlehren des Christentums "umgedeutet“ werden müssen.

Zuallererst muss die Lehre der Erbsünde einfach weg, weil sie den Anspruch erhebt, das Grundproblem der Erlösung zu sein. Rahner sagt also, daß die Erbsünde nicht etwas ist, das biologisch durch Zeugung weitergegeben wird – diese Vorstellung ist eine Art Mythologie –, sondern eine Verunreinigung unserer Handlungen durch die ganze  Geschichte, die uns vorangegangen ist. Nehmen wir zum Beispiel an, daß ich Millionen von meinem Vater erbe, der die Millionen unehrlich bekommen hat. Egal, was ich mit den Millionen mache, selbst wenn ich sie für wohltätige Zwecke gebe, meine Tat ist durch die Tatsache befleckt, daß die Millionen unrechtmäßig erworben wurden. Wenn ich eine Banane im Lebensmittelgeschäft kaufe, und ähnlich annehme, daß die Bananenbauern böse Menschen waren und daß diejenigen, die von den Bananenverkäufen profitieren, böse Menschen sind: verderben ihre früheren bösen Taten meine Handlung, die Banane zu kaufen, selbst wenn ich mir ihrer nicht bewußt bin. Das sind alles Beispiele für die Erbsünde. Der biblische Bericht, daß die ersten Menschen bereits begonnen hätten, die Taten ihrer Nachkommen zu beschmutzen, ist nicht wirklich ein historischer Bericht, sondern eine vernünftige Schlussfolgerung aus dem gegenwärtigen Stand der Dinge: Wenn die Dinge heute so sind, überlegt der biblische Autor, dann muss es am Anfang so gewesen sein. Das ist Rahners Version der Erbsünde.

Als nächstes muss die Inkarnation neu interpretiert werden. Es kann nicht länger so gesehen werden, daß Gott von oben herabkommt, um eine Schuld zu bezahlen, die wir nicht bezahlen konnten. Stattdessen betonen wir, daß Gott in der Menschwerdung vollkommen mit dem Menschen vereint ist. Jesus ist ein Beispiel für einen Mann, der perfekt auf Gottes Ruf zur Transzendenz reagierte und in Einheit mit dem Jenseits lebte. (Mir scheint, Rahner würde in dieser Hinsicht sehr gerne Nestorianer sein, sieht sich aber angesichts so klarer kirchlicher Lehren gegen den Nestorianismus nicht dazu in der Lage. Stattdessen besteht er darauf, daß die Göttlichkeit Christi, obwohl wir sie anerkennen müssen, zugunsten seiner  

Insbesondere die Kreuzigung muss neu interpretiert werden. Es ist völlig falsch, die Kreuzigung als "Opfer“ zu sehen, das unsere Errettung "verdient“, auch wenn diese Art der Beschreibung in der Schrift zweitrangig vorkommt. Vielmehr hat Christus in der Kreuzigung perfekt auf den Ruf zur Transzendenz geantwortet – perfekter als jeder andere Mensch jemals geantwortet hat oder jemals antworten wird – und somit das perfekt ausgeführt, wozu jeder Mensch von seiner Natur berufen ist. Indem wir Christi Antwort kennen und uns selbst darin erkennen, können wir an Christi vollkommener Antwort teilhaben. Die Kreuzigung ist somit ein "wirkliches Symbol“ unserer Errettung.

Es ist nun offensichtlich, daß, weil alle Menschen überall und jederzeit den Ruf zur Transzendenz zumindest implizit erfahren, daraus folgt, daß alle Menschen überall und jederzeit zumindest implizit eine Offenbarung des inneren Wesens der Kreuzigung Christi empfangen. Wenn also ein Mensch auf den Ruf antwortet, lebt er die Essenz des Christentums aus und kann als "anonymer Christ“ bezeichnet werden. Das explizite Christentum hat natürlich einen enormen Vorteil, weil es sehr hilfreich ist, sich selbst im Evangeliumsbericht von der Menschwerdung und Kreuzigung Christi zu erkennen, um dem Ruf zur Transzendenz vollständig zu entsprechen; aber es ist nicht notwendig, ausdrücklich christlich zu sein.

Angesichts dessen ist es nicht schwer zu erkennen, daß alle aufrichtigen Christen, egal welcher Konfession, die Essenz des Christentums leben. Es wird deutlich, daß es, wie das Zweite Vatikanische Konzil betonte, eine Hierarchie von Wahrheiten gibt, von denen einige wichtiger sind als andere; und insbesondere das grundlegende Problem der Suche nach Transzendenz ist wichtiger als alle anderen Lehren. Daher forderte Rahner die sofortige institutionelle Einheit aller Christen, ungeachtet ihrer besonderen Lehrunterschiede.

                            RAHNERS TRINITÄT

Obwohl Rahners Ideen über die Trinität logischerweise früher in diesen Essay gehörten, schien es mir, daß es den Fluss der obigen Darlegung gestört hätte, wenn man seine trinitarischen Ideen an ihre logische Stelle gesetzt hätte. Im Grunde stellt sich das unbekannte Jenseits, das sich jedem reflektierenden Menschen präsentiert, genau als das Jenseits dar, und die traditionellen Lehren über die Trinität stellen einen Versuch dar, etwas über das Innenleben des Jenseits auszusagen – ein absurder Versuch. Daher betont Rahner, daß man die Trinität im Sinne der "ökonomischen“ Trinität denken muss: Gott als Schöpfer ist der Vater; Gott als fleischgewordener Retter ist der Sohn; und Gott als treibende Gnade in uns ist der Heilige Geist. (Wie wir zuvor in Bezug auf seine nestorianische Christologie gesehen haben, scheint es, als würde Rahner auch in der trinitarischen Theologie gerne ein Modalist sein. Vergessen wir nicht, daß es ein Merkmal der Modernisten ist, mit den frühen Ketzereien zu sympathisieren, die von der Kirche verurteilt wurden. So finden wir bei einem der heute populärsten "theologischen Bösewichte“, David Bentley Hart, eine wachsende Sympathie für Gnostizismus und Arianismus, wie er uns in seinem Buch "Tradition and Apocalypse: An Essay on the Future of Christian Belief“ ausdrücklich mitteilt. (...) 
Fortsetzung folgt...

Quelle: P.Kwasniewski, OnePeterFive

 

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