Montag, 4. September 2023

Über die Diplomatie von Papst Franziskus

In seiner heutige Kolumne für Monday at the Vatican kommentiert A. Gagliarducci das, was er die "Diplomatie" von Papst Franziskus nennt.  Hier geht´s zum Original:  klicken

"PAPST FRANZISKUS -PRAGMATISCHE ODER FLÜSSIGE DIPLOMATIE?" 

Papst Franziskus Worte über "Mutter Rußland" und Katharina und Peter den Großen -die er via Videokonferenz am 25. August an eine Gruppe junger Russen richtete, wurden in der Ukraine nicht begrüßt. Es gab Regierungsproteste, Proteste der Ukrainisch-Griechischen Katholischen Kirche und eine Antwort des Vaticans durch die Nuntiatur  und dann vom Pressebüro des Hl. Stuhls, in der gebeten wurde, die Worte des Papstes nicht als Unterstützung des Imperialismus  zu verstehen, weil eine solche Interpretation im Licht der Reden des Papstes unzutreffend wären.

Ehrlicherweise kann man sagen, daß Papst Franziskus immer Akte des Imperialismus bekämpft und verurteilt, vor ideologischer Kolonialisierung gewarnt und gleichzeitig nie versäumt hat, für die Ukraine zu beten-die er als einem Martyrium unterworfen definierte, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wer der Aggressor und wer der Angegriffene ist. 

Gleichzeitig kann man sagen, daß die öffentlichen Aktivitäten des Papstes manchmal nicht zu seiner Linie passen oder riskieren, den falschen Eindruck zu erwecken. Und das ist ein ausschlaggebender Punkt in Papst Franziskus´ Pontifikat.

Papst Franziskus ergeht sich in spontanen Interviews und Gesprächen. Er spricht aus dem Stegreif, scheint die Themen nicht zu studieren und antwortet aus dem Gefühl. Mehrmals hat er während der "fliegenden" Pressekonferenzen Situationen erwähnt, die bedacht werden sollten. 

Papst Franziskus´ Entscheidung, sich den Fragen ohne Filter zu stellen. wurde sehr gelobt, besonders zu Beginn seines Pontifikates. Der Papst hat keine Angst davor, Journalisten zu konfrontieren oder zu sagen, was er denkt. Das Problem ist, daß Spontanität manchmal dazu führt, unnötige Risiken einzugehen. Am Ende ist Papst Franziskus der Papst; was er sagt, hat immer globale Wirkung und deshalb müssen wir mit Worten vorsichtig sein. 

Es war wahrscheinlich, daß Katharina die Große und Peter den Großen und Mütterchen Rußland zu preisen, eine negative Reaktion der Ukraine provozieren würde. Mitten in einem Krieg, der das Echo des russischen Imperialismus´ ist, können die Ukrainer nicht verstehen, daß der Papst spontan spricht und daß kulturelle Anspielungen dazu dienen, die Tiefe einer historischen Ära qualifizieren  und nicht  das zu unterstützen, was damals passiert ist. Alles was wie eine Rechtfertigung der Russische Aggression  klingt, ist ein Problem.  


Papst Franziskus aber ist an dieser Art Argumentation nicht interessiert. Er glaubt, daß er in gutem Glauben handelt und interessiert sich deshalb nicht für mögliche Reaktionen auf seine Worte oder Handlungen. Im Fall des Ukraine-Krieges hat er das mehrmals getan.

Zum Beispiel, als er zu Beginn des Krieges die Botschaft der Russischen Föderation beim Heiligen Stuhl aufsuchte und nicht das Gleiche bei der ukrainischen Botschaft tat. Oder, imposant, in einer der Stationen der Via Crucis am Kolosseum im Jahr 2022, die Anwesenheit einer Russin und einer Ukrainerin, die die Möglichkeit der Versöhnung symbolisieren und fast zur Vergebung zwingen sollen. Für den Kreuzweg im Jahr 2023 wurden Texte, die Zeugnisse junger Russen und Ukrainer für den Frieden enthielten, erst im allerletzten Moment verteilt, gerade um Kontroversen zu vermeiden.

Die Entscheidungen des Papstes sind pragmatisch.Wer würde bestreiten, daß es ohne Vergebung niemals möglich sein wird, einen Frieden zu erreichen, der mehr als nut die Abwesenheit von Krieg ist. Wer würde bestreiten. Wer würde leugnen, daß Krieg für jeden eine schreckliche Erfahrung ist. Und wer würde nicht einem nicht zustimmen, der jungen Menschen rät, ihre Wurzeln kennen zu lernen und zu schätzen, vor allem wenn sie eine lange,tiefe und manchmal kontroverse Geschichte hinter sich haben.

So gesehen erscheinen die Dinge wie reiner gesunder Menschenverstand. Es gibt aber diplomatische, menschliche und kontextuelle Sensibilitäten, die weiteres Nachdenken brauchen. Papst Franziskus hat beschlossen, spontan zu sprechen, mit der Gewißheit, daß jemand sein Wort in den Kontext stellen oder ihm einen Vertrauensvorschuss gewähren wird oder zumindest etwas Vertrauen und Sympathie.

Es ist eine Strategie, die sich jedoch als spaltend herausstellt. Es gibt jene, die den Papst verteidigen und die, die ihm widersprechen und beide Parteien beschuldigen die jeweils anderen, nicht zu verstehen. Kritik am Papst wird als Angriff auf die Person mißverstanden. Lob des Papstes wird dagegen als Schmeichelei angesehen. Und diese Diskussion wird als Zeitverschwendung betrachtet.

Die Hauptthemen werden beiseite gelassen und alles konzentriert sich auf die Person des Papstes. Personalisierung ist ein komplizierter Prozess, der vermieden werden sollte, besonders wenn man charismatische oder zentralisierende Führer hat. In der Praxis jedoch betont Personalisierung alle Grenzen der Entscheidungen, wenn diese nicht auf allgemeiner Logik sondern auf persönlicher Logik beruhen.

Auf diese Weise wird ein Ereignis mit tiefgehender pastoraler Bedeutung - wie das Treffen mit den Russischen Jugendlichen- zum möglichen Schlachtfeld für eine Kontroverse, das es nicht gegeben hätte, wenn der Papst nicht spontan geredet hätte.

Diese Geschichte ist übrigens nicht die einzige ihrer Art. Im Laufe der Jahre hat der Papst immer wieder spontan gesprochen, mit verbalen Exzessen, die einer Klarstellung bedurften. Gleichzeitig hat der Papst sein Gewicht und seine Autorität genutzt, um zu versuchen, Friedensinitiativen zu entwickeln und zu fördern. So rief er beispielsweise 2014 zu einem Gebetstreffen in den Vatikanischen Gärten für den Frieden im Nahen Osten auf. Im Jahr 2019 veranstaltete er einen Rückzug ins Gebet für die Führer des Südsudan. Im September 2021 schickte er Kardinal Parolin in den Libanon, wo er ebenfalls für einen Tag des Gebets für den Frieden für das Land aufrief. Und er schickte Kardinal Krajewski sechsmal und Kardinal Czerny zweimal in die Ukraine. Anschließend wählte er Kardinal Zuppi zu seinem Sondergesandten für eine praktische Mission zur Erkundung der Möglichkeit eines Friedens in der Ukraine, vor allem aber zur Unterstützung der Rückführung ukrainischer Kinder nach Russland. Wie lässt sich also die diplomatische Haltung des Papstes definieren? Der Wunsch nach einer Einigung mit China um jeden Preis, nach einem Dialog mit Putin seit Kriegsbeginn, nach Diskussion und Vermittlung in Nicaragua oder Venezuela trotz allem weisen darauf hin, daß er ein Papst der Realpolitik, also der konkreten, praktischen Diplomatie ist . Gleichzeitig zeugt das ohrenbetäubende Schweigen in manchen Situationen in Nicaragua, Venezuela oder Hongkong von einem Papst, der bis ins Extrem vorsichtig ist und schweigen kann, selbst wenn man sich zu Wort melden sollte. Schließlich deuten die spontanen, ungefilterten Erklärungen auf einen Papst hin, der nicht an Konsequenzen denkt und manchmal eine naive Interpretation der Realität an den Tag legt. Wer also ist Papst Franziskus? Ist seine Diplomatie fließend, ohne Bezugspunkte und daher potenziell wirkungslos? Oder ist seine Diplomatie praktisch und daher potenziell spaltend?

Das sind die Fragen, die die jüngsten Entscheidungen von Papst Franziskus aufwerfen. Indem er in die Mongolei fuhr, riskierte er auch, die guten Beziehungen zu China zu zerstören. An dem interreligiösen Treffen nahmen tibetische Buddhisten teil, zu einer Zeit, als der Dalai Lama feststellte, daß ein mächtiger Lama und spirituelle Autorität für die gesamte Mongolei als mongolisches Kind wiedergeboren wurde, was den Zorn Pekings erregte, das das Recht beansprucht, über Reinkarnationen zu entscheiden. Es ist kein Geheimnis, daß China die Reise sehr aufmerksam beobachtet. Alles lief gut, die Organisation war perfekt, aber bis zum Schluss spekulierte irgend einer über ein Missverständnis, das durch eine spontane Geste oder Worte von Papst Franziskus verursacht werden würde.

Das ist ein Beispiel, das die vielen Dinge erklärt, an die man denken muss, wenn man eine Reise vorbereitet ganz abgesehen von einer Rede oder einem Interview, die schnelle Wendungen haben können und nie mißverstanden werden sollten, zumindest bei kritischen Themen. "

Quelle: A. Gagliarducci, Monday at the Vatican

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