Mittwoch, 6. Mai 2015

Interview mit dem Kommandanten der Schweizer Garde, Christoph Graf

Gestern am Vortag des Sacco di Roma vor 488 Jahren, als 147 Eidgenossen im Dienste der Schweizer Garde ihr Leben hingaben, um Papst Clemens VII zu retten, hat der Kommandant der Garde, Christoph Graf, der seit 1987 in Rom ist, "porporarossa" ein ausführliches Interview gegeben- über Erinnerungen und Aktuelles. Hier geht´s zum Original:   klicken

"Durch die Porta Sant´ Anna betreten wir das Quartier der Schweizer Garden von links. Einige Stufen und wir sind im Büro des Kommandanten. Im Hintergrund ertönen der Basler Marsch und Trommelwirbel aus dem nahegelegenen Ehrenhof, wo sich die Vereidigung am 6. Mai abspielen wird.

"Herr Kommandant, warum sind Sie mit 25 Jahren in die Päpstliche Schweizer Garde eingetreten? Sie lebten im idyllischen Luzerner Pfaffnau und haben bei der Post gearbeitet. Was ist dann passiert?"
"An einem gewissen Punkt habe ich mich gefragt, warum ich noch hier arbeiten wollte, in einem Büro, 40 Jahre lang- bis zu meiner Rente? Ich wollte etwas verändern, aus dem Alltag herauskommen. Ich habe dann ein Faltblatt der Päpstlichen Schweizer Garde wiedergefunden, das ich eines Tages in Luzern mitgenommen hatte. Ich habe mich beworben, ohne zu glauben, dass sie mich rekrutieren würden, aber sie haben mir am 2. März 1987 geschrieben, daß ich im Vatican anfangen könne.
"Wie war Ihre erste Begegnung mit Rom?"
"Es war überhaupt meine erste Auslandsreise- in eine große Stadt wie Rom, am Flughafen anzukommen und in eine Stadt zu kommen, die ziemlich eindrucksvoll ist.....Wissen Sie was mich zuerst am meisten beeindruckt hat? Der Antennenwald auf den Dächern, ich habe dieses Bild immer noch im Gedächtnis."
"Und die ersten Tage im Vatican?"
"Es war wie zu Beginn der Rekrutenschule  in der Schweiz, man bekommt das Material, man beginnt mit der Ausbildung"
"Zu der Zeit war Oberst Roland Buchs Kommnandant?"
"Kommandant Buchs war jemand sehr väterliches, der die Garde liebte"
"Er war der Nachfolger des berühmten Kommandanten Franz Pfyffer von Altishofen, der auch für seinen Humor bekannt war, den er z.B. in Witzen zeigte...."

"Er ist zu unserer Vereidigung gekommen und saß allein an einem Tisch in der Messe. Ich habe ihn erkannt und mich vorgestellt: "ich bin Graf aus Pfaffnau" . Und er: "ich bin der alte Greis" weil er der Alte genant wurde ( "Alti in Schwyzerdeutsch)."


"JOHANNES PAUL. II DIE EMOTIONEN DER LETZTEN TAGE"

"1987 war der Heilige Vater Johannes Paul II. Wann haben Síe ihn zum erstenmal gesehen?"

"Wir waren noch in der Rekrutenschule. Im März 1987. An einem Sonntag hatten wir frei und sind zu Fuß in die Stadt gegangen. Plötzlich Lärm von Sirenen- dann ist Papst Wojtyla vorbeigefahren, er kehrte von einem Pastoralbesuch zurück,. Ich habe ihn einen kurzen Moment im Wagen gesehen. Einige Zeit später hat er in der Paulinischen Kapelle, im Apostolischen Palast eine Messe für das Römische Seminar zelebriert. Dann folgte eine Audienz in der Sala Regia... die Seminaristen waren alle in Reih und Gleid aufgestellt, ich bewachte die Tür des hinteren Ausganges und als er an meiner rechten Seite ankam, öffneten sich die Reihen und ich fand mich allein vor ihm wieder. Er hat mich mit einem Lächeln gegrüßt."  

"Das war die erste Begegnung aus der Nähe. Sie hatten sicher noch viele andere Gelegenheiten Papst Wojtyla von Nahem zu sehen."

"Wenn der Papst den Apostolischen Palast verließ und den Wagen nahm, am Ausgang des Fahrstuhls war immer ein Schweizer Gardist."

"Konnten Sie etwas zu ihm sagen?"

"Nein, weil das Protokoll sehr streng ist...er gab immer sehr aufmerksame Augen, die darüber wachten, daß es nicht durch einen an den Papst gerichteten Satz verletzt wurde."

"Besonders bewegend waren die letzten Wochen, die letzten Tage von Papst Wojtyla..."

"Ich war sehr bewegt, als er zur Menge sprechen wollte und es nicht mehr konnte. An diesem Ostertag war ich mit einer Abteilung der Garde anwesend und trug die Fahne der Garde, damit sie gesegnet werde. Es tat weh, ihn so zu sehen. jeden Abend der letzten Tage bin ich in St. Peter beten gegangen. Als ich am 2. April -über Lautsprecher den Soldaten der Garde in der Zweiten Loggia ankündigen hörte, dass der Substsitut des Staatssekretariates  auf den Platz hinunter gehen würde, wußte ich, dass es vollbracht ist. Ich hatte keine Zeit für Gefühle, ich mußte sofort ins Büro gehen, um während der Nacht die Maßnahmen, die ergriffen werden mußten, zu planen."

4. MAI  1998 DIE TRAGÖDIE  

"Während des Pontifikates von Johannes Paul II erlitt die Garde einen Schock, kurz vor der Vereidigung am 6. Mai 1998: den gewaltsamen Tod des neuen Kommandanten Alois Estermann, seiner Ehefrau Gladys und des Vizekorporals Cédric Tornay. 

"Am Nachmittag des 4. Mai hatte ich Estermann telefonisch zu seiner Ernennung gratuliert, ich hatte ihn gefragt ob ich gegen 17:00 Uhr vorbeikommen und ihn sehen könne. Er sagte: " ich würde nach 20:00 Uhr vorziehen, dann trinken wir einen guten Schluck" Ich habe ihm geantwortet: " Da kann ich nicht, ich habe eine Versammlung" Er darauf:" Dann sehen wir uns bei der Vereidigung".
Keiner von uns hat diese Tragödie erwartet. Sie war ein großer Schock für alle, der lange gedauert hat, wie aus allen Medienberichten hervorgeht."

"Unmitttelbar nach der Tragödie ist Oberst Buchs provisorisch zurückgekehrt. Keine leichte Aufgabe, die er da hatte...."

"Er mußte ein Corps generieren, wo viele Gardisten jede Motivation zum Dienst verloren hatten. Wir mußten hart arbeiten, um allen das Vertrauen und die Hoffnung wiederzugeben. Ich erinnere mich auch an die Predigt von Kardinal Sodano, dem Staatssekretär, bei den feierlichen Obsequien in der Basilika, die Bewegung war groß, aber der Kardinal bekräftigte, daß die schwarzen Wolken eines einzigen Tages nicht die glorreiche Geschichte von beinahe 500 Jahren verdunkeln könnten."

"Der 500. Geburtstag - wurde am 22. Januar 2006 auf der Piazza del Popolo gefeiert, an dem Tor, durch das die Schweizer Söldner  in die Stadt einzogen. Ein Kommandnat ist ein wenig der Erbe der ganzen Geschichte des Corps. Fühlen Sie sie als Gewicht auf Ihren Schultern?"

"Ich habe in diesen Tagen gerade die Geschichte der ersten 3 Kommandanten von 1506 bis 1527 gelesen, dem Jahr des Sacco di Roma: Kaspar von Silenen, aus dem Konton Uri und den beiden Zürichern Markus und Kaspar Röist. Das ist eine sehr interessante Geschichte, die wir uns schwer vorstellen können. Bis heute hat die Päpstliche Schweizer Garde 35 Kommandanten gehabt, alle mit dem Privileg, direkt dem Papst zu dienen... wir können sehr gut sagen, daß auch wir Teil der Kirchengeschichte sind." 

WIE WIR HOFFTEN DASS KARDINAL RATZINGERGEWÄHLT WÜRDE !

"2005 kam ein bayrischer Papst, also der Schweizer Mentalität sehr nahe stehend...."

"Wir haben alle gehofft, daß er als Papst aus dem Konklave kommt. Er hatte so oft den Peterplatz überquert um zum Sant´ Uffizio zu gehen. Wir kannten ihn alle seit vielen Jahren und haben manchmal mit ihm einige Worte gewechselt. Es war wunderbar, im Augenblick der Wahl auf dem Platz zu sein. Alle Gardisten waren sehr zufrieden." 

"Eine bescheidene, einfache, schüchterne Person...."

"Ich habe oft gemerkt, daß er das Bad in der Menge nicht mochte und die Handküsse auch nicht: am Anfang , wenn durch den Mittelgang von Sankt Peter kam, warf er hilfesuchende Blicke nach rechts und links, dann hat er sich ein bißchen an die Notwendigkeiten der Zeremonie gewöhnt."  

"Als Benedikt XVI am 11. Februar seinen Rücktritt vom Pontifikat ankündigte, waren Sie da so überrascht wie alle Welt, oder beinahe?"

"Man hatte mir die Neuigkeit aus der 2. Loggia telefonische mitgeteilt. Zuerst habe ich gesagt: das ist nicht möglich! Und dennoch. Ich war überrascht und sogar traurig, weil wir Papst Benedikt XVI liebten. Wir haben aber seine Entscheidung verstanden: er war überzeugt, nicht mehr die Kraft zu haben, um sein tägliches Kreuz zu tragen und die Kirche mit fester Hand zu leiten. Besser also zurücktreten und es den Nachfolger machen lassen."

"Von der bayrischen Tracht sind wir zum Argentinischen Tango übergegangen: hatte irgendeiner von Euch das erwartet?"

"Von uns ganz bestimmt keiner. Fast alle erwarteten einen jungen Papst, voller Kraft. Die großen italienischen Medien hatten versucht, eine Kandidatur durchzusetzen, die dann im Konklave scheiterte."

"Kannten Sie den Kardinal Bergoglio?"

"Ich hatte einige Fotos gesehen, ohne mir vorzustellen, daß er Papst werden könnte. Selbst während des Konklaves war er immer diskret, er brach sofort am Ende einer Debatte auf."

"Ihre mit der Sicherheit verbundenen Aufgaben waren schon vorher schwer-auf Grund der gestiegenen globalen Drohungen. Mit Papst Franziskus sind sie vielleicht noch schwerer geworden?"

"Von diesem Gesichtspunkt aus ist Papst Franziskus wie Papst Johannes Paul II in den ersten Jahren seines Pontifikates: auch er versuchte, dem Protokoll zu entfliehen. Er ging Ski fahren, nahm während der Audienzen Bäder in der Menge, ohne sich um die Sicherheit zu sorgen, Auch für Papst Franziskus ist die Sicherheit notwendig, aber er mißt ihr keine große Bedeutung bei. Ich glaube wirklich, daß die Päpste eine andere Beziehung zum Herrn haben: "Wenn Du mich willst- ich bin bereit" Und dann ist dieser Papst Südamerikaner, man sieht ihn Küsse  und Umarmungen austeilen und empfangen, es ist eine andere Art von körperlichem Kontakt, der selbst den im "lateinischen" Italien übersteigt. Er ist auch ein Papst, der zuhört und ein gutes Gedächtnis hat."

"PAPST FRANZISKUS, DIE GENDARMERIE UND DIE AFFÄRE ANRIG"

"Wie ist es damit, vom Sicherheitsstandpunkt aus- dass der Papst in Santa Marta wohnt und nicht mehr im Apostolischen Palast?"

"Wir haben unsere Aufgabe: die Schweizer Garde ist für die Sicherheit der Person des Papstes im Apostolischen Palast verantwortlich. Heute wohnt der Papst in Santa Marta, aber unsere Aufgabe bleibt bestehen. Das ist sogar eine Gelegenheit, die wir vorher nicht hatten, mit der Staatsgendarmerie des Vaticans auf gleichem Fuß und eng zusammen zu arbeiten. Vorher waren wir im Inneren des Apostolischen Palastes -sie draußen. Jetzt haben sich unsere Beziehungen vertieft, sie sind gut, wir sind heute ein gemischtes Team, das sich mit Effizienz für die Garantie der Sicherheit des Hl. Vaters engagiert. Das sieht man ganz klar auch bei den Auslandsreisen des Papstes."

"Sagen Sie noch etwas zur Affäre Anrig, dem  Kommandanten, der Ende Januar den Vatican verlassen und in die Schweiz zurückkehren mußte."

"Wir waren auch überrascht. Wir haben die Meldung aus dem Osservatore Romano erfahren."

"Unter den verschiedenen Hypothesen, die abwechselnd kursierteh, war eine, die eine gewisse Glaubwürdigkeit hatte: daß der Papst den Stil von Oberst Anrig nicht mochte, den er für "zu militärisch" gehalten habe..."

"Wenn ein Corps militärisch ist, muß es dizipliniert sein. Und um die Disziplin aufrecht zu erhalten, ist von Zeit zu Zeit eine "brüderliche Korrektur " nötig. Aber das Image eines zu strengen Kommandanten wurde von bestimmten Medien der deutschsprachigen Schweiz verbreitet. Der Papst sagte, daß es sich im Gegenteil um einen normalen Wechsel gehandelt habe, nach Ablauf der vorgesehenen 5 Jahre."

"Oberst Graf, die Säkularisation schreitet auch in der Schweiz voran. Wird es weiter gelingen, noch genügend junge Schweizer zu finden, die im Vatican dem Papst und der Kirche dienen wollen? Oder muß man eine Art Internationale Schweizer Garde in den Blick nehmen, mit Zufluß aus anderen Ländern?" 

"Leider schreitet die Säkularisierung überall fort. Ich habe neulich eine Statistik über junge Schweizer gesehen, von den 18- 24 Jährigen definieren sich nur noch 26 % als religiös. In diesem Rhythmus wird es in Zukunft nicht leicht sein, weil es, um Schweizer Gardist werden zu können, von fundamentaler Bedeutung ist, eine spirituelle Überzeugung zu haben, den Glauben und den Willen, dem universalen Katholizismus zu dienen, sonst würde es eine Arbeit wie jede andere.
Ich unterstreiche immer die Tatsache, daß die Rekrutierung in der Schweiz den alten Gardisten anvertraut ist: sie machen das oft, indem sie von Tür zu Tür gehen und an ihre eigenen Erfahrungen erinnern.
In vielen Dörfern sagt man, wenn man einem ""Veteranen" begegnet: "Der war in Rom als Schweizer Gardist."
Es handelt sich also immer noch um eine gute Visitenkarte- so wie es auch diese Gruppen von Schülern und Studenten gibt, die direkt hierher  kommen, um zu sehen, wie "das tägliche Leben in der Schweizer Garde funktioniert". Wir können noch gemäßigt optimistisch sein.  Und wir werden hoffentlich noch viele Jahre am 6. Mai die Vereidigung feiern: das ist eine einzigartige Zeremonie, jeder neue Gardist muß persönlich Zeugnis seines eigenen Willens ablegen, sein Leben zu geben, um den Hl. Vater zu verteidigen. Es ist auch eine sehr schweizerische Zeremonie mit der Musik, den Farben, der Nationalhymne, den verschiedenen Sprachen: sie ist das Zeugnis eines Privilegs, das andauert und das einen hohen Wert hat, dessen wir uns in der Schweiz wohl bewußt sein müssen."

Quelle. benoit-et-moi, porporarossa

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