Samstag, 30. September 2023

Über das Erbe von Papst Franziskus

Brian A. Graebe, Priester der Diözese New York, veröffentlicht bei firstthings seine Gedanken darüber, was das Erbe von Papst Franziskus sein wird.  Hier geht´s zum Original: klicken

                    "DAS PÄPSTLICHE CHAOS AUFRÄUMEN" 

Als das Time-Magazin seinen Artikel über die 100 einflußreichsten Menschen des 20. Jahrhunderts veröffentlichte, schrieb die Kolumnistin und Expertin Peggy Noonan das Profil ihres früheren Chefs Ronald Reagan. Sie fing damit an, Clare Boothes witzige Bemerkung wiederzugeben, daß jeder Präsident mit einem Satz erinnert wird. "Er befreite die Sklaven" "Er kaufte Louisiana". Manchmal wird eine Präsidentschaft - fair oder nicht- auf ein einziges Wort zusammen gekocht. Watergate, Lewinsky,  Obamacare. Das trifft auch auf Päpste und Pontifikate zu. "Er berief das Konzil ein" "Er veränderte die Messe" "Er trat zurück". Welches wird der Satz für Papst Franziskus sein? Sein berühmtester Slogan "Who am I to judge" tauchte schon früh auf,  nur Monate nachdem er den Stuhl Petri bestieg und bestimmte eine Tonart von Offenheit oder Ambivalenz (je nach Standpunkt), die der Stempel seines Pontifikates werden sollte. Sein Erbe jedoch wird wahrscheinlich durch einen anderen Satz bestimmt werden, den er während der selben Reise zum WJT in Rio de Janeiro formulierte. Während seiner Ansprache am Strand von Copacabana wich der Hl. Vater von seinem Manuskript ab und ermahnte die Millionen junger Leute dort "Hagan lio!" "Richtet ein Chaos an!" Zu den Bewerbern für den Papst-Franziskus-Satz gehört als Favorit "Er richtete ein Chaos an".

Jeder Papst wird dem kalten Auge der historischen Bewertung unterworfen. Kritiker von Papst Franziskus waren nicht schüchtern, auf  das hinzuweisen, was sie als seine Exzesse betrachten. Das spezielle Chaos, das sehr wohl Papst Franziskus Erbe sein könnte, betrifft jedoch das depositum fidei selbst. Franziskus hat in der Lehre der Kirche ein Chaos angerichtet, nicht nur in dem, was Katholiken glauben, sondern auch darin, wie wir diese Offenbarung aufnehmen und verstehen.

Nach einigen Jahren des aktuellen Pontifikates wurde ich eingeladen, mich einer Gruppe von Mitstudenten in Rom zu einem Essen mit dem verstorbenen Kardinal Pell anzuschließen. Zu der Zeit diente er als Präfekt des Wirtschaftssekretariates, beauftragt mit dem unattraktiven Job die Vatican-Finanzen zu reformieren. Jemand befragte den Kardinal über den Hl. Vater, worauf er antwortete; "Naja, er sät große Verwirrung". Das ist eine Art Feststellung, die man selten von hochrangigen Prälaten hört, sogar bei ungezwungenen Mahlzeiten. Das bestätigte uns, daß unsere Sorgen nicht unbegründet waren, daß die Verwirrung, die wir erlebten, wirklich groß und beispiellos war.


Mitten in Häresien und Schismen muß das Papsttum ein Felsen der Stabilität und Klarheit sein. Katholiken schauen zu Recht auf den Papst als sichtbare Quelle der Einheit, die autoritäre Stimme angesichts von Ungewißheit. Diese Stimme wurde in modernen Zeiten auf zwei Arten verstärkt. Die erste ist, daß die päpstliche Autorität kräftiger geworden ist. Seit der Erklärung der Unfehlbarkeit beim I. Vaticanum hat ein doktrinaler Ultramontanismus viele Katholiken dazu veranlaßt, das Papsttum mit dem Katholizismus gleichzusetzen.  Auch Päpste selbst waren gegen diese Versuchung nicht gefeit.
Als die schwankenden Bischöfe beim I. Vaticanischen Konzil ihre Sorge ausdrückten, daß eine Unfehlbarkeitserklärung die Kirche und ihre Tradition untergraben könnte, antwortete Papst Pius IX ärgerlich "Ich bin die Kirche! Ich bin die Tradition!" Das war entschieden keine unfehlbare Behauptung. Beim II. Vaticanischen Konzil verfiel Papst Paul VI einer ähnlichen Überschätzung seines Amtes. Während der Konzils-Diskussionen des Päpstlichen Primats, schlug Paul einen Einschub in das Kirchendokument vor, mit der Aussage, daß der Papst nur durch den Herrn gebunden ist. Die Doktrin-Kommission lehnte diesen Vorschlag ab, nannte ihn außerordentlich vereinfachend und erinnerte den Papst daran, daß er tatsächlich durch die Offenbarung, die Sakramente, frühere Konzile und andere Faktoren gebunden ist,  zu viele, um erwähnt zu werden.  

Die zweite Vervielfachung der Päpstlichen Lehre sind Fortschritte der Technologie und der Massenmedien, durch die der Papst immer größere Präsenz im Alltagsleben der Katholiken gewonnen hat.  Für den größten Teil der Kirchengeschichte war der Papst ein Name im Messe-Kanon und dazu noch ein geflüsteter.  Jetzt ist er das Weltreise-Gesicht der Kirche. Papst- Interviews und Tweets werden sofort von Millionen gelesen. 

Welches Chaos genau hat Papst Franziskus angerichtet? Ich würde mich gern auf das konzentrieren, was ich für den größten lehramtlichen Fehler dieses Pontifikates halte, das, was der Papst mit dem Katechismus der Katholischen Kirche bzgl. der Todesstrafe gemacht hat. Ich nenne das den schwerwiegendsten Irrtum, sowohl wegen seiner offiziellen Natur -das war keine Stegreif-Bemerkung- als auch wegen des Präzedenzfalles den er geschaffen hat. Um die Bedeutung einer Aktion des Papstes zu verstehen, müssen wir dennoch die Kirchenlehre zur Todesstrafe in ihrem Kontext sehen. 

Heilige, Kirchenväter und Päpste, haben durch Interpretation der Schrift und der Tradition, gelehrt, und das Volk Gottes hat durch die Zeiten hindurch geglaubt, daß der Staat das ihm innewohnenden Recht hat, die Todesstrafe zu verhängen. Wie und wann und unter welchen Umständen sie ausgeführt werden kann oder sollte, ist eine Frage der Differenzierung, aber das Recht selbst ist universal und unwidersprochen Teil des ordentlichen Lehramtes. Katholiken sind es jedoch gewohnt geworden, sich auf das außerordentliche Lehramt der Kirche zu verlassen, eine feierliche Definition durch einen Papst oder ein Konzil. Solche Ausübungen sind per definitionem selten. Wenn eine bestimmte Doktrin gelehrt und in der Folge so lange Zeit neu bestätigt worden ist, erlangt sie die Eigenschaft von Unfehlbarkeit. Das bedeutet, daß wir glauben, daß es nicht möglich ist, daß der Hl. Geist die Kirche auf so ernste Weise in einer Frage von solcher Bedeutung in die Irre führen würde, daß für die moralische Zulässigkeit der Todesstrafe als unfehlbare Lehre des Ordentlichen Lehramtes der Kirche andernorts sorgfältig argumentiert wurde und daß sie in der Original-Version des Katechismus von 1992 bestärkt worden ist. Diese Version stellte das fest, was den Katholiken durch die Geschichte hindurch bekannt war:"Die traditionelle Lehre der Kirche hat das wohlbegründete Recht und Pflicht der legitimierten öffentlichen Autorität anerkannt, Täter gemäß des Verbrechens angemessen zu bestrafen, wobei die Todesstrafe in Fällen extremer Schwere nicht ausgeschlossen ist." 

Papst Johannes Paul II brachte seine persönliche Ablehnung der Todesstrafe in die revidierte Ausgabe des Katechismus von 1997 ein

"Die traditionelle Lehre der Kirche schließt den Rückgriff auf die Todesstrafe nicht aus, sofern die Identität und Verantwortung des Täters vollständig geklärt ist, wenn dies die einzig praktikable Möglichkeit ist, das Leben von Menschen wirksam gegen den Angreifer zu verteidigen.“ Die Änderung ist bedeutsam und stellt eine neue Einschränkung bei der Anwendung der Todesstrafe dar. Anstatt als gerechte und der Schwere des Verbrechens entsprechende Strafe zu dienen, wird die Todesstrafe auf ein praktisches Mittel zum Schutz der Gesellschaft reduziert. Der Wortlaut erweckt den Eindruck, dass Gefängnisse im Laufe der Geschichte notorisch durchlässig waren und dass die Notwendigkeit solcher Strafen heute überflüssig geworden sei. Johannes Paul führte so in den Katechismus die Idee ein, dass die Todesstrafe in gewisser Weise im Widerspruch zur Menschenwürde steht. Er war bestrebt, die grundsätzliche Zulässigkeit der Todesstrafe nicht zu leugnen, aber indem er ihre Anwendung einschränkte und entmutigte, drängte er das Lehramt so weit, wie er es für möglich hielt.."
Fortsetzung folgt....

Quelle: Fr. B. Graebe, firstthings


 

Die nächsten Veränderungen kamen 2018 als Papst Franziskus diesen Abschnitt komplett neu verfaßte:

 - Der Rückgriff auf die Todesstrafe seitens rechtmäßiger Autoritäten nach einem fairen Verfahren galt lange Zeit als angemessene Reaktion auf die Schwere bestimmter Verbrechen und als akzeptables, wenn auch extremes Mittel zum Schutz des Gemeinwohls.

- Heute wächst jedoch das Bewusstsein, daß die Würde des Menschen auch nach der Begehung schwerster Straftaten nicht verloren geht. Darüber hinaus ist ein neues Verständnis über die Bedeutung staatlicher Strafsanktionen entstanden. Schließlich wurden wirksamere Haftsysteme entwickelt, die den angemessenen Schutz der Bürger gewährleisten, den Schuldigen aber gleichzeitig nicht endgültig die Möglichkeit einer Wiedergutmachung nehmen.

 - Folglich lehrt die Kirche im Lichte des Evangeliums, dass „die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie einen Angriff auf die Unverletzlichkeit und Würde des Menschen darstellt“, und sie setzt sich mit Entschlossenheit für ihre weltweite Abschaffung ein.

Hier gibt es viel zu sezieren. Am eklatantesten ist, daß Franziskus die Todesstrafe als "unzulässig“ bezeichnet. Das Wort ist so etwas wie ein theologisches Einhorn. Der Papst sagt nicht, daß die Todesstrafe grundsätzlich falsch sei – eine solche Aussage würde der unfehlbaren Lehre der Kirche widersprechen. Der Wortlaut macht die Todesstrafe jedoch obsolet: In der Theorie mag sie zwar nicht falsch sein, in der Praxis darf sie jedoch niemals vollstreckt werden. Noch besorgniserregender ist jedoch die Begründung dieser Unzulässigkeit. Was Johannes Paul skizzierte, zeichnet Franziskus in fetten Linien. Er verweist zweimal auf die Würde des Menschen und erklärt, daß das gegenwärtige Zeitalter ein sensibleres und verfeinertes Bewusstsein dafür habe. Die Behauptung untergräbt den Sensus fidelium – den Glauben, daß die Gläubigen die Wahrheit unfehlbar erkennen. Es ist nicht möglich, daß das treue Volk Gottes, einschließlich seiner Heiligen und Kirchenväter, in seiner gesamten Geschichte etwas so falsch gemacht hat, nur um dann durch die jüngsten Pontifikate aufgeklärt zu werden

Aber natürlich geht es hier nicht ausschließlich um die Todesstrafe. Am alarmierendsten in der obigen Passage ist die Veränderung der Lehre, die Franziskus beschreibt. Hier ist das Wort Veränderung wichtig. Wir sprechen nicht von Entwicklung derr Doktrin - egal wie sehr Franziskus und seine Apologeten das auch behaupten. Eine Doktrin entwickelt sich dadurch, daß sie vollständiger und in sich selbst erkennbarer wird. In dieser Diskussion geht es um etwas ganz anderes. Was der Papst beschreibt ist keine Entwicklung, sondern ein Widerspruch: wir haben lange Zeit daran geglaubt, daß die Todesstrafe in Ordnung ist, aber jetzt schätzen wir die Menschenwürde so viel höher, deshalb glauben wir nicht nur, daß sie nicht in Ordnung ist, sondern müssen auch für ihre Abschaffung arbeiten. Das Thema der Todesstrafe ist so wichtig, weil es als mögliche Vorlage für jede Änderung der Lehre dienen kann, die man sich wünscht. "Wir haben lange Zeit X geglaubt, aber jetzt verstehen wir Y besser und deshalb glauben wir an Nicht-X."

Nicht nur die Korrektur des Katechismus durch den Papst war an sich falsch, sondern auch der Eindruck, den sie vermittelte. "Der Papst hat die Lehren der Kirche verändert“, lautete die allgemeine Aussage. Tatsächlich hat der Papst die Lehren der Kirche nicht geändert und verfügt auch nicht über die Befugnis, das zu tun. Der Eindruck, daß er es kann und es auch getan hat, bleibt das eigentliche Problem. Man erinnert sich an Richard Nixons berüchtigte Antwort gegenüber dem Interviewer David Frost: "Nun, wenn der Präsident es tut, bedeutet das, daß es nicht illegal ist.“ Die Erklärung bringt eine falsche und übertriebene Sicht auf die Exekutivgewalt zum Ausdruck. Ein ähnliches Gefühl hat sich in die katholische Psyche eingeschlichen: "Wenn der Papst es tut, bedeutet das, daß es nicht falsch ist.“ Daß die Möglichkeit eines päpstlichen Irrtums die meisten Katholiken überraschen und beunruhigen würde, unterstreicht den traurigen Zustand, in dem wir uns befinden. Sogar die Art und Weise, mit der der Papst handelt, trägt zur Verwirrung bei. Der Katechismus ist eine Erklärung der kirchlichen Lehre; er schafft keine kirchliche Lehre. Wenn ich in einem Restaurant bin und enttäuscht darüber bin, daß eine bestimmte Speise nicht verfügbar ist, erscheint sie auch nicht wie von Zauberhand auf meinem Teller, wenn ich sie auf die Speisekarte schreibe.

Wenn der Papst damit durchkommen kann, die Lehre zur Todesstrafe zu verändern, indem er feststellt, daß die Kirche und ihre Menschen bis gestern falsch lagen, ist schwer zu sehen, wie eine wahrscheinlich gefestigte Lehre vor einer ähnlichen Revision sicher ist. Und das ist genau der Punkt.

Um ein Haupt-Beispiel zu nehmen, bedenken Sie das Thema Frauen-Weihe. In einem Interview, früher in diesem Jahr, antwortete Kardinal Jean Claude Hollerich, Erzbischof von Luxemburg, der zur Zeit die Synode zur Synodalität beaufsichtigt, auf die Frage nach der Frauen-Weihe, indem er behauptete "Papst Franziskus will keine Frauen-Weihe und dem bin ich völlig gehorsam." Die Antwort beweist ein fehlerhafte Ekklesiologie. Der Kardinal spricht als ob die Nichtzulassung von Frauen zu den Hl. Weihen den persönlichen Vorlieben des aktuellen Papstes zu verdanken ist, denen der Kardinal nachgibt, bis dieser Papst seine Meinung ändert oder die Kirche den Papst wechselt. Er fügte dann hinzu: Es gibt keinen Weg, der Lehre des Papstes strikt zu widersprechen, aber es gibt manchmal eine Entwicklung, die zu anderen Schlußfolgerungen führen kann." Kardinal Hollerichs Worte geben das Spiel verloren: die Lehre, sogar die unfehlbare Lehre kann sich sio entwickeln, daß sie zum Gegenteil dessen wird, was sie vorher war. Tatsächlich stellen diese Worte das logische Ende dessen dar, auf das Papst Franziskus hingewiesen hat.

Auch sind die Worte des Kardinals kein isoliertes Beispiel. In der Verwirrung rund um Amoris Laetitia, dem ersten großen Doktrin-Skandal des Franziskus-Pontifikates, sprach Kardinal Christoph Schönborn über die Möglichkeit, jemanden in einer irrregulären Ehe-Situation zur Hl. Kommunion zuzulassen als "organische Entwicklung der Doktrin" Als er über die Möglichkeit befragt wurde, die Kirchenlehre zur Empfängnisverhütung zu ändern, beschwor Papst Franziskus selbst die Idee von Entwicklung und zitierte die Todesstrafe als Beispiel dafür, woe die Morallehre sich entwickeln kann und sich entwickeln sollte. Der Papst hat auch von einer Entwicklung in der Theorie der Kirche zum Gerechten Krieg gesprochen und damit 2000 Jahren lehramtlicher Lehre widersprochen. Das Muster wird klar.

Jedes Konklave muß die Erfordernisse der Kirche berücksichtigen und den Hirten wählen, der die Fähigkeiten hat, sie anzugehen. In anderen Zeiten der Geschichte mögen diese Fähigkeiten diplomatischer, administrativer, finanzieller oder evangelikaler Art sein. Die große Herausforderung für Franziskus´ Nachfolger ist doktrinale Sicherheit, den Katholiken den Mut ihrer Überzeugungen wiederzugeben und den apostolischen Glauben zu bekennen- immer alt immer neu- mit Klarheit und Feuer. Der nächste Papst muß danach streben, den Auftrag des Herrn an Petrus am Vorabend seiner Passion "stärke deine Brüder" zu erfüllen. Zweimal in seinen Briefen an Timotheus, ermahnt er Hl.Paulus ihn mit der Hauptaufgabe jedes Bischofs : "bewahre die Wahrheit, die dir anvertraut worden isr". Die Aufgabe des nächsten Papstes wird entmutigend sein, aber er täte gut daran, wenn er aus der Sixtinischen Kapelle kommt, die ersten Prinzipien zu beherzigen:Schütze den Glauben, stärke die Brürder. Und verursache kein Chaos."

Quelle: FR. B.Graebe, firstthings 

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