Roberto de Mattei bespricht bei Corrispondenza Romana das Erinnerungsbuch "Missione a Londra" des Geheimkämmerers von Papst Pius X, Graf Stanilao Medolago Albano (Verlag D’Ettoris, Crotone 2023, herausgegeben von Luisa Maddalena Medolago Albani, mit einem Vorwort von Marco Invernizzi). Hier geht´s zum Original: klicken
"MISSION IN LONDON"
Stanislao Medolago Albani wurde 1851 in Bergamo als Sohn des Grafen Gerolamo und der Benedetta de Maistre, einer Nachfahrin des berühmten savoyischen Grafen Joseph de Maistre, geboren. Nach dem Studium der Theologie und Philosophie an der Päpstlichen Universität Gregoriana spielte er eine wichtige Rolle in der katholischen Bewegung. Der Priester Paolo de Töth, der eine wunderbare Biographie über ihn schrieb, sagte: "Das Leben des Grafen Medolago Albani zu schreiben ist dasselbe, wie die Geschichte der Katholischen Aktion Italiens zu schreiben“. Der Graf starb am 3. Juli 1921 in Bergamo.
Medolago gehörte wie de Töth zum unnachgiebigsten Flügel der italienischen Katholizität und wurde daher vom heiligen Pius X. besonders geschätzt, der ihn und den seligen Giuseppe Toniolo 1905 mit der Aufgabe betraute, die katholische Bewegung nach der Zerschlagung der vom Modernismus unterwanderten Opera dei Congressi [Werke der Kongresse, 1874–1904] neu zu organisieren.
Am 11. April 1911 erhielt Medolago einen Brief des Staatssekretärs von Pius X., Rafael Merry del Val, in dem der Kardinal ihn über die Absicht des Papstes informierte, ihn in die Päpstliche Delegation zu berufen, die im Juni zur Krönung Seiner Majestät Georg V., des Königs von England, nach London reisen sollte. An der Mission, die von Monsignore Gennaro Granito Pignatelli di Belmonte, der im November desselben Jahres zum Kardinal erhoben werden sollte, angeführt wurde, nahmen auch Monsignore Eugenio Pacelli, Untersekretär der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten, und Graf Francesco Bezzi Scali, Nobelgardist Seiner Heiligkeit, teil.
Die Päpstliche Delegation traf am 19. Juni in London ein. Ihre Mitglieder wurden von den englischen Herrschern empfangen, und am 22. Juni nahmen sie einen Ehrenplatz in der königlichen Prozession ein, die bis zur Westminster Abbey reichte. Die Vertreter des Papstes nahmen jedoch nicht am Krönungs- Gottesdienst teil, in dem der König, Oberhaupt der anglikanischen Kirche, öffentlich seinen protestantischen Glauben bezeugte. Diese Form der Teilnahme des Heiligen Stuhls an der Krönung des britischen Herrschers war zwar eine diplomatische Geste, aber keine "ökumenische“. Am darauffolgenden Tag nahmen die Mitglieder der Mission in ihren Gala-Gewändern auch an der zweiten spektakulären königlichen "Prozession“ durch die Straßen der Hauptstadt teil.
Erzbischof Granito di Belmonte schrieb in seinem Bericht an den Papst:
"Was den warmherzigen und wohlwollenden Empfang am meisten kennzeichnete, war die Bereitschaft der Souveräne, im Repräsentanten die Person des Heiligen Vaters zu ehren, und dies mit öffentlichen und außergewöhnlichen Kundgebungen, die von den meisten ausländischen Fürsten hervorgehoben und gebilligt wurden, die dem Beispiel der englischen Souveräne gerne folgten“.
Georg V., König von Großbritannien und Irland und der britischen Dominions in Übersee sowie Kaiser von Indien, war nicht nur das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, sondern auch Großmeister der englischen Freimaurerei. In England, der Heimat des Fabianischen Sozialismus und des aufkommenden Feminismus, wo es von von esoterischen Sekten wimmelte.
Annie Besant leitete die Theosophische Gesellschaft und hatte in London die erste weibliche Freimaurerloge gegründet. Gestalten wie Oscar Wilde verkörperten die extremsten moralischen Überschreitungen der damaligen Zeit. Am 15. Juli 1909 war der modernistische Priester George Tyrrell, der 1907 von Pius X. exkommuniziert worden war, in Storrington, Großbritannien, gestorben. Die Banker britischen Merchant Bank beherrschten die internationale Finanz, und die Londoner City war mit der Wall Street eines der Zentren des anglo-amerikanischen imperialistischen Projekts.
Pius X. und sein Staatssekretär waren sich dieses Gesamtbildes wohl bewußt, aber sie verteufelten weder das britische Königshaus, noch betrachteten sie die "Anglosphäre“ als das absolut Böse.
In England lebten 32 Millionen Katholiken, und es entwickelte sich eine Rückkehrbewegung zur Römischen Kirche, die unter dem Pontifikat des seligen Pius IX. von Kardinal Nicholas Wiseman, dem seligen Dominikus von der Mutter Gottes und der „Oxford-Bewegung“ initiiert wurde.
Pius V. hatte 1570 Königin Elisabeth I. exkommuniziert und die englischen Katholiken von ihrem Treueeid auf sie entbunden, da zu diesem Zeitpunkt die militärische und religiöse Rückeroberung Englands mit Hilfe Spaniens durch Philipp II. noch möglich war.
Drei Jahrhunderte später bestand das Hauptinteresse der römischen Kirche darin, die Freiheit in einem inzwischen protestantisierten Königreich wiederzuerlangen.
Wie der heilige Pius X. hatte auch Leo XIII. gehandelt, als er 1887 beschloß, eine Päpstliche Delegation unter der Leitung von Erzbischof Luigi Ruffo Scilla nach London zu entsenden, um Königin Victoria zum fünfzigsten Jahrestag ihrer Thronbesteigung zu gratulieren. In den Instruktionen des Staatssekretärs Mariano Rampolla del Tindaro an den päpstlichen Gesandten wurde das Vereinigte Königreich gelobt, weil es, obwohl offiziell anglikanisch, die katholischen Gottesdienste in seinen Herrschaftsgebieten nicht behinderte und "der katholischen Kirche besonders in den Missionen in Kanada und Ostindien“ Respekt erwies.
"Der gute und treueste Herzog von Norfolk“, schrieb Kardinal Henry Edward Manning, Erzbischof von Westminster, am 3. Juli 1887 an Leo XIII., "zeigte die feinste Gastfreundschaft, unsere Gläubigen kamen am Jubiläumstag in Scharen in die Kathedrale, als Monsignore Ruffo Scylla mir die Freundlichkeit erwies, das Pontifikalamt feierlichst zu halten. Unsere Königin zeigte im Londoner Palast und auf Schloß Windsor alle Zeichen der Verehrung für die Person Eurer Heiligkeit und der Achtung und des Wohlwollens gegenüber dem Gesandten“.
1887 wurde der damals 22jährige Rafael Merry del Val, ein gebürtiger Londoner, spanischer Herkunft, aber ein Römer im Geiste, vom Papst zum Sekretär der Päpstlichen Mission in England ernannt. Im Jahr 1901 schickte Leo XIII. ihn erneut nach London, um dem neuen König Edward VII. seine Glückwünsche zu überbringen. Nachdem er Staatssekretär von Pius X. geworden war, wollte Merry del Val die freundschaftlichen Beziehungen zum Hof von Windsor festigen. Seine doktrinäre Unnachgiebigkeit gegenüber dem Protestantismus, dem Liberalismus und der Freimaurerei war bei ihm von großer politischer Flexibilität und vor allem von einer tiefen Liebe zum englischen Volk begleitet.
Leos XIII Enzyklika Apostolicae Curae vom 13. September 1896, in der die anglikanischen Weihen für ungültig erklärt werden, schließt mit einem Gebet, das gemeinhin Kardinal Merry del Val zugeschrieben wird und das es wert ist, im vollen Wortlaut wiedergegeben zu werden:
"O selige Jungfrau Maria, Mutter Gottes, unsere Königin und liebste Mutter, wende deine Augen gütig England zu, das deine ´Morgengabe‘ genannt wird, und wende sie uns zu, die wir unser ganzes Vertrauen auf dich setzen. Durch dich ist uns Christus, der Retter der Welt, gegeben worden, damit unsere Hoffnung auf ihn fest sei; und von ihm bist du uns gegeben worden, damit unsere Hoffnung durch dich vermehrt werde. Deshalb bitte für uns, o schmerzhafte Mutter, die du uns als Kinder am Kreuz des Herrn aufgenommen hast; tritt für unsere abtrünnigen Brüder ein, damit sie mit uns in der einen wahren Herde mit dem Oberhirten, dem Stellvertreter deines Sohnes auf Erden, vereint werden. Bitte für uns alle, o fromme Mutter, daß wir es alle durch den Glauben, der gute Werke hervorbringt, verdienen, gemeinsam mit dir Gott in der himmlischen Heimat zu betrachten und ihn für immer zu preisen. Amen“.
Die Kirche hat nie ein Volk verteufelt, sie hat es gestern nicht getan und sie tut es auch heute nicht. Jede Gesellschaft, so wie jeder einzelne, kann sich von Gott abwenden, aber sie kann auch in seine Arme zurückkehren, entsprechend der göttlichen Gnade. Die Konflikte, die die Welt zerreißen, müssen immer aus einer übernatürlichen und nicht aus einer politischen oder ideologischen Perspektive betrachtet werden, indem man sich daran erinnert, daß die Kirche die Mutter und nicht die Stiefmutter der Völker ist und daß ihre Sendung katholisch, d. h. universal, ist."
Quelle: Roberto de Mattei, Corrispondenza Romana
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Mit dem Posten eines Kommentars erteilen Sie die nach der DSGVO nötige Zustimmung, dass dieser, im Falle seiner Freischaltung, auf Dauer gespeichert und lesbar bleibt. Von der »Blogger« Software vorgegeben ist, dass Ihre E-Mail-Adresse, sofern Sie diese angeben, ebenfalls gespeichert wird. Daher stimmen Sie, sofern Sie Ihre email Adresse angeben, einer Speicherung zu. Gleiches gilt für eine Anmeldung als »Follower«. Sollten Sie nachträglich die Löschung eines Kommentars wünschen, können Sie dies, unter Angabe des Artikels und Inhalt des Kommentars, über die Kommentarfunktion erbitten. Ihr Kommentar wird dann so bald wie möglich gelöscht.