Donnerstag, 30. März 2023

Fast zehn Jahre Kohabitation zwischen zwei Päpsten...

A. Gagliarducci veröffentlicht bei vaticanreporting einen persönlichen Rückblick auf die letzten 10 Jahre des Pontifikates und der Kohabitation zweier Päpste. 
Hier geht´s zum Original:  klicken

"VOR ZEHN JAHREN DIE ERSTE BEGEGNUNG ZWISCHEN EINEM PAPST UND EINEM EMERITIERTEN PAPST"

Vor zehn Jahren nach der Wahl und nach der Inaugurationsmesse zum Petrinischen Amt, hat Papst Franziskus den Hubschrauber genommen und sich nach Castel Gandolfo  begeben, um zum ersten mal als Papst den Papst emeritus Benedikt XVI. In diesem Moment war offensichtlich, daß wir plastisch zum ersten mal eine neue Ära erlebt haben.  Die Kohabitation zwischen einem Papst und einem Papa emerito hat es in modernen Zeiten nicht gegeben.  Außerdem passierte das nie in einer Epoche, in der die Medien so allgegenwärtig waren. 

Wir hatten fast zehn Jahre Kohabitation zwischen Papst Franziskus und Benedikt XVI und diese Kohabitation hat auch ein polarisierendes Narrativ geschaffen: zwischen denen, die  Papst Franziskus treu und denen, die Benedikt XVI treu waren, denjenigen, die ein Kirchenmodell wollen, das von Papst Franziskus gelebt wird und denen, die das von Benedikt XVI gelebte Kirchenmodell wollten. 

Sprechen wir Klartext: die Polarisation war trotzdem ein Fehler, weil es keine zwei Modelle der Kirche gibt, sondern nur die Kirche existiert, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet hat. Und doch muss ich gestehen, daß ich die Taten dieses Pontifikats, des Pontifikats von Papst Franziskus, immer mit einer gesunden Skepsis verfolgt habe.

Ein gesunder Skeptizismus, sage ich, weil ich de facto glaube, daß das die Haltung eines Journalisten ist. Ich hatte die Arbeit von Benedikt XVI. verfolgt, hatte sie studiert, hatte begonnen, einige Mechanismen und Sichtweisen zu verstehen, ich hatte beschlossen, die Dinge aus sicherer Distanz zu betrachten, weg von der italienischen Perspektive, weg von jeder ideologischen Perspektive. Die Kirche verlassen und zur Kirche zurückkehren, kurz gesagt, die weltliche Sprache zu verlassen, die die Geschichte der Kirche prägte, und zur Sprache der Kirche zurückkehren: das war mein Ziel.

Bei Benedikt XVI hatte ich die Überzeugung, daß die Texte wichtiger waren als die Gesten, daß doe liturgischen oder zeremoniellen Gesten nur dann eine Bedeutung hatten, wenn sie in der Geschichte verwurzelt waren. Ich hatte gelernt, daß jede "erfundene Tradition", wie Hobsbawm sagte, einer Aufhebung der Vergangenheit entsprach, der Notwendigkeit, bei Null anzufangen. Ich hatte gelernt, daß Christen, gerade weil sie Menschen lieben, nicht bei Null anfangen. Sie zerstören nicht, sondern verwandeln mit Liebe.

Dann also, beim Beginn des Pontifikates von Papst Franziskus hatte ichsofort den Gedanken, daß wir uns in einer anderen Sprache befanden. Und es ist wahr, daß Papst Franziskus in der Inaugurationsmesse von der Macht des Dienstes sprach (im Grunde ist der Papst der Diener der Diener Gottes), aber er tat das, indem er auch einen sehr vagen Hinweis auf die Schöpfung einfügte, einen Appell, der außerhalb der katholischen Tradition des Appells an alle Menschen guten Willens lag, einfach weil er vage blieb, nicht von der Sozialdoktrin gefärbt. Ein Appell, der nicht allen gilt,  aber für alle Jahreszeiten gilt. 


In den vorangegangenen Tagen, hatte der Papst eingeladen für den Bischof und das Volk gemeinsam zu beten, er bat das Volk, ihn zu segnen, er erschien in dem Hotel, in dem er vor dem Konklave wohnte, um zu bezahlen (auch wenn er der Papst war und das Hotel ihm gehörte), er hatte sich in Santa Maria Maggiore gezeigt. Er hatte die Journalisten getroffen, für sie den Slogan benutzt, er wollte "eine arme Kirche für die Armen", er hatte sie als Geste nicht gesegnet, um jene in der Gruppe zu respektieren, die keine Christen oder Ungläubige waren. 

Alles war sehr exaltiert, in einer Art kollektiver Hysterie, die immer kommt, wenn es etwas Neues gibt. Alles wurde mit großer Hoffnung als Neuheit präsentiert. Aber ich war skeptisch. Und ich habe Jahre gebraucht, um zu verstehen, woher diese Skepsis kommt, eine Skepsis, die mich im Grunde immer dann überkommt, wenn ich zu viele begeisterte Menschen sehe, zu viele Erzählungen, die sich auf absolute Neuheiten und Winde der Veränderung konzentrieren.

Papst Franziskus bezog sich zwar auf die Heiligen, auf die Volkstradition, auf die Sorge um die Schöpfung, auf die Armen, schuf aber ein neues Zeremoniell, das kein kirchliches, sondern ein persönliches Zeremoniell war. Es war ein eher "säkulares“ Zeremoniell, das sich auf Dinge bezog, die sicherlich in der öffentlichen Meinung Anklang gefunden hätten, die aber sprachlich und in Umgangsformen nie Teil der Tradition der Päpste gewesen sind.

Schön, könnte man sagen. Ich finde es eher problematisch als schön. Weil alles seine eigenen Sprachen hat und der Fehler, der immer in Bezug auf die Kirche gemacht wurde, darin bestand, zu erwarten, daß sich die Kirche an die Sprachen der Welt anpasst. Diese Anpassung, die über die Evangelisierung hinausgeht und die soziale und öffentliche Präsenz durchdringt, macht die Kirche zu einer Struktur wie jede andere. Es war die Rede von einem Christentum ohne Christus, um zu sagen, daß die Kirche zu sehr zu einem "Kulturkämpferin“ geworden sei. An einem bestimmten Punkt gab es dann einen säkularen Christus, aber ohne Christentum.

Viele denken, daß Skepsis bedeutet, daß ich der gute alte Zeit nachweine und daß jetzt den Wind des Neuen, der mit dem Pontifikat von Papst Franziskus gekommen ist, nicht akzeptieren möchte. Meine Skepsis ist jedoch nicht von Nostalgie gefärbt. Ich weiß, daß die Strukturen erneuert werden müssen, und hoffe es. Aber ich bin skeptisch gegenüber einem Narrativ, das um jeden Preis sagen will, daß sich alles geändert hat und daß das neue System endlich besser ist als das alte.

Ich finde keine Unterschiede zwischen den Höflingen von gestern und den Höflingen von heute. Die "Skandale" der Vergangenheit sind auch die "Skandale" von heute, und der einzige Unterschied besteht in der Bemühung der Medien besteht, zu zeigen, ob sie gelöst werden. Aber ist die Aufmerksamkeit der Medien eine echte Lösung oder nur ein Köder? Und vor allem, wie viel nützt die mediale Aufmerksamkeit einer Institution, wenn man bedenkt, daß die Institution selbst dann gezwungen ist, populäre Entscheidungen zu treffen, auch wenn es notwendig ist, nicht populär zu sein?

Als Journalist, der auf der Suche nach Neuigkeiten ist und als Journalist, der mit der starken Ideologie der Notwendigkeit der Diskontinuität in der Kirche aufgewachsen ist, habe ich mich im Laufe der Jahre in einen Journalisten verwandelt, der die Rhetorik des Neuen aufgegeben hat, um stattdessen hinter den Schein zu schauen, indem er Ockhams Rasiermesserprinzip auf alles anwendet. Wenn eine Neuheit verbirgt, daß es die gleiche Philosophie wie vorher ist, nur mit einer neuen Sprache, kritisiere ich sie einfach, ich zeige, daß es keine Unterschiede gibt und daß es vorher tatsächlich auch etwas Gutes gab, das vorher nicht berücksichtigt wurde.

Ich bin davon überzeugt, daß das Löschen der Geschichte nicht nur nutzlos, sondern auch schädlich ist. Und ich bin davon überzeugt, daß jeder seine Sprache sprechen sollte. Die der Kirche ist nicht die der institutionellen Reform, der Inklusion um jeden Preis, der Liebe für die Ausgegrenzten. Das ist sie auch, aber das geht davon aus, daß sie in Christus und in der Eucharistie verwurzelt ist. Die Kirche ist nicht nur Lehre oder Kasuistik, aber ich misstraue denen, die sagen, man solle in geistlichen Dingen keine Kasuistik betreiben und sie dann aber auf jeden Fall in pragmatischen Dingen anwenden und auch geistliche Dinge pragmatisch angehen.

Dies sind nicht nur Themen für die Kirche, sondern allgemeine Themen, die die eigentliche Bedeutung des Berufes berühren. Die Begegnung zwischen Benedikt und Franziskus vor zehn Jahren verkörperte vielleicht den Übergang von der geistlichen zur materiellen Ära in einer Darstellung, die nur die Kirche im Vorgriff auf die Zeit geben kann.

Und darf mich nicht missverstehen: Es ist nicht so, daß Franziskus keine geistlichen Züge hätte, daß er nicht zum Gebet einlädt, daß er nicht die Volksfrömmigkeit fördert. Aber er tut dies mit einer Sprache, die eher eine weltliche als eine spirituelle Sprache ist. Da ist die in Lateinamerika sehr präsente Mystik des pueblo fiel, in der das Volk zu einer mythischen Kategorie wird. Alles wird religiös, und in dem Moment, in dem alles religiös ist, ist nichts religiös. Es gibt eine Art Verschweißung zwischen öffentlichem Raum und religiösem Raum, die Schließung eines Kreises, der mit der Aufklärung durchbrochen wurde und nun zurückkehrt, jedoch wieder ganz zugunsten des öffentlichen Raums statt des religiösen Raums. Religion ist Teil des Bildes, und sie wird in das Bild aufgenommen.

Ich versuche nur, mich nicht von Emotionen mitreißen zu lassen. Wenn etwas passiert, schaue ich auf das, was vorher war. In guter Praxis relativiere ich immer, ohne Vorurteile. Ich habe nicht alle Regierungsentscheidungen von Benedikt XVI.  geschätzt. Ich schätze nicht alle Regierungsentscheidungen von Papst Franziskus. Ich versuche immer, seine Logik zu verstehen, und das scheint mir der beste Dienst zu sein, den ich tun kann.

Aber wenn man versucht, die Logik zu verstehen, gelangt man zur Botschaft. Und die Botschaft von Papst Franziskus scheint durch Versuch und Irrtum voranzugehen, wie Sandro Magister in einer Analyse seiner jüngsten Interviews demonstriert hat. Das ist ein Ansatz, der auf die Reaktionen der öffentlichen Meinung achtet und die Einstellung diesen Reaktionen anpasst.

Vielleicht ist das nur der Anschein, vielleicht unterinterpretiere ich Franziskus, während ich sehe, daß andere ihn überinterpretieren und das Progressive vergrößern. Vielleicht hat oder hatte keiner von uns Journalisten Ausgeglichenheit. Ich persönlich hege eine gesunde Skepsis. Und die hege ich mit aller möglichen Liebe für die Kirche und versuche, immer-trotz der Männer, die sie mitgeformt haben, einen  Sympathie-Vorschuss für die Institution und die Art und Weise, wie sie entstanden ist, zu garantieren.

Das ist keine Nostalgie und ich will keine Ruptur. Das ist eher die Suche nach einer Art, sie weniger massen-medial sondern realistischer zu gestalten. Das ist eine Sicht auf die Dinge, das gebe ich zu, die eher zynisch ist."

Quelle: A. Gagliarducci, vaticanreporting

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