Dienstag, 24. Januar 2023

Über das Denken Benedikts XVI

Marco Tosatti hat bei Stilum Curiae einen Kommentar von Marco Nardone zu einem Interview über das Denken Papst Benedikts XVI und den Atheismus im Westen veröffentlicht, das Professor Gianluca Marletta der website Kardinal-Van-Thuan-Osservatorio gegeben hat. 
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       "BENEDIKT, DER ATHEISMUS UND DER WESTEN"  

Liebe StilumCuriale, wir machen Sie darauf aufmerksam, dass dieser Kommentar auf der Website des Internationalen Kardinal-Van-Thuan-Osservatorio erschienen ist, dem wir für seine Großzügigkeit danken. Viel Spaß beim Lesen und Teilen.

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Am 29. Dezember 2022, zwei Tage vor dem Tod Benedikts XVI, wurde ein bemerkenswertes Interview mit Prof. Gianluca Marletta mit dem Titel "Künstliche Intelligenz bedroht das Christentum" veröffentlicht. Das Interview ist voller Ideen und Überlegungen, sehr interessant und in vielerlei Hinsicht teilbar. Einige Passagen erscheinen mir jedoch problematisch, insbesondere die Bewertung der Figur und des Denkens Ratzingers.

Ich stimme der Aussage zu, daß Benedikt XVI. nicht zu den vorkonziliaren Theologen gezählt werden kann: Er stand auf einer Linie mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, aber nicht mit dem "Geist" des Konzils, der wollte, daß es mit der Tradition der Kirche bricht.

Ich teile jedoch auch den Gedanken, daß das Zweite Vatikanische Konzil Elemente der Zweideutigkeit enthält und vor das Urteil, daß es sich damals hauptsächlich in eine falsche Richtung entwickelt hat, die der westlichen Säkularisierung, anstatt in Richtung einer "östlichen" Transzendenz.

Beim Adjektiv "östlich" habe ich jedoch ernsthafte Vorbehalte: ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob der Gegensatz zwischen Immanenz und Transzendenz auf den Gegensatz zwischen Ost und West oder zwischen westlichem Christentum und östlichem Christentum reduzierbar ist. Diese Reduktion führt dazu, wie Dugin den Gegensatz zwischen Immanenz und Transzendenz mit dem gegenwärtigen Konflikt zwischen dem Westen und Russland in Verbindung zu bringen und letzteres zu einem Kampf der Kulturen, ja zu einer Art eschatologischem Konflikt zu machen. Das gleiche manichäische Schema mit einer umgekehrten Werteskala wird von vielen "westlichen" Intellektuellen verwendet. Aber es ist meiner Meinung nach eine vereinfachende Vision, obwohl sie sich auf einen Aspekt stützt, den "spirituellen", der weit davon entfernt ist, den Konflikt zu vernachlässigen.

Vereinfachend vor allem, weil Russland auch Teil des Westens ist, weil, wie Johannes Paul II. sagte, es auch Teil der christlichen Zivilisation ist, die in den Wurzeln des Westens liegt.


Dann, weil man folglich nicht den ganzen Westen dämonisieren und auf seine Degeneration reduzieren kann: Wie die zeitgenössische Geschichte bezeugt, ist der Kampf zwischen Immanenz und Transzendenz und damit zwischen den daraus abgeleiteten Zivilisationsvorstellungen innerlich und transversal zu den beiden Formen des Westens und umfasst beides, wenn auch mit wechselnden Ereignissen, gegenseitigen Verunreinigungen und unterschiedlichen Modalitäten.

Ich stimme auch nicht der Behauptung zu, daß Benedikt XVI. den Hinweis auf Transzendenz in seinem Denken vernachlässigt hat. Mir scheint stattdessen, daß er genau das Gegenteil getan hat, obwohl es wahr ist, daß sein Denken ungelöste Probleme aufwirft, die insbesondere das Verhältnis zur Moderne betreffen, vor denrn er sich nie verschont hat.

Fragwürdig und sogar widersprüchlich finde ich auch die Behauptung, daß die Moderne im Westen vom Ende des Mittelalters unaufhaltsam und unumkehrbar in Richtung Säkularisierung, Atheismus und Apostasie vom Christentum voranschreitet, wobei "sich für den Westen zu erklären und gleichzeitig seine extremsten Aspekte zu kritisieren", wie es Benedikt XVI. getan hätte, ein Zeichen für einen "Mangel an breiterer Perspektive" wäre. Tatsächlich konnte man sich angesichts der Konsequenzen und Unumkehrbarkeit des Prozesses nicht – wie es die moderate Moderne tut – von den radikalen Formen der Moderne distanzieren, ohne sich auch von den Grundlagen der Moderne zu distanzieren.

Die Aussage ist nicht deshalb fragwürdig, weil sie die intrinsische und notwendige Verbindung zwischen dem rationalistischen Prinzip, das die Moderne begründet, und ihren radikalen Ergebnissen bekräftigt. Diese Verbindung, die von Denkern wie Fabro, Gilson, Del Noce und von Ratzinger selbst erkannt wurde, existiert und kann nicht geleugnet werden. Die Kritik der gemäßigten Moderne trifft damit ins Schwarze. Sie ist fragwürdig, weil sie eine absolute Identifikation des Westens mit der Moderne setzt und damit ins Netz des Rationalismus fällt. Es wird in der Tat nicht gesagt, daß der Prozess der Säkularisierung des Westens unumkehrbar ist, wie es der Rationalismus, der sich ihrer Förderung verschrieben hat, will. Unumkehrbar ist natürlich sicherlich der logische Prozess hin zum spekulativen Atheismus, ausgelöst durch das Prinzip der Immanenz und damit auch jenes Teils der westlichen Kultur, der ihn vorbehaltlos vertritt: ein Teil, der, wie anerkannt werden muss, gegenwärtig hegemonial ist. Und es ist klar, daß, wenn man die Prinzipien nicht ändert, man die Ergebnisse nicht ändert, er sich höchstens verzögert; Deshalb kann das wahrheitsgemäße Denken heute nicht umhin, die Ablehnung der Ergebnisse, die es auch gibt, auf eine Revision der Prinzipien zu reduzieren. Dies muss betont und standhaft beibehalten werden, um nicht in die Versuchung zu geraten, im Namen der gerechten Notwendigkeit, mit dem modernen Menschen zu sprechen, Kompromisse mit der "axiologischen" Moderne einzugehen. Der historische Weg des modernen Westens an sich ist jedoch nicht unumkehrbar,  er muß immer als korrigiert betrachtet werden, wenn man der metaphysischen und kreationistischen Perspektive treu bleiben will, jenem "kreationistischen Optimismus", von dem Gilson über den heiligen Thomas sprach, für den die Offenheit für das Unendliche des menschlichen Verlangens unbändig ist, weil es vom Schöpfer in die menschliche Natur selbst eingeschrieben ist. Und sie ist daher immer erneuerbar, durch Glück oder durch Gnade.

Darüber hinaus gibt Marletta selbst zu, wie wir gesehen haben, daß sich das Konzil auch in Richtung Transzendenz hätte entwickeln können: eine Möglichkeit, die nicht einmal hypothetisch wäre, wenn man unter Verzicht auf den kreationistischen Optimismus wirklich dachte, daß der Prozess der Moderne in Richtung Atheismus unumkehrbar und hoffnungslos ist. Darüber hinaus hätte ein Kampf der Opposition gegen die Säkularisierung ohne den kreationistischen Optimismus keinen Sinn: Wir könnten genauso gut kapitulieren und mitmachen, wie es tatsächlich sowohl der protestantische als auch der katholische Progressivismus tun.

Folglich ist es auch fraglich, daß Benedikt schließlich nichts anderes als ein Konservativer ist, im Sinne eines gemäßigten Modernisten, der eigentlich die gleichen Prämissen wie der Progressivismus teilt. Nicht, daß es in seinem Denken keine Zweideutigkeiten in diesem Sinne gäbe: Es ist das "nichts anderes", das zu viel ist, in dem Sinne, dass die Beobachtung nur dann relevant klingen kann, wenn sie in der Größe geändert wird, das heißt, wenn sie sich auf das Vorhandensein ungelöster Probleme in Benedikts Denken bezieht.

Es besteht nämlich kein Zweifel, daß Benedikt dennoch unmissverständlich den Weg der Wiedererlangung der Transzendenz, der Metaphysik, der »Weite der Vernunft« aufgezeigt und ihn klar als einen gangbaren Weg in der heutigen Welt, ja als die Rettung der Moderne selbst aufgezeigt hat. Ich finde die Betrachtung von Stefano Fontana in seinem Artikel über den Tod Benedikts XVI in dieser Hinsicht sehr passend: für Benedikt ist es in demselben Westen, der vom Glauben abfiel, daß der Glaube mit Hilfe der Gnade neue Kraft gewinnen muss. In diesem Sinne repräsentiert Benedikt nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft.

Das Heil wird uns also nicht aus dem (militärischen) Sieg des "Dritten Roms" über den perversen Westen kommen, obwohl dieser grausame Krieg auch einen Platz in Gottes geheimnisvollem Plan hat. Es wird uns aus dem Erwachen des tiefen Bewußtseins jenes »wesentlichen« Westens kommen, von dem Johannes Paul II. als einzig gangbarer Weg gesprochen hat, das heißt von der Wiedergewinnung der gemeinsamen christlichen Wurzeln, die die Grundlage dessen bilden, was vom Atlantik bis zum Ural der Raum für die Ausbreitung der christlichen Zivilisation war. Eine Genesung, die heute noch möglich ist, aber nur im Gebet und mit der Intelligenz des Glaubens, den beiden "Waffen", deren Lehrer Benedikt war."

Marco Nardone

Quelle: M.Tosatti, Stilum Curiae, M.Nardone


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