Samstag, 31. Juli 2021

Neues vom Becciu-Prozess

Marco Tosatti hat bei Stilum Curiae den Bericht veröffentlicht, den der Rechtsanwalt Luigi Panella, einer der Verteidiger der Angeklagten, über den Stand der Dinge beim vaticanischen Finanzskandal-Prozess geschrieben hat. 
Hier geht´s zum Original:  klicken

"DIE CAUSA BECCIU. WENN SICH DER HEILIGE STUHL VOM RICHTIGEN VERFAHREN VERABSCHIEDET" 

Liebe Stilumcuriale, in den vergangenen Tagen hat im Vatican der Prozess um die Ereignisse des Palazzo am Sloane Square begonnen. Es scheint uns interessant, Sie auf diese Reportage bei korazym.org aufmerksam zu machen, eine website, die Sie gut kennen, und die auf viele Besonderheiten in dieser Geschichte hinweist. Wir haben gelesen, was der Rechtsanwalt Luigi Panella, der Verteidiger einiger der Angeklagten geschrieben hat und es erscheint uns schwierig, ihm nicht zuzustimmen, wenn er unterstreicht, daß wir mit den päpstlichen "rescripta" einen besonderen Prozess beginnen, der außerhalb der von den westlichen Staaten angenommenen Regeln eines ordentlichen Prozesses liegt (die noch in Kraft sind, und unter Benedik XVIsogar noch verstärkt wurden)  und eher bestimmten Prozessen ähnelt, die in totalitären Regimen praktiziert werden. Es wäre interessant zu wissen, ob diese Änderungen in erster Linie vom Papst gewünscht sind oder ihm vorgeschlagen wurden und wenn von wem. Gute Lektüre.

                    §§§

Er sollte gestern morgen im Multifunktionssaaal der Vaticanischen Museen beginnen, in dem aus diesem Anlass als Gerichtssaal eingerichteter "Bunkerraum“ des Gerichts, der Prozess gemäß der Strafprozessordnung Nr. 45/2019 RGP, der auf einem Ermittlungsverfahren von 29.000 Seiten und 486 Seiten Anklage basiert. Die erste Anhörung dauerte 7 Stunden und war den Verfahrensfragen und der Zusammensetzung der Parteien gewidmet, darunter das Staatssekretariat und die APSA als Zivilparteien, die dem ehemaligen italienischen Justizminister Avvocato Paola Severino, der zusammen mit den Anwälten der zehn Angeklagten im Gerichtssaal anwesend war, als Anklagevertreter anvertraut waren.

Außer Kardinal Giovanni Angelo Becciu, angeklagt wegen Unterschlagung, Amtsmissbrauch und Mittäterschaft bei Zeugenbestechung, der aber -wie mir ein Freund schrieb, vor allem "ein Mensch ist und kein Vampir der Armen" ist, sind weiter neun Personen angeklagt: René Brülhart, ehemaliger Präsident der AIF (Amtsmissbrauch); Mons. Mauro Carlino, ehemaliger Sekretär von Kardinal Becciu (Erpressung und Amtsmissbrauch); der Bankier Enrico Crasso (Unterschlagung, Korruption, Erpressung, Geldwäsche, Betrug, Amtsmissbrauch, etc ); Tommaso Di Ruzza, ehemaliger AIF-Direktor (Unterschlagung, Amtsmissbrauch und Verletzung des Amtsgeheimnisses); Cecilia Marogna ( Amtsunterschlagung); der Finanzier Raffaele Mincione (Unterschlagung, Betrug, Amtsmissbrauch, Unterschlagung und Geldwäsche); Rechtsanwalt Nicola Squillace; der Buchhalter Fabrizio Tirabassi (Korruption, Erpressung, Unterschlagung, Betrug und Amtsmissbrauch); der Makler Gianluigi Torzi (Erpressung, Unterschlagung, Betrug, Unterschlagung, Geldwäsche...).

Der vaticanische Gerichtshof, der über die 10 Angeklagten aus dem Bereich des mit dem Kauf und Verkauf der Immobilie in der Sloane-Avenue Nr. 60 in London verbundenen Finanzskandals richten werden, besteht aus dem Präsidenten Giuseppe Pignatone (Staatsanwalt der Republik Rom, Koordinator der Untersuchung "Mafia Capitale", deren Anklage nach dem Urteil des Berufungsgerichtes endgültig zusammengebrochen ist), Venerando Marano (Direktor der Juristischen Fakultät der Römischen Universität "Tor Vergata"), Carlo Bonzano (Ordinarius für Strafprozessrecht an der römischen Universität Tor Vergata).

Gestern war von den zehn Angeklagten nur Kardinal Angelo Becciu im Saal anwesend ("entschlossen, sich bis zum Ende zu verteidigen und als er den Saal betrat, wurde es still..." haben Valentina Errante und Franca Giansoldati heute im Messagero berichtet) und sein früherer Sekretär Msgr. Mauro Carlino. Das Gericht hat beschlossen, über die abwesenden Angeklagten in Abwesenheit zu urteilen- mit Ausnahme von Gianluigi Torzi, der mit einer gültigen Entschuldigung der heutigen Sitzung fernblieb.



Die Anwälte der Angeklagten haben die Legitimität der Zusammensetzung der Zivilparteien angefochten und eine Nichtigkeitserklärung der Vorladung gefordert.

Der Verteidiger des Bänkers Enrico Crasso (fast 30 Jahre lang Verwalter der reservierten Vermögenswerte des Staatssekretariats bei Credit Suisse, dann Sogenel und Az Swiss), Luigi Panella, hat mit einem 24-seitigen Dokument drei vorausgehende Ausnahnmeanträge im Interesse von Enrico Crasso und den Gesellschaften Cogenel Capial Holding SA, Prestige Family Office SA, Hp Finance LLC gem. 387 c.p.p.) formuliert.

- Ausnahme wegen Nichtigkeit der Vorladung zur Hauprverhandlung wegen Nichtüberreichung der Dokumente an die Verteidigern während der Erscheinensfrist.

- Ausnahme wegen Nichtzuständigkeit in Bezug auf den Vorwurf der Geldwäsche und der Selbstreinwaschung.

- Ausnahme wegen fehlender Zuständigkeit in Bezug auf die Betrugsvorwürfe bezüglich der  Transaktionen, die vom maltesischen Investmentfonds Centurion durchgeführt wurden.
 
Im Exposé zu den Ausnahmen und zur Nichtigkeit (über das wir später ausführlich berichten), hat Panello auf unvergleichliche Weise die Legitimität des Tribunals demontiert, weil es-mit Hilfe der vier- ausführlich zitierten und analysierten rescripta ex audientia, in diesem Prozess auf illegitime Weise handelt- bestätigt Avvocato Panella eine unerhörte Ausnahmeregelung - die, indem sie jede Rechtssicherheit zunichte macht und effektiv einen Sondergerichtshof einrichtet, dieses Strafverfahren nicht nur im vatikanischen System, sondern im Weltpanorama völlig sui generis" macht, das Präsident Pignatone erschrocken zurückläßt.

Mit diesen Maßnahmen hat Papst Franziskus das Amt des Promotors der Justiz, dazu ermächtigt, "bis zum Abschluss der Ermittlungen die Form der förmlichen Weisung zu erlassen und, falls erforderlich, auch abweichend von den geltenden Bestimmungen, jede Art von Vorsichtsmaßnahme zu treffen." Dieses Urteil ist juristisch äußerst schwerwiegend, wie Vittorio Feltri bereits am 14. Juli 2021 in Libero angemerkt hatte: "Das heißt, [der Papst] hat den Rechercheuren trotz aller kodifizierten Gesetze "carte blanche“ gegeben“, resümiert Feltri, der mit zwei steinharten Fragen abschließt: " Wurden die italienischen und englischen Richter, als sie sich bewegten und unsere Finanziers verhafteten und unsere Finanziers durchsuchten und befragten, dann über die vom Papst beschlossene Aufhebung des Habeas Corpus informiert? Aber – vor allem – wusste der Papst Bescheid?“ [Aufhebung des Habeas Corpus im Vatikan, die vom Papst beschlossen wurde, aber wusste er das? Eine Bombe in Papierform von Kardinal Parolin, die Kardinal Becciu freispricht, "begraben" von den vatikanischen Rechtsförderern - 14. Juli 2021].

Rechtsanwalt Viglione, aus dem Verteidigerteam von Kardinal Becciu. hat das Fehlen der Akten angeprangert, besonders des Transskripts der Befragungen von Msgr. Alberto Perlasca "Wir möchten die Möglichkeit haben, sie zu hören" sagte er: "Es gibt eine Ausfnahme, aber die ist nicht bei den Akten". "Das Recht der Verteidigung ist verletzt worden" fügte er hinzu. "Es gibt überhaupt keine Aufnahme, die Kardinal Becciu betrifft."

Avvocato Intieri , Verteidiger von Tirabassi, hat bestätigt, daß es keine einzige Tatsachenlage gibt, die seinen Mandanten mit dem IOR verbindet.

Avvocato Ruggio, Verteidiger von Marogna, hat Aufschub und Ausschluss verlangt, solange seine Mandantin nicht von der Vertraulichkeitspflicht der Untersuchung entbunden ist, die sie verpflichtet, nicht antworten zu können.

Avvocato Giacinto, Torzis Verteidiger, beantragte Befreiung von Hinderungsgründen, weil das Auslieferungsersuchen in London seinem Mandanten wegen restriktiver Maßnahmen die Ausreise verwehrt.

Avvocato Caiazzo, Verteidiger von Mincione, hat erklärt, daß er zufällig von einem noch nicht ausgeführten Haftbefehl gegen den Finanzier, der aus dem Jahr 2020 stammt, erfahren hat, und nennt diese Tatsache "besonders schwerwiegend".

Brülhart hat durch seinen Verteidiger bekannt machen lassen, daß er in Zürich unabkömmlich ist, aber dem Verlauf des Prozesses zustimmt.

Avvocato  Aiello, Rechtsanwalt von Squillace, hat sich den vorherigen Forderungen angeschlossen.

Es ist schon klar, daß die Verteidiger der Angeklagten dem Image des Hl. Stuhls sehr schaden werden, nicht nur dem Anklage-Organ, weil sie der Rechtsstaatlichkeit, die im Staat Vatikanstadt einen vergessenen "Status" hat, sehr gut tun werden. Wenn das Offensichtliche dieses "Sondergerichts" etwas lehren kann (zum x-ten Mal), so schrieb mir ein Freund: "Ist die Frage, daß der Staat Vatikanstadt von einem absoluten Monarchen regiert wird. Die einzige Möglichkeit, das Gesetz zu ändern, besteht darin, daß der geliebte Heilige Ignatius den Geist des Papstes berührt!"

Sehr ausführlich war die Äußerung der Rechtsanwältin Paola Severino, die u.a. alle der im Saal anwesenden Parteien für das IOR präsentierten Ausnahmen als unbegründet und deshalb zurückzuweisen, erklärt hat. Avvocato Roberto Lipari hat unterstrichen, daß das IOR der verletzte Teil ist "Die Aufgabe des IOR ist es, die Vermögenswerte, die für religiöse und karitative Zwecke bestimmt sind, zu bewahren. Die unerlaubte Verwendung der Vermögenswerte des IOR schadet der Fähigkeit des IOR – das weder zum Heiligen Stuhl noch zum Staat Vatikanstadt gehört- bei neuen Kontakten und Beziehungen“.

Der beigeordnete Rechtspromotor Alessandro Diddi sagte: "Wenn wir Fehler gemacht haben, sind wir bereit, dies wieder gut zu machen. Wir respektieren die Rechte der Verteidigung “. Der Rechts-Promotor, Gian Piero Milano, wies darauf hin, daß das Reskript des Papstes "ein gesetzgeberischer, richterlicher Akt ist, dessen Gebrauch mit dem Kontext in Beziehung gebracht werden muss und der höchste Ausdruck der Macht des Papstes ist. Es besteht das Risiko, die Taten falsch darzustellen, wenn man sie nur aus säkularer Sicht betrachtet".

Nach einer 1 Stunde und 20 MIntuen dauernden Sitzung der Kammer hat Präsident Pignatore sich vorbehalten, über die von den Parteien vorgelegten Ausnahmen und Anträge zu entscheiden und auch für weitere -auch in höheren Instanzen- vorgetragene Akten oder Audio-und Video-Dokumente offen zu sein. In Anbetracht einiger der von den Anwälten der Angeklagten geltend gemachten Ausnahmen, die für das wirksame Recht der Verteidigung unerlässlich sind, beantragte der beigeordnete Rechtspromotor, Alessandro Diddi, bis zum 21. September den Partein Kopien der Informationsunterlagen auszuhändigen und letztere aufgefordert, sie bis zum 4. Oktober zurückzugeben und alle weiteren Erinnerungen, Petitionen oder Anfragen zu übermitteln. Schließlich hat er die nächste Sitzung auf den 5. Oktober 2021 um 9:30 festgelegt.

Kardinal Angelo Becciu hat am Ende der ersten Anhörung beim Prozess zu den Journalisten gesagt: "Ich lasse über mich richten, wie es der Papst wollte. Ich habe dem Papst immer gehorcht. Er hat mir in meinem Leben viele Missionen anvertraut und wollte, daß ich zum Prozess komme und ich bin zum Prozess gekommen. Wie ich mich fühle? Ich bin heiter, ich bin in meinem Gewissen ruhig, ich vertraue darauf, daß die Richter die Tatsachen erkennen können und meine große Hoffnung ( und auch Sicherheit) ist, daß sie meine Unschuld erkennen."
(...) 

Quelle: Marco Tosatti, Stilum Curiae, korazym.org

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