Liebe StilumCuriale, wir möchten Sie auf diesen Kommentar aufmerksam machen, der von einem treuen Freund des Blogs auf unserer Site gepostet wurde und von dem wir glauben, dass er für alle von Interesse sein könnte. Viel Spaß beim Lesen und Meditieren.
Überlegungen zu Kulturen die sich heute gegensätzlich gegenüber stehen. 2005, Ratzinger in Subiaco, auch heute noch aktuell.Titel: ÜBERLEGUNGEN ZU HEUTIGEN GEGENSÄTZLICHEN KULTUREN.
Hier sind einige Ideen:
…die Möglichkeiten des Menschen und seine Herrschaft über die Materie haben ein unvorstellbares Ausmaß erreicht. Doch seine Macht über die Welt bedeutet auch, dass seine Zerstörungskraft Ausmaße erreicht hat, die uns manchmal erschrecken.
Die Befürchtung, bald in den Besitz von Atom- und Biowaffen zu gelangen, ist nicht unbegründet und hat dazu geführt, dass in Rechtsstaaten auf Sicherheitssysteme zurückgegriffen werden musste, wie sie bislang nur in Diktaturen existierten. Dennoch bleibt das Gefühl, dass all diese Vorsichtsmaßnahmen niemals ausreichen können, da eine globale Kontrolle weder möglich noch wünschenswert ist.
Weniger sichtbar, aber nicht weniger beunruhigend sind die Möglichkeiten zur Selbstmanipulation, die der Mensch erworben hat. Er hat die Tiefen des Seins erforscht, die Bestandteile des Menschen entschlüsselt und ist nun in der Lage, den Menschen sozusagen selbst zu „konstruieren“, der somit nicht mehr als Geschenk des Schöpfers auf die Welt kommt, sondern als Produkt unseres Handelns, ein Produkt, das daher auch entsprechend den von uns selbst gesetzten Bedürfnissen ausgewählt werden kann.
Somit erstrahlt dieser Mensch nicht mehr im Glanz seiner Gottesebenbildlichkeit, die ihm seine Würde und Unantastbarkeit verleiht, sondern nur noch in der Kraft menschlicher Fähigkeiten. Er ist nichts anderes mehr als das Bild des Menschen – welches Menschen?
… Die moralische Stärke hat mit der Entwicklung der Wissenschaft nicht zugenommen; sie hat eher abgenommen, weil die technische Mentalität die Moral auf die subjektive Sphäre beschränkt, während wir eine öffentliche Moral brauchen, eine Moral, die auf die Bedrohungen reagieren kann, die auf der Existenz von uns allen lasten.
Die wahre und größte Gefahr dieses Augenblicks liegt gerade in diesem Ungleichgewicht zwischen technischen Möglichkeiten und moralischer Energie. Wo diese fehlt oder nicht ausreicht, wird sich die Macht des Menschen zunehmend in eine Macht der Zerstörung verwandeln.
Es stimmt, dass es heute einen neuen Moralismus gibt, dessen Schlüsselwörter Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sind, Worte, die an wesentliche moralische Werte erinnern, die wir wirklich brauchen. Doch dieser Moralismus bleibt vage und gleitet daher fast zwangsläufig in den parteipolitischen Bereich ab. Es handelt sich in erster Linie um eine Forderung an andere und zu wenig um eine persönliche Verpflichtung im Alltag. Was bedeutet Gerechtigkeit eigentlich? Wer definiert es? Was braucht der Frieden?
… Dasselbe gilt auch für ein Christentum und eine Theologie, die den Kern der Botschaft Jesu, das „Reich Gottes“, auf die „Werte des Reiches“ reduzieren, diese Werte mit den großen Schlagworten des politischen Moralismus identifizieren und sie zugleich als Synthese der Religionen verkünden. Dabei wird Gott vergessen, obwohl er Subjekt und Ursache des Reiches Gottes ist. An seiner Stelle bleiben große Worte (und Werte), die zu jeder Art von Missbrauch führen.
Dieser kurze Blick auf die Lage der Welt führt uns dazu, über die aktuelle Situation des Christentums und damit auch über die Grundlagen Europas nachzudenken. jenes Europa, das einst, so könnte man sagen, der christliche Kontinent war, das aber auch der Ausgangspunkt jener neuen wissenschaftlichen Rationalität war, die uns große Möglichkeiten, aber ebenso große Bedrohungen bescherte.
… dieses Europa hat seit der Renaissance und in umfassender Form seit der Aufklärung eben jene wissenschaftliche Rationalität entwickelt, die nicht nur im Zeitalter der Entdeckungen zur geographischen Einheit der Welt, zur Begegnung der Kontinente und Kulturen geführt hat, sondern die heute, viel tiefgreifender, dank der durch die Wissenschaft ermöglichten technischen Kultur tatsächlich die ganze Welt prägt, ja in gewissem Sinne vereinheitlicht. Und im Zuge dieser Form der Rationalität hat sich in Europa eine Kultur entwickelt, die Gott in einer der Menschheit zuvor unbekannten Weise aus dem öffentlichen Bewusstsein ausschließt, sei es durch die völlige Leugnung seiner Existenz oder durch die Beurteilung seiner Existenz als unbeweisbar, unsicher und damit als dem Bereich subjektiver Entscheidungen zugehörig, also als etwas, das für das öffentliche Leben ohnehin irrelevant ist. Diese sozusagen rein funktionale Rationalität hat zu einer Umwälzung des moralischen Bewusstseins geführt, die für alle bisherigen Kulturen gleichermaßen neu ist, denn sie besagt, dass nur das rational ist, was durch Experimente bewiesen werden kann.
… Von hier aus verstehen wir, dass Europa einer echten „Zerreißprobe“ ausgesetzt ist; Von hier aus können wir auch die radikale Natur der Spannungen verstehen, denen sich unser Kontinent stellen muss.
… die Idee, dass nur die radikale Kultur der Aufklärung, die in unserer Zeit ihre volle Entfaltung erreicht hat, für die europäische Identität konstitutiv sein könnte. Daneben können also unterschiedliche religiöse Kulturen mit ihren jeweiligen Rechten koexistieren, sofern und soweit sie die Kriterien der Aufklärungskultur respektieren und sich ihr unterordnen.
Diese aufgeklärte Kultur wird im Wesentlichen durch die Freiheitsrechte definiert; Sie geht von der Freiheit als einem Grundwert aus, an dem sich alles misst: der Freiheit der Religionswahl, die die religiöse Neutralität des Staates einschließt; die Freiheit, seine Meinung zu äußern, sofern sie diesen Kanon nicht in Frage stellt; das demokratische Staatssystem, d. h. die parlamentarische Kontrolle über staatliche Organe; die freie Gründung von Parteien; die Unabhängigkeit der Justiz; und schließlich der Schutz der Menschenrechte und das Verbot von Diskriminierung.
Hier ist der Kanon noch im Entstehen, da es auch widerstreitende Menschenrechte gibt, wie etwa im Fall des Konflikts zwischen dem Freiheitswunsch der Frau und dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes. Der Diskriminierungsbegriff wird zunehmend erweitert, sodass das Diskriminierungsverbot zunehmend zu einer Einschränkung der Meinungs- und Religionsfreiheit werden kann.
Bald wird es nicht mehr möglich sein, zu behaupten, dass Homosexualität, wie die katholische Kirche lehrt, eine objektive Störung in der Strukturierung der menschlichen Existenz darstellt. Und die Tatsache, dass die Kirche davon überzeugt ist, dass sie nicht das Recht hat, Frauen zu Priestern zu weihen, wird von manchen als unvereinbar mit dem Geist der europäischen Verfassung angesehen.
Es ist offensichtlich, dass dieser Kanon der Aufklärungskultur, der keineswegs endgültig ist, wichtige Werte enthält, auf die wir als Christen nicht verzichten wollen und können. aber es ist ebenso offensichtlich, dass der schlecht oder gar nicht definierte Begriff der Freiheit, der dieser Kultur zugrunde liegt, zwangsläufig Widersprüche mit sich bringt. und es ist klar, dass es gerade wegen seiner (anscheinend radikalen) Verwendung zu Freiheitseinschränkungen kommt, die wir uns vor einer Generation noch nicht einmal vorstellen konnten. Eine verworrene Freiheitsideologie führt zu einem Dogmatismus, der sich zunehmend als freiheitsfeindlich erweist.
… Doch hier stellt sich die Frage, ob diese säkularistische, aufgeklärte Kultur wirklich die schließlich als universell entdeckte Kultur einer allen Menschen gemeinsamen Vernunft ist; Kultur, die überall zugänglich sein sollte, auch auf einem historisch und kulturell differenzierten Humus. Und man fragt sich auch, ob es wirklich in sich selbst vollständig ist, so sehr, dass es keine Wurzeln außerhalb seiner selbst braucht.
Wir haben uns zwei Fragen gestellt: ob die rationalistische (positivistische) Philosophie streng rational und folglich allgemeingültig ist und ob sie vollständig ist. Ist es genug für sich selbst?
Kann oder muss sie ihre historischen Wurzeln in den Bereich der reinen Vergangenheit und damit in den Bereich dessen verlagern, was nur subjektiv gelten kann? Beide Fragen müssen wir mit einem klaren „Nein“ beantworten.
Diese Philosophie bringt nicht die gesamte Vernunft des Menschen zum Ausdruck, sondern nur einen Teil davon, und aufgrund dieser Verstümmelung der Vernunft kann sie überhaupt nicht als rational angesehen werden. Aus diesem Grund ist auch die Heilung unvollständig und kann nur durch die Wiederherstellung des Kontakts zu den Wurzeln erfolgen. Ein Baum ohne Wurzeln vertrocknet…
…Und so kommen wir erneut auf die beiden umstrittenen Punkte in der Präambel der Europäischen Verfassung zu sprechen. Die Abkehr von den christlichen Wurzeln erweist sich nicht als Ausdruck einer überlegenen Toleranz, die alle Kulturen gleichermaßen achtet, ohne eine bevorzugen zu wollen, sondern als Verabsolutierung einer Denk- und Lebensweise, die sich unter anderem in radikalem Gegensatz zu den anderen historischen Kulturen der Menschheit befindet.
Der wahre Gegensatz, der die Welt heute kennzeichnet, ist nicht der zwischen den verschiedenen religiösen Kulturen, sondern der zwischen der radikalen Emanzipation des Menschen von Gott, von den Wurzeln des Lebens auf der einen Seite und den großen religiösen Kulturen auf der anderen Seite.
Wenn es zu einem Kampf der Kulturen kommt, dann nicht wegen des Zusammenpralls der großen Religionen, die immer gegeneinander gekämpft haben, aber letztlich auch immer miteinander zu leben wussten, sondern wegen des Zusammenpralls dieser radikalen Emanzipation des Menschen mit den großen historischen Kulturen. Daher ist auch die Ablehnung des Gottesbezugs kein Ausdruck einer Toleranz, die nicht-theistische Religionen und die Würde von Atheisten und Agnostikern schützen will, sondern vielmehr Ausdruck eines Gewissens, das Gott am liebsten endgültig aus dem öffentlichen Leben der Menschheit getilgt und in die subjektive Sphäre der Restkulturen der Vergangenheit verbannt sehen würde.
Der Relativismus, der den Ausgangspunkt all dessen bildet, wird so zu einem Dogmatismus, der meint, im Besitz der endgültigen Erkenntnis der Vernunft zu sein und das Recht hat, alles andere nur als eine letztlich überwundene Stufe der Menschheit zu betrachten, die angemessen relativiert werden kann. In der Realität bedeutet dies, dass wir Wurzeln brauchen, um zu überleben, und dass wir Gott nicht aus den Augen verlieren dürfen, wenn wir die Menschenwürde bewahren wollen.
…
Was wir in diesem Moment der Geschichte vor allem brauchen, sind Männer, die durch einen aufgeklärten und gelebten Glauben Gott in dieser Welt glaubwürdig machen. Das negative Zeugnis von Christen, die von Gott sprachen und gegen ihn lebten, verdunkelte das Bild Gottes und öffnete dem Unglauben Tür und Tor.
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