Montag, 8. August 2022

Papst Franziskus, die Kirchengeschichte und die Evolution des Kirchenrechts

In seiner heutigen Kolumne für Monday at the Vatican kommentiert A. Gagliarducci die ungefilterten Aussagen von Papst Franziskus bei einem Gespräch mit den kanadischen Jesuiten u.a. über die Evolution des Kanonischen Rechts und die Versuch der atheistischen, säkularisierten Welt die Geschichte der Kirche umzuschreiben. 
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"PAPST FRANZISKUS,  WENN DIE KIRCHE SICH SELBST NICHT KENNT"

Papst Franziskus´ Gespräche mit den Jesuiten haben den Vorteiö freie Unterhaltungen zu sein, ohne Filter, bei denen sich oft die authentische Art seines Denkens zeigt. Die wie üblich in La Civiltà Cattolica veröffentlichte Unterhaltung mit den kanadischen Jesuiten war da keine Ausnahme. 

In dieser Konversation gibt es keine verblüffenden Enthüllungen. Da zeigt sich jedoch die Art wie Papst Franziskus denkt, was uns folgerichtig dazu veranlasst, im Licht dieser Äußerungen des Papstes während der Pressekonferenz auf dem Rückflug von Kanada noch einmal zu überdenken. 

Als der Papst mit den Jesuiten über die Evolution des Kanonischen Rechtes im Hinblick auf den Mißbrauch sprach, sagte er: "Das Gesetz kann nicht im Tiefkühlschrank aufbewahrt werden. Das Recht begleitet das Leben und das Leben geht weiter. Wie die Moral wird es besser. Früher war Sklaverei legal, Heute nicht mehr. Die Kirche heute sagt, daß sogar der Besitz von Atomwaffen unmoralisch ist, nicht nur ihr Einsatz. Das ist zuvor nicht gesagt worden. Der moralische Diskurs schreitet entlang der gleichen organischen Linie."

In den Worten des Papstes können wir eine besonders pragmatische Reduzierung der Lebensfragen sehen. Aber der Punkt ist ein anderer. Die praktische Reduzierung führt auch die dazu, die Kirche pragmatisch zu sehen und zu verstehen. Das Prinzip ist demnach, daß "Realitäten mehr sind als Ideen" wie der Papst in Evangelii Gaudium sagte. 

Wenn das aber der Fall gewesen wäre, hätte sich das Christentum nicht so weit ausbreiten können. Das Thema der Sklaverei ist dafür beispielhaft. 

Der Papst hat sich nicht auf die Akzeptanz der Sklaverei durch die Kirche bezogen. Erzbischof Victor Fernandez jedoch, sein theologischer Referenzpunkt, hat das während der Bischofs-Synode 2014 bei einer Pressekonferenz getan.


Aber gerade bei der Sklaverei muß ein großer Unterschied zwischen Kirche und Welt gemacht werden. Die Kirche hat nie akzeptiert, daß Menschen versklavt werden. Am Anfang hat die Kirche die Sklaverei als menschliche Institution akzeptiert, aber das bedeutet nicht, daß sie  nicht dgegen war. Jesus hat nie davon gesprochen,  die Weltordnung umzustürzen sondern davon die Herzen der Menschen zu ändern, von einer neuen Konzeption des Menschen,, die eine neue Zivilisation hervorbringt.

Das Christentum hat Sklaven immer als menschliche Wesen betrachtet. Im 4. Jahrhundert  verurteilte der Hl. Gregor von Nissa die Sklaverei als entgegengesetzt zum Gesetz Gottes. Der Hl. Ambrosius empfahl, Sklaven zu befreien. Der Hl. Johannes Chryostomos drängte die Lehrer dazu, versklavte ;Menschen das Arbeiten beizubringen, damit sie selbst für sich sorgen konnten. Schließlich verurteilte der Hl. Augustinus eindringlich der Sklaverei.

Die Päpste Pius I und Callixtus I waren Sklaven gewesen. Im 7. Jahrhundert wurde die britische Sklavin Bathilde heilig gesprochen.

Um nicht von den verschiedenen Konzilen zu reden, die sich gegen die Sklaverei aussprachen oder geflohene Sklaven verteidigten, die Freiheit für die versklavten Menschen verlangten und sogar den Sklavenhandel diskutiert haben. 

Wenn wir dann betonen möchten, daß viele Christen, Priester und Bischöfe die christliche Botschaft nicht  befolgt haben, ist das wahr. Aber es war die christliche Ausnahme, die zur Abschaffung der Sklaverei in Europa führte und das wird von Dutzenden von Statements  der Päpste bewiesen, beginnend mit der von Paul III verfaßten Bulle Pastorale Officium von 1537, die die Sklaverei bei Strafe der Exkommunikation verurteilt. 

Die Bulle folgte einem Dekret von Karl I, das die Versklavung der Indianer verurteilte. Und hier müssen wir das Feld des Geschichtsverständnisses ausweiten, um zu verstehen, daß die Katholischen Könige von Spanien die Versklavung nie bejaht haben. Angela Pellicciari hat in zwei Bänden ("Eine Geschichte der Kirche" und  "Eine einzigartige Geschichte")  erklärt, daß die Katholischen Könige Spaniens die Kolonisierung Amerikas eher als eine Form der Missionierung als eine Aneignung des Landes interpretiert haben.  Königin Isabella hat verboten, in der neuen Welt Sklaven zu machen und als Columbus einst mit Sklaven zurückkehrte, wurden sie mit vielen Entschuldigungen  nach Amerika zurückgeschickt und Columbus ins Gefängnis geschickt. 

Stattdessen -so argumentiert Pellicciari - entstand der spanische Erfolg genau aus der Tatsache, daß sie die Idee von einem Gott brachten, der für jeden Menschen sorgt und so  zum Zusammenbruch des mächtigen Azteken-Reiches führte, das auf Terror beruhte und Frauen, Männer und Kinder opferte.

Diesem Zusammenhang entstammt auch die sogenannte "Doktrin der Entdeckung“, aus diesem bereits 1455, vor der Entdeckung Amerikas, durch die Bulle Romanus Pontifex formulierten Ideal der Evangelisierung. Aber das war keine Lehre der Kirche. Das war Weltanschauung, die diese Zeit betraf. Die anderen Aktivitäten der Päpste haben sie überholt. Sie wurde von der Geschichte überholt. 

Das hat Papst Franziskus jedoch nicht gesagt. Stattdessen antwortete er in der Pressekonferenz auf dem Rückflug aus Kanada so vage, daß die Presse so weit ging, zu sagen, der Papst habe nicht alle Probleme angemessen erklärt. Dennoch hätte es für eine Erklärung gereicht, es in einen Kontext zu stellen. Der Papst sagte schließlich, er habe nicht vom "Völkermord“ an den amerikanischen Ureinwohnern in Kanada gesprochen, weil er nicht darüber nachgedacht habe. Aber auch das ist ein Thema: Völkermord bedeutet die Auslöschung eines Volkes und die systematische kulturelle Anpassung der die eingeborenen Völker unterworfen wurden- wie brutal oder gewaltsam auch immer- ist eine andere Sache. 

Das Thema hier ist, daß eine säkulare Welt die Geschichte der Kirche umschreiben und leugnen will, was sie eints war. Und da ist- unglücklicherweise- eine Kirche, die sich selbst nicht kennt und nicht weiß, wie sie sich verteidigen und erklären kann, was sie ist, was sie war und ihre Geschichte.

Überall waren es Missionare, die indigene Sprachen erlernten und bewahrten, die ihre Kultur vor Assimilation schützten. Sie taten dies inmitten großer innerkirchlicher Diskussionen, manchmal mit fataler Unentschlossenheit seitens der Päpste, aber immer mit einem klaren Ziel vor Augen.

Wenn alles auf eine pragmatische und nicht-theologische Lesart reduziert wird, wenn die Hermeneutik der Zeit nicht angewandt wird und nicht versucht wird zu erklären, was die Kirche bewegt, dann kann die Kirche nicht verstanden werden.

Für die Kirche geht es nicht darum, in der Defensive zu bleiben, sondern etwas davon zu zeigen, was sie ist. Und das gleiche gilt für den Papst, der – sagte er den Jesuiten in Kanada – immer im Namen der Kirche spreche. Es ist jedoch schwer zu glauben, dass die Kirche es schätzt, auf die Geste der Entschuldigung eines Papstes reduziert und angegriffen zu werden, weil sie als Institution nicht das Mea Culpa sagt, während der Papst das tut.

Es ist an der Zeit, daß Katholiken über den Druck der öffentlichen Meinung und teilweise historische Rekonstruktionen hinausgehen. Es ist an der Zeit, daß Katholiken die Kirche kennenlernen, besonders in dieser Ära der Cancel-Kultur. Ein Zeitalter, auf das- unter anderem, der Papst in einer seiner kanadischen Reden eindeutig mit dem Finger gezeigt hat. "

Quelle: A. Gagliarducci, Monday at the Vatican


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