Freitag, 18. August 2023

Ist der moderne Mensch liturgiefähig?

OnePeterFive veröffentlicht einen Essay von Ida Friederike Görres aus dem Jahr 1966 über die immer noch relevante Frage; ob der moderne Mensch "liturgiefähig" ist, die der Benediktiner-Mönch Theodor Bogler 32  Autoren mit verschiedenem Hintergrund gestellt hatte. 
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"IST DER MODERNE MENSCH LITURGIEFÄHIG? " (1966)

1964 hat Fr. Romano Guardini den Teilnehmern an einer Liturgie-Konferenz in Mainz den Teilnehmern seine Unterstützung angeboten. Er fragte:

"Sollte der liturgische Akt,  und mit ihm die Bedeutung der Liturgie allgemein, so historisch gebunden, antik, mittelalterlich oder barock, wenn man ehrlich ist, ganz aufgegeben werden? Sollte man sich nicht selbst dazu überwinden, zu realisieren, daß das menschliche Wesen im industriellen Zeitalter, der Technologie-Ära und den daraus entstandenen sozialen Strukturen einfach nicht länger zum liturgischen Akt fähig ist. Und sollte man nicht anstatt über Erneuerung zu sprechen, erwägen, auf welche Weise die heiligen Mysterien gefeiert werden sollten, so daß sich der Mensch sich in seiner Wahrheit mit ihnen verbinden kann? "

In seinem Brief bringt Guardini ein Beispiel , warum er sich über die Fähigkeit der Leute mitten im 20. Jahrhundert wundert, das zu vollziehen, was er den "liturgischen Akt" nennt. Er schreibt: 

Wenn ich es richtig wahrnehme, war der Mensch des 19. Jahrhunderts dazu nicht mehr in der Lage, tatsächlich hat er nichts mehr davon verstanden. Für ihn war das religiöse Handeln einfach etwas, das dem Einzelnen eigen war und das dann den Charakter einer offiziellen, öffentlichen Feierlich als eine "Liturgie" annahm. Damit ging die Bedeutung des liturgischen Aktes verloren. Was der Gläubige vollzog, war nicht wirklich eine liturgische Handlung, sondern ein privater, innerlicher Akt, eingeschlossen in Zeremonien- nicht selten von dem Gefühl begleitet, daß die Zeremonie eine Unterbrechung dieses Aktes war. 

Basierend auf der Kernaussage von Guardinis Brief aus dem Jahr 1964 fragte Theodor Bogler, OSB, aus dem Kloster Maria Laach in Deutschland, einem Zentrum der Liturgiereform zu dieser Zeit, zweiunddreißig Autoren mit unterschiedlichem Hintergrund, hauptsächlich Katholiken und einige Protestanten: "Hat der moderne Mensch noch die Fähigkeit zur Liturgie?“ ("Ist der Mensch von heute noch liturgiefähig?“). Eine dieser Autorinnen war Ida Friederike Görres (1901-1971). Dieser Aufsatz ist ihre Antwort. Ihr Aufsatz hat keinen Titel. Den Titel dieser Publikation in Logos habe ich sowohl für die englische Übersetzung ("Wann ist der Mensch liturgiefähig?“) als auch für den deutschen Text aus der Überschrift von Abschnitt II in ihrem Aufsatz übernommen. Ich habe dies als Titel gewählt, weil Görres Einwände gegen die Art und Weise hat, wie Bogler die Frage formuliert hat, und weil sie stattdessen das Thema neu formuliert, indem sie ihre eigene Frage stellt. [Für diese Veröffentlichung bei One Peter Five habe ich den Aufsatz "Does Modern Man Have a Capacity for Liturgy?“ betitelt. Denn das bildet besser ab, was als drängende Frage der Zeit angesehen wurde, als Görres dies schrieb, auch wenn Görres es für die falsche Herangehensweise an dieses Thema hält.]

Die Übersetzung ins Englische war eine besondere Herausforderung, weil es kein englisches Wort für das wahre Thema des Essays gibt. Das wird im Deutschen durch das zusammengesetzte Adjektiv "liturgiefähig" ausgedrückt.(...)

Anbetracht der liturgischen Reformen dieser Zeit hat Ida Görres in ihrem Essay von 1969 - Bemerkungen über den Zölibat- [ihr Essay von 1969 "Abrißkommandos in der Kirche] und in iher Vorlesung "Vertrauen in die Kirche" von 1970 zusätzliche Beobachtungen gemacht, einschließlich einiger scharfen Kritiken.


I. "IST DER MODERNE MENSCH LITURGIEFÄHIG?"

von Ida Friederike Görres

Ida Friederike Görres, geb. Gräfin Coudenhove, in Ronsperg (Böhmen) geboren, wohnhaft in Freiburg im Breisgau, u.a. Autorin von "Das verborgene Gesicht: eine Studie über Therese von Lisieux (1946); Nocturne: Tagebuch und Aufzeichnungen (1949); Die Kirche im Fleische: Sechs Versuche über die Kirche (1951); Ist der Zölibat überholt? (1962); Der karierte Christ und andere Glossen und Beiträge (1966) , Zerbrochene Lichter: Tagebücher und Briefe 1951-1959, (1966)

Die sehr wichtige Frage "Ist der moderne Mensch noch liturgiefähigß"  nicht ganz richtig formuliert zu sein. In dieser Form ist es nicht nur eine Suggestivfrage, sondern bewegt sich in die Richtung zu sagen, daß jede Unfähigkeit zur Liturgie von Anbeginn dem Industrie-Zeitalter geschuldet zu sein, scheint.

Ist das wirklich so? Ich würde die Frage eher  so formulieren:"Wann ist der moderne Mensch liturgiefähig?"  

Daß die Menschen heute diese Fähigkeit besitzen wurde ausreichend -wie mir scheint durch die Kirche im Ostblock bewiesen. Bischöfe, Priester und Laien berichten von dort einmütig,wie die Liturgie dort buchstäblich das ist, "wovon die Menschen leben" , was sie bindet, unterhält, formt und die Gemeinschaft  nährt. "Aus ihr kann man ein weiteres Jahr leben" sagte ein Industrie-Arbeiter  zu Bischof Otto Spülbeck nach der Feier der Oster-Vigil". Die Rundschreiben von Fr. Theo Gunkel in Leipzig z.b. hat unabsichtlich und überzeugend  ein rührendes Zeugnis über da tägliche Leben in der Kirche gegeben.

Aus dem Wenigen, was über die „Kirche des Schweigens“ bekannt ist, scheint es, daß selbst die völlig unreformierte, vollständig lateinische Liturgie, die immer noch mit allem belastet ist, was hier mühsam weggeworfen wurde, eine wahre Kraft darstellt – inmitten der autokratischen Herrschaft einer technokratischen und einer religions-feindlichen, zwanghaften Zivilisation.

In unserem Land scheinen die Menschen eine unverminderte Fähigkeit zu gemeinschaftlichen Erlebnissen und Aktivitäten zu zeigen, auch bei gesellschaftlichen, sportlichen und politischen Veranstaltungen, die zumindest eine psychologische und soziologische Mindestvoraussetzung wären, um die Liturgie in vollem Umfang zu erleben.

II. WANN IST EIN MENSCH LITURGIEFÄHIG?

1. Wenn er den Gottesdienst für essentiell, notwendig, unersetzlich und als zentralen Bestandteil seines Glaubens und seiner religiösen Existenz hält: zumindest als wichtig, um den anderen zu dienen.

2. Wenn er die Verehrung Gottes nicht nur als private Notwendigkeit sondern eher als eine Pflicht der Gemeinschaft der Gläubigen betrachtet; also nicht nur aus reiner Überzeugung und Innerlichkeit heraus sondern eher als in Worte, Gesten und Symbole übersetzbar.

3. Wenn er willens ist, seine Gemeinschaft der Gottesverehrung im Ritual der Kirche auszuüben.

4. Wenn er versteht und akzeptiert daß dieser Gottesdienst, persönlich und kollektiv, eine ausdrucksvolle Sprache benötigt, die dem Subjekt in Wort und Gestik angemessen, verständlich und psychologisch möglich ist; wenn er versteht und akzeptiert, daß er genau aus diesem Grund nicht von spontanen Ideen und persönlichen Stimmungen abhängen kann, sondern geordnet, obligat und zur selben Zeit zu den verschiedenen Elementen passend sein muß, d.h. veränderlich und anpassbar, aber dennoch vor Willkür und Spielerein geschützt.

5. Wenn er einen kompetenten und verantwortungsbewußten Amtsträger und Leiter des Rituals akzeptiert und anerkennt und bereit ist, sich ihm unterzuordnen.

6. Wenn er die betende und opfernde Gemeinde nicht nur geographisch als die am Ort versammelte versteht, sondern als temporäre -"nur für eine Epoche" und möglicherweise auch nur auf eine Altersgruppe oder auf die Geisteshaltung einer Gruppe beschränkte, deren Geschmack vorherrscht, sondern als die Kirche der ganzen Welt und die historische Kirche Christi bis zum heutigen Tag, also "für mehrere Epochen" und doch identisch mit der Kirche selbst.

7. Wenn er bereit und willens ist, seine Verbundenheit mit dieser Kirche auch in der Liturgie zu erkennen und anzuerkennen und sich mit ihr solidarisch zu fühlen: das heißt, das aus der verbindlichen Vergangenheit Überlieferte als Vermächtnis und als Erbe weiterzuführen etwas, das eine Brücke zur Zukunft dieser Kirche schlägt, um es in vertrauenswürdige Hände weiterzugeben, mit organischen Veränderungen, wo sie sinnvoll und notwendig sind.

8. Wenn er eine religiöse Beziehung zur Heiligen Schrift hat als eine Beziehung zum Wort Gottes und zu den im Laufe des Lebens der Kirche gesammelten Interpretationen und Erklärungen der Heiligen Schrift, als einem spirituellen Schatz, den er im Verhältnis zum Ganzen bemißt und wenn er sich vom Ganzen nähren will."
Fortsetzung folgt...

Quelle: OnePeterFive, I.F.Görres

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