In seiner heutigen Kolumne für Monday at the Vatican setzt sich A. Gagliaducci mit dem Erbe von Papst Franziskus - besonders im Hinblick auf den-auch internationalen-Status des Heiligen Stuhls auseinander. Hier geht´s zum Original: klicken
"PAPST FRANZISKUS UND DIE ZUKUNFT DES HEILIGEN STUHLS"
Vielleicht ist das wahre Problem der Kirche nach Papst Franziskus nicht die Doktrin, der Verlust an charismatischen Personen wie der Papst oder die Führung der Kirche sein. Vielleicht wird das wahre Problem die Schwächung des Hl. Stuhls sein, der Institution die dazu berufen ist, die Freiheit der Gläubigen in aller Welt zu garantieren und das internationale Ansehen des Papstes, das noch nie so beschädigt und Risiken ausgesetzt worden ist wie jetzt.
Speziell zwei Situationen beleuchten diese Gefahr. Die erste, hervorstechendste stellt sich durch den Gerichtsprozess im Vatican dar. Der Prozess dreht sich um drei Investigations-Sträng, wobei der wichtigste die Untersuchung der Investition des Staatssekretariates in eine Londoner Luxxus-Immobilie betrifft. Laut der Anklagepunkte wurde die Investition in betrügerischer Absicht und gegen die Interessen des Staatssekretariats getätigt. Mit diesem Trend verbunden ist ein weiterer, , der die Verwendung einiger Gelder des Staatssekretariats auf Sardinien betrifft, als der derzeitige Kardinal Angelo Becciu das Staatssekretariat übernahm, und die Verpflichtung einer selbsternannten Geheimdienstexpertin, Cecilia Marogna, durch das Staatssekretariat, die Gelder für Vermittlungsinitiativen zweckentfremdet haben soll.
Der Prozess hat den Zeitpunkt für eine Anklageentscheidung erreicht, die in sechs Tagen stattfinden soll. Doch bereits in den ersten drei Tagen des Anklageverfahrens unter Alessandro Diddi, dem vatikanischen Staatsanwalt, wurden alle strukturellen Probleme des Prozesses deutlich. Diddi wollte von Anfang an betonen, dass es sich hier nicht um einen Prozess gegen das Staatssekretariat, sondern gegen Beamte handelt, die sich schlecht verhalten hätten. Aber jede Phase der Präsentation ist eine Anklage gegen das vom Staatssekretariat geleitete System. Indirekt wird auch die in den letzten Jahren geschwächte Unabhängigkeit des Staatssekretariats bestritten. Finanzielle Strukturen, die dem Heiligen Stuhl trotz ihrer Einschränkungen das Überleben ermöglicht hatten, werden in Frage gestellt.
In der Praxis werden vermeintliche korrupte Verhaltensweisen zum Vorwand, das gesamte vatikanische System in Frage zu stellen, das sich unter anderem schon immer dadurch auszeichnete, dass es zwei unterschiedliche Sphären aufrechterhielt. Einerseits der Heilige Stuhl; auf der anderen Seite der Staat Vatikanstadt. Und einerseits das kanonische Recht, das ohnehin einen Bezugspunkt darstellt; und auf der anderen Seite die Staatsführung, die nicht moralistisch ist, sondern an den Fakten arbeitet.
Dieser Prozess hat alles durcheinander gebracht. Der Papst intervenierte mit vier Reskripten und übte damit in vollem Umfang die Vorrechte eines Papst-Königs aus, die im Laufe der Jahre etwas inaktiv gewesen waren – so sehr, daß Johannes Paul II. die Regierung des Staates Vatikanstadt einer Kommission von Kardinälen anvertraute. Der Staatsanwalt hat Verbrechen auf der Grundlage des kanonischen Rechts definiert und dabei heimlich das kanonische Recht in ein vatikanisches Strafverfahren eingeführt. Das Verbrechen wird eher zu einem moralischen als zu einem kriminellen Problem. Es besteht die Gefahr eines Abdriftens in die Ethik im Umgang mit dem Staat, was unter anderem der Heilige Stuhl stets zu vermeiden versucht hat.
Der Rückgriff auf das kanonische Recht verleiht Anschuldigungen Substanz, die andernfalls nicht bestehen könnten. Die Verhöre der letzten Monate haben gezeigt, dass viele Verfahren legitim waren, viele Entscheidungen Teil der damaligen Regeln waren und viele Entscheidungen von Bedürfnissen diktiert wurden, die vom rechtlichen Rahmen, den unterzeichneten Verträgen und der Gefahr einer Verstrickung in die internationale Arena abhingen. Wenn sich jedoch alles auf die moralische Verpflichtung eines guten Familienvaters bezieht, kann möglicherweise alles zu einem Verbrechen werden. Und so ist wahrscheinlich auch der Fall des Staatsanwalts aufgebaut.
Abgesehen von den internationalen Problemen, die dies bereits auf das Niveau der Glaubwürdigkeit des Heiligen Stuhls gebracht hat, stellt sich die Frage: Wie wird sich ein auf diese Weise geführter Prozess auf den Einfluss des Heiligen Stuhls auswirken? Wie kann der Papst angesichts einer solchen Situation von einem ordnungsgemäßen Verfahren sprechen? Und wie kann der Heilige Stuhl ein verlässliches Organ sein, wenn in seinem Staat institutionelle Monokratie herrscht?
Diese Fragen ergeben sich gerade aus den Auseinandersetzungen im Prozess und geben uns Anlass zum Nachdenken. Was denkt der Papst über den Heiligen Stuhl und den Staat Vatikanstadt? Sind sie nur persönliche Werkzeuge, die je nach Bedarf eingesetzt werden können, oder haben sie einen institutionellen Wert, der über die Person des Papstes hinausgeht?
Wenn diese Fragen auftauchen, dann deshalb, weil einige andere Entscheidungen des Papstes zeigen, daß Papst Franziskus im Grunde persönliche Initiativen den institutionellen vorzieht. Und die jüngsten Missionen von Kardinal Matteo Zuppi als päpstlicher Gesandter zeigen dies.
Kardinal Zuppi war zuerst in der Ukraine, dann in Russland, dann in den Vereinigten Staaten, und es wird angenommen, daß er auch nach Peking reisen wird. Ein Beamter des Staatssekretariats war immer bei ihm, die Initiative geht jedoch vom Papst aus und ist nicht mit dem Staatssekretariat abgestimmt. Und Zuppi versäumte es nicht, Experten von Sant’Egidio in seine Delegationen zu holen, der kirchlichen Bewegung, aus der er stammt und die seit langem für ihre Initiativen zur „Paralleldiplomatie“ bekannt ist.
Papst Franziskus hat diese Paralleldiplomatie akzeptiert und ihr Würde verliehen. Auf diese Weise wird jedoch der königliche Diplomat, der dem Papst gehört und ihn weltweit offiziell vertritt, delegitimiert. Die Nuntien sind die Botschafter des Papstes und repräsentieren den Heiligen Stuhl weltweit, indem sie die Stimme des Papstes einbringen und sich am Dialog und Zuhören beteiligen. Doch wer ist heute der Botschafter des Papstes? Wem muss zugehört werden?
Papst Franziskus winkte der diplomatischen Welt zu, als er die Ernennung zweier Nuntien, Erzbischof Christophe Pierre und Erzbischof Emil Tscherrig, zum Kardinal verkündete. Aber ihre roten Hüte belohnen die Arbeit, die sie bei der Auswahl ihrer Bischöfe geleistet haben, mehr als diplomatische Initiativen, und es scheint ein klares Zeichen dafür zu sein, was nach Ansicht des Papstes die erste Aufgabe eines Nuntius sein sollte. Daher muss der Nuntius vor allem zu einer pastoralen Aufgabe berufen sein. Gleichzeitig werden kritische diplomatische Initiativen nicht der Institution des Heiligen Stuhls und dem Netzwerk der Nuntien anvertraut, sondern Sondergesandten. Möglicherweise handelt es sich dabei auch um Nuntien – Gugerotti war es, als er als Gesandter des Papstes nach Weißrussland reiste, um die Pattsituation im Zusammenhang mit dem Exil von Erzbischof Kondrusiewicz zu lösen –, aber das ist nicht die Hauptüberlegung.
In beiden Fällen scheint die Rolle des Heiligen Stuhls trotz ihres unterschiedlichen Anwendungsbereichs unklar zu sein. In den letzten Jahren haben wir eine Art „Vatikanisierung“ des Heiligen Stuhls durch den Papst erlebt, der sein kleines Territorium regiert und den internationalen Konsequenzen seiner Entscheidungen kaum Beachtung schenkt. Wir befinden uns im letzten Kapitel einer Operation, die darauf abzielt, die Institution tiefgreifend zu verändern. Aber ist es den Preis wert? Ist das das Ende des Heiligen Stuhls?"
Quelle: A. Gagliarducci, Monday at the Vatican
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