Sonntag, 8. Januar 2023

Benedikt XVI: Das intellektuelle Erbe

Der Pfarrer der St. Andreas-Diözese in Edinburgh, Patrick Burke veröffentlicht in "The Spectator" seine persönlichen Erinnerungen an Joseph Ratzinger und charakterisiert ihn als einen großen Denker des 29. Jahrhunderts. Hier geht´s zum Original: klicken

"DAS INTELLEKTUELLE ERBE PAPST BENEDIKTS XVI"

Als ich in den 1990-ern meine Promotion am Deutschen Kolleg in Rom zu Ende brachte frühstückte ich - aus Gründen die zu komplex sind, nicht erkläre,  3 Jahre lang fast jeden Donnerstag mit dem damaligen Kardinal Ratzinger. Diese Frühstücke waren  zunächst oft merkwürdig, weil - obwohl der Kardinal immer wohlwollend war- er nie "small talk" machte und es ziemlich hoffnungslos war, leichte Konversation zu machen. Ratzinger war ein schmerzlich schüchterner Mann, der nicht leicht Kontakte knüpfte. 

Deshalb befragte ich ihn bei diesen Frühstücken zur Theologie- weil er dann lebendig wurde. Ich schrieb meine Dissertation über den großen deutschen Theologen Karl Rahner, mit dem zusammen Ratzinger gelehrt hatte und so war es einfach, ihn in eine theologische Unterhaltung über Rahner´-Themen zu verwickeln.  Weil Ratzinger vor allem ein Intellektueller war. Er war Akademiker von Natur aus- aber er war auch viel mehr als ein Akademiker. Er war meiner Meinung nach einer der letzten großen Denker des 20. Jahrhunderts. Ratzinger gehörte zu dieser Blüte der Katholischen Theologie, Mitte des 20. Jahrhunderts- als die Kirche mit einer Gruppe herausragender Theologen und Philosophen gesegnet  war, die sie durch die tiefgreifenden soziologischen Änderungen nach dem Krieg in Europa führten und leiteten und halfen die moderne Kirche vor dem II.Vaticanischen Konzil zu gestalten. 

Maritain, Gilson, Lonergan, Rahner, von Balthasar, Congar, De Lubac - Ratzinger kannten sie alle und arbeitete mit ihnen. 

Und wie viele von ihnen, war Ratzinger ein Universalgelehrter. Er hatte enzyklopädische Kenntnisse der Weltkultur, Literatur, Schriften, Künste. Er konnte alle Mozart-Klaviersonaten spielen, viele auswendig. 

Viel später, als ich für die Glaubenskongregation arbeitete, unterrichtete ich in Rom einen Kursus an der Gregoriana, der auf seinem wegweisenden Werk "Einführung ins Christentum"  basierte- das, wie jeder, der es gelesen hat, weiß- alles andere als eine leichte Einführung ins Christentum ist. Ich tat das, weil ich überzeugt war- und es noch bin- man in diesem innovativen frühen Werk Spuren wirklicher Brillanz findet.  Es gibt in jedem Zeitalter sehr wenige Denker, die wirklich etwas Neues zu sagen haben, Ratzinger war einer dieser wirklich synthetischer Denker. 

Unglücklicherweise wurde (auf gewisse Weise) Ratzingers intellektuelle Entwicklung abgekürzt, als Papst Paul VI ihn 1977 zum Erzbischof von München ernannte.  Ratzinger wollte nie Bischof werden und hat nie einen Aufstieg in der Kirche gesucht. Wegen seiner Schüchternheit hat er die gesellschaftliche Seite des Bischofs-Seins nie genossen und empfand - als die Zeit fortschritt-den Bekanntheitsgrad, der ihn umgab, als unangenehm. 


Aber Ratzinger war ein Mann der Kirche und er tat, was von ihm verlangt wurde- und als ihn dann drei Jahre später Papst Johannes Paul II bat, Präfekt der Glaubenskongregation zu werden- stimmte er ohne Bedenken zu. In dieser Rolle war es Ratzingers Aufgabe den Katholischen Glauben auszuarbeiten und die Grenzen des Katholischen Denkens abzustecken und das tat er mit präzedenzlosen Einsicht und Klarheit. Es war seine Pflicht, manchmal Dinge zu sagen, die nicht populär waren und dem vorherrschenden Zeitgeist widersprachen. Aber das war sein Job und so tat er es mit soviel Grazie und Großzügigkeit wie möglich.

Unglücklicherweise griffen viele Jahre lang Kommentatoren, die unfähig waren eine richtige Diskussion oder einen Dialog über solche Themen zu führen, einfach auf verbale Beleidigungen zurück und so entstand in den Medien die Karikatur des "Panzer-Kardinals", der die Kirche mit "eiserner Faust im Samthandschuh" regierte. Für jene, die ihn kannten, war dies Karikatur der Realität so radikal entgegen-gesetzt, daß sie einfach nur lächerlich war und ist. Weil Ratzinger- wie viele richtige Intellektuelle- sich seiner Meinungen sicher und immer neugierig war, die Ansichten der anderen kennen zu lernen. Er war immer offen für Diskussionen und hat die Gelegenheit zu debattieren nie abgelehnt. In allen Jahren, die ich ihn kannte und in denen ich mit ihm zusammen arbeitete, habe ich ihn nie nervös oder aggressiv erlebt. Er war nie anmaßend in Diskussionen, und die Vorstellung, daß Ratzinger seine Stimme erhebt, ist für jeden, der ihn kannte, einfach absurd.

Ich habe nie jemanden getroffen, der Ratzinger wirklich kannte und ihn nicht liebte. Ich habe in den 1980er Jahren Germanistik in München studiert und war erstaunt über die Zuneigung, die ihm die Bürger dieser sehr säkularen Stadt entgegenbrachten. Am Deutschen Kolleg in Rom war ich in den 1990er Jahren überwältigt von den Hunderten deutscher Pilger, die jeden Donnerstag um 7 Uhr morgens kamen, um mit ihm die Messe zu feiern -und von der Ehrfurcht der ganzen Kurie wegen seiner Integrität, Ehrlichkeit und Intelligenz.

Er war ein Mann von tiefem Glauben. Seine spirituellen Schriften (darunter Trachtet nach dem, was droben ist,  Dogma und Predigten, "Gottes Angesicht suchen"  und Diener Eurer Freude) sind so schön, weil sie aus seiner Erfahrung der Liebe Gottes und seinem tiefen Verständnis der Heiligen Schrift hervorgehen.

Vor allem aber wird Ratzingers Vermächtnis ein intellektuelles sein – er war ein einflussreicher Theologe beim Zweiten Vatikanischen Konzil; er beteiligte sich an der Debatte über Glauben und Vernunft und verfocht die Gültigkeit des Glaubens in einem zutiefst relativistischen Zeitalter; und er versuchte, die katholische Schriftexegese durch eine neue Sichtweise neu auszurichten (siehe seinen dreibändigen Jesus von Nazareth). Letztlich hat er durch sein ganzes theologisches Wirken versucht, zu zeigen, wie Jesus Christus der Mittelpunkt aller Dinge ist und den Menschen Orientierung und einen weiteren Horizont zu geben, in einer Zeit, die befallen ist von der Trivialisierung des Lebens und der ständigen Reduzierung der menschlichen Person auf etwas Geringeres als das, was wir- wie Christus offenbart-sein können. 

Ratzingers Beitrag zum Leben der Kirche war enorm. Er war kein großer Administrator, und wie wir alle machte er Fehler. Aber er war ein wirklich großer Mann und die Welt und die Kirche sind nach seinem Tod ärmer."

Quelle: Fr.P. Burke, The Spectator

Father Patrick Burke ist Gemeinde-Pfarrer in der Erzdiözese St. Andrew und Edinburgh. 

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