Dienstag, 22. März 2022

Die neue vaticanische Konstitution Praedicate Evangelium

A. Gagliarducci analysiert für CNA Ziele und Auswirkungen der Apostolischen Konstitution Praedicate Evangelium. 
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"PRAEDICATE EVANGELIUM: DINGE DIE SIE VIELLEICHT IN DER NEUEN VATICANISCHEN KONSTITUTION VERMISST HABEN" 

Die von Papst Franziskus am Samstag veröffentlichte neue vaticanische Konstitution ist auf den ersten Blick ein pastoraler Wendepunkt. Dafür gibt es zahlreiche Hinweise. Das ist der Titel des Dokumentes: Praedicate evangelium, der betont, daß die Reform auf die Evangelisierung abzielt. Der Papst wird der Präfekt des neuen Dicasteriums für die Evangelisierung, das jetzt das Erste und den Dicasterien ist. 

Das Dokument unterstreicht auch die Rolle der örtlichen Bischofskonferenzen und erwähnt sie 52 mal. Im Gegensatz dazu erwähnte 1988 das Dokument Pastor bonus, die vorangegangene Vaticanische Konstitution, sie nur zweimal. 

Dennoch geht diese Reform über das Thema Evangelisierung hinaus. Sie ist mehr als eine einfache Neustrukturierung der Körperschaften der Römischen Kurie. Sie stellt einen Philosophie-Wechsel dar. 

Die Kurie wird auf gewisse Weise auch eine bürokratischere Körperschaft. Wir verlieren die Bedeutung der alten Institutionen im Namen einer besseren Funktionalität. Körperschaften wie die Apostollische Kammer (Camera Apostolica) , die dem Camerlengo bei der Leitung des Vaticans während eines päpstlichen Interregnums hilft, ist völlig verschwunden.

Das Staatssekretariat

Unter der neuen Konstitution erhält das Staatssekretariat die Rolle eines Päpstlichen Sekretariates. Das ist nicht neu. Während Pastor bonus entworfen wurde, gab es eine Diskussion darüber, ob das Staatssekretariat in "Päpstliches Sekretariat" oder "Apostolisches Sekretariat" umbenannt werden sollte. 

Am Ende wurde der alte Name beibehalten, weil er eine gewisse historische Feierlichkeit besaß. Der damalige vaticanische Staatssekretär Kardinal Agostino Casaroli scherzte, daß der Sitz seines Dikasteriums "eine wunderbare in lateinischer Sprache geschnitzte Inschrift Secretaria Status besitze und es schade wäre, die wegwerfen zu müssen." 

Papst Paul VI hat das Staatssekretariat durch seine Apostolische Konstitution von 1967 Regimini Ecclesiae Universal zu der zentralen Körperschaft der Römischen Kurie gemacht, Bis zu dem Zeitpunkt war das Staatssekretariat seit 1870 nicht neu definiert worden, als die Päpste ihre weltliche Macht verloren. Deshalb wird in der Konstitution Pauls VI das Staatssekretariat als Sekretariat des Pontifex Maximus beschrieben, während der Kodex des Kanonischen Rechts von 1983 auch vom "Päpstlichen Sekretariat" spricht. 


Am Ende ist nichts neu. Sogar in diesem Fall ist der Name "Staatssekretariat" nicht verloren. Er funktioniert, wird jedoch eines dieser päpstlichen Sekretariate, die auch die interdicasterialen Treffen organisieren. Natürlich ist die Anwesenheit des Papstes bei solchen Treffen in der Konstitution nicht vorgesehen, aber sie kann als garantiert betrachtet werden. Es könnte aber Treffen der Abteilungen geben, die nur von den Dicasterien abgehalten werden. 

Die Apostolische Kammer

Die Apostolische Kammer ist eine Abteilung der Römischen Kurie, die die Güter der Kirche während der Sedisvakanz verwaltet. Es ist eine ehrenwerte Institution, die auf das 12. Jahrhundert zurückgeht. Zu ihr gehören der Camerlengo, den Vize-Kammerherrn, den Generalauditor und das Kollegium der geistlichen Prälaten der Kammer.

Aber bereits 2020 verschwanden die Titel eines Generalauditors und des Kollegiums aus dem Päpstlichen Jahrbuch. Das war ein klarer Hinweis auf einen Wechsel.

Die Apostolische Kammer wird in Praedicate evangelium nicht erwähnt. Zusätzlich zur neuen Konstitution assistieren dem Camerlengo - zur Zeit der irisch-amerikanische Kardinal Kevin Farell drei assistierenden Kardinäle. Einer ist der Kardinal-Koordinator des Wirtschaftsrates, die anderen zwei werden nach den Modalitäten der Regeln für die Sedivakanz des Apostolischen Stuhls und die Wahl des Römischen Pontifex geregelt. 

Papst Franziskus weist deshalb einerseits auf seinen Willen hin, alle alten Kollegien abzuschaffen (eine Reform des Kapitels von St. Peter ist auch in Vorbereitung). Andererseits sind diese Änderungen ein Schritt vorwärts auf eine Bürokratisierung zu, weil die Rolle des Camerlengo irgendwie ihre außerordentliche Natur verliert, angesichts dessen, daß die Verwalter der Kirche immer Vaticanische Finanzminister bleiben, also Koordinatoren des Wirtschaftsrates. 

Auf Wiedersehen, "Roter Papst"

1622 gegründet, war die Kongregation von Propaganda Fide später die Kongregation zur Evangelisierung der Völker genannt, sehr autonom, auch vom finanziellen Standpunkt betrachtet. So sehr, daß sein Präfekt der "Rote Papst" genannt wurde. 

Unter der neuen Konstitution wird die Kongregation zusammen mit dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Evangelisierung zum Evangelisierungs-Dicasterium verschmolzen.

Das Dikasterium wird weiterhin die Ernennung von Bischöfen in den Missionsgebieten überwachen. Ebenso behält es seine finanzielle Autonomie, die durch die neuen Zentralisierung von Investitionen gefährdet war. Artikel 92 der neuen Konstitution lautet: "Die Kongregation verwaltet ihr Vermögen und andere Vermögenswerte, die für die Missionen bestimmt sind, durch ein eigenes besonderes Amt, unbeschadet der Verpflichtung, der Präfektur für wirtschaftliche Angelegenheiten des Heiligen Stuhls Rechenschaft abzulegen.“

Aber der rote Papst ist verschwunden. Artikel 55 der Konstitution lautet: "Das Dikasterium für Evangelisierung wird direkt vom Papst geleitet. Jede der beiden Sektionen wird in seinem Namen und durch seine Autorität von zwei Pro-Präfekten regiert.“

Dies ist eine Modalität, die frühere Päpste verwendet haben, um die Kongregation für die Glaubenslehre bis 1968 zu leiten, da sie glaubten, daß Glaubensfragen – für die Integrität der katholischen Glaubens- und Morallehre – für die Führung der Weltkirche von zentraler Bedeutung seien. 

Die erste Sektion des Dikasteriums für die Evangelisierung, die den Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung aufnimmt, wird die "Sektion für die grundlegenden Fragen der Evangelisierung in der Welt“ sein. Die zweite Sektion, die für die Neuevangelisierung und die neuen Teilkirchen zuständig ist, ist eigentlich die alte Propaganda Fide.

Das Dicasterium für die Glaubenslehre

Daß Papst Franziskus die Evangelisierung als vorrangig erachtet konnte man schon bei der Reform der Glaubenskongregation sehen, die im Februar vorgenommen wurde und jetzt in Praedicate Evangelium aufgenommen wurde. 

Die Unterteilung in zwei Abschnitte – disziplinär und doktrinär – macht eine klare Trennung zwischen Disziplinar- und Glaubensfragen. Früher war die Grundidee, dass sogar Verbrechen wie Kindesmissbrauch Verbrechen gegen den Glauben seien.

Diese De-facto-Trennung stellt die Glaubenslehre nach der Vorstellung von Papst Franziskus von einer „ausgehenden Kirche“ auf eine untergeordnete Ebene. Aber es stellt auch disziplinarische Fragen an erste Stelle. Es ist, als ob es zunächst notwendig wäre, alles zu klären, was die Ausübung der Evangelisierung verdunkelt.

Die Eingliederung der Päpstlichern Kommission zum Schutz Minderjähriger in die Glaubenskongregation sollte so interpretiert werden. 

Das Dicasterium für den Caritativen Dienst

Das Amt für die Päpstliche Mildtätigkeit wurde immer eher als Teil der "Päpstlichen Familie"  (Familia Pontificalis) betrachtet als als Abteilung der Römischen Kurie Deshalb folgt der Päpstliche Almosenier, der das Amt leitet, der Prozession, die Staatsbesuche im Vatican begleitet und sitzt während der Reden neben dem Papst. Der Almosenier war deshalb Ausdruck der Mildtätigkeit, die direkt vom Papst ausgeht und die keine universale Dimension besaß.  

Die universale Dimension wurde dagegen durch den Päpstlichen Rat Cor Unum verkörpert, der später in das Dicasterium für die integrale menschliche Entwicklung verschmolzen wurde. Jetzt aber wird der Päpstliche Almosenier Oberhaupt des "Dicasteriums für die wohltätigen Dienste" . somit Teil der Kurie und verläßt die Päpstliche Familie. 

Die Finanzen des Papstes

Die Verwaltung des Patrimoniums des Apostolischen Stuhls (APSA) zunehmend als eine Art Zentralbank des Hl. Stuhls angesehen. Der Einschluss einer Investment-Kommission  (Artikel 227) der dazu dienen soll, Fehler wie die Investition in die Londoner Luxus-Immobilie -zur Zeit Subjekt eines großen Strafprozesses- zu  vermeiden, sollte beachtet werden.   

APSA wird alle Investitionen in der Praxis koordinieren und das Institut für die Werke der Religion (das IOR, oft als „Bank des Vatikans“ bezeichnet) wird sein operativer Arm. Innerhalb des IOR war bereits ein Investitionsausschuss präsent. Es bleibt abzuwarten, ob diese weiter betrieben wird oder ob APSA das gesamte Investment-Know-how verwalten wird.

Die Rolle der Laien

Es gibt keine Unterscheidung mehr zwischen Kongregationen und Päpstlichen Räten, da alle Hauptabteilungen des Vatikans jetzt als Dikasterien definiert sind. Aber "Dikasterium“ ist ein vages Wort, das sich auf irgendein Amt bezieht. Daher geht ein sorgfältig kalibriertes Element der Verfassung von Johannes Paul II. von 1988 verloren: die kollegiale Beziehung zwischen den Leitern der Dikasterien und dem Papst. Ein Thema, das Johannes Paul II. selbst angesprochen hat, als sich 1985 Kardinäle aus aller Welt zu einem Konsistorium versammelten, um über Reformen zu diskutieren.

Dass die Leiter der Kongregationen Kardinäle und die Leiter der Päpstlichen Räte zumindest Erzbischöfe waren, spiegelte die Idee wider, daß alle Abteilungsleiter eine Form von bischöflicher Kollegialität mit dem Papst haben sollten. Weil die Kongregationen Entscheidungsgremien waren, war es außerdem notwendig, daß ihre Leiter "Kirchenfürsten“ waren, d.h. Kardinäle, die auf einer Entscheidungsebene knapp unter der des Papstes standen.

All dies ändert sich mit der neuen Verfassung, wodurch die Figur des Papstes noch zentraler wird. Alles bezieht sich jetzt ohne jeden Zweifel auf den Papst. Das soll nicht heißen, daß der Papst vorher keine souveränen Vorrechte hatte. Aber die Form der Kollegialität wurde respektiert und hat eine Grenze gesetzt. Nun ist die einzige Grenze der Kollegialität der Papst selbst.

Dasselbe gilt für die Entscheidung, daß niemand in Spitzenpositionen und kein Kleriker länger als zwei fünfjährige Amtszeiten in der Kurie dienen darf.

Dies führt zu zwei praktischen Problemen. Wenn ein Laie berufen wird, eine Abteilung zu leiten, wird er, wenn er weiß, daß die Rolle nur fünf oder höchstens zehn Jahre dauern wird, diese Stellung annehmen? Was können sie in dieser Zeit erreichen?

Ein Priester muss seine Arbeit in der Kurie nun als "Mission“ betrachten. Wenn seine Amtszeit auf 10 Jahre begrenzt ist, aber die Laien um ihn herum auf unbegrenzte Zeit bleiben, werden sie dann nicht in der Lage sein, bestimmte Entscheidungen so zu steuern, wie er es nicht kann?

Die traditionelle Messe

Die neue Konstitution enthält eine Kuriosität in Artikel 93, in dem Abschnitt der dem neuen Dicasterium für den Gottesdienst und die Sakramentendisziplin gewidmet ist, wir lesen "Das Dicasterium befaßt sich mit der Regulierung und der Disziplin der Hl. Liturgie - wie sie die außerordentliche Form des Römischen Ritus betrifft."

Papst Franziskus hat bereits mit Traditionis Custodes und dann den Responsa zum motu proprio klar gemacht, daß er die Alte Messe nicht länger als "außerordentliche Form" des Römischen Ritus betrachtet. Und dennoch wurde dieser Terminus in die neuen Konstitution aufgenommen. 

Ende des Karrierismus? 

Die Anordnungen der neuen Konstitution dienen dem Papst dazu, den Karrierismus zu untergraben und die Machtseilschaften zu durchtrennen, die geschmiedet werden, wenn Leute zu lange in Dicasterien bleiben. Aber das könnte einige unbeabsichtigte Folgen haben. 

Mit Praedicate Evangelium wird alles sehr bürokratisch. Die Reform ändert wenig an der strukturellen Ebene und viele Änderungen sind bereits durchgeführt worden, aber die der Kurie zugrundeliegende Philosophie wurde verändert. 

Die Kurie ist ein Organismus im Dienst an der Kirche, der sich jedoch auf die Rolle des Papstes konzentriert. Als Resultat  sind einige historischen Positionen verloren gegangen, die dazu gedient hatten, die Philosophie der Kurie zu definieren. Entscheidungen werden  in Zukunft bürokratischer sein und letztendlich wird die Rolle des Papstes betont. 

Nsch 40 Treffen des Kardinalsrates innerhalb von 9 Jahren, stehen wir vor einer Reform, die vielleicht weitere Feinregulierung verlangt. Z.B öffnet die Konstitution den Weg zu mehr laiengeführten Dicasterien. Aber laut Kanon 129 des Kanonischen Rechts sind es sie Heiligen Weihen, die "zur Macht der Regierens" qualifizieren." Wird das Gesetz also angepaßt ? 

Bei einer Pressekonferenz im Vatican am Montag hat der Experte für Kanonisches Recht Frt. Gianfranco Ghirlanda, S.J. die Frage von Kanon 129 angesprochen. Er sagte, daß die Konstitution entscheidet, daß es nicht die Weihe sondern die Missio canonica ist, die zählt

Was schließlich das Personal betrifft, wird es aktuell keine Reduzierung der Abteilungen geben: die Zahl der Abteilungsleiter wird verringert aber die Zahl der Angestellten wird gleich bleiben."

Quelle: A. Gagliarducci, CNA

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