Sonntag, 16. Juni 2024

Kann die menschliche Vernunft ein Wunder anerkennen?

L. Scrosati befasst sich in La Nuova Bussola Quotidiana mit der Frage der Glaubwürdigkeit des Christlichen Glaubens und dem Gegensatz zwischen Glauben und Philosophie im Verständnis von Vernunft und Wahrheit. Hier geht s zum Original:   klicken

"DIE GLAUBWÜRDIGKEIT DER CHRISTLICHEN RELIGION"

Die menschliche Vernunft kann ein Wunder als sicheres  Zeichen für die Gegenwart Gottes erkennen. Diese Wahrheit ist sowohl der Kant´schen Kritik als auch dem Hermesianismus diametral entgegengesetzt. Die Lehren des Sel.Pius IX und des Hl. Pius X.
Am 9. November 1846 veröffentlichte Papst Pius IX. die erste Enzyklika seines langen Pontifikats, Qui pluribus, mit der er einige von fideistischen und rationalistischen Strömungen hervorgerufene Abweichungen korrigieren wollte. Ebenfalls im Fadenkreuz stand die Lehre von Georg Hermes (1775-1831), Professor für Dogmatik an der Universität Bonn, dessen Werk darauf abzielte, dem katholischen Denken im Lichte der grundlegenden Thesen Kants eine Grundlage zu geben und so ein Christentum zu begründen, das dem kritischen Denken standhalten konnte. Er hatte nicht die Absicht, den Kantschen Apriorismus zu übernehmen, doch tatsächlich verstrickte sich Hermes selbst in den Prinzipien der Kritik, obwohl er das edle Ziel verfolgte, zu zeigen, da das Christentum der Kant´schen Kritik widersteht.

Die Zustimmung des Glaubens muss nach Hermes tatsächlich durch Zweifel abgeschirmt werden, um ihre Rationalität beweisen zu können; Seiner Ansicht nach ist es nur insoweit möglich, Zugang zu sicherem Wissen zu haben, als sich der Vernunft dessen absolute Notwendigkeit zeigt. Mit anderen Worten, nur das, was dem Zweifel unwiderlegbar widersteht, kann vom Wissen als wahr anerkannt werden und so die Zustimmung des Glaubens ermöglichen. Dieser Ansatz verführte viele katholische Theologen, weil er die absolute Rationalität der Zustimmung des Glaubens zu beweisen schien; Das Grundproblem lag jedoch darin, daß er sich auf dieselbe Ebene wie Kants kritischen Ansatz stellte und die gnoseologische Einschränkung des deutschen Philosophen akzeptierte.
Kehren wir zu Pius IX. zurück. Er wollte sich mit den Gründen für die Glaubwürdigkeit des Christentums befassen und unterstreichen, daß diese Zeichen, die wir gemeinhin Wunder nennen, den Wert eines Beweises haben. Sie sind kein Glaube, aber sie sind dennoch wahre Prüfungen, die zum Glauben führen, der ein neuer Übergang ist, die Frucht der Synergie zwischen göttlicher Gabe und menschlicher Zustimmung. In der katholischen Perspektive versuchen wir, vieles zu vereinfachen, aber wir behaupten, daß die Vernunft ausreichend unterstützt wird, damit sie unserem Willen "mitteilt“, daß wir vertrauen können, daß wir diesen Schritt tun können, der über die Vernunft selbst hinausgeht, und das ist genau der Schritt des Glaubens.

In Qui pluribus erklärt Pius IX., daß "es viele bewundernswerte und leuchtende Argumente gibt, auf deren Grundlage die menschliche Vernunft vollkommen davon überzeugt sein muss, daß die Religion Christi göttlich ist … Daher ist die menschliche Vernunft“ gerade auf der Grundlage dieser Argumente, unter denen die Wunder hervorstechen, in der Lage, "radikal alle Zweifel und Schwierigkeiten“ zu beseitigen, die uns davon abhalten, den christlichen Glauben anzunehmen (Denzinger 2778, 2780). Die Bestätigung einer "vollkommen überzeugten“ Vernunft und die Möglichkeit, alle Zweifel radikal auszuräumen, hatten bei den Anhängern der Hermes-Position für Jubel gesorgt, aber es war der Papst selbst, der die Begeisterung löschte, weil die Enzyklika in eine völlig andere Richtung ging als Hermes.
Pius IX. argumentierte nämlich nicht, daß die Glaubwürdigkeitsgründe des Glaubens das notwendige Ergebnis einer logischen Gleichung sind, und zollte damit Kants theoretischem Ansatz Tribut, und befürwortete damit eine Reduzierung des Wahren auf das Notwendige (= was logisch notwendig nicht anders sein kann), sondern er löste stattdessen das umfassendste Wissen des Menschen ein. Wir könnten diese Lösung folgendermaßen zusammenfassen: Die Vernunft des Menschen ist den Dingen selbst gegenüber offen, und ihr erster Schritt ist überhaupt kein Zweifel, so daß nur das wahr wäre, was dem Zweifel in Form notwendigen (= logisch unwiderlegbaren) Wissens widersteht; der erste Schritt des Wissens ist die Erfassung der Wirklichkeit. Wir befinden uns im Gegensatz zur Kant ´schen Kritik, aber auch zum Hermesianismus, der stattdessen den Zugang zum Glauben gemäß den Erfordernissen des Kant ´schen Ansatzes vollständig rationalisieren wollte.
Anders ausgedrückt: Laut Hermes würde die Rechtfertigung des Glaubensaktes bedeuten, seine Vernunft zu beweisen. Um seine Vernunft zu beweisen, muss man jedoch a priori zu einer logischen Notwendigkeit gelangen, der einzigen, die aus kantischer Sicht jedem Zweifel standhalten kann. Was bleibt hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Glaubens außerhalb dieses Ansatzes? Was wäre kein Grund für Glaubwürdigkeit? Alle Gründe, die nicht unbedingt notwendig sind, darunter beispielsweise Wunder. Denn ein Wunder ist keine logische Notwendigkeit a priori, sondern ein Element der kontingenten Wirklichkeit. Pius IX. verteidigte die Tatsache, daß der Wert unserer Intelligenz nicht auf das beschränkt ist, was gemäß logischer Notwendigkeit a priori gewusst werden kann, sondern darin liegt, daß sie der Wirklichkeit gegenüber offen ist. Kommen wir zum Wunder: Im Rahmen des Hermesianismus hat es keine wirkliche Kraft, die Übernatürlichkeit des Christentums zu beweisen, weil diese immer bezweifelt werden kann. Im klassischen Ansatz hingegen, der von Pius IX. vertreten wird, kann das Wunder von unserem für die Wirklichkeit offenen Verstand erfasst werden, der dann nach der Grundlage suchen muss, die das Beobachtete erklärt, das heißt nach der Gegenwart Gottes.
Was ist die wichtigste Konsequenz dieser „erweiterten Vernunft“, um an einen Ausdruck zu erinnern, der Benedikt XVI. am Herzen lag? Daß es möglich ist, zu sicherem Wissen zu gelangen, auch wenn es sich dabei nicht um ein notwendiges Wissen handelt, weil der Intellekt in der Lage ist, die Wirklichkeit zu erfassen und so vom Sein zu seiner metaphysischen Grundlage zu gelangen. In Bezug auf die Gründe, die den Glaubensakt antreiben, bedeutet dies, daß der Mensch in der Lage ist, verschiedene Gründe der Glaubwürdigkeit zu erfassen, die schließlich zusammenlaufen und einen sicheren Beweis für die rationale Güte des Glaubensaktes liefern. Es ist klar, daß wir umso eher zu sicherem Wissen gelangen können, je zahlreicher und solider diese Gründe der Glaubwürdigkeit sind.
Das Erste Vatikanische Konzil wollte in der dogmatischen Konstitution Dei Filius die Vernünftigkeit des Glaubensaktes bestätigen, indem es gerade diese breitere Betrachtung des menschlichen Wissens aufrechterhielt: Die "göttlichen Tatsachen“, insbesondere Wunder und Prophezeiungen, "die die Allmacht und das unendliche Wissen Gottes auf sehr klare Weise offenbaren, sind die sichersten Zeichen der göttlichen Offenbarung, die jedem Verstand angemessen sind“ (Denz. 3009). das heißt, angemessen für die menschliche Vernunft, die weiter gefasst ist als die kritische Vernunft von Kant oder die wissenschaftliche Vernunft. Aus diesem Grund verurteilte das selbe Konzil die Behauptung, daß "Wunder niemals mit Sicherheit erkannt werden können oder dazu dienen können, den göttlichen Ursprung der christlichen Religion wirksam zu beweisen“ (Denz. 3034).
Pius X. hat in der Enzyklika Pascendi die Unannehmbarkeit eines Ansatzes hervorgehoben, der aus einer Art wissenschaftlichem Agnostizismus stammt. Er verurteilte die Position, daß die Welt der Realität das Vorrecht des wissenschaftlichen Wissens sei, während der Glaube auf das übertragen werde, was durch die Wissenschaft nicht erkennbar sei. Diese Dichotomie impliziert, daß im phänomenalen Bereich allein die Wissenschaft bestimmen würde, was wahr ist und was nicht. "Wenn also weiter danach gefragt wird, ob Christus wahre Wunder und wahre Prophezeiungen vollbracht hat, ob er wirklich auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist, wird die agnostische Wissenschaft dies leugnen, der Glaube wird es bejahen; und deshalb wird es keinen Kampf zwischen den beiden geben. Denn der Philosoph als Philosoph wird es leugnen, indem er mit Philosophen spricht und Christus nur in seiner historischen Realität betrachtet; der Gläubige wird es als Gläubiger bejahen, indem er mit Gläubigen spricht und das Leben Christi betrachtet, wie es durch den Glauben und im Glauben gelebt wird.“ Diese Position, die so "versöhnlich“ erscheinen mag, wurde verurteilt. Warum? Weil sie die Möglichkeit ausschließt, daß die Vernunft ein Wunder als göttliches Werk erkennen kann; entweder wird das Wunder vom Glauben erkannt, oder es wird von der wissenschaftlichen Vernunft verneint. Wie Sie sehen, gibt es keinen Platz für die "erweiterte Vernunft“, von der wir oben gesprochen haben. Pius X. wollte daher die Vernunft von jenem wissenschaftlichen Reduktionismus befreien, der für sich selbst Wissen beanspruchen möchte, das sicher wahr ist.
All diese lehramtlichen Interventionen helfen uns zu verstehen, daß die menschliche Vernunft tatsächlich in der Lage ist, ein Wunder oder eine Prophezeiung als sichere Zeichen der Gegenwart Gottes zu erkennen. (...)"
Quelle: L.Scrosati, LNBQ

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