"Wie er wohl weiß, gibt es viel Widersprüche und Benedikt bedenkt einige der wichtigsten. Einige werden einwenden, daß die ersten Christen Juden waren und -wie das Neue Testament berichtet- weiterhin den Tempel in Jerusalem besuchten. Sie hätten eine so radikale Ansicht, die ihnen die von der Tora gebotenen Tempelopfer nimmt und sie durch das Kreuz Jesu ersetzt. Gemäß dieses Widerspruchs muß man die theologische Idee, daß das Kreuz die Notwendigkeit der Opfer nach Levitikus umgeht als spätere Erzählung (z.B. verkörpert im Hebräer-Brief) verstehen, eine ausgesprochen anti-jüdische Wahrnehmung, die später nur allzu bereitwillig von Heiden-Christen übernommen wurde.
Welches auch immer die Motive sein mögen- schlägt Benedikt vor- versagen diese Widersprüche gegenüber der Originalität Jesu: seine "historische Wirkung", die Wirksamkeit seiner Worte, Taten und seines Leidens gestalten auch die Art um, in der seine ersten Jünger ihre Schrifte und sich selbst verstanden, "Eine Sache ist von Anfang an erstaunlich klar: mit dem Kreuz Christi waren die alten Tempel-Opfer endgültig überwunden. Etwas Neues war geschehen."
Das muß nicht mit der frühen Praxis kollidieren, in den Tempel von Jerusalem zu gehen, "Der Tempel blieb der verehrenswürdige Ort des Gebetes und der Verkündigung. Seine Opfer waren jedoch für die Christen nicht mehr relevant." Den radikalen Unterschied, den Jesus darstellt, zu bekräftigen, muß nicht zu einem antijüdischen Standpunkt führen, der keinen Wert oder Sinn im Gesetz des Alten Testamentes findet. De facto bestätigt Benedikt - dem Hl. Bernard von Clairvaux folgend- daß in der "gegenwärtigen Zeit der Heiden" die Kirche sich "nicht um die Bekehrung der Juden zu sorgen braucht." Das hat viel Aufmerksamkeit erregt. Wie das zur Universalität der Rettungs-Mission Jesu paßt, die von Benedikt mit gleicher Klarheit behauptet wird, ist ein Problem, das er nicht als Erster ungelöst läßt,
Ein anderer Einspruch widerspricht dem Gedanken der Sühne (für "Buße" wie das deutsche Wort des Papstes "Sühne" im Englischen oft übersetzt wird)- und argumentiert, daß der Gott der Christen nicht das Leiden eine unschuldigen Mannes verlangt, um eine schuldige Menschheit zu befreien. Er vergibt einfach- aus reiner Barmherzigkeit. Das- so antwortet Benedikt- ist nicht das, was Sühne bedeutet und nicht das, wie das Neuen Testament das Kreuz Jesu versteht. Es ist ein schwerer Irrtum Gottes Barmherzigkeit gegen seine Gerechtigkeit auszuspielen- wie Anselm schon vor langer Zeit differenzierte.
"Die Realität des Bösen und der Ungerechtigkeit, die die Welt entstellt "schreibt Benedikt " kann nicht einfach von Gott ignoriert werden. Das wäre nicht Gerechtigkeit und so wäre es auch nicht wirklich Barmherzigkeit. Aber Gottes gerechte Art mit der Realität des Bösen umzugehen, ist nicht den Unschuldigen zu verletzen, um das auszugleichen, was die Schuldigen Gott getan haben. " Es ist genau das Gegenteil: Gott ist der Ort der Versöhnung und nimmt in der Person Seines Sohnes das Leiden auf sich." In Innersten ist das Kreuz keine Bestrafung sondern ein Opfer, eine Gabe Jesu- des inkarnierten Gottes- an den Vater und an die Welt, die totale Hingabe seiner Selbst, eine Gabe, die größer als jede Schuld.
Der Gedanke, daß Gott in Jesus das Leiden der Welt selbst auf sich nimmt. führt zu einem weiteren Widerspruch, einen dem vorherigen total entgegengesetzten.
Gerechtigkeit fordert von Gott nicht, eine Gabe von uns zu verlangen, sondern fordert uns auf, ein Geschenk von Gott zu erhalten. Dieses Geschenk sollte gemäß eines bedeutenden Zweiges der modernen christlichen Frömmigkeit und Theologie als völlige Solidarität Gottes mit unserem Zustand verstanden werden. Es ist eine Identifikation mit unserem Leiden, die erst zu dem Zeitpunkt, an dem Jesus am Kreuz schreit, vollständig verwirklicht wird und seine eigene vollständige Erfahrung dessen zum Ausdruck bringt, was wir heimlich am meisten fürchten: die Abwesenheit Gottes. Nach diesem Gedankengang kann das Kreuz Jesu für uns nur dann von Bedeutung sein, wenn Gottes Solidarität mit uns genau, wenn auch paradoxerweise, bis zur Aufgabe durch Gott geht. Das Kreuz ist nicht das, was wir erleiden müssen, um das auszugleichen, was wir Gott angetan haben. Es ist das, was Gott erleiden muss, um das auszugleichen, was er uns angetan hat.
Benedikt stellt fest, daß etwas an dieser Theologie dran ist- die wirkliche Theodizee- einer Theologie der Solidarität , aber nicht wenn sie zu weit geht. In der Bibliographie am Ende des Buches, identifiziert der Papst ruhig aber bezeichnend den protestantischen Theologen Jürgen Moltmann und den Katholischen Theologen Hans Urs von Balthasar (Letzterer wurde manchmal als einer seiner
speziellen Favoriten angesehen) als Beispiele für eine übertriebene Theologie der Solidarität, die fälschlicherweise den Schrei Jesu vom Kreuz als Ausdruck einer persönlichen Erfahrung der Verlassenheit annimmt. Die ausgewogenere Sichtweise, so argumentiert er, erkennt an, daß Jesus unser Leiden sicherlich auf sich nimmt, aber nicht, um ihm zu erliegen und von ihm überwältigt zu werden. Er tritt in Solidarität mit uns ein, "trägt unsere Trauer“ (Jes. 53: 4), nicht um sie so zu erleben, wie wir es tun, um, wie wir sind, von ihr niedergeschlagen zu werden, sondern um sie zu verwandeln und über sie zu triumphieren.
Deshalb müssen wir in unserer Interpretation von Jesu Schrei der Verlassenheit auf sicherem Boden stehen. Tatsächlich betet er vom Kreuz herab die Anfangszeilen von Psalm 22, "den großen Psalm des leidenden Israels." "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"
Er betet diese Worte jedoch nicht im Unwissen, wie dieser Psalm endet sondern so wie das Volk Gottes ihn immer gebetet hat- der Antwort Gottes sicher: "Er verbarg sein Gesicht nicht vor mir, sondern hörte, wenn ich zu ihm schrie" (V. 24) Auch betet er nicht einfach als ein einzelner leidender Israelit sondern als ein zweiter Adam, der Erste der Menschheit. die zu retten er gekommen ist. Jesus betet- schreibt Benedikt- als der eine, der uns alle zu einem einzelnen. gemeinsamen Subjekt macht und uns alle in sich aufnimmt". Jetzt , wenn wir unsere eigenen Psalmen des Leidens beten, wenn wir ausrufen "Warum hast du mich verlassen?" beten wir in ihm und finden, daß in ihm unser Leiden verwandelt wird.
Der erste Band von Jesus von Nazareth wurde besonders in der Englisch-sprachigen Welt von den meisten Bibelgelehrten frostig aufgenommen. Benedikts Neues-Testament-Gelehrtheit -so
wurde oft argumentiert- würde sich exzessiv auf deutsche Autoren stützen,die im Licht jüngerer Ergebnisse englischer Gelehrter überholt seien. Das Buch wurde - was noch wichtiger war- als mißverstandene Mischung aus kritischer Lehre und Katholischer Frömmigkeit abgelehnt, die die Anhänger beider Richtungen nicht zufrieden stellte. Es ist unwahrscheinlich, daß es dem zweiten Band besser ergehen wird.
Unangefochten von solchen Kritiken aus der Gilde der professionellen Exegeten, hat der Papst ganz klar nicht die Absicht, das Matthäus-Evangelium einfach nur als literarischem Artefakt zu lesen, sondern es als eines der kanonischen Evangelien zu akzeptieren- Johannes sehr einzubinden und sich nicht auf die Synoptischen Evangelien zu beschränken. Darüber hinaus liest er die Evangelien in Verbindung mit dem gesamten Neuen Testament, so daß Römer 3: 25 ein wichtiger Teil für die Interpretation der Beschreibung Jesu in den Evangelien wird. Und er liest das Neue Testament in Beziehung zum Christlichen Kanon als Ganzes. so daß Jesus richtig verstanden wird als der Sprecher der Anfangszeilen von Psalm 22 sondern des gesamten Liedes vom Leiden und Triumph.
Einige Mitglieder der Gilde der Bibelforscher stimmen mit dieser Art besonders der Texte der Neuen Testamentes im Licht des gesamten Kanons, während andere dem widersprechen, Wie auch immer.- und das ist der Punkt, auf dem Benedikt besteht, der Interpret der Evangelien trifft eine Entscheidung, die ihm kein historischer Beweis abnehmen kann. Nicht berührt unsere Interpretation eines Textes mehr als unsere Überzeugung darüber, was am wichtigsten ist, um den Text richtig zu lesen. Die Entscheidung, die Evangelien als Christliche Schrift zu lesen, oder sie nicht so zu lesen, ist unausweichlich von den Überzeugungen des Lesers über Gott durchdrungen, darüber, was Gott mit diesen Texten tun kann oder nicht, über Natur und Autorität der Gemeinschaften. die diese Texte als Heilige Schrift angesehen haben und vieles mehr. Kurz gesagt, es ist eine religiöse Entscheidung, die historische Überlegungen allein den Leser auf die eine oder andere Weise zu treffen, nicht zwingen können.
Seine Erkenntnis positioniert Benedikt nicht gegen die historische Kritik. Im Gegenteil, er stützt sich konsequent auf die Einsichten und Urteile moderner Bibelwissenschaftler. Er besteht jedoch darauf, daß die historische Kritik, obwohl sie ein notwendiger Bestandteil einer intellektuell verantwortlichen Interpretation der Bibel ist, in eine „Hermeneutik des Glaubens“ aufgenommen werden muss und nicht umgekehrt. Er ordnet die Methoden und Ergebnisse der modernen Bibelwissenschaft (historisch-kritisch oder anderweitig) bewusst den komplexen Lesarten unter, die die Kirche seit langem praktiziert. Hier finden wir seinen tiefen Unterschied zu der Arbeit vieler zeitgenössischer Bibelwissenschaftler - und die Quelle ihrer heftigen Opposition gegen ihn.
Benedikts Kritiker aus der Gilde der Bibelforscher fühlen- zu Recht denke ich- daß er stillschweigend eine Deprofessionalisierung der Bibelstudien fordert. Das Ergebnis wäre das Ende der Bibelstudien, wie wir sie kennen. Das akademische Gebiet der Bibelforschung existiert, um das letzte Wort darüber zu haben, was die Bibel bedeutet. Gerade das will Benedikt ihnen nehmen: "Eines ist mir klar: in zweihundert Jahren exegetischer Arbeit hat die historisch-kritische Exegese bereits ihre wesentlichen Früchte getragen.“ Wenn das wissenschaftliche Studium der Bibel nicht religiös irrelevant werden soll, "muss es einen methodischen Schritt nach vorne machen und sich wieder als theologische Disziplin verstehen, ohne seinen historischen Charakter aufzugeben."
Vorwärts nicht rückwärts. Die unbestrittene technische und methodische Expertise der Bibelforscher liefert der Kirche einen unverzichtbaren Beitrag. Aber das gibt ihnen nicht das Recht auf das letzte Wort. Keiner kann muß wählen müssen, ob er als Fundamentalist auf einer schwarzen Liste geführt werden oder sich den Hände eines Lehramtes professioneller Exegeten ausliefern will, Die Kirche sollte auf das hören, was die Bibelforscher sagen und dann ihre eigene Entscheidung darüber treffen, was der Text aussagt. Diese Entscheidungen werden viel mehr für die Art zu glauben,die Tradition, Erfahrung und gemeinsame Differenzierung bedeuten, als der Kanon der Bibelforscher anbietet oder gegenwärtig zuläßt.
Benedikt trifft viele solche Entscheidungen und bietet sie auf direkt zugängliche Weise an. Seine Bände über Jesus helfen uns zu sehen, daß die Kirche der Bibelforschung alle Anerkennung geben kann, die sie verdient, verweigert ihr aber zu Recht das letzte Wort über das, was die Bibel sagt.
Das ist sicher ein bedeutender Schritt vorwärts. Und es gibt seiner Schilderung dessen, was wir über Jesus glauben und von ihm erhoffen eine einzigartige Anziehungskraft."
Bruce D.Marshall
Quelle: FirstThinges, B.D.Marshall
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